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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

Wesen, so wenig, wie überhaupt dem Bildungskreise, in dem er sich bewegte;
die Julirevolution 1830 erschütterte ihn vor allem wohl als eine Zerrüttung
der gesetzlichen, gottgewollten Ordnung.

So kam die Zeit heran, wo die "glückseligen Jahre akademischer Freiheit"
zu Ende gingen. Nachdem er im Sommer 1830 für eine theologische Preis¬
arbeit die große goldne Medaille erhalten hatte, bestand er im August die
theologische Staatsprüfung und am 11. März 1831 das Licentiatenexamen.
Auf den Wunsch des Vaters predigte er einmal am 12. Juni in seiner Vater¬
stadt, aber er hielt sich noch nicht sür gereift genug dafür, in das geistliche
Amt eintreten zu können, und schrieb damals an seinen Onkel Rudolf: "Die
Kirche, wie sie ist, genügt mir nicht. Ich will darauf wirken, daß sie anders
werde, aber nicht als praktischer Theolog, wenigstens nicht . . . ehe ich nicht
vollständig sicher in mir selbst geworden bin." Es trieb ihn in die Welt
hinaus, er wollte, wie Goethe, seine Bildung abschließen durch eine italienische
Reise, und der Vater gab ihm dazu gütig reichliche Mittel. So verließ er
am 21. September 1831 Osnabrück, ohne zu ahnen, daß er in Italien seinen
Beruf finden und durch ihn in eine ganz andre Laufbahn hinübergeführt
werden würde.

Durch die Schweiz, über Mailand, Bologna und Florenz erreichte er die
ewige Stadt. Als er am 9. November, nachdem er seit neun Uhr morgens
die blaugraue Peterskuppel aus der grünen Campagna hatte herauswachsen
sehen, nachmittags durch die Porta del Popolo in Rom einfuhr, empfand er
fast wie Goethe fünfundvierzig Jahre früher: er konnte es kaum glauben, daß
er in Rom war. Doch wie bald wurde er zu einem der deutschen "Römer,"
die bei aller Vaterlandsliebe ihre Sehnsucht nach der unvergleichlichen Tiber¬
stadt das ganze Leben durch im Herzen trugen! Bunsen, seit 1824 B. G. Nie-
buhrs Nachfolger als preußischer Geschäftsträger in Rom. öffnete seinem
jungen Landsmann sein gastfreies, geistvolles Haus im hohen Palazzo Cassarelli
auf dem Kapitol, dem Mittelpunkt der internationalen Geselligkeit Roms, und
bald auch seine Familie, die er mit einer ausgezeichneten Engländerin, Fanny
Waddington, 1817 begründet hatte. Bald schloß sich Abeken aufs innigste
ein die ihm geistig verwandten Gatten an; früh verwaist, verehrte er Frau
Bunsen wie ein Sohn die Mutter. Er lernte bei Bunsen alles kennen, was
von bedeutenden Fremden längere Zeit in Rom blieb: Eduard Gerhard, den
Gründer des archäologischen Instituts (1829), den Archäologen Peter Forch¬
hammer, die Künstler Overbeck. Thorwaldsen, Cornelius u. c>. in., und mit
offnen Augen betrachtete er seine bunte römische Umgebung (siehe die reizende
Beschreibung des Christmarkts in Rom vom 14. Dezember 1831. S. 29 s.).
Länger an Rom fesselten ihn dann die liturgischen Arbeiten mit Bunsen, der
schon 1828 auf eigne Hand eine neue Liturgie in der preußischen Gesandt¬
schaftskapelle eingeführt hatte; dann erhielt er 1832 den verlockenden Antrag,


Heinrich Abeken

Wesen, so wenig, wie überhaupt dem Bildungskreise, in dem er sich bewegte;
die Julirevolution 1830 erschütterte ihn vor allem wohl als eine Zerrüttung
der gesetzlichen, gottgewollten Ordnung.

So kam die Zeit heran, wo die „glückseligen Jahre akademischer Freiheit"
zu Ende gingen. Nachdem er im Sommer 1830 für eine theologische Preis¬
arbeit die große goldne Medaille erhalten hatte, bestand er im August die
theologische Staatsprüfung und am 11. März 1831 das Licentiatenexamen.
Auf den Wunsch des Vaters predigte er einmal am 12. Juni in seiner Vater¬
stadt, aber er hielt sich noch nicht sür gereift genug dafür, in das geistliche
Amt eintreten zu können, und schrieb damals an seinen Onkel Rudolf: „Die
Kirche, wie sie ist, genügt mir nicht. Ich will darauf wirken, daß sie anders
werde, aber nicht als praktischer Theolog, wenigstens nicht . . . ehe ich nicht
vollständig sicher in mir selbst geworden bin." Es trieb ihn in die Welt
hinaus, er wollte, wie Goethe, seine Bildung abschließen durch eine italienische
Reise, und der Vater gab ihm dazu gütig reichliche Mittel. So verließ er
am 21. September 1831 Osnabrück, ohne zu ahnen, daß er in Italien seinen
Beruf finden und durch ihn in eine ganz andre Laufbahn hinübergeführt
werden würde.

