Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ungerechtigkeit unsrer Sieuerverteilung

Gesetz die Einkommen von mehr als 100000 Mark, deren Besitzer den "Zehnten"
und mehr als diesen leisten könnten, doch nnr mit der Abgabe von 4 vom
Hundert belastet, sondern noch mehr in der Größe der Stcuerstufen: der nur
900 Mark Einkommen genießende Bürger wird von der Steuerschraube schon
wieder höher gefaßt, sobald er jährlich 150 Mark mehr einnimmt, während
die Einkommen der Reichsten beim Steigen um 4999 Mark ganz unbesteuert
bleiben. Auch wage ich die Behauptung nicht wegen der Thatsache allein, daß
zur Deckung der Staatsausgaben noch Zollerträge und andre indirekte Auf¬
lagen in sehr bedeutenden Umfange ausgenutzt werden. Da die indirekte Be¬
steuerung sowohl große technische Vorteile als auch bequeme Handhaben für
die äußere und die innere Politik bietet, ist ja gar nicht abzusehen und vielleicht
auch nicht zu wünschen, daß sie bis zu einer geringen Bedeutung herab¬
gesetzt werde.

Die erwähnten Umstände sind es nicht oder wenigstens nicht allein, die in
unsrer Staatslastenverteilung eine große Ungerechtigkeit und eine schlimme Gefahr
für Volk und Staat ausmachen, sondern das größte Unrecht sehe ich in der
hierbei bewiesenen Mißachtung der stärksten Grundlagen unsrer Staats- und
Gesellschaftsordnung. Die einzige Rücksicht auf die für den Stantsbestand wirklich
segensreichen und wertvollen "Imponderabilien" kann nämlich meines Erachtens
bis jetzt nur in der Beschränkung der politischen Bürgerrechte auf das männliche
Geschlecht gefunden werden. Hierdurch hat der Staat aber wohl nur der Wehr-
haftigkeit der Männer eine Anerkennung zu teil werden lassen. Versuche man
dagegen ans der Laftenvcrteilung zu folgern, welche andern Eigenschaften,
welche Einrichtungen oder welche Bevölkerungsteile der Staat besonders be¬
günstigt und schützt, so wird man zu dem Schlüsse kommen, daß die Millionäre
die größte Bevorzugung genießen. Denn obwohl ihr Interesse an der Erhal-
tung des seine Rechtsordnung verbürgender Staates mit der Größe ihres
Einkommens gesteigert ist, brauchen sie doch an indirekten Abgaben nicht mehr
zu leisten als die Armen, und bei den direkten Steuern sind sie, wie schon
erwähnt, wenigstens durch die vergrößerten Abstufungen bevorzugt.

Nur aus Sorge für ihren Besitzstand, nicht aus edlern Beweggründen
sind, wie von sozialdemokratischer Seite behauptet wird, von den Kapitalisten
den Arbeitern die Wohlfahrtseinrichtungen der Kranken-, Unfall- und Jnvali-
ditüts- und Altersversicherungen zugestanden worden. (Die Begehrlichkeit der
Besitzlosen gilt als selbstverständlich, daher auch der materialistische Zug unsrer
Gesetze, die die Eigentumsvergehen unverhältnismäßig streng bestrafen und da¬
durch die Besitzenden, wie auch in dem eben erwähnten Falle, bevorzugen.) Zu
den Wohlthaten für den Arbeiterstand oder die "Besitzlosen" tragen aber, soweit
die Kosten nicht von Arbeitgebern und Arbeitern allein aufgebracht werden,
nicht etwa nur die Millionäre und Kapitalisten bei, sondern das gesamte Volk.
Erkennt man also an, daß selbst die den Arbeiter" mit den Wohlfahrtsein-


Die Ungerechtigkeit unsrer Sieuerverteilung

Gesetz die Einkommen von mehr als 100000 Mark, deren Besitzer den „Zehnten"
und mehr als diesen leisten könnten, doch nnr mit der Abgabe von 4 vom
Hundert belastet, sondern noch mehr in der Größe der Stcuerstufen: der nur
900 Mark Einkommen genießende Bürger wird von der Steuerschraube schon
wieder höher gefaßt, sobald er jährlich 150 Mark mehr einnimmt, während
die Einkommen der Reichsten beim Steigen um 4999 Mark ganz unbesteuert
bleiben. Auch wage ich die Behauptung nicht wegen der Thatsache allein, daß
zur Deckung der Staatsausgaben noch Zollerträge und andre indirekte Auf¬
lagen in sehr bedeutenden Umfange ausgenutzt werden. Da die indirekte Be¬
steuerung sowohl große technische Vorteile als auch bequeme Handhaben für
die äußere und die innere Politik bietet, ist ja gar nicht abzusehen und vielleicht
auch nicht zu wünschen, daß sie bis zu einer geringen Bedeutung herab¬
gesetzt werde.

