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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

haben sie uns denn das Vaterland wiedergegeben, und den Sieg, und den
Verlornen Kriegsruhm, und haben Schrecken, Flucht und Niederlage dem Feinde
zugewandt, der, von Habsucht verblendet, sein Wort und die Vertragstreue
brach. Wie könnten wir angesichts dieser Bekundungen des göttlichen Waltens
einen neuen Frevel begehn? Wir haben eine Stadt, die uach dem geoffen¬
barten Willen der Gottheit (g-uspieg-to iQMg'urÄwauö) gegründet worden ist;
es giebt kein Plätzchen in ihr, das nicht der Gottheit und Religion voll wäre;
mit der Zahl der Opferplätze wetteifert die der Opfertage. Und alle diese
Staats- und Hausgötter wollt ihr verlassen, Quiriten?" Ein von Gott zu
Großem ausersehener Ort ist voll des Gottes, und Veji wäre nimmermehr
Rom geworden: ein wankendes Volk bei seiner weltgeschichtlichen Aufgabe fest¬
halten, das ist wahrlich keine Sache, die außerhalb des religiösen Gebiets
lüge. Und sollte Rom werden, was es geworden ist, so mußten sein Geist
und seine Traditionen rein erhalten werden. Wir können daher auch dem Ver¬
halten des T. Martius, wie es Livius 8, 5 darstellt, den religiösen Charakter
nicht absprechen. Als der Senat schwankte, ob er nicht dem Verlangen der
ladinischen Bundesgenossen nach der Hälfte der Senatorensitze und einem der
beiden Kousulsesseln nachgeben solle, da erklärte dieser Mann, er werde jeden
Latiner niederhauen, den er einen Platz in der Kurie einnehmen sähe, und
rief: "Vernimm, o Jupiter, diesen Frevel, vernehmt ihn, Jus und Fas!
Fremde Konsuln und einen fremden Senat in dem dir geweihten Tempel --
kannst du, o Jupiter, das ertragen?"

Vor allem aber beruhte die Heiligkeit der Familie auf der Gottesfurcht.
Über diesen Charakterzug des römischen Lebens ausführlich zu sprechen wäre
überflüssig, jedermann kennt ihn; nur gegen das noch nicht ganz verschwundne
Vorurteil, als ob die unumschränkte väterliche Gewalt eine grausame Barbarei
gewesen wäre, müssen einige Worte gesagt werden. In der Urzeit, wo der
Staat nichts ist als die Gesamtheit der Hausväter, sind diese die einzigen
Träger aller Autorität. Nichts wäre widersinniger, als wenn jedem Haus¬
vater die übrigen Hausväter in sein Haus hineinregieren wollten; es wäre
das gerade so, wie wenn uns heute ein beliebiger Nachbar ins Haus käme
und in unsern vier Pfählen Polizei und Justiz üben wollte. Gesetzlich un¬
umschränkt mußte die Gewalt des Hausvaters sein, weil eben ein Hausvater
beim andern nichts zu sagen hatte, also niemand da war, der eine Schranke
hätte ziehen können, kein über den Bürgern stehender Staat, keine Büreau-
kratie. Gesetze konnte die Versammlung der Hausväter nur geben, d. h.
Vereinbarungen konnte sie nur treffen in Beziehung auf Angelegenheiten, die
ihnen gemeinsam waren, wie Viehweide, Beamtenwahl, Krieg und Steuern;
aber das Haus eines jeden war eben keine allgemeine, sondern eine private,
ja die private Angelegenheit, denn Kommunismus herrschte nicht. Daß
diese unumschränkte Gewalt nicht in Grausamkeit ausartete, dafür sorgten


Der Römerstaat

haben sie uns denn das Vaterland wiedergegeben, und den Sieg, und den
Verlornen Kriegsruhm, und haben Schrecken, Flucht und Niederlage dem Feinde
zugewandt, der, von Habsucht verblendet, sein Wort und die Vertragstreue
brach. Wie könnten wir angesichts dieser Bekundungen des göttlichen Waltens
einen neuen Frevel begehn? Wir haben eine Stadt, die uach dem geoffen¬
barten Willen der Gottheit (g-uspieg-to iQMg'urÄwauö) gegründet worden ist;
es giebt kein Plätzchen in ihr, das nicht der Gottheit und Religion voll wäre;
mit der Zahl der Opferplätze wetteifert die der Opfertage. Und alle diese
Staats- und Hausgötter wollt ihr verlassen, Quiriten?" Ein von Gott zu
Großem ausersehener Ort ist voll des Gottes, und Veji wäre nimmermehr
Rom geworden: ein wankendes Volk bei seiner weltgeschichtlichen Aufgabe fest¬
halten, das ist wahrlich keine Sache, die außerhalb des religiösen Gebiets
lüge. Und sollte Rom werden, was es geworden ist, so mußten sein Geist
und seine Traditionen rein erhalten werden. Wir können daher auch dem Ver¬
halten des T. Martius, wie es Livius 8, 5 darstellt, den religiösen Charakter
nicht absprechen. Als der Senat schwankte, ob er nicht dem Verlangen der
ladinischen Bundesgenossen nach der Hälfte der Senatorensitze und einem der
beiden Kousulsesseln nachgeben solle, da erklärte dieser Mann, er werde jeden
Latiner niederhauen, den er einen Platz in der Kurie einnehmen sähe, und
rief: „Vernimm, o Jupiter, diesen Frevel, vernehmt ihn, Jus und Fas!
Fremde Konsuln und einen fremden Senat in dem dir geweihten Tempel —
kannst du, o Jupiter, das ertragen?"

