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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

wenn dieses aber geschähe, so sorge die Natur schon durch Pest, Elend, Kriege
und Hungersnot dafür, daß die überflüssigen Wesen im Kampfe ums Dasein
zu Grunde gingen. Gott Amor, der da schon glaubte, die wichtige Annähe¬
rung der Geschlechter ganz allein zu stände zu bringen, mußte sich so durch
Malthus beweisen lassen, daß nicht seine Pfeile, sondern sinkende Kornpreise
zahlreiche Ehen zu stände brächten, und daß die Menschheit, wenn es ihr gut
geht, schon von selbst durch entsprechende Vermehrung dafür sorge, daß es ihr
nicht zu gut gehe. Wer ernährt nun Cetinjes wackre Kämpen, die Sonn- und
Alltags sich dem "Kef" hingeben, den ihre türkischen Nachbarn im Platanen-
kaffeehäuschen beim Murmeln der Quelle und dem Gurgeln der Nargilehpfeife
so gern Pflegen, diesem äoloe kiir rllsnw, das weit intensiver ist als die Stamm¬
tischlangeweile eines kleinstädtischen Honoratiorentisches, und das Viktor Scheffel
so klassisch beschrieben hat:


Still liegen und einsam sich sonnen
Ist auch eine tapfere Kunst?

Die häusliche Arbeit wird nach dem übereinstimmenden Urteile aller Be¬
obachter von dem weiblichen Geschlechte besorgt, das verglichen mit den monte¬
negrinischen Männern eine wahre Pygmäengestalt zeigt und nur in seiner
frühesten Jugend "das schöne" genannt zu werden verdient, da es infolge der
schweren Pflichten und Arbeitsleistungen bald altert und verkümmert. Aber
wie bringen es die zweitausend Menschen, die das Cetinjsko Polje, das Cetinjer
Feld bewohnen, zu stände, die für ihre Erhaltung notwendigen Lebensmittel
zu produzieren? Kein Büchlein benetzt diese von öden Felsblöcken bedeckte und
eingerahmte Thalmulde, in Gruben und Cisternen spart man das kostbare
Regen- und Schneewasser auf, um mit seiner Hilfe kümmerliche Ernten von
Kartoffeln, Hafer, Kraut, Lauch und Mais zu erzielen. Von Cetinje nach
Grahowo durchreitet der Wandrer einen Weg von zehn Stunden, ohne eine
Hufe bebauten Ackerlandes zu bemerken. Die österreichische Negierung, die
früher für 200000 Gulden den schönen montenegrinischen Tabak kaufte, hat
ihre Aufträge eingestellt, da die Bauern ihre Anweisung über das Sammeln
der Blätter nicht befolgt haben. Die Exportation von Schafen, Fellen und
Häuten war ohne Profit. Der Ertrag des Perückenbaumes (Mus Ootinus),
dessen Blätter eines der wichtigsten Materialien zum Gerben und Schwarz-
fürben, den Sumach, liefern, und dessen flockige, wie rötlich geballte Nebel
aussehende Knäuel man in den felsigen Partien des Landes häufig bemerkt,
ist durch einen Ausfuhrzoll illusorisch gemacht. Die Ausfuhr von ?.yrstd.rum
rossum, dessen Blüte getrocknet und gepulvert zur Herstellung des Insekten¬
pulvers benutzt wird, geht stark zurück. Seidenkokons gehen immer spär¬
licher ins Ausland. Die Ernten der letzten Jahre waren schlecht. Die
Zetaebne, die Kornkammer Montenegros, und die Tschermniza, wo schwarze
Tranben und saftige Melonen, Feigen, Mandeln, Granatäpfel und Nußbäume


Aus den schwarzen Bergen

wenn dieses aber geschähe, so sorge die Natur schon durch Pest, Elend, Kriege
und Hungersnot dafür, daß die überflüssigen Wesen im Kampfe ums Dasein
zu Grunde gingen. Gott Amor, der da schon glaubte, die wichtige Annähe¬
rung der Geschlechter ganz allein zu stände zu bringen, mußte sich so durch
Malthus beweisen lassen, daß nicht seine Pfeile, sondern sinkende Kornpreise
zahlreiche Ehen zu stände brächten, und daß die Menschheit, wenn es ihr gut
geht, schon von selbst durch entsprechende Vermehrung dafür sorge, daß es ihr
nicht zu gut gehe. Wer ernährt nun Cetinjes wackre Kämpen, die Sonn- und
Alltags sich dem „Kef" hingeben, den ihre türkischen Nachbarn im Platanen-
kaffeehäuschen beim Murmeln der Quelle und dem Gurgeln der Nargilehpfeife
so gern Pflegen, diesem äoloe kiir rllsnw, das weit intensiver ist als die Stamm¬
tischlangeweile eines kleinstädtischen Honoratiorentisches, und das Viktor Scheffel
so klassisch beschrieben hat:


Still liegen und einsam sich sonnen
Ist auch eine tapfere Kunst?

