Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom litterarischen Jung-Llsaß

wandtesten Vertreter; Halb- und Scheinbildung, gesellschaftliche Beweglichkeit,
Kaffeehaus und gesellige Gruppen sind ihr notwendiger Untergrund, während
sich der echte Humorist wie Jean Paul gerade allein, wie das urvergnügte
Schulmeisterlein Wnz, mit jedem Blatt und Käfer am drolligsten unterhält,
durch jede Absichtlichkeit und Berechnung aber, dieses unentbehrliche Kenn¬
zeichen der Komik, nur gestört, verwirrt, gelähmt wird. Der Humorist schafft
und schreibt und spricht aus behaglichster Seelenstimmung, aus überquellendem
Wohlwollen heraus, ganz gleichgiltig, ob man ihn bewundre oder nicht. Er
ist eine geschlossene Welt für sich; in seinen lustigen Stücken mit seinen Fal-
staffs und Malvolios und Zettels vergißt man die nüchterne Umgebung; das
Behagen, der Seelenreichtum des warmherzigen Schöpfers teilt sich dem Zu¬
hörenden mit: gesünder, erwärmter und reicher als zuvor kehrt man aus dieser
sonnigen, versöhnenden Welt in die Welt der Gegensätze und der bloßen
Späße und Witze zurück. Warmherzigkeit -- das ist das Ausschlaggebende!
Und um nun zu unsrer städtisch-elsässischen Gruppe zurückzukehren: diese Warm¬
herzigkeit, diese seelische Tiefe und Fülle fehlt den geselligen jungen Leuten;
sie sind Komiker, keine Humoristen.

Dies hat wieder seine tiefern Ursachen. Die Franzosen sind im all¬
gemeinen nicht das Volk der Humoristen, trotz des feinen und milden
Veranger, des weltweisen La Fontaine, des satirischen Moliere, oder der
Heiterkeit der Südfranzosen (Daudet, Claude Tillier). Der Verstand ist dort
zu hell und beweglich, die Spöttelsucht in geistreicher Form zu ausgeprägt,
das Gemüt aber zu wenig behaglich, zu wenig in ruhige und gelassene Wärme
vertieft. Das sind Eigentümlichkeiten der Nasse. Dafür blühn dort drüben
der Esprit und die Satire, die in oft sehr graziösen und geistvollen Formen
geäußert werden, unser deutsches Herz aber im Grunde kalt lassen. Nun ist
leider der Elsässer auch hierin -- ich meine den verstädterten Elsässer -- eine
traurige Zwittergestalt. Die Ausbildung des Gemüts ist nicht gerade allzu
innig und herzlich dort in den Städtchen am linken Oberrhein; dafür hat um
so mehr Föppel- und Spöttelsucht, Pläsier an einem gucke Spässl u. dergl.
Einzug gehalten, die zwar "gemütlich" aussieht, aber von wenig wahrer Herz¬
lichkeit zeugt; und was das Entscheidende ist: bei diesen Spüßle und Föppeleieu,
die sehr oft stachlig sind, auch "pikant" werden können, fehlt der französische
Formensinn und der angeborne Pariser Esprit. So kommt also in viel tieferen
Sinn in den "Lustspielen" unsrer modernen Elsässer der ungemein charakte¬
ristische Zwittercharakter der gesamten jetzigen Stroßburjer zum Ausdruck. Un¬
ernst sind sie, aber darum noch lange nicht heiter; die deutschen Tugenden
haben sie verwischt, darum aber noch lange nicht die französischen angenommen.