Vor allem aber beruhte die Heiligkeit der Familie auf der Gottesfurcht.
Über diesen Charakterzug des römischen Lebens ausführlich zu sprechen wäre
überflüssig, jedermann kennt ihn; nur gegen das noch nicht ganz verschwundne
Vorurteil, als ob die unumschränkte väterliche Gewalt eine grausame Barbarei
gewesen wäre, müssen einige Worte gesagt werden. In der Urzeit, wo der
Staat nichts ist als die Gesamtheit der Hausväter, sind diese die einzigen
Träger aller Autorität. Nichts wäre widersinniger, als wenn jedem Haus¬
vater die übrigen Hausväter in sein Haus hineinregieren wollten; es wäre
das gerade so, wie wenn uns heute ein beliebiger Nachbar ins Haus käme
und in unsern vier Pfählen Polizei und Justiz üben wollte. Gesetzlich un¬
umschränkt mußte die Gewalt des Hausvaters sein, weil eben ein Hausvater
beim andern nichts zu sagen hatte, also niemand da war, der eine Schranke
hätte ziehen können, kein über den Bürgern stehender Staat, keine Büreau-
kratie. Gesetze konnte die Versammlung der Hausväter nur geben, d. h.
Vereinbarungen konnte sie nur treffen in Beziehung auf Angelegenheiten, die
ihnen gemeinsam waren, wie Viehweide, Beamtenwahl, Krieg und Steuern;
aber das Haus eines jeden war eben keine allgemeine, sondern eine private,
ja die private Angelegenheit, denn Kommunismus herrschte nicht. Daß
diese unumschränkte Gewalt nicht in Grausamkeit ausartete, dafür sorgten


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[0363] Der Römerstaat haben sie uns denn das Vaterland wiedergegeben, und den Sieg, und den Verlornen Kriegsruhm, und haben Schrecken, Flucht und Niederlage dem Feinde zugewandt, der, von Habsucht verblendet, sein Wort und die Vertragstreue brach. Wie könnten wir angesichts dieser Bekundungen des göttlichen Waltens einen neuen Frevel begehn? Wir haben eine Stadt, die uach dem geoffen¬ barten Willen der Gottheit (g-uspieg-to iQMg'urÄwauö) gegründet worden ist; es giebt kein Plätzchen in ihr, das nicht der Gottheit und Religion voll wäre; mit der Zahl der Opferplätze wetteifert die der Opfertage. Und alle diese Staats- und Hausgötter wollt ihr verlassen, Quiriten?" Ein von Gott zu Großem ausersehener Ort ist voll des Gottes, und Veji wäre nimmermehr Rom geworden: ein wankendes Volk bei seiner weltgeschichtlichen Aufgabe fest¬ halten, das ist wahrlich keine Sache, die außerhalb des religiösen Gebiets lüge. Und sollte Rom werden, was es geworden ist, so mußten sein Geist und seine Traditionen rein erhalten werden. Wir können daher auch dem Ver¬ halten des T. Martius, wie es Livius 8, 5 darstellt, den religiösen Charakter nicht absprechen. Als der Senat schwankte, ob er nicht dem Verlangen der ladinischen Bundesgenossen nach der Hälfte der Senatorensitze und einem der beiden Kousulsesseln nachgeben solle, da erklärte dieser Mann, er werde jeden Latiner niederhauen, den er einen Platz in der Kurie einnehmen sähe, und rief: „Vernimm, o Jupiter, diesen Frevel, vernehmt ihn, Jus und Fas! Fremde Konsuln und einen fremden Senat in dem dir geweihten Tempel — kannst du, o Jupiter, das ertragen?" Vor allem aber beruhte die Heiligkeit der Familie auf der Gottesfurcht. Über diesen Charakterzug des römischen Lebens ausführlich zu sprechen wäre überflüssig, jedermann kennt ihn; nur gegen das noch nicht ganz verschwundne Vorurteil, als ob die unumschränkte väterliche Gewalt eine grausame Barbarei gewesen wäre, müssen einige Worte gesagt werden. In der Urzeit, wo der Staat nichts ist als die Gesamtheit der Hausväter, sind diese die einzigen Träger aller Autorität. Nichts wäre widersinniger, als wenn jedem Haus¬ vater die übrigen Hausväter in sein Haus hineinregieren wollten; es wäre das gerade so, wie wenn uns heute ein beliebiger Nachbar ins Haus käme und in unsern vier Pfählen Polizei und Justiz üben wollte. Gesetzlich un¬ umschränkt mußte die Gewalt des Hausvaters sein, weil eben ein Hausvater beim andern nichts zu sagen hatte, also niemand da war, der eine Schranke hätte ziehen können, kein über den Bürgern stehender Staat, keine Büreau- kratie. Gesetze konnte die Versammlung der Hausväter nur geben, d. h. Vereinbarungen konnte sie nur treffen in Beziehung auf Angelegenheiten, die ihnen gemeinsam waren, wie Viehweide, Beamtenwahl, Krieg und Steuern; aber das Haus eines jeden war eben keine allgemeine, sondern eine private, ja die private Angelegenheit, denn Kommunismus herrschte nicht. Daß diese unumschränkte Gewalt nicht in Grausamkeit ausartete, dafür sorgten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/363>, abgerufen am 28.09.2024.