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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

herabgerissen, mit einer Janitscharenmütze bedeckt und unter Spott und Hohn
durch die Straßen getragen. Auf der Schwelle der Hofburg am Bosporus,
auf der sitzend einst die "im Purpur geborne" Anna Komnena den Vorträgen
griechischer Philosophen lauschte, wurden türkische Krummsäbel gewetzt, die
Kavalleriepferde der Eroberer wurden in Donau- und Dnjeprwasser getränkt,
ihre Roßschweife spiegelten sich in Euphrat und save.

"Die unterworfuen Völkerschaften hatten nur die Wahl zwischen Knecht¬
schaft, Tod und Koran, und viele, wie die Kretenser, die böhmischen Begs, die
bulgarischen Pomaken. die albanischen Arnauten wählten das Buch des Pro¬
pheten. Mohamed II., der Eroberer Konstantinopels, erschien eines Tags vor
Skutari, das damals zu Zeta gehörte, beschoß die Stadt mit ungeheuern
Steinkugeln und bedrohte Zabljak, die Residenz unsers großen Nationalhelden
Iwan Tschernojewitsch, der damals über das geflüchtete Volk herrschte. Iwan
sah wohl ein, daß die Freiheit seiner Mannen nur auf den Bergen gegen eine
solche Übermacht zu verteidigen sei; er berief die Krieger und erklärte ihnen
die Notwendigkeit, in die wüsten schwarzen Berge dort im Norden zu flüchten.
Auf ihr zustimmendes Geschrei nahm er ihnen das Gelübde ab, daß kein Be¬
wohner jener schützenden Berge im Kampfe gegen die Türken je das Feld ohne
den Befehl seines Führers verlassen dürfte, daß aber jemand, der dieses dennoch
thäte, in Weiberkleider gesteckt werden und einen Spinnrocken in die Hand be¬
kommen sollte, und daß die Weiber mit ihren Spindeln den Verräter Hinweg-
Prügeln sollten aus dem heiligen Bergeslande der Freiheit. Dann zündeten
sie Zabljak mit eigner Hand an. So verließen die Uskoken zum zweitenmale
ihre Wohnsitze und zogen in die nahegelegnen Berge, wo im Jahre 1484 von
Iwan ein Kloster an der Stelle des heutigen Cetinje errichtet wurde.

"Der Schwur wurde gehalten -- über vierhundert Jahre haben wir unsre
Freiheit gegen jedermann aufrecht erhalten. Manchmal zwar wankten unsre
Reihen vor den kupfernen Streitkolben kriegsgewohnter Osmanen, und oft hat
auch böser Verrat im eignen Volke uns bedroht. Als der große Iwan starb,
folgte ihm sein Sohn Georg, den sein Weib, eine üppige Venetianerin, der
das schwarze Maisbrot der schwarzen Berge weniger behagte als Liebesgeflüster
und Maskenscherz der leichten Dogenstadt, überredete, mit ihr nach Venedig
zurückzukehren. Schlimmres noch widerfuhr dem Lande, als Georgs jüngster
Bruder Stephan mit einer Verräterbande nach Konstantinopel ging und dem
verhaßten Padischah Bajazet II. anbot, ihm sein Vaterland durch Verrat in
die Hände zu spielen. Der schlaue Kauf verlangte zunächst als Garantie sür
die Aufrichtigkeit des Bewerbers die hier im Orient beliebte Religionsprobe.
Er fragte ihn, ob er den Glauben an des Propheten Religion annehmen
wolle. Als dies bejaht wurde, gab man dem Renegaten eine ottomanischc
Kriegsmacht, aber Georg, der ältere Bruder, inzwischen in die Heimat zurück¬
gekehrt, schlug ihn in die Flucht.


Aus den schwarzen Bergen

herabgerissen, mit einer Janitscharenmütze bedeckt und unter Spott und Hohn
durch die Straßen getragen. Auf der Schwelle der Hofburg am Bosporus,
auf der sitzend einst die »im Purpur geborne« Anna Komnena den Vorträgen
griechischer Philosophen lauschte, wurden türkische Krummsäbel gewetzt, die
Kavalleriepferde der Eroberer wurden in Donau- und Dnjeprwasser getränkt,
ihre Roßschweife spiegelten sich in Euphrat und save.

„Die unterworfuen Völkerschaften hatten nur die Wahl zwischen Knecht¬
schaft, Tod und Koran, und viele, wie die Kretenser, die böhmischen Begs, die
bulgarischen Pomaken. die albanischen Arnauten wählten das Buch des Pro¬
pheten. Mohamed II., der Eroberer Konstantinopels, erschien eines Tags vor
Skutari, das damals zu Zeta gehörte, beschoß die Stadt mit ungeheuern
Steinkugeln und bedrohte Zabljak, die Residenz unsers großen Nationalhelden
Iwan Tschernojewitsch, der damals über das geflüchtete Volk herrschte. Iwan
sah wohl ein, daß die Freiheit seiner Mannen nur auf den Bergen gegen eine
solche Übermacht zu verteidigen sei; er berief die Krieger und erklärte ihnen
die Notwendigkeit, in die wüsten schwarzen Berge dort im Norden zu flüchten.
Auf ihr zustimmendes Geschrei nahm er ihnen das Gelübde ab, daß kein Be¬
wohner jener schützenden Berge im Kampfe gegen die Türken je das Feld ohne
den Befehl seines Führers verlassen dürfte, daß aber jemand, der dieses dennoch
thäte, in Weiberkleider gesteckt werden und einen Spinnrocken in die Hand be¬
kommen sollte, und daß die Weiber mit ihren Spindeln den Verräter Hinweg-
Prügeln sollten aus dem heiligen Bergeslande der Freiheit. Dann zündeten
sie Zabljak mit eigner Hand an. So verließen die Uskoken zum zweitenmale
ihre Wohnsitze und zogen in die nahegelegnen Berge, wo im Jahre 1484 von
Iwan ein Kloster an der Stelle des heutigen Cetinje errichtet wurde.