Es ist noch etwas andres, und zwar etwas Politisches, zu berücksichtigen,
wenn man diese lehrreiche kleine Bewegung richtig erfassen will. Aus dem
Protestlertum beginnt sich dort nach und nach ein Partikularismus zu ent¬
wickeln. Diese jungen Künstler, die sich auch in der Malerei auszeichnen,


Vom litterarischen Jung-Llsaß

wandtesten Vertreter; Halb- und Scheinbildung, gesellschaftliche Beweglichkeit,
Kaffeehaus und gesellige Gruppen sind ihr notwendiger Untergrund, während
sich der echte Humorist wie Jean Paul gerade allein, wie das urvergnügte
Schulmeisterlein Wnz, mit jedem Blatt und Käfer am drolligsten unterhält,
durch jede Absichtlichkeit und Berechnung aber, dieses unentbehrliche Kenn¬
zeichen der Komik, nur gestört, verwirrt, gelähmt wird. Der Humorist schafft
und schreibt und spricht aus behaglichster Seelenstimmung, aus überquellendem
Wohlwollen heraus, ganz gleichgiltig, ob man ihn bewundre oder nicht. Er
ist eine geschlossene Welt für sich; in seinen lustigen Stücken mit seinen Fal-
staffs und Malvolios und Zettels vergißt man die nüchterne Umgebung; das
Behagen, der Seelenreichtum des warmherzigen Schöpfers teilt sich dem Zu¬
hörenden mit: gesünder, erwärmter und reicher als zuvor kehrt man aus dieser
sonnigen, versöhnenden Welt in die Welt der Gegensätze und der bloßen
Späße und Witze zurück. Warmherzigkeit — das ist das Ausschlaggebende!
Und um nun zu unsrer städtisch-elsässischen Gruppe zurückzukehren: diese Warm¬
herzigkeit, diese seelische Tiefe und Fülle fehlt den geselligen jungen Leuten;
sie sind Komiker, keine Humoristen.

Dies hat wieder seine tiefern Ursachen. Die Franzosen sind im all¬
gemeinen nicht das Volk der Humoristen, trotz des feinen und milden
Veranger, des weltweisen La Fontaine, des satirischen Moliere, oder der
Heiterkeit der Südfranzosen (Daudet, Claude Tillier). Der Verstand ist dort
zu hell und beweglich, die Spöttelsucht in geistreicher Form zu ausgeprägt,
das Gemüt aber zu wenig behaglich, zu wenig in ruhige und gelassene Wärme
vertieft. Das sind Eigentümlichkeiten der Nasse. Dafür blühn dort drüben
der Esprit und die Satire, die in oft sehr graziösen und geistvollen Formen
geäußert werden, unser deutsches Herz aber im Grunde kalt lassen. Nun ist
leider der Elsässer auch hierin — ich meine den verstädterten Elsässer — eine
traurige Zwittergestalt. Die Ausbildung des Gemüts ist nicht gerade allzu
innig und herzlich dort in den Städtchen am linken Oberrhein; dafür hat um
so mehr Föppel- und Spöttelsucht, Pläsier an einem gucke Spässl u. dergl.
Einzug gehalten, die zwar „gemütlich" aussieht, aber von wenig wahrer Herz¬
lichkeit zeugt; und was das Entscheidende ist: bei diesen Spüßle und Föppeleieu,
die sehr oft stachlig sind, auch „pikant" werden können, fehlt der französische
Formensinn und der angeborne Pariser Esprit. So kommt also in viel tieferen
Sinn in den „Lustspielen" unsrer modernen Elsässer der ungemein charakte¬
ristische Zwittercharakter der gesamten jetzigen Stroßburjer zum Ausdruck. Un¬
ernst sind sie, aber darum noch lange nicht heiter; die deutschen Tugenden
haben sie verwischt, darum aber noch lange nicht die französischen angenommen.