Durch die Schweiz, über Mailand, Bologna und Florenz erreichte er die
ewige Stadt. Als er am 9. November, nachdem er seit neun Uhr morgens
die blaugraue Peterskuppel aus der grünen Campagna hatte herauswachsen
sehen, nachmittags durch die Porta del Popolo in Rom einfuhr, empfand er
fast wie Goethe fünfundvierzig Jahre früher: er konnte es kaum glauben, daß
er in Rom war. Doch wie bald wurde er zu einem der deutschen „Römer,"
die bei aller Vaterlandsliebe ihre Sehnsucht nach der unvergleichlichen Tiber¬
stadt das ganze Leben durch im Herzen trugen! Bunsen, seit 1824 B. G. Nie-
buhrs Nachfolger als preußischer Geschäftsträger in Rom. öffnete seinem
jungen Landsmann sein gastfreies, geistvolles Haus im hohen Palazzo Cassarelli
auf dem Kapitol, dem Mittelpunkt der internationalen Geselligkeit Roms, und
bald auch seine Familie, die er mit einer ausgezeichneten Engländerin, Fanny
Waddington, 1817 begründet hatte. Bald schloß sich Abeken aufs innigste
ein die ihm geistig verwandten Gatten an; früh verwaist, verehrte er Frau
Bunsen wie ein Sohn die Mutter. Er lernte bei Bunsen alles kennen, was
von bedeutenden Fremden längere Zeit in Rom blieb: Eduard Gerhard, den
Gründer des archäologischen Instituts (1829), den Archäologen Peter Forch¬
hammer, die Künstler Overbeck. Thorwaldsen, Cornelius u. c>. in., und mit
offnen Augen betrachtete er seine bunte römische Umgebung (siehe die reizende
Beschreibung des Christmarkts in Rom vom 14. Dezember 1831. S. 29 s.).
Länger an Rom fesselten ihn dann die liturgischen Arbeiten mit Bunsen, der
schon 1828 auf eigne Hand eine neue Liturgie in der preußischen Gesandt¬
schaftskapelle eingeführt hatte; dann erhielt er 1832 den verlockenden Antrag,


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[0472] Heinrich Abeken Wesen, so wenig, wie überhaupt dem Bildungskreise, in dem er sich bewegte; die Julirevolution 1830 erschütterte ihn vor allem wohl als eine Zerrüttung der gesetzlichen, gottgewollten Ordnung. So kam die Zeit heran, wo die „glückseligen Jahre akademischer Freiheit" zu Ende gingen. Nachdem er im Sommer 1830 für eine theologische Preis¬ arbeit die große goldne Medaille erhalten hatte, bestand er im August die theologische Staatsprüfung und am 11. März 1831 das Licentiatenexamen. Auf den Wunsch des Vaters predigte er einmal am 12. Juni in seiner Vater¬ stadt, aber er hielt sich noch nicht sür gereift genug dafür, in das geistliche Amt eintreten zu können, und schrieb damals an seinen Onkel Rudolf: „Die Kirche, wie sie ist, genügt mir nicht. Ich will darauf wirken, daß sie anders werde, aber nicht als praktischer Theolog, wenigstens nicht . . . ehe ich nicht vollständig sicher in mir selbst geworden bin." Es trieb ihn in die Welt hinaus, er wollte, wie Goethe, seine Bildung abschließen durch eine italienische Reise, und der Vater gab ihm dazu gütig reichliche Mittel. So verließ er am 21. September 1831 Osnabrück, ohne zu ahnen, daß er in Italien seinen Beruf finden und durch ihn in eine ganz andre Laufbahn hinübergeführt werden würde. Durch die Schweiz, über Mailand, Bologna und Florenz erreichte er die ewige Stadt. Als er am 9. November, nachdem er seit neun Uhr morgens die blaugraue Peterskuppel aus der grünen Campagna hatte herauswachsen sehen, nachmittags durch die Porta del Popolo in Rom einfuhr, empfand er fast wie Goethe fünfundvierzig Jahre früher: er konnte es kaum glauben, daß er in Rom war. Doch wie bald wurde er zu einem der deutschen „Römer," die bei aller Vaterlandsliebe ihre Sehnsucht nach der unvergleichlichen Tiber¬ stadt das ganze Leben durch im Herzen trugen! Bunsen, seit 1824 B. G. Nie- buhrs Nachfolger als preußischer Geschäftsträger in Rom. öffnete seinem jungen Landsmann sein gastfreies, geistvolles Haus im hohen Palazzo Cassarelli auf dem Kapitol, dem Mittelpunkt der internationalen Geselligkeit Roms, und bald auch seine Familie, die er mit einer ausgezeichneten Engländerin, Fanny Waddington, 1817 begründet hatte. Bald schloß sich Abeken aufs innigste ein die ihm geistig verwandten Gatten an; früh verwaist, verehrte er Frau Bunsen wie ein Sohn die Mutter. Er lernte bei Bunsen alles kennen, was von bedeutenden Fremden längere Zeit in Rom blieb: Eduard Gerhard, den Gründer des archäologischen Instituts (1829), den Archäologen Peter Forch¬ hammer, die Künstler Overbeck. Thorwaldsen, Cornelius u. c>. in., und mit offnen Augen betrachtete er seine bunte römische Umgebung (siehe die reizende Beschreibung des Christmarkts in Rom vom 14. Dezember 1831. S. 29 s.). Länger an Rom fesselten ihn dann die liturgischen Arbeiten mit Bunsen, der schon 1828 auf eigne Hand eine neue Liturgie in der preußischen Gesandt¬ schaftskapelle eingeführt hatte; dann erhielt er 1832 den verlockenden Antrag,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/472>, abgerufen am 28.09.2024.