Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom litterarischen Zung.Llsaß

Nach ruhiger und reiflicher Betrachtung kann mein sich leider dem Eindruck
nicht verschließen, und das ist eben das Eigentümliche an diesen Bestrebungen,
daß hier im wesentlichen ganz andre Triebkräfte thätig sind.

Die Gruppe, die sich unter der Leitung des Direktors Alexander Heßler
zum allsonntäglicher Theaterspiel im großen Saale der "Reunion des Arts"
zusammengethan hat, besteht ihrem Kerne nach aus den städtisch-elsüsstschen
Elementen, die unter sich meist französisch sprechen oder doch das gelungne "El-
süsfer Dieses," mit zahllosen französischen Brocken und Satzteilen, das in unsern
Witzblättern gelegentlich zu heitern Scherzen Stoff giebt: eine Mundart, deren
wesentlicher Bestandteil geradezu die Vermischung mit französischen Halbsüßen
und mit städtischen Wendungen ist, eine "erkünstelte, verdorbne, verstädterte
Mundart. Daran ist nicht zu rütteln; und die Vertreter dieser Bewegung
könnten das eine zu ihrer Verteidigung ins Feld führen: aber so sprechen doch
nun einmal "die Straßburger," "die Elsässer," worauf man ihnen sofort
wieder antworten könnte: Ja, so sprecht in der That ihr, und so sprechen
zahlreiche Elsässer, aber so sollte nicht die Kunst durchweg und an und für
sich sprechen dürfen, und ihr solltet nicht gerade in solcher allerdings leider
drollig wirkenden Behandlung unsrer verfranzöselteu Mundart eure witzigen
Wirkungen suchen! Dies ist der eine Punkt; aber die Sache geht viel tiefer:
diese Lokaldichter sind im ganzen auch dem Gemüt nach verstädtert. Bei
aller Volkspoesie ist es in erster Reihe das tiefe, reine, ursprüngliche Gemüt,
was uns so in den einfachsten Worten zu Herzen spricht. Das Gemüt, das
uns in Schmerz und Mitleid, in Liebesweh und Abschiednehmen ebenso er¬
greift, wie es uns in heitern Stunden durch kernigen, aber nie verletzenden
Humor oder durch treuherzige Schalkhaftigkeit entzückt. Wie herrlich reich ist
die Volkspoesie! Wie eindringlich, um an die Größten zu erinnern, etwa an
Homer, das Nibelungenlied oder auch an Heliand! Selbst Shakespeare könnte
hier herangezogen werden oder unser Hans Sachs. Ihr Grundton ist das
tiefe Gemüt, das herzliche oder eindringlich-ernste innerliche Mitleiden und
Mitfreuen, Mitweinen und Mitlachen. Es ist das ein Vorzug sogar noch
höherer Art; es ist hier mit dem tiefen Mitempfinden zugleich noch eine sittlich¬
reife Gabe der Abschätzung, der Gerechtigkeit verbunden, die das bunte Spiel
in Harmonie ausklingen läßt. Denn die "Moral" hinten in Hans Sachsens
Schwank ist durchaus keine Mode, sondern ebenso organisch und notwendig
wie die frischen Schlußworte der Shakespearischen Tragödien oder die schalk-
haft-versöhnenden Epiloge seiner Lustspiele.

Diesem echten Humor, zu dem viel Gemütsreichtum gehört, steht nun aber
die Komik durchaus schroff gegenüber. Die Komik, diese Tochter des Zirkus,
des Tingeltangels und mancher Stammtische, greift nicht in die Seele, sie
wendet sich an das Zwerchfell eines unterhaltungslustigen und verflachten
Publikums. Der Handlungsreisende ist unter Umständen einer ihrer ge-


Grenzboten II 1899 W
vom litterarischen Zung.Llsaß

Nach ruhiger und reiflicher Betrachtung kann mein sich leider dem Eindruck
nicht verschließen, und das ist eben das Eigentümliche an diesen Bestrebungen,
daß hier im wesentlichen ganz andre Triebkräfte thätig sind.