Es ist noch etwas andres, und zwar etwas Politisches, zu berücksichtigen,
wenn man diese lehrreiche kleine Bewegung richtig erfassen will. Aus dem
Protestlertum beginnt sich dort nach und nach ein Partikularismus zu ent¬
wickeln. Diese jungen Künstler, die sich auch in der Malerei auszeichnen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230874"/>
          <fw type="header" place="top"> Vom litterarischen Jung-Llsaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1484" prev="#ID_1483"> wandtesten Vertreter; Halb- und Scheinbildung, gesellschaftliche Beweglichkeit,<lb/>
Kaffeehaus und gesellige Gruppen sind ihr notwendiger Untergrund, während<lb/>
sich der echte Humorist wie Jean Paul gerade allein, wie das urvergnügte<lb/>
Schulmeisterlein Wnz, mit jedem Blatt und Käfer am drolligsten unterhält,<lb/>
durch jede Absichtlichkeit und Berechnung aber, dieses unentbehrliche Kenn¬<lb/>
zeichen der Komik, nur gestört, verwirrt, gelähmt wird. Der Humorist schafft<lb/>
und schreibt und spricht aus behaglichster Seelenstimmung, aus überquellendem<lb/>
Wohlwollen heraus, ganz gleichgiltig, ob man ihn bewundre oder nicht. Er<lb/>
ist eine geschlossene Welt für sich; in seinen lustigen Stücken mit seinen Fal-<lb/>
staffs und Malvolios und Zettels vergißt man die nüchterne Umgebung; das<lb/>
Behagen, der Seelenreichtum des warmherzigen Schöpfers teilt sich dem Zu¬<lb/>
hörenden mit: gesünder, erwärmter und reicher als zuvor kehrt man aus dieser<lb/>
sonnigen, versöhnenden Welt in die Welt der Gegensätze und der bloßen<lb/>
Späße und Witze zurück. Warmherzigkeit &#x2014; das ist das Ausschlaggebende!<lb/>
Und um nun zu unsrer städtisch-elsässischen Gruppe zurückzukehren: diese Warm¬<lb/>
herzigkeit, diese seelische Tiefe und Fülle fehlt den geselligen jungen Leuten;<lb/>
sie sind Komiker, keine Humoristen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1485"> Dies hat wieder seine tiefern Ursachen. Die Franzosen sind im all¬<lb/>
gemeinen nicht das Volk der Humoristen, trotz des feinen und milden<lb/>
Veranger, des weltweisen La Fontaine, des satirischen Moliere, oder der<lb/>
Heiterkeit der Südfranzosen (Daudet, Claude Tillier). Der Verstand ist dort<lb/>
zu hell und beweglich, die Spöttelsucht in geistreicher Form zu ausgeprägt,<lb/>
das Gemüt aber zu wenig behaglich, zu wenig in ruhige und gelassene Wärme<lb/>
vertieft. Das sind Eigentümlichkeiten der Nasse. Dafür blühn dort drüben<lb/>
der Esprit und die Satire, die in oft sehr graziösen und geistvollen Formen<lb/>
geäußert werden, unser deutsches Herz aber im Grunde kalt lassen. Nun ist<lb/>
leider der Elsässer auch hierin &#x2014; ich meine den verstädterten Elsässer &#x2014; eine<lb/>
traurige Zwittergestalt. Die Ausbildung des Gemüts ist nicht gerade allzu<lb/>
innig und herzlich dort in den Städtchen am linken Oberrhein; dafür hat um<lb/>
so mehr Föppel- und Spöttelsucht, Pläsier an einem gucke Spässl u. dergl.<lb/>
Einzug gehalten, die zwar &#x201E;gemütlich" aussieht, aber von wenig wahrer Herz¬<lb/>
lichkeit zeugt; und was das Entscheidende ist: bei diesen Spüßle und Föppeleieu,<lb/>
die sehr oft stachlig sind, auch &#x201E;pikant" werden können, fehlt der französische<lb/>
Formensinn und der angeborne Pariser Esprit. So kommt also in viel tieferen<lb/>
Sinn in den &#x201E;Lustspielen" unsrer modernen Elsässer der ungemein charakte¬<lb/>
ristische Zwittercharakter der gesamten jetzigen Stroßburjer zum Ausdruck. Un¬<lb/>
ernst sind sie, aber darum noch lange nicht heiter; die deutschen Tugenden<lb/>
