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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Religion -- wird besonders angenehm empfunden, aber die Weisen aller Zeiten
und Völker haben nun einmal gemeint, etwas dergleichen sei notwendig, um
die Ordnung aufrecht und den Menschen in den Strängen zu erhalten, mit
denen er seinen Pflichtkarren schleppt.

Mit alledem soll weder die römische Religion verhimmelt, noch die christ¬
liche herabgesetzt werden. Aber es mußte gesagt werden, weil man die wunder¬
baren Erfolge der Römer nicht versteh" kann ohne die Kenntnis ihrer tiefen
Religiosität, und weil das Wunder unerklärt bleibt, wenn ihre Religion nur
ein kindischer Aberglaube war. Aberglaube war sie freilich, indem sie einen
falschen Zusammenhang der Erscheinungen annahm und sich von der jenseitigen
Grundursache der Erscheinungen willkürliche Vorstellungen bildete. Aber das
erste thut jede Religion, bevor die richtige Naturerkenntnis allgemein verbreitet
worden ist, sodaß es vor dem neunzehnten Jahrhundert überhaupt keine andern
als abergläubische Religionen gegeben hat, und das zweite macht die Philo¬
sophie auch dem dogmatischen Kerne des Christentums zum Vorwurf, sodaß
dem Freigeist alle Dogmen ohne Ausnahme als Aberglaube erscheinen. Die
Römer hatten die Religion, deren sie fähig waren, und deren sie zur Er¬
füllung ihres weltgeschichtlichen Berufs bedurften. Sie waren erfüllt von
heiliger Scheu vor dem die Welt durchdringenden und beherrschenden Gesetze
und voll Selbstvertrauen in dem Bewußtsein der Einheit ihres Geistes mit
dem göttlichen Geiste. Aus dieser Scheu und diesem Geiste heraus gestalteten
und handhabten sie ihren "Aberglauben." Aus diesem Volksgeiste schöpften
ihre Senatoren die Staatsweisheit und alle Männer ohne Ausnahme ihre
Pflichttreue und Todesverachtung. So kam es, daß sie gegen freiwillig sich
Unterwerfende staatskluge und menschenfreundliche Milde walten ließen, aber
niemals nach Niederlagen einen Frieden schlössen, den andre, nicht sie selbst
diktiert hätten, und daß sie in keiner noch so großen Not verzagten. Kein
Zweifel auch, daß außer dieser unerschütterlichen Selbstgewißheit ihre gewissen¬
hafte Zuverlässigkeit die Hauptursache ihrer Erfolge war; denn in dem ewigen
Kleinkriege der kleinen Staaten Mittelitaliens wäre es so wenig wie in Griechen¬
land zu einem Einheitsstaate gekommen, wenn nicht bei der Wahl zwischen
zwei Bundesgenossenschaften das Zünglein zuletzt immer zu Gunsten des zu¬
verlässigem Roms aufgeschlagen wäre; und dieselbe Eigenschaft gab diesem
dann später das Übergewicht über die schon bestehenden Großstaaten des Ostens
und über die Barbaren im Süden und Norden, "deren Vertragstreue vom
Erfolg abhängt" (Livius 28, 17). Und dieser Geist war es, der Frauen schuf,
die solcher Männer würdig waren, und der aus reinen, wohlgeordneten Familien
siebzehn Geschlechtsfolgen hindurch wackre Kinder hervorgehn ließ und später
dann noch als Nachblüte so manchen großen Mann, der endlich Ordnungen
schuf, die deu Geist, der sie erzeugt hatte, um Jahrhunderte, ja um Jahr¬
tausende überdauerten.


Der Römerstaat

Religion — wird besonders angenehm empfunden, aber die Weisen aller Zeiten
und Völker haben nun einmal gemeint, etwas dergleichen sei notwendig, um
die Ordnung aufrecht und den Menschen in den Strängen zu erhalten, mit
denen er seinen Pflichtkarren schleppt.

