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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

gehalten worden. So etwas wäre an einer deutschen Universität nicht denkbar,
und das Warum? führt uns natürlich nicht aus die deutschen Studenten,
sondern auf den Basler Professor hin. Ein bedeutender Mann läßt seinen
Geist reflektieren auf einen Gegenstand seiner freien Wahl, zu dem ihn keinerlei
äußerer oder innerer Beruf verpflichtet; es ist gewissermaßen überschüssige
Kraft, die sich hier versucht. Auswahl, Auffassung, Abhandlung, Ausdruck,
alles gerät so individuell und wirkt so persönlich, wie es der berufsmäßige
Philologe gar nicht hätte geben können, auch wenn er wirklich ein Stück von
Burckhardts Geist gehabt hätte. Burckhardt konnte die neuere Fachlitteratur
so gut wie ganz beiseite lassen und seine Kenntnisse durch eigne Lektüre der
alten Schriftsteller neu aufbauen. Wenn ihm aber dabei nicht fehr vieles ent¬
gangen wäre, so müßten ja die Philologen der letzten vierzig Jahre umsonst
gearbeitet haben. Es ist auch durchaus nichts besondres, daß einem Manne,
der so hoch wie Burckhardt von aller wissenschaftlichen Arbeit dachte, im Verkehr
mit philologischen Kollegen bisweilen das Bedenken kam, ob er das Buch auch
besser nicht drücke" ließe, und der verstorbne junge Professor, den der Heraus¬
geber im Vorwort erwähnt, war zwar ein feiner und scharfer Kopf, er zeichnete
sich aber keineswegs durch großen Umfang der Kenntnisse aus. Wozu brauchte
man denn überhaupt noch Vertreter eines Faches, wenn diese darin nicht
manches wüßten, was kein andrer kennt! -- Man sollte darum dieses Werk
mit keinem Buche der Fachlitteratur vergleichen. Es ist ein Buch von Jakob
Burckhardt, darin liegt seine Bedeutung. Auch der Hinweis auf die "Kultur
der Renaissance" scheint mir für das nachgelassene Werk nicht günstig zu sein.
In jenem Buche war, als es erschien, nicht etwa bloß den meisten so gut wie
alles neu, sondern allen ohne Ausnahme war das meiste neu, und was man
unter Kultur der Renaissance zu versteh" hatte, war zum erstenmale festgestellt,
nicht etwa uur für deutsche Leser, sondern für italienische erst recht, und nur
die feine Behutsamkeit der Diktion, der echte Ausdruck eines bescheidnen Herzens
kann Unkundige zu dem Mißverständnis verleiten, als hätte es sich bei der
"Kultur der Renaissance" um eine Art besserer Kompilation gehandelt. Diesen
Vorzug eines neuen Inhalts kann das nachgelassene Werk nicht haben. Nicht
einmal ein umfassendes oder in Bezug auf bestimmte Punkte besondres, ent¬
legnes Wissen wird man daran bewundern, billigerweise freilich auch nicht er¬
wartet haben, denn das vielumhergetragne Wort Nietzsches, Burckhardt wäre
der beste lebende Kenner des griechischen Altertums, sollte man unter den
mancherlei Unmaßgeblichkeiten Zarcithustras ruhen und verstummen lassen. Die
Wertschätzung Burckhardts muß, denke ich, mit der Voraussetzung beginnen,
daß man ihn überall von den Ansprüchen, die man an den Fachmann stellen
würde, dispensiert. Man soll z. B. nicht an das viele denken, was fehlt in
einem Buche, das sich Kulturgeschichte nennt, sondern sich halten an das, was
vorhanden ist: ein Durchschnitt durch das Leben der entwickelten Zeit mit


Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

gehalten worden. So etwas wäre an einer deutschen Universität nicht denkbar,
und das Warum? führt uns natürlich nicht aus die deutschen Studenten,
sondern auf den Basler Professor hin. Ein bedeutender Mann läßt seinen
Geist reflektieren auf einen Gegenstand seiner freien Wahl, zu dem ihn keinerlei
äußerer oder innerer Beruf verpflichtet; es ist gewissermaßen überschüssige
Kraft, die sich hier versucht. Auswahl, Auffassung, Abhandlung, Ausdruck,
alles gerät so individuell und wirkt so persönlich, wie es der berufsmäßige
Philologe gar nicht hätte geben können, auch wenn er wirklich ein Stück von
Burckhardts Geist gehabt hätte. Burckhardt konnte die neuere Fachlitteratur
so gut wie ganz beiseite lassen und seine Kenntnisse durch eigne Lektüre der
alten Schriftsteller neu aufbauen. Wenn ihm aber dabei nicht fehr vieles ent¬
gangen wäre, so müßten ja die Philologen der letzten vierzig Jahre umsonst
gearbeitet haben. Es ist auch durchaus nichts besondres, daß einem Manne,
der so hoch wie Burckhardt von aller wissenschaftlichen Arbeit dachte, im Verkehr
mit philologischen Kollegen bisweilen das Bedenken kam, ob er das Buch auch
besser nicht drücke» ließe, und der verstorbne junge Professor, den der Heraus¬
geber im Vorwort erwähnt, war zwar ein feiner und scharfer Kopf, er zeichnete
sich aber keineswegs durch großen Umfang der Kenntnisse aus. Wozu brauchte
man denn überhaupt noch Vertreter eines Faches, wenn diese darin nicht
manches wüßten, was kein andrer kennt! — Man sollte darum dieses Werk
mit keinem Buche der Fachlitteratur vergleichen. Es ist ein Buch von Jakob
Burckhardt, darin liegt seine Bedeutung. Auch der Hinweis auf die „Kultur
der Renaissance" scheint mir für das nachgelassene Werk nicht günstig zu sein.
In jenem Buche war, als es erschien, nicht etwa bloß den meisten so gut wie
alles neu, sondern allen ohne Ausnahme war das meiste neu, und was man
unter Kultur der Renaissance zu versteh« hatte, war zum erstenmale festgestellt,
nicht etwa uur für deutsche Leser, sondern für italienische erst recht, und nur
die feine Behutsamkeit der Diktion, der echte Ausdruck eines bescheidnen Herzens
kann Unkundige zu dem Mißverständnis verleiten, als hätte es sich bei der
„Kultur der Renaissance" um eine Art besserer Kompilation gehandelt. Diesen
Vorzug eines neuen Inhalts kann das nachgelassene Werk nicht haben. Nicht
einmal ein umfassendes oder in Bezug auf bestimmte Punkte besondres, ent¬
legnes Wissen wird man daran bewundern, billigerweise freilich auch nicht er¬
wartet haben, denn das vielumhergetragne Wort Nietzsches, Burckhardt wäre
der beste lebende Kenner des griechischen Altertums, sollte man unter den
mancherlei Unmaßgeblichkeiten Zarcithustras ruhen und verstummen lassen. Die
Wertschätzung Burckhardts muß, denke ich, mit der Voraussetzung beginnen,
daß man ihn überall von den Ansprüchen, die man an den Fachmann stellen
würde, dispensiert. Man soll z. B. nicht an das viele denken, was fehlt in
einem Buche, das sich Kulturgeschichte nennt, sondern sich halten an das, was
vorhanden ist: ein Durchschnitt durch das Leben der entwickelten Zeit mit


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[0042] Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte gehalten worden. So etwas wäre an einer deutschen Universität nicht denkbar, und das Warum? führt uns natürlich nicht aus die deutschen Studenten, sondern auf den Basler Professor hin. Ein bedeutender Mann läßt seinen Geist reflektieren auf einen Gegenstand seiner freien Wahl, zu dem ihn keinerlei äußerer oder innerer Beruf verpflichtet; es ist gewissermaßen überschüssige Kraft, die sich hier versucht. Auswahl, Auffassung, Abhandlung, Ausdruck, alles gerät so individuell und wirkt so persönlich, wie es der berufsmäßige Philologe gar nicht hätte geben können, auch wenn er wirklich ein Stück von Burckhardts Geist gehabt hätte. Burckhardt konnte die neuere Fachlitteratur so gut wie ganz beiseite lassen und seine Kenntnisse durch eigne Lektüre der alten Schriftsteller neu aufbauen. Wenn ihm aber dabei nicht fehr vieles ent¬ gangen wäre, so müßten ja die Philologen der letzten vierzig Jahre umsonst gearbeitet haben. Es ist auch durchaus nichts besondres, daß einem Manne, der so hoch wie Burckhardt von aller wissenschaftlichen Arbeit dachte, im Verkehr mit philologischen Kollegen bisweilen das Bedenken kam, ob er das Buch auch besser nicht drücke» ließe, und der verstorbne junge Professor, den der Heraus¬ geber im Vorwort erwähnt, war zwar ein feiner und scharfer Kopf, er zeichnete sich aber keineswegs durch großen Umfang der Kenntnisse aus. Wozu brauchte man denn überhaupt noch Vertreter eines Faches, wenn diese darin nicht manches wüßten, was kein andrer kennt! — Man sollte darum dieses Werk mit keinem Buche der Fachlitteratur vergleichen. Es ist ein Buch von Jakob Burckhardt, darin liegt seine Bedeutung. Auch der Hinweis auf die „Kultur der Renaissance" scheint mir für das nachgelassene Werk nicht günstig zu sein. In jenem Buche war, als es erschien, nicht etwa bloß den meisten so gut wie alles neu, sondern allen ohne Ausnahme war das meiste neu, und was man unter Kultur der Renaissance zu versteh« hatte, war zum erstenmale festgestellt, nicht etwa uur für deutsche Leser, sondern für italienische erst recht, und nur die feine Behutsamkeit der Diktion, der echte Ausdruck eines bescheidnen Herzens kann Unkundige zu dem Mißverständnis verleiten, als hätte es sich bei der „Kultur der Renaissance" um eine Art besserer Kompilation gehandelt. Diesen Vorzug eines neuen Inhalts kann das nachgelassene Werk nicht haben. Nicht einmal ein umfassendes oder in Bezug auf bestimmte Punkte besondres, ent¬ legnes Wissen wird man daran bewundern, billigerweise freilich auch nicht er¬ wartet haben, denn das vielumhergetragne Wort Nietzsches, Burckhardt wäre der beste lebende Kenner des griechischen Altertums, sollte man unter den mancherlei Unmaßgeblichkeiten Zarcithustras ruhen und verstummen lassen. Die Wertschätzung Burckhardts muß, denke ich, mit der Voraussetzung beginnen, daß man ihn überall von den Ansprüchen, die man an den Fachmann stellen würde, dispensiert. Man soll z. B. nicht an das viele denken, was fehlt in einem Buche, das sich Kulturgeschichte nennt, sondern sich halten an das, was vorhanden ist: ein Durchschnitt durch das Leben der entwickelten Zeit mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/42>, abgerufen am 28.09.2024.