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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Sachsen Lobnrg und Gotha

im funfzigsten Lebensjahre stehende Fürst würde die Erbfolge gar nicht an¬
treten, sondern sie dem Erbprinzen, dem jüngst verstorbnen Prinzen Alfred,
überlassen. Hier war indes lediglich der Wunsch der Vater des Gedankens.
Denn für die mit den Verhältnissen Vertrauten konnte es keinem Zweifel unter¬
liegen, daß der Herzog selber die Negierung übernehmen würde; galt und gilt
doch das Stammland Coburg dem englischen Thron als eine Art Besitz, der
den einzelnen Mitgliedern der Königsfamilie eine sorgliche materielle Existenz
bietet, in der Art etwa wie die jüngern Söhne englischer Adlichen mit gut¬
dotierten Pfarrstellen abgefunden werden. Der "Herzog von Edinburg" hatte
sich zudem die volle Zustimmung des treu um den Reichsgedanken besorgten
Fürsten Bismarck gesichert, der voraussichtlich in der Anwesenheit eines
"Fremden" auf einem kleinen deutschen Thron ein kleineres Übel sah als in
dem, was als ein Durchbruch der "souveränen Rechte" der deutschen Fürsten
ausgelegt werden konnte: Hasta non wovörö! Da außerdem der zukünftige
Thronfolger frühzeitig einen deutschen Erzieher erhalten hatte und ins deutsche
Heer eingetreten war, so konnte sich auch die "öffentliche Meinung" in ihrer
Empfindlichkeit beruhigen, zumal weder die deutschen Fürsten noch die Be¬
völkerung der Lande Coburg-Gotha irgendwie unzufrieden zu sein schienen. In
der letzten Beziehung ist freilich nicht zu vergessen, daß dem politischen Be¬
kenntnis nach der größere Teil der Herzogtümer vom deutschen Freisinn beseelt
ist, der bekanntlich noch hente unter dem Banne englischer politischer Weisheit
und kosmopolitischen Doktrinarismus steht.

Durch den am 6. Februar dieses Jahres erfolgten Tod des Erbprinzen
tritt nun, allerdings unter wesentlich ungünstigern Verhältnissen, die Erbfolge¬
frage der Herzogtümer Coburg-Gotha von neuem auf.

Was zunächst Deutschland betrifft, so ist Fürst Bismarck nicht mehr. Wie
er über die Thronfolge heute gedacht haben würde, kann kein Mensch sagen.
Wer aber den großen Staatsmann gerecht zu beurteilen weiß, wird weder be¬
haupten wollen, daß er der neuen Frage gegenüber unbedingt den alten Stand-
Punkt aufrecht erhalten haben würde, noch ohne weiteres die Ansicht des Fürsten
für eine mehr oder minder gewaltthätige Ausschließung fremder Fürsten von
deutschen Thronen in Anspruch nehmen können. Jedenfalls ist das sehr starke
erfreuliche Anwachsen deutscheu Empfindens zu berücksichtigen, und was
nach 1370 vielleicht noch einmal geschehn konnte, braucht deshalb nicht für
alle Zeiten wieder zu gelingen. Dazu kommt, daß der Herzog von Connaught
Deutschland und deutschen Verhältnissen noch weit fremder gegenübersteht, als
seinerzeit der damalige Herzog von Edinburg; daß der mutmaßliche Erbprinz
schon in einem Alter ist -- er ist sechzehn Jahre alt --, wo von einer deutschen
Erziehung keine Rede mehr sein kann, und daß endlich die Frage heute weit
vordringlicher erscheint als früher, weil auch hier wiederum die Angelegenheit
"nur auf zwei Augen" ruht.

Die Sachlage ist eben folgende: Dem Hausgesetze nach ist erbfolgeberechtw


Sachsen Lobnrg und Gotha

im funfzigsten Lebensjahre stehende Fürst würde die Erbfolge gar nicht an¬
treten, sondern sie dem Erbprinzen, dem jüngst verstorbnen Prinzen Alfred,
überlassen. Hier war indes lediglich der Wunsch der Vater des Gedankens.
Denn für die mit den Verhältnissen Vertrauten konnte es keinem Zweifel unter¬
liegen, daß der Herzog selber die Negierung übernehmen würde; galt und gilt
doch das Stammland Coburg dem englischen Thron als eine Art Besitz, der
den einzelnen Mitgliedern der Königsfamilie eine sorgliche materielle Existenz
bietet, in der Art etwa wie die jüngern Söhne englischer Adlichen mit gut¬
dotierten Pfarrstellen abgefunden werden. Der „Herzog von Edinburg" hatte
sich zudem die volle Zustimmung des treu um den Reichsgedanken besorgten
Fürsten Bismarck gesichert, der voraussichtlich in der Anwesenheit eines
„Fremden" auf einem kleinen deutschen Thron ein kleineres Übel sah als in
dem, was als ein Durchbruch der „souveränen Rechte" der deutschen Fürsten
ausgelegt werden konnte: Hasta non wovörö! Da außerdem der zukünftige
Thronfolger frühzeitig einen deutschen Erzieher erhalten hatte und ins deutsche
Heer eingetreten war, so konnte sich auch die „öffentliche Meinung" in ihrer
Empfindlichkeit beruhigen, zumal weder die deutschen Fürsten noch die Be¬
völkerung der Lande Coburg-Gotha irgendwie unzufrieden zu sein schienen. In
der letzten Beziehung ist freilich nicht zu vergessen, daß dem politischen Be¬
kenntnis nach der größere Teil der Herzogtümer vom deutschen Freisinn beseelt
ist, der bekanntlich noch hente unter dem Banne englischer politischer Weisheit
und kosmopolitischen Doktrinarismus steht.