Mit alledem soll weder die römische Religion verhimmelt, noch die christ¬
liche herabgesetzt werden. Aber es mußte gesagt werden, weil man die wunder¬
baren Erfolge der Römer nicht versteh» kann ohne die Kenntnis ihrer tiefen
Religiosität, und weil das Wunder unerklärt bleibt, wenn ihre Religion nur
ein kindischer Aberglaube war. Aberglaube war sie freilich, indem sie einen
falschen Zusammenhang der Erscheinungen annahm und sich von der jenseitigen
Grundursache der Erscheinungen willkürliche Vorstellungen bildete. Aber das
erste thut jede Religion, bevor die richtige Naturerkenntnis allgemein verbreitet
worden ist, sodaß es vor dem neunzehnten Jahrhundert überhaupt keine andern
als abergläubische Religionen gegeben hat, und das zweite macht die Philo¬
sophie auch dem dogmatischen Kerne des Christentums zum Vorwurf, sodaß
dem Freigeist alle Dogmen ohne Ausnahme als Aberglaube erscheinen. Die
Römer hatten die Religion, deren sie fähig waren, und deren sie zur Er¬
füllung ihres weltgeschichtlichen Berufs bedurften. Sie waren erfüllt von
heiliger Scheu vor dem die Welt durchdringenden und beherrschenden Gesetze
und voll Selbstvertrauen in dem Bewußtsein der Einheit ihres Geistes mit
dem göttlichen Geiste. Aus dieser Scheu und diesem Geiste heraus gestalteten
und handhabten sie ihren „Aberglauben." Aus diesem Volksgeiste schöpften
ihre Senatoren die Staatsweisheit und alle Männer ohne Ausnahme ihre
Pflichttreue und Todesverachtung. So kam es, daß sie gegen freiwillig sich
Unterwerfende staatskluge und menschenfreundliche Milde walten ließen, aber
niemals nach Niederlagen einen Frieden schlössen, den andre, nicht sie selbst
diktiert hätten, und daß sie in keiner noch so großen Not verzagten. Kein
Zweifel auch, daß außer dieser unerschütterlichen Selbstgewißheit ihre gewissen¬
hafte Zuverlässigkeit die Hauptursache ihrer Erfolge war; denn in dem ewigen
Kleinkriege der kleinen Staaten Mittelitaliens wäre es so wenig wie in Griechen¬
land zu einem Einheitsstaate gekommen, wenn nicht bei der Wahl zwischen
zwei Bundesgenossenschaften das Zünglein zuletzt immer zu Gunsten des zu¬
verlässigem Roms aufgeschlagen wäre; und dieselbe Eigenschaft gab diesem
dann später das Übergewicht über die schon bestehenden Großstaaten des Ostens
und über die Barbaren im Süden und Norden, „deren Vertragstreue vom
Erfolg abhängt" (Livius 28, 17). Und dieser Geist war es, der Frauen schuf,
die solcher Männer würdig waren, und der aus reinen, wohlgeordneten Familien
siebzehn Geschlechtsfolgen hindurch wackre Kinder hervorgehn ließ und später
dann noch als Nachblüte so manchen großen Mann, der endlich Ordnungen
schuf, die deu Geist, der sie erzeugt hatte, um Jahrhunderte, ja um Jahr¬
tausende überdauerten.


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[0368] Der Römerstaat Religion — wird besonders angenehm empfunden, aber die Weisen aller Zeiten und Völker haben nun einmal gemeint, etwas dergleichen sei notwendig, um die Ordnung aufrecht und den Menschen in den Strängen zu erhalten, mit denen er seinen Pflichtkarren schleppt. Mit alledem soll weder die römische Religion verhimmelt, noch die christ¬ liche herabgesetzt werden. Aber es mußte gesagt werden, weil man die wunder¬ baren Erfolge der Römer nicht versteh» kann ohne die Kenntnis ihrer tiefen Religiosität, und weil das Wunder unerklärt bleibt, wenn ihre Religion nur ein kindischer Aberglaube war. Aberglaube war sie freilich, indem sie einen falschen Zusammenhang der Erscheinungen annahm und sich von der jenseitigen Grundursache der Erscheinungen willkürliche Vorstellungen bildete. Aber das erste thut jede Religion, bevor die richtige Naturerkenntnis allgemein verbreitet worden ist, sodaß es vor dem neunzehnten Jahrhundert überhaupt keine andern als abergläubische Religionen gegeben hat, und das zweite macht die Philo¬ sophie auch dem dogmatischen Kerne des Christentums zum Vorwurf, sodaß dem Freigeist alle Dogmen ohne Ausnahme als Aberglaube erscheinen. Die Römer hatten die Religion, deren sie fähig waren, und deren sie zur Er¬ füllung ihres weltgeschichtlichen Berufs bedurften. Sie waren erfüllt von heiliger Scheu vor dem die Welt durchdringenden und beherrschenden Gesetze und voll Selbstvertrauen in dem Bewußtsein der Einheit ihres Geistes mit dem göttlichen Geiste. Aus dieser Scheu und diesem Geiste heraus gestalteten und handhabten sie ihren „Aberglauben." Aus diesem Volksgeiste schöpften ihre Senatoren die Staatsweisheit und alle Männer ohne Ausnahme ihre Pflichttreue und Todesverachtung. So kam es, daß sie gegen freiwillig sich Unterwerfende staatskluge und menschenfreundliche Milde walten ließen, aber niemals nach Niederlagen einen Frieden schlössen, den andre, nicht sie selbst diktiert hätten, und daß sie in keiner noch so großen Not verzagten. Kein Zweifel auch, daß außer dieser unerschütterlichen Selbstgewißheit ihre gewissen¬ hafte Zuverlässigkeit die Hauptursache ihrer Erfolge war; denn in dem ewigen Kleinkriege der kleinen Staaten Mittelitaliens wäre es so wenig wie in Griechen¬ land zu einem Einheitsstaate gekommen, wenn nicht bei der Wahl zwischen zwei Bundesgenossenschaften das Zünglein zuletzt immer zu Gunsten des zu¬ verlässigem Roms aufgeschlagen wäre; und dieselbe Eigenschaft gab diesem dann später das Übergewicht über die schon bestehenden Großstaaten des Ostens und über die Barbaren im Süden und Norden, „deren Vertragstreue vom Erfolg abhängt" (Livius 28, 17). Und dieser Geist war es, der Frauen schuf, die solcher Männer würdig waren, und der aus reinen, wohlgeordneten Familien siebzehn Geschlechtsfolgen hindurch wackre Kinder hervorgehn ließ und später dann noch als Nachblüte so manchen großen Mann, der endlich Ordnungen schuf, die deu Geist, der sie erzeugt hatte, um Jahrhunderte, ja um Jahr¬ tausende überdauerten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/368>, abgerufen am 28.09.2024.