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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über Zakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

sich eine neue Macht bildete, und Sparta ist wenigstens wirklich eine solche
geworden im Verhältnis zu allem, was ringsum lebte; es hat es aber auch
der ganzen Welt auferlegen können, daß sie Kenntnis nehmen muß von ihm
bis an den Abend ihrer Tage, so groß ist der Zauber eines mächtige" Willens
selbst über späte Jahrtausende, auch wenn keine Sympathie dazu mithilft. Die
Macht kann auf Erden einen hohen Beruf haben; vielleicht nur an ihr, auf
dem von ihr gesicherten Boden können Kulturen des höchsten Ranges empor¬
wachsen. Spartas Macht aber scheint sast nur um ihrer selbst und ihrer Be¬
hauptung willen auf der Welt gewesen zu sein, und ihr dauerndes Pathos
ist die Knechtung der Unterworfnen und die Ausdehnung der Herrschaft an
sich." In Bezug auf den vielbesprochnen Sozialismus meint er, für die
Scheidung des Wahrscheinlichen vom Unwahrscheinlichen werde man immer einen
leidlich sichern Maßstab haben, wenn man annehme, daß im Sinne der
Masse der Spartiaten regiert worden sei. diese werden den halben Kommu¬
nismus und die gleiche Lebensweise aller, auch der Reichen sehr angenehm ge¬
funden haben. "Daß die übrigen Griechen sich die Sachen hie und da ins
Abenteuerliche ausmalten, namentlich die spätern Bewundrer, versteht sich von
selbst." Leider ist mit dieser wahren und wohllautenden Formel praktisch nichts
anzufangen. Und nun ein Beispiel jeuer belebenden Anmerkungen: "Die Ge¬
selligkeit, die in andern Städten ihre Gestalt vom Symposion und von der
Agora empfing, war hier die einer mehr oder weniger geistreichen Wachtstube
und eine Schule des Spottes, den man sich zwar verbitten konnte, aber eher
klüglich wird geduldet haben. Außer der schwarzen Suppe, d. h. einer sehr
derben und kräftigen Speise, die sogar in Athen für Feinschmecker nachgekocht
wurde, kam auch die gelieferte Jagdbeute auf den Tisch, und höchstwahrscheinlich
speiste der Spartiate besser als z. B. der mittlere ätherische Bürger." Der¬
gleichen hält die Langeweile fern, die in unsern Handbüchern ihr Wesen treibt;
gegen das "höchstwahrscheinlich" ließe sich freilich wohl die Meinung der
übrigen Grieche" einwenden, daß die Spartaner es im Kriege nicht schlechter
bekommen könnten, als sie es tagtäglich zu Hanse hätten.

Was über die griechische Tyrannis, über die Aristokratie, über die Skla¬
verei bei den Griechen und andres mehr gesagt ist, wird man weniger beachtens¬
wert finden. Dagegen sind Burckharots Urteile über den athenischen Staat
von großem Interesse. Die Unsicherheit des Wissens in großen und kleinen
Fragen: Verfassung Solons, Ostrakismos, Diäten und Theatergelder, ferner
alles Chronologische kümmert ihn nicht, er giebt die Vulgata. Von dem vor¬
nehmsten historischen Quellenmaterial, dessen Bearbeiter heute hoch über denen
rangieren, die nur ans den längst für jedermann zugänglichen Schriftstellern
schöpfen, von den griechischen Inschriften ist. glaube ich, niemals hier Gebrauch
gemacht. Man wüßte auch nicht zu sagen, wo es für seinen Zweck erforderlich
gewesen wäre. Es geht also auch ohne das, wie einst in Niebuhrs Tagen.


Über Zakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

sich eine neue Macht bildete, und Sparta ist wenigstens wirklich eine solche
geworden im Verhältnis zu allem, was ringsum lebte; es hat es aber auch
der ganzen Welt auferlegen können, daß sie Kenntnis nehmen muß von ihm
bis an den Abend ihrer Tage, so groß ist der Zauber eines mächtige» Willens
selbst über späte Jahrtausende, auch wenn keine Sympathie dazu mithilft. Die
Macht kann auf Erden einen hohen Beruf haben; vielleicht nur an ihr, auf
dem von ihr gesicherten Boden können Kulturen des höchsten Ranges empor¬
wachsen. Spartas Macht aber scheint sast nur um ihrer selbst und ihrer Be¬
hauptung willen auf der Welt gewesen zu sein, und ihr dauerndes Pathos
ist die Knechtung der Unterworfnen und die Ausdehnung der Herrschaft an
sich." In Bezug auf den vielbesprochnen Sozialismus meint er, für die
Scheidung des Wahrscheinlichen vom Unwahrscheinlichen werde man immer einen
leidlich sichern Maßstab haben, wenn man annehme, daß im Sinne der
Masse der Spartiaten regiert worden sei. diese werden den halben Kommu¬
nismus und die gleiche Lebensweise aller, auch der Reichen sehr angenehm ge¬
funden haben. „Daß die übrigen Griechen sich die Sachen hie und da ins
Abenteuerliche ausmalten, namentlich die spätern Bewundrer, versteht sich von
selbst." Leider ist mit dieser wahren und wohllautenden Formel praktisch nichts
anzufangen. Und nun ein Beispiel jeuer belebenden Anmerkungen: „Die Ge¬
selligkeit, die in andern Städten ihre Gestalt vom Symposion und von der
Agora empfing, war hier die einer mehr oder weniger geistreichen Wachtstube
und eine Schule des Spottes, den man sich zwar verbitten konnte, aber eher
klüglich wird geduldet haben. Außer der schwarzen Suppe, d. h. einer sehr
derben und kräftigen Speise, die sogar in Athen für Feinschmecker nachgekocht
wurde, kam auch die gelieferte Jagdbeute auf den Tisch, und höchstwahrscheinlich
speiste der Spartiate besser als z. B. der mittlere ätherische Bürger." Der¬
gleichen hält die Langeweile fern, die in unsern Handbüchern ihr Wesen treibt;
gegen das „höchstwahrscheinlich" ließe sich freilich wohl die Meinung der
übrigen Grieche» einwenden, daß die Spartaner es im Kriege nicht schlechter
bekommen könnten, als sie es tagtäglich zu Hanse hätten.

