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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Sachsen <Loburg und Gotha

Herrschern ^wer ist gemeint?^ als "Mäßiger," Vermittler wirken, weil die Be¬
schaulichkeit ihres Daseins sie ganz besonders zu einem "leidenschaftslosen Urteil"
befähigt. Wer die feinen Fäden kennt, die die englische Regierung durch ihre
Königin an den meisten Höfen Europas spinnen läßt, wird die Berechtigung
dieser Auffassung ohne weiteres verstehn. Auf den besondern Fall angewandt
heißt dies: Der Herzog von Coburg hat die höchst wichtige und dankenswerte
Aufgabe, zwischen der englischen Regierung ^vermittels der Königin^ zu Gunsten
Englands die Verbindung mit dem deutschen Kaiser herzustellen. Wer denkt
nicht an Darmstadt und Verwandtes?

Wägen wir dagegen Vor- und Nachteile vom deutschen Standpunkte aus.

Es kann nicht unser Wunsch sein, dem Inselreiche fortdauernd die kriegs¬
tüchtigsten Generale und Admiräle abzunehmen. Hierzu dürfte aber auch kaum
ein dringendes Bedürfnis vorliegen. Denn rechnet man hinzu, daß die mili¬
tärischen Anschauungen und Erfahrungen -- trotz so glänzender englischer
Erfolge wie Tel-el-Kebir -- in beiden Ländern ziemlich weit ans einander
gehn, so wird das Deutsche Reich unbeschadet seiner Kriegstüchtigkeit zu Wasser
und zu Lande wohl der Dienste englischer Offiziere entraten können.

Die Frage, wer die Einkünfte der Lande Coburg verzehrt, und auf wen
die souveränen Rechte übergehn, ist vom deutschen materiellen Standpunkte
aus gleichgiltig; beides wird dem angestammten Herrscher gern gegönnt, wenn¬
gleich wir sie, da uns das Hemd näher ist als der Rock, einem deutschen
Fürsten lieber zufallen sehen als einem fremden.

Dagegen fragt es sich, ob die Rolle des englischen Herzogs von Coburg
als eines internationalen "Mäßigers" auf deutscher Seite ebenso vorteilhaft
erscheint wie auf englischer. Es ist ja theoretisch zuzugeben, daß eine solche
Rolle wohlthätige Folgen mit sich bringen kann. Voraussetzung wäre dann
aber doch, daß, wie deutsche Fürstentümer von englischen, auch englisches Ge¬
biet von -- mit der Königin gleichgestellten -- deutschen "Mäßigern" regiert
würde! Solange dies ausgeschlossen ist, liegt der Vorteil ganz und gar auf
der englischen Seite, und kein Mensch, der sein deutsches Vaterland lieber hat
als "Großbritannien und Irland," und der für des Vaterlands Sicherheit
besorgt ist, wird einsehen können, daß deutsche Fürstenhöfe zum Mittelpunkte
politischer "Mäßigkeitsbestrebungcn" und Quertreibereien werden. Msi ventis
äsbss luäiibriuin, o^of! Nach der geschichtlichen Erfahrung gingen diese Be¬
strebungen jederzeit in der Richtung der Begünstigung fremder, nicht deutscher
Interessen. Ein großer Teil der Kämpfe Bismarcks rührt aus dieser Quelle!
Wir sind aber ^ was man in England und auch bei uns an manchen Stellen
leichter zu vergessen pflegt, als gut ist -- in der Schule dieses großen Deutschen
aufgewachsen, und als seinen Schülern sind uns zwei Grundsätze in Fleisch und
Blut übergegangen, die mit den Anschauungen des englischen Volkes über die
Vor- und Nachteile eines deutschen Fürstenthrones keine Berührungspunkte


Grenzboten II 189" M
Sachsen <Loburg und Gotha

Herrschern ^wer ist gemeint?^ als „Mäßiger," Vermittler wirken, weil die Be¬
schaulichkeit ihres Daseins sie ganz besonders zu einem „leidenschaftslosen Urteil"
befähigt. Wer die feinen Fäden kennt, die die englische Regierung durch ihre
Königin an den meisten Höfen Europas spinnen läßt, wird die Berechtigung
dieser Auffassung ohne weiteres verstehn. Auf den besondern Fall angewandt
heißt dies: Der Herzog von Coburg hat die höchst wichtige und dankenswerte
Aufgabe, zwischen der englischen Regierung ^vermittels der Königin^ zu Gunsten
Englands die Verbindung mit dem deutschen Kaiser herzustellen. Wer denkt
nicht an Darmstadt und Verwandtes?

Wägen wir dagegen Vor- und Nachteile vom deutschen Standpunkte aus.

Es kann nicht unser Wunsch sein, dem Inselreiche fortdauernd die kriegs¬
tüchtigsten Generale und Admiräle abzunehmen. Hierzu dürfte aber auch kaum
ein dringendes Bedürfnis vorliegen. Denn rechnet man hinzu, daß die mili¬
tärischen Anschauungen und Erfahrungen — trotz so glänzender englischer
Erfolge wie Tel-el-Kebir — in beiden Ländern ziemlich weit ans einander
gehn, so wird das Deutsche Reich unbeschadet seiner Kriegstüchtigkeit zu Wasser
und zu Lande wohl der Dienste englischer Offiziere entraten können.

Die Frage, wer die Einkünfte der Lande Coburg verzehrt, und auf wen
die souveränen Rechte übergehn, ist vom deutschen materiellen Standpunkte
aus gleichgiltig; beides wird dem angestammten Herrscher gern gegönnt, wenn¬
gleich wir sie, da uns das Hemd näher ist als der Rock, einem deutschen
Fürsten lieber zufallen sehen als einem fremden.

