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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

kehrte er zu seinen liturgischen Studien zurück und verwertete sie praktisch bei
der kirchlichen Konferenz im Oktober 1856, die eine Generalsynode der preu¬
ßischen Unionskirche vorbereiten sollte. Dadurch erneuerte er seine persönlichen
Beziehungen zum König und wurde sein warmer Verehrer. "Von dem Zauber
seiner Persönlichkeit und Liebenswürdigkeit, der Güte seines Herzens, der spru¬
delnden Fülle seiner Gedanken und Ideen kann sich niemand einen Begriff
machen, der nicht in seine Nähe gekommen," schrieb Abeken 1857, und nach
seinem Tode 1861: "Einen größern Zauber hat wohl nie ein Monarch be¬
sessen als dieser." Eine weitere Verbindung mit dem Hofe knüpfte sich, als
er 1854 dein Prinzen Friedrich Wilhelm Unterricht zu erteilen hatte. Besonders
enge gesellige Beziehungen hatte er mit dem geistvollen Hause Radziwill
und mit der Familie des Generaldirektors der königlichen Museen, Ignaz
von Olfers, dem Sammelpunkte aller künstlerischen und litterarischen Talente
jener Tage, wodurch er nun wieder mit dem Hause des Grafen Jork in freund¬
schaftliche Beziehungen trat. So kam er auch mit bedeutenden Fremden in
Berührung, wie Thomas Carlyle 1852, Ottilie von Goethe, die er schon von
Rom her kannte, 1854. Aber indem er ganz in humanistisch-litterarischen
Interessen lebte, hatte er doch das deutliche Gefühl, daß es mit dieser allseitigen,
innerlichen "Bildung der Humanität," der "reinen Menschlichkeit" zu Ende
sei, mit der Bildung "einer großen Zeit, in welche wenigstens mit meinen
Wurzel" hineinzubringen ich mich sehr freue." Aber er verkannte auch nicht
ihre Schwäche, den Mangel an "festem sittlichen Halt," er gestand zu, daß
sie nur für "edle Naturen" sei, und bekannte offen: "die Menschheit im ganzen
bedarf noch etwas andres" (14. September 1856 an Rudolf Abeken). Die
Politik verfolgte er auch jetzt aufmerksam, doch ohne eigentlich thätige Teil¬
nahme, denn um zu der konservativ doktrinären "Kamarilla" des Königs zu
gehören, dazu war er trotz seiner Beziehungen zu den höfischen Kreisen zu tief
historisch gebildet und zu unbefangen, und mit der innern Politik war er
wenig einverstanden. Beim Krimkriege beklagte er vor allem, daß Deutsch¬
land deshalb keine entscheidende Stellung einnehmen könne, weil die beiden
Großmächte einander nicht trauen könnten, aber, so fügt er hinzu: "mein
Glaube an Preußen und Deutschland ist unerschütterlich" (7. Februar 1854).

Da leitete die Erkrankung des Königs (zuerst am 14. Juli 1857 in
Pillnitz) eine neue Wendung ein; nach kurzer Aussicht auf Besserung wurde
am 23. Oktober die Stellvertretung durch den Prinzen von Preußen verfügt,
und da an der dauernden Negierungsuufähigkeit des Königs kein Zweifel mehr
möglich war, am 7. Oktober 1858 die Regentschaft eingesetzt, nicht ohne
schwere Kämpfe, die Abeken andeutet, wenn er am 5. Oktober schreibt: "es
handelt sich nur um das Wie, welches auch leicht zu finden wäre, wenn es
allen nur um die Sache selbst zu thun wäre und nicht von allen Seiten so
viele Rücksichten und persönliche Nebenabsichten sich einmischten." Ein frischer
Zug kam in die preußische Politik, das neue Ministerium erweckte die Hoff-


Heinrich Abeken

kehrte er zu seinen liturgischen Studien zurück und verwertete sie praktisch bei
der kirchlichen Konferenz im Oktober 1856, die eine Generalsynode der preu¬
ßischen Unionskirche vorbereiten sollte. Dadurch erneuerte er seine persönlichen
Beziehungen zum König und wurde sein warmer Verehrer. „Von dem Zauber
seiner Persönlichkeit und Liebenswürdigkeit, der Güte seines Herzens, der spru¬
delnden Fülle seiner Gedanken und Ideen kann sich niemand einen Begriff
machen, der nicht in seine Nähe gekommen," schrieb Abeken 1857, und nach
seinem Tode 1861: „Einen größern Zauber hat wohl nie ein Monarch be¬
sessen als dieser." Eine weitere Verbindung mit dem Hofe knüpfte sich, als
er 1854 dein Prinzen Friedrich Wilhelm Unterricht zu erteilen hatte. Besonders
enge gesellige Beziehungen hatte er mit dem geistvollen Hause Radziwill
und mit der Familie des Generaldirektors der königlichen Museen, Ignaz
von Olfers, dem Sammelpunkte aller künstlerischen und litterarischen Talente
jener Tage, wodurch er nun wieder mit dem Hause des Grafen Jork in freund¬
schaftliche Beziehungen trat. So kam er auch mit bedeutenden Fremden in
Berührung, wie Thomas Carlyle 1852, Ottilie von Goethe, die er schon von
Rom her kannte, 1854. Aber indem er ganz in humanistisch-litterarischen
Interessen lebte, hatte er doch das deutliche Gefühl, daß es mit dieser allseitigen,
innerlichen „Bildung der Humanität," der „reinen Menschlichkeit" zu Ende
sei, mit der Bildung „einer großen Zeit, in welche wenigstens mit meinen
Wurzel» hineinzubringen ich mich sehr freue." Aber er verkannte auch nicht
ihre Schwäche, den Mangel an „festem sittlichen Halt," er gestand zu, daß
sie nur für „edle Naturen" sei, und bekannte offen: „die Menschheit im ganzen
bedarf noch etwas andres" (14. September 1856 an Rudolf Abeken). Die
Politik verfolgte er auch jetzt aufmerksam, doch ohne eigentlich thätige Teil¬
nahme, denn um zu der konservativ doktrinären „Kamarilla" des Königs zu
gehören, dazu war er trotz seiner Beziehungen zu den höfischen Kreisen zu tief
historisch gebildet und zu unbefangen, und mit der innern Politik war er
wenig einverstanden. Beim Krimkriege beklagte er vor allem, daß Deutsch¬
land deshalb keine entscheidende Stellung einnehmen könne, weil die beiden
Großmächte einander nicht trauen könnten, aber, so fügt er hinzu: „mein
Glaube an Preußen und Deutschland ist unerschütterlich" (7. Februar 1854).

Da leitete die Erkrankung des Königs (zuerst am 14. Juli 1857 in
Pillnitz) eine neue Wendung ein; nach kurzer Aussicht auf Besserung wurde
am 23. Oktober die Stellvertretung durch den Prinzen von Preußen verfügt,
und da an der dauernden Negierungsuufähigkeit des Königs kein Zweifel mehr
möglich war, am 7. Oktober 1858 die Regentschaft eingesetzt, nicht ohne
schwere Kämpfe, die Abeken andeutet, wenn er am 5. Oktober schreibt: „es
handelt sich nur um das Wie, welches auch leicht zu finden wäre, wenn es
allen nur um die Sache selbst zu thun wäre und nicht von allen Seiten so
viele Rücksichten und persönliche Nebenabsichten sich einmischten." Ein frischer
Zug kam in die preußische Politik, das neue Ministerium erweckte die Hoff-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/478>, abgerufen am 28.09.2024.