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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Ungerechtigkeit unsrer Steuerverteilmig

richtungen erwiesene Gunst zugleich eine besondre Fürsorge für die Kapitalisten
und Millionäre darstelle, so bleibt nur der sogenannte "Mittelstand," und
insbesondre die Schicht von zwar Besitzlosen, durch ihr höheres Einkommen
aber doch von den Wohlfahrtseinrichtungen Ausgeschlossenen, als das Aschen¬
brödel übrig, auf dessen Gedeihen der Staat bei seiner Steuerverteilung keine
Rücksicht nimmt. Wie fehlerhaft dies ist, und wie notwendig es ist, dem für
die Gesundheit einer staatlichen Gesellschaft ganz besonders wertvollen Mittel¬
stande mittelbar oder unmittelbar Schutz und Gunst zu erweisen, ist meines
Erinuerns schon von andrer Seite hier einmal dargelegt worden. Auch das,
was ich im folgenden auszuführen versuche, ist möglicherweise schon von andern
ausgesprochen worden, doch können meines Erachtens die schlimmen Verhält¬
nisse nicht oft genug vorgestellt und erwogen werden.

Bei der Erwägung, ob jedem "Stande" nach seinem Werte für den
ganzen Staat bei der Lastenverteilung Gerechtigkeit widerfahren sei, lasse man
einmal die Gesellschaftsgliederung nach Geld und Besitz außer acht; dann wird
man finden, daß wohl keine Standesunterscheiduug größere Wertdifferenzeu
für den Staat darstellt, als die des ledigen und des Familienstands. Die ganz
überwältigende Bedeutung des Familienstands, d. h. der Wert eines "guten"
Familienstands für das Staatswohl wird sofort in die Augen fallen. Denn
Paarung und Bevölkernngsvermehrung kann ja auch ohne Familie stattfinden;
an "guten" Bürgern Zuwachs zu erhalten darf der Staat jedoch nur dann
erwarten, wenn die Kinder in den Familien zu Ehrgefühl und Sittlichkeit er¬
zogen werden. Schulunterricht und Jnternatsdrill können die Erziehung in
der Familie niemals ersetzen, und selbst für die Lehren der Religion muß das
Kind erst im Hause empfänglich gemacht werden.

Was thut nun der Staat auf dem Gebiete der Lastenverteilung zur Förde¬
rung und zu Gunsten eines guten Familienstands? Soviel wie gar nichts!
Denn die paar zur Entlastung von Familienvätern gewährten Begünstigungen
(§ 18 und 19 des Einkommensteuergesetzes) siud so geringfügig, daß sie nicht
in Betracht kommen; i" den dringlichsten Fällen wird nämlich der Stener-
betrag um 3 bis höchstens 62 Mark gemindert, während doch (in meinem
Wohnorte) ein Familienvater, der sechs Kinder in drei oder mehr verschiedne
höhere Schulen schickt, allein 800 Mark Schulgeld zu zahlen hat. Der Familien¬
vater ist unter den jetzigen Verhältnissen der wirkliche Steuerpackesel. Der
Staat thut anscheinend sogar sein möglichstes, von der Familiengründung
abzuschrecken und zur Ehelosigkeit zu drängen; ja er begünstigt sogar die wilde
Ehe mit, seiner Steuergesetzgebung. Wenn nämlich von einem Pärchen Mann
und Weib je 1000 Mark Einkommen zu versteuern haben, so bezahlen beide,
so lange sie in wilder Ehe zusammenleben und der Mann etwa bei der Frau
nur in Schlafstelle liegt, zusammen jährlich 12 Mark (je Mark) an Steuern;
sobald sie aber ihr Zusammenleben legitimieren und hierdurch die Gemeinsam-


Die Ungerechtigkeit unsrer Steuerverteilmig

richtungen erwiesene Gunst zugleich eine besondre Fürsorge für die Kapitalisten
und Millionäre darstelle, so bleibt nur der sogenannte „Mittelstand," und
insbesondre die Schicht von zwar Besitzlosen, durch ihr höheres Einkommen
aber doch von den Wohlfahrtseinrichtungen Ausgeschlossenen, als das Aschen¬
brödel übrig, auf dessen Gedeihen der Staat bei seiner Steuerverteilung keine
Rücksicht nimmt. Wie fehlerhaft dies ist, und wie notwendig es ist, dem für
die Gesundheit einer staatlichen Gesellschaft ganz besonders wertvollen Mittel¬
stande mittelbar oder unmittelbar Schutz und Gunst zu erweisen, ist meines
Erinuerns schon von andrer Seite hier einmal dargelegt worden. Auch das,
was ich im folgenden auszuführen versuche, ist möglicherweise schon von andern
ausgesprochen worden, doch können meines Erachtens die schlimmen Verhält¬
nisse nicht oft genug vorgestellt und erwogen werden.

Bei der Erwägung, ob jedem „Stande" nach seinem Werte für den
ganzen Staat bei der Lastenverteilung Gerechtigkeit widerfahren sei, lasse man
einmal die Gesellschaftsgliederung nach Geld und Besitz außer acht; dann wird
man finden, daß wohl keine Standesunterscheiduug größere Wertdifferenzeu
für den Staat darstellt, als die des ledigen und des Familienstands. Die ganz
überwältigende Bedeutung des Familienstands, d. h. der Wert eines „guten"
Familienstands für das Staatswohl wird sofort in die Augen fallen. Denn
Paarung und Bevölkernngsvermehrung kann ja auch ohne Familie stattfinden;
an „guten" Bürgern Zuwachs zu erhalten darf der Staat jedoch nur dann
erwarten, wenn die Kinder in den Familien zu Ehrgefühl und Sittlichkeit er¬
zogen werden. Schulunterricht und Jnternatsdrill können die Erziehung in
der Familie niemals ersetzen, und selbst für die Lehren der Religion muß das
Kind erst im Hause empfänglich gemacht werden.