Durch den am 6. Februar dieses Jahres erfolgten Tod des Erbprinzen
tritt nun, allerdings unter wesentlich ungünstigern Verhältnissen, die Erbfolge¬
frage der Herzogtümer Coburg-Gotha von neuem auf.

Was zunächst Deutschland betrifft, so ist Fürst Bismarck nicht mehr. Wie
er über die Thronfolge heute gedacht haben würde, kann kein Mensch sagen.
Wer aber den großen Staatsmann gerecht zu beurteilen weiß, wird weder be¬
haupten wollen, daß er der neuen Frage gegenüber unbedingt den alten Stand-
Punkt aufrecht erhalten haben würde, noch ohne weiteres die Ansicht des Fürsten
für eine mehr oder minder gewaltthätige Ausschließung fremder Fürsten von
deutschen Thronen in Anspruch nehmen können. Jedenfalls ist das sehr starke
erfreuliche Anwachsen deutscheu Empfindens zu berücksichtigen, und was
nach 1370 vielleicht noch einmal geschehn konnte, braucht deshalb nicht für
alle Zeiten wieder zu gelingen. Dazu kommt, daß der Herzog von Connaught
Deutschland und deutschen Verhältnissen noch weit fremder gegenübersteht, als
seinerzeit der damalige Herzog von Edinburg; daß der mutmaßliche Erbprinz
schon in einem Alter ist — er ist sechzehn Jahre alt —, wo von einer deutschen
Erziehung keine Rede mehr sein kann, und daß endlich die Frage heute weit
vordringlicher erscheint als früher, weil auch hier wiederum die Angelegenheit
„nur auf zwei Augen" ruht.

Die Sachlage ist eben folgende: Dem Hausgesetze nach ist erbfolgeberechtw


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[0461] Sachsen Lobnrg und Gotha im funfzigsten Lebensjahre stehende Fürst würde die Erbfolge gar nicht an¬ treten, sondern sie dem Erbprinzen, dem jüngst verstorbnen Prinzen Alfred, überlassen. Hier war indes lediglich der Wunsch der Vater des Gedankens. Denn für die mit den Verhältnissen Vertrauten konnte es keinem Zweifel unter¬ liegen, daß der Herzog selber die Negierung übernehmen würde; galt und gilt doch das Stammland Coburg dem englischen Thron als eine Art Besitz, der den einzelnen Mitgliedern der Königsfamilie eine sorgliche materielle Existenz bietet, in der Art etwa wie die jüngern Söhne englischer Adlichen mit gut¬ dotierten Pfarrstellen abgefunden werden. Der „Herzog von Edinburg" hatte sich zudem die volle Zustimmung des treu um den Reichsgedanken besorgten Fürsten Bismarck gesichert, der voraussichtlich in der Anwesenheit eines „Fremden" auf einem kleinen deutschen Thron ein kleineres Übel sah als in dem, was als ein Durchbruch der „souveränen Rechte" der deutschen Fürsten ausgelegt werden konnte: Hasta non wovörö! Da außerdem der zukünftige Thronfolger frühzeitig einen deutschen Erzieher erhalten hatte und ins deutsche Heer eingetreten war, so konnte sich auch die „öffentliche Meinung" in ihrer Empfindlichkeit beruhigen, zumal weder die deutschen Fürsten noch die Be¬ völkerung der Lande Coburg-Gotha irgendwie unzufrieden zu sein schienen. In der letzten Beziehung ist freilich nicht zu vergessen, daß dem politischen Be¬ kenntnis nach der größere Teil der Herzogtümer vom deutschen Freisinn beseelt ist, der bekanntlich noch hente unter dem Banne englischer politischer Weisheit und kosmopolitischen Doktrinarismus steht. Durch den am 6. Februar dieses Jahres erfolgten Tod des Erbprinzen tritt nun, allerdings unter wesentlich ungünstigern Verhältnissen, die Erbfolge¬ frage der Herzogtümer Coburg-Gotha von neuem auf. Was zunächst Deutschland betrifft, so ist Fürst Bismarck nicht mehr. Wie er über die Thronfolge heute gedacht haben würde, kann kein Mensch sagen. Wer aber den großen Staatsmann gerecht zu beurteilen weiß, wird weder be¬ haupten wollen, daß er der neuen Frage gegenüber unbedingt den alten Stand- Punkt aufrecht erhalten haben würde, noch ohne weiteres die Ansicht des Fürsten für eine mehr oder minder gewaltthätige Ausschließung fremder Fürsten von deutschen Thronen in Anspruch nehmen können. Jedenfalls ist das sehr starke erfreuliche Anwachsen deutscheu Empfindens zu berücksichtigen, und was nach 1370 vielleicht noch einmal geschehn konnte, braucht deshalb nicht für alle Zeiten wieder zu gelingen. Dazu kommt, daß der Herzog von Connaught Deutschland und deutschen Verhältnissen noch weit fremder gegenübersteht, als seinerzeit der damalige Herzog von Edinburg; daß der mutmaßliche Erbprinz schon in einem Alter ist — er ist sechzehn Jahre alt —, wo von einer deutschen Erziehung keine Rede mehr sein kann, und daß endlich die Frage heute weit vordringlicher erscheint als früher, weil auch hier wiederum die Angelegenheit „nur auf zwei Augen" ruht. Die Sachlage ist eben folgende: Dem Hausgesetze nach ist erbfolgeberechtw

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/461>, abgerufen am 28.09.2024.