Die erwähnten Umstände sind es nicht oder wenigstens nicht allein, die in
unsrer Staatslastenverteilung eine große Ungerechtigkeit und eine schlimme Gefahr
für Volk und Staat ausmachen, sondern das größte Unrecht sehe ich in der
hierbei bewiesenen Mißachtung der stärksten Grundlagen unsrer Staats- und
Gesellschaftsordnung. Die einzige Rücksicht auf die für den Stantsbestand wirklich
segensreichen und wertvollen „Imponderabilien" kann nämlich meines Erachtens
bis jetzt nur in der Beschränkung der politischen Bürgerrechte auf das männliche
Geschlecht gefunden werden. Hierdurch hat der Staat aber wohl nur der Wehr-
haftigkeit der Männer eine Anerkennung zu teil werden lassen. Versuche man
dagegen ans der Laftenvcrteilung zu folgern, welche andern Eigenschaften,
welche Einrichtungen oder welche Bevölkerungsteile der Staat besonders be¬
günstigt und schützt, so wird man zu dem Schlüsse kommen, daß die Millionäre
die größte Bevorzugung genießen. Denn obwohl ihr Interesse an der Erhal-
tung des seine Rechtsordnung verbürgender Staates mit der Größe ihres
Einkommens gesteigert ist, brauchen sie doch an indirekten Abgaben nicht mehr
zu leisten als die Armen, und bei den direkten Steuern sind sie, wie schon
erwähnt, wenigstens durch die vergrößerten Abstufungen bevorzugt.