Die häusliche Arbeit wird nach dem übereinstimmenden Urteile aller Be¬
obachter von dem weiblichen Geschlechte besorgt, das verglichen mit den monte¬
negrinischen Männern eine wahre Pygmäengestalt zeigt und nur in seiner
frühesten Jugend „das schöne" genannt zu werden verdient, da es infolge der
schweren Pflichten und Arbeitsleistungen bald altert und verkümmert. Aber
wie bringen es die zweitausend Menschen, die das Cetinjsko Polje, das Cetinjer
Feld bewohnen, zu stände, die für ihre Erhaltung notwendigen Lebensmittel
zu produzieren? Kein Büchlein benetzt diese von öden Felsblöcken bedeckte und
eingerahmte Thalmulde, in Gruben und Cisternen spart man das kostbare
Regen- und Schneewasser auf, um mit seiner Hilfe kümmerliche Ernten von
Kartoffeln, Hafer, Kraut, Lauch und Mais zu erzielen. Von Cetinje nach
Grahowo durchreitet der Wandrer einen Weg von zehn Stunden, ohne eine
Hufe bebauten Ackerlandes zu bemerken. Die österreichische Negierung, die
früher für 200000 Gulden den schönen montenegrinischen Tabak kaufte, hat
ihre Aufträge eingestellt, da die Bauern ihre Anweisung über das Sammeln
der Blätter nicht befolgt haben. Die Exportation von Schafen, Fellen und
Häuten war ohne Profit. Der Ertrag des Perückenbaumes (Mus Ootinus),
dessen Blätter eines der wichtigsten Materialien zum Gerben und Schwarz-
fürben, den Sumach, liefern, und dessen flockige, wie rötlich geballte Nebel
aussehende Knäuel man in den felsigen Partien des Landes häufig bemerkt,
ist durch einen Ausfuhrzoll illusorisch gemacht. Die Ausfuhr von ?.yrstd.rum
rossum, dessen Blüte getrocknet und gepulvert zur Herstellung des Insekten¬
pulvers benutzt wird, geht stark zurück. Seidenkokons gehen immer spär¬
licher ins Ausland. Die Ernten der letzten Jahre waren schlecht. Die
Zetaebne, die Kornkammer Montenegros, und die Tschermniza, wo schwarze
Tranben und saftige Melonen, Feigen, Mandeln, Granatäpfel und Nußbäume


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[0431] Aus den schwarzen Bergen wenn dieses aber geschähe, so sorge die Natur schon durch Pest, Elend, Kriege und Hungersnot dafür, daß die überflüssigen Wesen im Kampfe ums Dasein zu Grunde gingen. Gott Amor, der da schon glaubte, die wichtige Annähe¬ rung der Geschlechter ganz allein zu stände zu bringen, mußte sich so durch Malthus beweisen lassen, daß nicht seine Pfeile, sondern sinkende Kornpreise zahlreiche Ehen zu stände brächten, und daß die Menschheit, wenn es ihr gut geht, schon von selbst durch entsprechende Vermehrung dafür sorge, daß es ihr nicht zu gut gehe. Wer ernährt nun Cetinjes wackre Kämpen, die Sonn- und Alltags sich dem „Kef" hingeben, den ihre türkischen Nachbarn im Platanen- kaffeehäuschen beim Murmeln der Quelle und dem Gurgeln der Nargilehpfeife so gern Pflegen, diesem äoloe kiir rllsnw, das weit intensiver ist als die Stamm¬ tischlangeweile eines kleinstädtischen Honoratiorentisches, und das Viktor Scheffel so klassisch beschrieben hat: Still liegen und einsam sich sonnen Ist auch eine tapfere Kunst? Die häusliche Arbeit wird nach dem übereinstimmenden Urteile aller Be¬ obachter von dem weiblichen Geschlechte besorgt, das verglichen mit den monte¬ negrinischen Männern eine wahre Pygmäengestalt zeigt und nur in seiner frühesten Jugend „das schöne" genannt zu werden verdient, da es infolge der schweren Pflichten und Arbeitsleistungen bald altert und verkümmert. Aber wie bringen es die zweitausend Menschen, die das Cetinjsko Polje, das Cetinjer Feld bewohnen, zu stände, die für ihre Erhaltung notwendigen Lebensmittel zu produzieren? Kein Büchlein benetzt diese von öden Felsblöcken bedeckte und eingerahmte Thalmulde, in Gruben und Cisternen spart man das kostbare Regen- und Schneewasser auf, um mit seiner Hilfe kümmerliche Ernten von Kartoffeln, Hafer, Kraut, Lauch und Mais zu erzielen. Von Cetinje nach Grahowo durchreitet der Wandrer einen Weg von zehn Stunden, ohne eine Hufe bebauten Ackerlandes zu bemerken. Die österreichische Negierung, die früher für 200000 Gulden den schönen montenegrinischen Tabak kaufte, hat ihre Aufträge eingestellt, da die Bauern ihre Anweisung über das Sammeln der Blätter nicht befolgt haben. Die Exportation von Schafen, Fellen und Häuten war ohne Profit. Der Ertrag des Perückenbaumes (Mus Ootinus), dessen Blätter eines der wichtigsten Materialien zum Gerben und Schwarz- fürben, den Sumach, liefern, und dessen flockige, wie rötlich geballte Nebel aussehende Knäuel man in den felsigen Partien des Landes häufig bemerkt, ist durch einen Ausfuhrzoll illusorisch gemacht. Die Ausfuhr von ?.yrstd.rum rossum, dessen Blüte getrocknet und gepulvert zur Herstellung des Insekten¬ pulvers benutzt wird, geht stark zurück. Seidenkokons gehen immer spär¬ licher ins Ausland. Die Ernten der letzten Jahre waren schlecht. Die Zetaebne, die Kornkammer Montenegros, und die Tschermniza, wo schwarze Tranben und saftige Melonen, Feigen, Mandeln, Granatäpfel und Nußbäume

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/431>, abgerufen am 28.09.2024.