„Der Schwur wurde gehalten — über vierhundert Jahre haben wir unsre
Freiheit gegen jedermann aufrecht erhalten. Manchmal zwar wankten unsre
Reihen vor den kupfernen Streitkolben kriegsgewohnter Osmanen, und oft hat
auch böser Verrat im eignen Volke uns bedroht. Als der große Iwan starb,
folgte ihm sein Sohn Georg, den sein Weib, eine üppige Venetianerin, der
das schwarze Maisbrot der schwarzen Berge weniger behagte als Liebesgeflüster
und Maskenscherz der leichten Dogenstadt, überredete, mit ihr nach Venedig
zurückzukehren. Schlimmres noch widerfuhr dem Lande, als Georgs jüngster
Bruder Stephan mit einer Verräterbande nach Konstantinopel ging und dem
verhaßten Padischah Bajazet II. anbot, ihm sein Vaterland durch Verrat in
die Hände zu spielen. Der schlaue Kauf verlangte zunächst als Garantie sür
die Aufrichtigkeit des Bewerbers die hier im Orient beliebte Religionsprobe.
Er fragte ihn, ob er den Glauben an des Propheten Religion annehmen
wolle. Als dies bejaht wurde, gab man dem Renegaten eine ottomanischc
Kriegsmacht, aber Georg, der ältere Bruder, inzwischen in die Heimat zurück¬
gekehrt, schlug ihn in die Flucht.


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[0434] Aus den schwarzen Bergen herabgerissen, mit einer Janitscharenmütze bedeckt und unter Spott und Hohn durch die Straßen getragen. Auf der Schwelle der Hofburg am Bosporus, auf der sitzend einst die »im Purpur geborne« Anna Komnena den Vorträgen griechischer Philosophen lauschte, wurden türkische Krummsäbel gewetzt, die Kavalleriepferde der Eroberer wurden in Donau- und Dnjeprwasser getränkt, ihre Roßschweife spiegelten sich in Euphrat und save. „Die unterworfuen Völkerschaften hatten nur die Wahl zwischen Knecht¬ schaft, Tod und Koran, und viele, wie die Kretenser, die böhmischen Begs, die bulgarischen Pomaken. die albanischen Arnauten wählten das Buch des Pro¬ pheten. Mohamed II., der Eroberer Konstantinopels, erschien eines Tags vor Skutari, das damals zu Zeta gehörte, beschoß die Stadt mit ungeheuern Steinkugeln und bedrohte Zabljak, die Residenz unsers großen Nationalhelden Iwan Tschernojewitsch, der damals über das geflüchtete Volk herrschte. Iwan sah wohl ein, daß die Freiheit seiner Mannen nur auf den Bergen gegen eine solche Übermacht zu verteidigen sei; er berief die Krieger und erklärte ihnen die Notwendigkeit, in die wüsten schwarzen Berge dort im Norden zu flüchten. Auf ihr zustimmendes Geschrei nahm er ihnen das Gelübde ab, daß kein Be¬ wohner jener schützenden Berge im Kampfe gegen die Türken je das Feld ohne den Befehl seines Führers verlassen dürfte, daß aber jemand, der dieses dennoch thäte, in Weiberkleider gesteckt werden und einen Spinnrocken in die Hand be¬ kommen sollte, und daß die Weiber mit ihren Spindeln den Verräter Hinweg- Prügeln sollten aus dem heiligen Bergeslande der Freiheit. Dann zündeten sie Zabljak mit eigner Hand an. So verließen die Uskoken zum zweitenmale ihre Wohnsitze und zogen in die nahegelegnen Berge, wo im Jahre 1484 von Iwan ein Kloster an der Stelle des heutigen Cetinje errichtet wurde. „Der Schwur wurde gehalten — über vierhundert Jahre haben wir unsre Freiheit gegen jedermann aufrecht erhalten. Manchmal zwar wankten unsre Reihen vor den kupfernen Streitkolben kriegsgewohnter Osmanen, und oft hat auch böser Verrat im eignen Volke uns bedroht. Als der große Iwan starb, folgte ihm sein Sohn Georg, den sein Weib, eine üppige Venetianerin, der das schwarze Maisbrot der schwarzen Berge weniger behagte als Liebesgeflüster und Maskenscherz der leichten Dogenstadt, überredete, mit ihr nach Venedig zurückzukehren. Schlimmres noch widerfuhr dem Lande, als Georgs jüngster Bruder Stephan mit einer Verräterbande nach Konstantinopel ging und dem verhaßten Padischah Bajazet II. anbot, ihm sein Vaterland durch Verrat in die Hände zu spielen. Der schlaue Kauf verlangte zunächst als Garantie sür die Aufrichtigkeit des Bewerbers die hier im Orient beliebte Religionsprobe. Er fragte ihn, ob er den Glauben an des Propheten Religion annehmen wolle. Als dies bejaht wurde, gab man dem Renegaten eine ottomanischc Kriegsmacht, aber Georg, der ältere Bruder, inzwischen in die Heimat zurück¬ gekehrt, schlug ihn in die Flucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/434>, abgerufen am 28.09.2024.