Die Gruppe, die sich unter der Leitung des Direktors Alexander Heßler
zum allsonntäglicher Theaterspiel im großen Saale der „Reunion des Arts"
zusammengethan hat, besteht ihrem Kerne nach aus den städtisch-elsüsstschen
Elementen, die unter sich meist französisch sprechen oder doch das gelungne „El-
süsfer Dieses," mit zahllosen französischen Brocken und Satzteilen, das in unsern
Witzblättern gelegentlich zu heitern Scherzen Stoff giebt: eine Mundart, deren
wesentlicher Bestandteil geradezu die Vermischung mit französischen Halbsüßen
und mit städtischen Wendungen ist, eine »erkünstelte, verdorbne, verstädterte
Mundart. Daran ist nicht zu rütteln; und die Vertreter dieser Bewegung
könnten das eine zu ihrer Verteidigung ins Feld führen: aber so sprechen doch
nun einmal „die Straßburger," „die Elsässer," worauf man ihnen sofort
wieder antworten könnte: Ja, so sprecht in der That ihr, und so sprechen
zahlreiche Elsässer, aber so sollte nicht die Kunst durchweg und an und für
sich sprechen dürfen, und ihr solltet nicht gerade in solcher allerdings leider
drollig wirkenden Behandlung unsrer verfranzöselteu Mundart eure witzigen
Wirkungen suchen! Dies ist der eine Punkt; aber die Sache geht viel tiefer:
diese Lokaldichter sind im ganzen auch dem Gemüt nach verstädtert. Bei
aller Volkspoesie ist es in erster Reihe das tiefe, reine, ursprüngliche Gemüt,
was uns so in den einfachsten Worten zu Herzen spricht. Das Gemüt, das
uns in Schmerz und Mitleid, in Liebesweh und Abschiednehmen ebenso er¬
greift, wie es uns in heitern Stunden durch kernigen, aber nie verletzenden
Humor oder durch treuherzige Schalkhaftigkeit entzückt. Wie herrlich reich ist
die Volkspoesie! Wie eindringlich, um an die Größten zu erinnern, etwa an
Homer, das Nibelungenlied oder auch an Heliand! Selbst Shakespeare könnte
hier herangezogen werden oder unser Hans Sachs. Ihr Grundton ist das
tiefe Gemüt, das herzliche oder eindringlich-ernste innerliche Mitleiden und
Mitfreuen, Mitweinen und Mitlachen. Es ist das ein Vorzug sogar noch
höherer Art; es ist hier mit dem tiefen Mitempfinden zugleich noch eine sittlich¬
reife Gabe der Abschätzung, der Gerechtigkeit verbunden, die das bunte Spiel
in Harmonie ausklingen läßt. Denn die „Moral" hinten in Hans Sachsens
Schwank ist durchaus keine Mode, sondern ebenso organisch und notwendig
wie die frischen Schlußworte der Shakespearischen Tragödien oder die schalk-
haft-versöhnenden Epiloge seiner Lustspiele.

Diesem echten Humor, zu dem viel Gemütsreichtum gehört, steht nun aber
die Komik durchaus schroff gegenüber. Die Komik, diese Tochter des Zirkus,
des Tingeltangels und mancher Stammtische, greift nicht in die Seele, sie
wendet sich an das Zwerchfell eines unterhaltungslustigen und verflachten
Publikums. Der Handlungsreisende ist unter Umständen einer ihrer ge-