Nur aus Sorge für ihren Besitzstand, nicht aus edlern Beweggründen
sind, wie von sozialdemokratischer Seite behauptet wird, von den Kapitalisten
den Arbeitern die Wohlfahrtseinrichtungen der Kranken-, Unfall- und Jnvali-
ditüts- und Altersversicherungen zugestanden worden. (Die Begehrlichkeit der
Besitzlosen gilt als selbstverständlich, daher auch der materialistische Zug unsrer
Gesetze, die die Eigentumsvergehen unverhältnismäßig streng bestrafen und da¬
durch die Besitzenden, wie auch in dem eben erwähnten Falle, bevorzugen.) Zu
den Wohlthaten für den Arbeiterstand oder die „Besitzlosen" tragen aber, soweit
die Kosten nicht von Arbeitgebern und Arbeitern allein aufgebracht werden,
nicht etwa nur die Millionäre und Kapitalisten bei, sondern das gesamte Volk.
Erkennt man also an, daß selbst die den Arbeiter» mit den Wohlfahrtsein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230851"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ungerechtigkeit unsrer Sieuerverteilung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1420" prev="#ID_1419"> Gesetz die Einkommen von mehr als 100000 Mark, deren Besitzer den &#x201E;Zehnten"<lb/>
und mehr als diesen leisten könnten, doch nnr mit der Abgabe von 4 vom<lb/>
Hundert belastet, sondern noch mehr in der Größe der Stcuerstufen: der nur<lb/>
900 Mark Einkommen genießende Bürger wird von der Steuerschraube schon<lb/>
wieder höher gefaßt, sobald er jährlich 150 Mark mehr einnimmt, während<lb/>
die Einkommen der Reichsten beim Steigen um 4999 Mark ganz unbesteuert<lb/>
bleiben. Auch wage ich die Behauptung nicht wegen der Thatsache allein, daß<lb/>
zur Deckung der Staatsausgaben noch Zollerträge und andre indirekte Auf¬<lb/>
lagen in sehr bedeutenden Umfange ausgenutzt werden. Da die indirekte Be¬<lb/>
steuerung sowohl große technische Vorteile als auch bequeme Handhaben für<lb/>
die äußere und die innere Politik bietet, ist ja gar nicht abzusehen und vielleicht<lb/>
auch nicht zu wünschen, daß sie bis zu einer geringen Bedeutung herab¬<lb/>
gesetzt werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1421"> Die erwähnten Umstände sind es nicht oder wenigstens nicht allein, die in<lb/>
unsrer Staatslastenverteilung eine große Ungerechtigkeit und eine schlimme Gefahr<lb/>
für Volk und Staat ausmachen, sondern das größte Unrecht sehe ich in der<lb/>
hierbei bewiesenen Mißachtung der stärksten Grundlagen unsrer Staats- und<lb/>
Gesellschaftsordnung. Die einzige Rücksicht auf die für den Stantsbestand wirklich<lb/>
segensreichen und wertvollen &#x201E;Imponderabilien" kann nämlich meines Erachtens<lb/>
bis jetzt nur in der Beschränkung der politischen Bürgerrechte auf das männliche<lb/>
Geschlecht gefunden werden. Hierdurch hat der Staat aber wohl nur der Wehr-<lb/>
haftigkeit der Männer eine Anerkennung zu teil werden lassen. Versuche man<lb/>
dagegen ans der Laftenvcrteilung zu folgern, welche andern Eigenschaften,<lb/>
welche Einrichtungen oder welche Bevölkerungsteile der Staat besonders be¬<lb/>
günstigt und schützt, so wird man zu dem Schlüsse kommen, daß die Millionäre<lb/>
die größte Bevorzugung genießen. Denn obwohl ihr Interesse an der Erhal-<lb/>
tung des seine Rechtsordnung verbürgender Staates mit der Größe ihres<lb/>
Einkommens gesteigert ist, brauchen sie doch an indirekten Abgaben nicht mehr<lb/>
zu leisten als die Armen, und bei den direkten Steuern sind sie, wie schon<lb/>
erwähnt, wenigstens durch die vergrößerten Abstufungen bevorzugt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1422" next="#ID_1423"> Nur aus Sorge für ihren Besitzstand, nicht aus edlern Beweggründen<lb/>
sind, wie von sozialdemokratischer Seite behauptet wird, von den Kapitalisten<lb/>
den Arbeitern die Wohlfahrtseinrichtungen der Kranken-, Unfall- und Jnvali-<lb/>
ditüts- und Altersversicherungen zugestanden worden. (Die Begehrlichkeit der<lb/>
Besitzlosen gilt als selbstverständlich, daher auch der materialistische Zug unsrer<lb/>
Gesetze, die die Eigentumsvergehen unverhältnismäßig streng bestrafen und da¬<lb/>
durch die Besitzenden, wie auch in dem eben erwähnten Falle, bevorzugen.) Zu<lb/>
den Wohlthaten für den Arbeiterstand oder die &#x201E;Besitzlosen" tragen aber, soweit<lb/>
die Kosten nicht von Arbeitgebern und Arbeitern allein aufgebracht werden,<lb/>
nicht etwa nur die Millionäre und Kapitalisten bei, sondern das gesamte Volk.<lb/>
Erkennt man also an, daß selbst die den Arbeiter» mit den Wohlfahrtsein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Die Ungerechtigkeit unsrer Sieuerverteilung Gesetz die Einkommen von mehr als 100000 Mark, deren Besitzer den „Zehnten" und mehr als diesen leisten könnten, doch nnr mit der Abgabe von 4 vom Hundert belastet, sondern noch mehr in der Größe der Stcuerstufen: der nur 900 Mark Einkommen genießende Bürger wird von der Steuerschraube schon wieder höher gefaßt, sobald er jährlich 150 Mark mehr einnimmt, während die Einkommen der Reichsten beim Steigen um 4999 Mark ganz unbesteuert bleiben. Auch wage ich die Behauptung nicht wegen der Thatsache allein, daß zur Deckung der Staatsausgaben noch Zollerträge und andre indirekte Auf¬ lagen in sehr bedeutenden Umfange ausgenutzt werden. Da die indirekte Be¬ steuerung sowohl große technische Vorteile als auch bequeme Handhaben für die äußere und die innere Politik bietet, ist ja gar nicht abzusehen und vielleicht auch nicht zu wünschen, daß sie bis zu einer geringen Bedeutung herab¬ gesetzt werde. Die erwähnten Umstände sind es nicht oder wenigstens nicht allein, die in unsrer Staatslastenverteilung eine große Ungerechtigkeit und eine schlimme Gefahr für Volk und Staat ausmachen, sondern das größte Unrecht sehe ich in der hierbei bewiesenen Mißachtung der stärksten Grundlagen unsrer Staats- und Gesellschaftsordnung. Die einzige Rücksicht auf die für den Stantsbestand wirklich segensreichen und wertvollen „Imponderabilien" kann nämlich meines Erachtens bis jetzt nur in der Beschränkung der politischen Bürgerrechte auf das männliche Geschlecht gefunden werden. Hierdurch hat der Staat aber wohl nur der Wehr- haftigkeit der Männer eine Anerkennung zu teil werden lassen. Versuche man dagegen ans der Laftenvcrteilung zu folgern, welche andern Eigenschaften, welche Einrichtungen oder welche Bevölkerungsteile der Staat besonders be¬ günstigt und schützt, so wird man zu dem Schlüsse kommen, daß die Millionäre die größte Bevorzugung genießen. Denn obwohl ihr Interesse an der Erhal- tung des seine Rechtsordnung verbürgender Staates mit der Größe ihres Einkommens gesteigert ist, brauchen sie doch an indirekten Abgaben nicht mehr zu leisten als die Armen, und bei den direkten Steuern sind sie, wie schon erwähnt, wenigstens durch die vergrößerten Abstufungen bevorzugt. Nur aus Sorge für ihren Besitzstand, nicht aus edlern Beweggründen sind, wie von sozialdemokratischer Seite behauptet wird, von den Kapitalisten den Arbeitern die Wohlfahrtseinrichtungen der Kranken-, Unfall- und Jnvali- ditüts- und Altersversicherungen zugestanden worden. (Die Begehrlichkeit der Besitzlosen gilt als selbstverständlich, daher auch der materialistische Zug unsrer Gesetze, die die Eigentumsvergehen unverhältnismäßig streng bestrafen und da¬ durch die Besitzenden, wie auch in dem eben erwähnten Falle, bevorzugen.) Zu den Wohlthaten für den Arbeiterstand oder die „Besitzlosen" tragen aber, soweit die Kosten nicht von Arbeitgebern und Arbeitern allein aufgebracht werden, nicht etwa nur die Millionäre und Kapitalisten bei, sondern das gesamte Volk. Erkennt man also an, daß selbst die den Arbeiter» mit den Wohlfahrtsein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/419>, abgerufen am 28.09.2024.