Dagegen fragt es sich, ob die Rolle des englischen Herzogs von Coburg
als eines internationalen „Mäßigers" auf deutscher Seite ebenso vorteilhaft
erscheint wie auf englischer. Es ist ja theoretisch zuzugeben, daß eine solche
Rolle wohlthätige Folgen mit sich bringen kann. Voraussetzung wäre dann
aber doch, daß, wie deutsche Fürstentümer von englischen, auch englisches Ge¬
biet von — mit der Königin gleichgestellten — deutschen „Mäßigern" regiert
würde! Solange dies ausgeschlossen ist, liegt der Vorteil ganz und gar auf
der englischen Seite, und kein Mensch, der sein deutsches Vaterland lieber hat
als „Großbritannien und Irland," und der für des Vaterlands Sicherheit
besorgt ist, wird einsehen können, daß deutsche Fürstenhöfe zum Mittelpunkte
politischer „Mäßigkeitsbestrebungcn" und Quertreibereien werden. Msi ventis
äsbss luäiibriuin, o^of! Nach der geschichtlichen Erfahrung gingen diese Be¬
strebungen jederzeit in der Richtung der Begünstigung fremder, nicht deutscher
Interessen. Ein großer Teil der Kämpfe Bismarcks rührt aus dieser Quelle!
Wir sind aber ^ was man in England und auch bei uns an manchen Stellen
leichter zu vergessen pflegt, als gut ist — in der Schule dieses großen Deutschen
aufgewachsen, und als seinen Schülern sind uns zwei Grundsätze in Fleisch und
Blut übergegangen, die mit den Anschauungen des englischen Volkes über die
Vor- und Nachteile eines deutschen Fürstenthrones keine Berührungspunkte


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[0465] Sachsen <Loburg und Gotha Herrschern ^wer ist gemeint?^ als „Mäßiger," Vermittler wirken, weil die Be¬ schaulichkeit ihres Daseins sie ganz besonders zu einem „leidenschaftslosen Urteil" befähigt. Wer die feinen Fäden kennt, die die englische Regierung durch ihre Königin an den meisten Höfen Europas spinnen läßt, wird die Berechtigung dieser Auffassung ohne weiteres verstehn. Auf den besondern Fall angewandt heißt dies: Der Herzog von Coburg hat die höchst wichtige und dankenswerte Aufgabe, zwischen der englischen Regierung ^vermittels der Königin^ zu Gunsten Englands die Verbindung mit dem deutschen Kaiser herzustellen. Wer denkt nicht an Darmstadt und Verwandtes? Wägen wir dagegen Vor- und Nachteile vom deutschen Standpunkte aus. Es kann nicht unser Wunsch sein, dem Inselreiche fortdauernd die kriegs¬ tüchtigsten Generale und Admiräle abzunehmen. Hierzu dürfte aber auch kaum ein dringendes Bedürfnis vorliegen. Denn rechnet man hinzu, daß die mili¬ tärischen Anschauungen und Erfahrungen — trotz so glänzender englischer Erfolge wie Tel-el-Kebir — in beiden Ländern ziemlich weit ans einander gehn, so wird das Deutsche Reich unbeschadet seiner Kriegstüchtigkeit zu Wasser und zu Lande wohl der Dienste englischer Offiziere entraten können. Die Frage, wer die Einkünfte der Lande Coburg verzehrt, und auf wen die souveränen Rechte übergehn, ist vom deutschen materiellen Standpunkte aus gleichgiltig; beides wird dem angestammten Herrscher gern gegönnt, wenn¬ gleich wir sie, da uns das Hemd näher ist als der Rock, einem deutschen Fürsten lieber zufallen sehen als einem fremden. Dagegen fragt es sich, ob die Rolle des englischen Herzogs von Coburg als eines internationalen „Mäßigers" auf deutscher Seite ebenso vorteilhaft erscheint wie auf englischer. Es ist ja theoretisch zuzugeben, daß eine solche Rolle wohlthätige Folgen mit sich bringen kann. Voraussetzung wäre dann aber doch, daß, wie deutsche Fürstentümer von englischen, auch englisches Ge¬ biet von — mit der Königin gleichgestellten — deutschen „Mäßigern" regiert würde! Solange dies ausgeschlossen ist, liegt der Vorteil ganz und gar auf der englischen Seite, und kein Mensch, der sein deutsches Vaterland lieber hat als „Großbritannien und Irland," und der für des Vaterlands Sicherheit besorgt ist, wird einsehen können, daß deutsche Fürstenhöfe zum Mittelpunkte politischer „Mäßigkeitsbestrebungcn" und Quertreibereien werden. Msi ventis äsbss luäiibriuin, o^of! Nach der geschichtlichen Erfahrung gingen diese Be¬ strebungen jederzeit in der Richtung der Begünstigung fremder, nicht deutscher Interessen. Ein großer Teil der Kämpfe Bismarcks rührt aus dieser Quelle! Wir sind aber ^ was man in England und auch bei uns an manchen Stellen leichter zu vergessen pflegt, als gut ist — in der Schule dieses großen Deutschen aufgewachsen, und als seinen Schülern sind uns zwei Grundsätze in Fleisch und Blut übergegangen, die mit den Anschauungen des englischen Volkes über die Vor- und Nachteile eines deutschen Fürstenthrones keine Berührungspunkte Grenzboten II 189» M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/465>, abgerufen am 21.10.2024.