haben sie verwischt, darum aber noch lange nicht die französischen angenommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1486" next="#ID_1487"> Es ist noch etwas andres, und zwar etwas Politisches, zu berücksichtigen,<lb/>
wenn man diese lehrreiche kleine Bewegung richtig erfassen will. Aus dem<lb/>
Protestlertum beginnt sich dort nach und nach ein Partikularismus zu ent¬<lb/>
wickeln.  Diese jungen Künstler, die sich auch in der Malerei auszeichnen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] Vom litterarischen Jung-Llsaß wandtesten Vertreter; Halb- und Scheinbildung, gesellschaftliche Beweglichkeit, Kaffeehaus und gesellige Gruppen sind ihr notwendiger Untergrund, während sich der echte Humorist wie Jean Paul gerade allein, wie das urvergnügte Schulmeisterlein Wnz, mit jedem Blatt und Käfer am drolligsten unterhält, durch jede Absichtlichkeit und Berechnung aber, dieses unentbehrliche Kenn¬ zeichen der Komik, nur gestört, verwirrt, gelähmt wird. Der Humorist schafft und schreibt und spricht aus behaglichster Seelenstimmung, aus überquellendem Wohlwollen heraus, ganz gleichgiltig, ob man ihn bewundre oder nicht. Er ist eine geschlossene Welt für sich; in seinen lustigen Stücken mit seinen Fal- staffs und Malvolios und Zettels vergißt man die nüchterne Umgebung; das Behagen, der Seelenreichtum des warmherzigen Schöpfers teilt sich dem Zu¬ hörenden mit: gesünder, erwärmter und reicher als zuvor kehrt man aus dieser sonnigen, versöhnenden Welt in die Welt der Gegensätze und der bloßen Späße und Witze zurück. Warmherzigkeit — das ist das Ausschlaggebende! Und um nun zu unsrer städtisch-elsässischen Gruppe zurückzukehren: diese Warm¬ herzigkeit, diese seelische Tiefe und Fülle fehlt den geselligen jungen Leuten; sie sind Komiker, keine Humoristen. Dies hat wieder seine tiefern Ursachen. Die Franzosen sind im all¬ gemeinen nicht das Volk der Humoristen, trotz des feinen und milden Veranger, des weltweisen La Fontaine, des satirischen Moliere, oder der Heiterkeit der Südfranzosen (Daudet, Claude Tillier). Der Verstand ist dort zu hell und beweglich, die Spöttelsucht in geistreicher Form zu ausgeprägt, das Gemüt aber zu wenig behaglich, zu wenig in ruhige und gelassene Wärme vertieft. Das sind Eigentümlichkeiten der Nasse. Dafür blühn dort drüben der Esprit und die Satire, die in oft sehr graziösen und geistvollen Formen geäußert werden, unser deutsches Herz aber im Grunde kalt lassen. Nun ist leider der Elsässer auch hierin — ich meine den verstädterten Elsässer — eine traurige Zwittergestalt. Die Ausbildung des Gemüts ist nicht gerade allzu innig und herzlich dort in den Städtchen am linken Oberrhein; dafür hat um so mehr Föppel- und Spöttelsucht, Pläsier an einem gucke Spässl u. dergl. Einzug gehalten, die zwar „gemütlich" aussieht, aber von wenig wahrer Herz¬ lichkeit zeugt; und was das Entscheidende ist: bei diesen Spüßle und Föppeleieu, die sehr oft stachlig sind, auch „pikant" werden können, fehlt der französische Formensinn und der angeborne Pariser Esprit. So kommt also in viel tieferen Sinn in den „Lustspielen" unsrer modernen Elsässer der ungemein charakte¬ ristische Zwittercharakter der gesamten jetzigen Stroßburjer zum Ausdruck. Un¬ ernst sind sie, aber darum noch lange nicht heiter; die deutschen Tugenden haben sie verwischt, darum aber noch lange nicht die französischen angenommen. Es ist noch etwas andres, und zwar etwas Politisches, zu berücksichtigen, wenn man diese lehrreiche kleine Bewegung richtig erfassen will. Aus dem Protestlertum beginnt sich dort nach und nach ein Partikularismus zu ent¬ wickeln. Diese jungen Künstler, die sich auch in der Malerei auszeichnen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/442>, abgerufen am 28.09.2024.