Was thut nun der Staat auf dem Gebiete der Lastenverteilung zur Förde¬
rung und zu Gunsten eines guten Familienstands? Soviel wie gar nichts!
Denn die paar zur Entlastung von Familienvätern gewährten Begünstigungen
(§ 18 und 19 des Einkommensteuergesetzes) siud so geringfügig, daß sie nicht
in Betracht kommen; i» den dringlichsten Fällen wird nämlich der Stener-
betrag um 3 bis höchstens 62 Mark gemindert, während doch (in meinem
Wohnorte) ein Familienvater, der sechs Kinder in drei oder mehr verschiedne
höhere Schulen schickt, allein 800 Mark Schulgeld zu zahlen hat. Der Familien¬
vater ist unter den jetzigen Verhältnissen der wirkliche Steuerpackesel. Der
Staat thut anscheinend sogar sein möglichstes, von der Familiengründung
abzuschrecken und zur Ehelosigkeit zu drängen; ja er begünstigt sogar die wilde
Ehe mit, seiner Steuergesetzgebung. Wenn nämlich von einem Pärchen Mann
und Weib je 1000 Mark Einkommen zu versteuern haben, so bezahlen beide,
so lange sie in wilder Ehe zusammenleben und der Mann etwa bei der Frau
nur in Schlafstelle liegt, zusammen jährlich 12 Mark (je Mark) an Steuern;
sobald sie aber ihr Zusammenleben legitimieren und hierdurch die Gemeinsam-


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[0420] Die Ungerechtigkeit unsrer Steuerverteilmig richtungen erwiesene Gunst zugleich eine besondre Fürsorge für die Kapitalisten und Millionäre darstelle, so bleibt nur der sogenannte „Mittelstand," und insbesondre die Schicht von zwar Besitzlosen, durch ihr höheres Einkommen aber doch von den Wohlfahrtseinrichtungen Ausgeschlossenen, als das Aschen¬ brödel übrig, auf dessen Gedeihen der Staat bei seiner Steuerverteilung keine Rücksicht nimmt. Wie fehlerhaft dies ist, und wie notwendig es ist, dem für die Gesundheit einer staatlichen Gesellschaft ganz besonders wertvollen Mittel¬ stande mittelbar oder unmittelbar Schutz und Gunst zu erweisen, ist meines Erinuerns schon von andrer Seite hier einmal dargelegt worden. Auch das, was ich im folgenden auszuführen versuche, ist möglicherweise schon von andern ausgesprochen worden, doch können meines Erachtens die schlimmen Verhält¬ nisse nicht oft genug vorgestellt und erwogen werden. Bei der Erwägung, ob jedem „Stande" nach seinem Werte für den ganzen Staat bei der Lastenverteilung Gerechtigkeit widerfahren sei, lasse man einmal die Gesellschaftsgliederung nach Geld und Besitz außer acht; dann wird man finden, daß wohl keine Standesunterscheiduug größere Wertdifferenzeu für den Staat darstellt, als die des ledigen und des Familienstands. Die ganz überwältigende Bedeutung des Familienstands, d. h. der Wert eines „guten" Familienstands für das Staatswohl wird sofort in die Augen fallen. Denn Paarung und Bevölkernngsvermehrung kann ja auch ohne Familie stattfinden; an „guten" Bürgern Zuwachs zu erhalten darf der Staat jedoch nur dann erwarten, wenn die Kinder in den Familien zu Ehrgefühl und Sittlichkeit er¬ zogen werden. Schulunterricht und Jnternatsdrill können die Erziehung in der Familie niemals ersetzen, und selbst für die Lehren der Religion muß das Kind erst im Hause empfänglich gemacht werden. Was thut nun der Staat auf dem Gebiete der Lastenverteilung zur Förde¬ rung und zu Gunsten eines guten Familienstands? Soviel wie gar nichts! Denn die paar zur Entlastung von Familienvätern gewährten Begünstigungen (§ 18 und 19 des Einkommensteuergesetzes) siud so geringfügig, daß sie nicht in Betracht kommen; i» den dringlichsten Fällen wird nämlich der Stener- betrag um 3 bis höchstens 62 Mark gemindert, während doch (in meinem Wohnorte) ein Familienvater, der sechs Kinder in drei oder mehr verschiedne höhere Schulen schickt, allein 800 Mark Schulgeld zu zahlen hat. Der Familien¬ vater ist unter den jetzigen Verhältnissen der wirkliche Steuerpackesel. Der Staat thut anscheinend sogar sein möglichstes, von der Familiengründung abzuschrecken und zur Ehelosigkeit zu drängen; ja er begünstigt sogar die wilde Ehe mit, seiner Steuergesetzgebung. Wenn nämlich von einem Pärchen Mann und Weib je 1000 Mark Einkommen zu versteuern haben, so bezahlen beide, so lange sie in wilder Ehe zusammenleben und der Mann etwa bei der Frau nur in Schlafstelle liegt, zusammen jährlich 12 Mark (je Mark) an Steuern; sobald sie aber ihr Zusammenleben legitimieren und hierdurch die Gemeinsam-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/420>, abgerufen am 28.09.2024.