Was über die griechische Tyrannis, über die Aristokratie, über die Skla¬
verei bei den Griechen und andres mehr gesagt ist, wird man weniger beachtens¬
wert finden. Dagegen sind Burckharots Urteile über den athenischen Staat
von großem Interesse. Die Unsicherheit des Wissens in großen und kleinen
Fragen: Verfassung Solons, Ostrakismos, Diäten und Theatergelder, ferner
alles Chronologische kümmert ihn nicht, er giebt die Vulgata. Von dem vor¬
nehmsten historischen Quellenmaterial, dessen Bearbeiter heute hoch über denen
rangieren, die nur ans den längst für jedermann zugänglichen Schriftstellern
schöpfen, von den griechischen Inschriften ist. glaube ich, niemals hier Gebrauch
gemacht. Man wüßte auch nicht zu sagen, wo es für seinen Zweck erforderlich
gewesen wäre. Es geht also auch ohne das, wie einst in Niebuhrs Tagen.


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[0045] Über Zakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte sich eine neue Macht bildete, und Sparta ist wenigstens wirklich eine solche geworden im Verhältnis zu allem, was ringsum lebte; es hat es aber auch der ganzen Welt auferlegen können, daß sie Kenntnis nehmen muß von ihm bis an den Abend ihrer Tage, so groß ist der Zauber eines mächtige» Willens selbst über späte Jahrtausende, auch wenn keine Sympathie dazu mithilft. Die Macht kann auf Erden einen hohen Beruf haben; vielleicht nur an ihr, auf dem von ihr gesicherten Boden können Kulturen des höchsten Ranges empor¬ wachsen. Spartas Macht aber scheint sast nur um ihrer selbst und ihrer Be¬ hauptung willen auf der Welt gewesen zu sein, und ihr dauerndes Pathos ist die Knechtung der Unterworfnen und die Ausdehnung der Herrschaft an sich." In Bezug auf den vielbesprochnen Sozialismus meint er, für die Scheidung des Wahrscheinlichen vom Unwahrscheinlichen werde man immer einen leidlich sichern Maßstab haben, wenn man annehme, daß im Sinne der Masse der Spartiaten regiert worden sei. diese werden den halben Kommu¬ nismus und die gleiche Lebensweise aller, auch der Reichen sehr angenehm ge¬ funden haben. „Daß die übrigen Griechen sich die Sachen hie und da ins Abenteuerliche ausmalten, namentlich die spätern Bewundrer, versteht sich von selbst." Leider ist mit dieser wahren und wohllautenden Formel praktisch nichts anzufangen. Und nun ein Beispiel jeuer belebenden Anmerkungen: „Die Ge¬ selligkeit, die in andern Städten ihre Gestalt vom Symposion und von der Agora empfing, war hier die einer mehr oder weniger geistreichen Wachtstube und eine Schule des Spottes, den man sich zwar verbitten konnte, aber eher klüglich wird geduldet haben. Außer der schwarzen Suppe, d. h. einer sehr derben und kräftigen Speise, die sogar in Athen für Feinschmecker nachgekocht wurde, kam auch die gelieferte Jagdbeute auf den Tisch, und höchstwahrscheinlich speiste der Spartiate besser als z. B. der mittlere ätherische Bürger." Der¬ gleichen hält die Langeweile fern, die in unsern Handbüchern ihr Wesen treibt; gegen das „höchstwahrscheinlich" ließe sich freilich wohl die Meinung der übrigen Grieche» einwenden, daß die Spartaner es im Kriege nicht schlechter bekommen könnten, als sie es tagtäglich zu Hanse hätten. Was über die griechische Tyrannis, über die Aristokratie, über die Skla¬ verei bei den Griechen und andres mehr gesagt ist, wird man weniger beachtens¬ wert finden. Dagegen sind Burckharots Urteile über den athenischen Staat von großem Interesse. Die Unsicherheit des Wissens in großen und kleinen Fragen: Verfassung Solons, Ostrakismos, Diäten und Theatergelder, ferner alles Chronologische kümmert ihn nicht, er giebt die Vulgata. Von dem vor¬ nehmsten historischen Quellenmaterial, dessen Bearbeiter heute hoch über denen rangieren, die nur ans den längst für jedermann zugänglichen Schriftstellern schöpfen, von den griechischen Inschriften ist. glaube ich, niemals hier Gebrauch gemacht. Man wüßte auch nicht zu sagen, wo es für seinen Zweck erforderlich gewesen wäre. Es geht also auch ohne das, wie einst in Niebuhrs Tagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/45>, abgerufen am 28.09.2024.