Grenzboten II 1899 W
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230873"/>
          <fw type="header" place="top"> vom litterarischen Zung.Llsaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> Nach ruhiger und reiflicher Betrachtung kann mein sich leider dem Eindruck<lb/>
nicht verschließen, und das ist eben das Eigentümliche an diesen Bestrebungen,<lb/>
daß hier im wesentlichen ganz andre Triebkräfte thätig sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1482"> Die Gruppe, die sich unter der Leitung des Direktors Alexander Heßler<lb/>
zum allsonntäglicher Theaterspiel im großen Saale der &#x201E;Reunion des Arts"<lb/>
zusammengethan hat, besteht ihrem Kerne nach aus den städtisch-elsüsstschen<lb/>
Elementen, die unter sich meist französisch sprechen oder doch das gelungne &#x201E;El-<lb/>
süsfer Dieses," mit zahllosen französischen Brocken und Satzteilen, das in unsern<lb/>
Witzblättern gelegentlich zu heitern Scherzen Stoff giebt: eine Mundart, deren<lb/>
wesentlicher Bestandteil geradezu die Vermischung mit französischen Halbsüßen<lb/>
und mit städtischen Wendungen ist, eine »erkünstelte, verdorbne, verstädterte<lb/>
Mundart. Daran ist nicht zu rütteln; und die Vertreter dieser Bewegung<lb/>
könnten das eine zu ihrer Verteidigung ins Feld führen: aber so sprechen doch<lb/>
nun einmal &#x201E;die Straßburger," &#x201E;die Elsässer," worauf man ihnen sofort<lb/>
wieder antworten könnte: Ja, so sprecht in der That ihr, und so sprechen<lb/>
zahlreiche Elsässer, aber so sollte nicht die Kunst durchweg und an und für<lb/>
sich sprechen dürfen, und ihr solltet nicht gerade in solcher allerdings leider<lb/>
drollig wirkenden Behandlung unsrer verfranzöselteu Mundart eure witzigen<lb/>
Wirkungen suchen! Dies ist der eine Punkt; aber die Sache geht viel tiefer:<lb/>
diese Lokaldichter sind im ganzen auch dem Gemüt nach verstädtert. Bei<lb/>
aller Volkspoesie ist es in erster Reihe das tiefe, reine, ursprüngliche Gemüt,<lb/>
was uns so in den einfachsten Worten zu Herzen spricht. Das Gemüt, das<lb/>
uns in Schmerz und Mitleid, in Liebesweh und Abschiednehmen ebenso er¬<lb/>
greift, wie es uns in heitern Stunden durch kernigen, aber nie verletzenden<lb/>
Humor oder durch treuherzige Schalkhaftigkeit entzückt. Wie herrlich reich ist<lb/>
die Volkspoesie! Wie eindringlich, um an die Größten zu erinnern, etwa an<lb/>
Homer, das Nibelungenlied oder auch an Heliand! Selbst Shakespeare könnte<lb/>
hier herangezogen werden oder unser Hans Sachs. Ihr Grundton ist das<lb/>
tiefe Gemüt, das herzliche oder eindringlich-ernste innerliche Mitleiden und<lb/>
Mitfreuen, Mitweinen und Mitlachen. Es ist das ein Vorzug sogar noch<lb/>
höherer Art; es ist hier mit dem tiefen Mitempfinden zugleich noch eine sittlich¬<lb/>
reife Gabe der Abschätzung, der Gerechtigkeit verbunden, die das bunte Spiel<lb/>
in Harmonie ausklingen läßt. Denn die &#x201E;Moral" hinten in Hans Sachsens<lb/>
Schwank ist durchaus keine Mode, sondern ebenso organisch und notwendig<lb/>
wie die frischen Schlußworte der Shakespearischen Tragödien oder die schalk-<lb/>
haft-versöhnenden Epiloge seiner Lustspiele.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1483" next="#ID_1484"> Diesem echten Humor, zu dem viel Gemütsreichtum gehört, steht nun aber<lb/>
die Komik durchaus schroff gegenüber. Die Komik, diese Tochter des Zirkus,<lb/>
des Tingeltangels und mancher Stammtische, greift nicht in die Seele, sie<lb/>
wendet sich an das Zwerchfell eines unterhaltungslustigen und verflachten<lb/>
Publikums.  Der Handlungsreisende ist unter Umständen einer ihrer ge-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1899 W</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0441] vom litterarischen Zung.Llsaß Nach ruhiger und reiflicher Betrachtung kann mein sich leider dem Eindruck nicht verschließen, und das ist eben das Eigentümliche an diesen Bestrebungen, daß hier im wesentlichen ganz andre Triebkräfte thätig sind. Die Gruppe, die sich unter der Leitung des Direktors Alexander Heßler zum allsonntäglicher Theaterspiel im großen Saale der „Reunion des Arts" zusammengethan hat, besteht ihrem Kerne nach aus den städtisch-elsüsstschen Elementen, die unter sich meist französisch sprechen oder doch das gelungne „El- süsfer Dieses," mit zahllosen französischen Brocken und Satzteilen, das in unsern Witzblättern gelegentlich zu heitern Scherzen Stoff giebt: eine Mundart, deren wesentlicher Bestandteil geradezu die Vermischung mit französischen Halbsüßen und mit städtischen Wendungen ist, eine »erkünstelte, verdorbne, verstädterte Mundart. Daran ist nicht zu rütteln; und die Vertreter dieser Bewegung könnten das eine zu ihrer Verteidigung ins Feld führen: aber so sprechen doch nun einmal „die Straßburger," „die Elsässer," worauf man ihnen sofort wieder antworten könnte: Ja, so sprecht in der That ihr, und so sprechen zahlreiche Elsässer, aber so sollte nicht die Kunst durchweg und an und für sich sprechen dürfen, und ihr solltet nicht gerade in solcher allerdings leider drollig wirkenden Behandlung unsrer verfranzöselteu Mundart eure witzigen Wirkungen suchen! Dies ist der eine Punkt; aber die Sache geht viel tiefer: diese Lokaldichter sind im ganzen auch dem Gemüt nach verstädtert. Bei aller Volkspoesie ist es in erster Reihe das tiefe, reine, ursprüngliche Gemüt, was uns so in den einfachsten Worten zu Herzen spricht. Das Gemüt, das uns in Schmerz und Mitleid, in Liebesweh und Abschiednehmen ebenso er¬ greift, wie es uns in heitern Stunden durch kernigen, aber nie verletzenden Humor oder durch treuherzige Schalkhaftigkeit entzückt. Wie herrlich reich ist die Volkspoesie! Wie eindringlich, um an die Größten zu erinnern, etwa an Homer, das Nibelungenlied oder auch an Heliand! Selbst Shakespeare könnte hier herangezogen werden oder unser Hans Sachs. Ihr Grundton ist das tiefe Gemüt, das herzliche oder eindringlich-ernste innerliche Mitleiden und Mitfreuen, Mitweinen und Mitlachen. Es ist das ein Vorzug sogar noch höherer Art; es ist hier mit dem tiefen Mitempfinden zugleich noch eine sittlich¬ reife Gabe der Abschätzung, der Gerechtigkeit verbunden, die das bunte Spiel in Harmonie ausklingen läßt. Denn die „Moral" hinten in Hans Sachsens Schwank ist durchaus keine Mode, sondern ebenso organisch und notwendig wie die frischen Schlußworte der Shakespearischen Tragödien oder die schalk- haft-versöhnenden Epiloge seiner Lustspiele. Diesem echten Humor, zu dem viel Gemütsreichtum gehört, steht nun aber die Komik durchaus schroff gegenüber. Die Komik, diese Tochter des Zirkus, des Tingeltangels und mancher Stammtische, greift nicht in die Seele, sie wendet sich an das Zwerchfell eines unterhaltungslustigen und verflachten Publikums. Der Handlungsreisende ist unter Umständen einer ihrer ge- Grenzboten II 1899 W

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/441
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/441>, abgerufen am 28.09.2024.