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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

der Kriegführende von diesem Rechte Gebrauch machen dürfe und müsse, von
dem Rechte, alles zu thun, was der Kriegszweck erfordert, daß er aber nicht
darüber hinausgehen solle, heben Dionys und Livius öfter, dieser z. B. 28, 23
hervor. Demnach wird es für Recht erklärt, in einer erstürmten Stadt alle
zu töten, die bewaffneten Widerstand leisten, die übrigen aber, namentlich alle
Weiber und Kinder, zu Sklaven zu machen, entweder mit der sonstigen Beute
unter die Soldaten zu verteilen, oder sud IiÄ8t,g, für den Staat zu verkaufen.
Und einen andern Weg, den Kriegszweck zu erreichen, gab es unversöhnlichen
Feinden gegenüber wirklich nicht: ließ man in ihnen eine waffenfähige Mann¬
schaft heranwachsen, so rebellierten diese nach ein paar Jahren wieder. Wo
die Möglichkeit eines festen Bündnisses vorhanden war, wurde der ganzen Be¬
völkerung nicht allein das Leben, sondern anch die Freiheit gelassen. Nach
langjähriger Feindschaft und hartnäckigem Widerstande metzelten die durch die
Mühen der Belagerung erbitterten Soldaten wohl auch Unbewaffnete nieder,
aber der Feldherr that dem, wie in Veji, bald Einhalt. Bei der Erstürmung
von Jliturgi in Spanien war die Wut so unbezähmbar, daß usaus aä in-
fiwtiuin, og-LciLin u-Ä (zruäöli8 xe-rvönit; hier hatten aber auch die Weiber und
die Knaben mit gleicher Wut auf den Mauern bei der Verteidigung geholfen.
Daß Frauen und Mädchen, die für die Sklaverei bestimmt waren, geschändet
wurden, scheint vorgekommen zu sein; wenigstens wird sowohl bei den Römern
wie bei ihren Gegnern in den Ansprachen der Feldherren unter dem, was die
Soldaten zur äußersten Kraftanstrengung treiben müsse, auch die ihren Frauen
und Kindern drohende Schmach hervorgehoben"); doch kann damit auch gemeint
sein, was diese in der Sklaverei erwartet. Keinesfalls aber sind Grausamkeiten
vorgekommen, schändliche Verstümmelungen nach orientalischer Art, wie sie
später im christlichen Byzanz und bei den christlichen Romanen und Germanen
üblich wurden -- das Kinderaufspießen haben ja die Franzosen noch bei der
Verwüstung der Pfalz verübt --, greuliche Martern, um das Geständnis zu
erzwingen, wo der Bauer sein Geld versteckt habe, wie sie im Dreißigjährigen
Kriege an der Tagesordnung waren. Nur zwei barbarische Handlungen nach
orientalischer Art berichtet Livius. Im hannibalischen Kriege, wo die Bürger
gar nicht mehr aus den Waffen und aus dem Gemetzel herauskamen, daher
verwildern mußten, wo fortwährende Niederlagen erbitterten, wo Italien die
furchtbare Gefahr drohte, von schwarzen Scheusalen, von Menschenfressern
(Livius 23, 5) unterjocht zu werden, da haben die Römer das einemal einem
numidischen Spion (22,33), das andremal über siebzig Numidiern, die sich
unter dem Schein von Überläufern aus dem belagerten Capua als Boten und



Die Liebe zu Weib und Kindern setzen die Feldherrnansprnchen immer als die kräftigste
Triebfeder in Bewegung; Weib und Kinder werden jederzeit als die höchsten und teuersten Güter
genannt und -- bei den Unterhandlungen mit der auf de" hohen Berg ausgewanderten Plebs
z, B, -- als das festeste der Bänder, die an die Heimat fesseln.
Grenzboten II 18g" 45>
Der Römerstaat

der Kriegführende von diesem Rechte Gebrauch machen dürfe und müsse, von
dem Rechte, alles zu thun, was der Kriegszweck erfordert, daß er aber nicht
darüber hinausgehen solle, heben Dionys und Livius öfter, dieser z. B. 28, 23
hervor. Demnach wird es für Recht erklärt, in einer erstürmten Stadt alle
zu töten, die bewaffneten Widerstand leisten, die übrigen aber, namentlich alle
Weiber und Kinder, zu Sklaven zu machen, entweder mit der sonstigen Beute
unter die Soldaten zu verteilen, oder sud IiÄ8t,g, für den Staat zu verkaufen.
Und einen andern Weg, den Kriegszweck zu erreichen, gab es unversöhnlichen
Feinden gegenüber wirklich nicht: ließ man in ihnen eine waffenfähige Mann¬
schaft heranwachsen, so rebellierten diese nach ein paar Jahren wieder. Wo
die Möglichkeit eines festen Bündnisses vorhanden war, wurde der ganzen Be¬
völkerung nicht allein das Leben, sondern anch die Freiheit gelassen. Nach
langjähriger Feindschaft und hartnäckigem Widerstande metzelten die durch die
Mühen der Belagerung erbitterten Soldaten wohl auch Unbewaffnete nieder,
aber der Feldherr that dem, wie in Veji, bald Einhalt. Bei der Erstürmung
von Jliturgi in Spanien war die Wut so unbezähmbar, daß usaus aä in-
fiwtiuin, og-LciLin u-Ä (zruäöli8 xe-rvönit; hier hatten aber auch die Weiber und
die Knaben mit gleicher Wut auf den Mauern bei der Verteidigung geholfen.
Daß Frauen und Mädchen, die für die Sklaverei bestimmt waren, geschändet
wurden, scheint vorgekommen zu sein; wenigstens wird sowohl bei den Römern
wie bei ihren Gegnern in den Ansprachen der Feldherren unter dem, was die
Soldaten zur äußersten Kraftanstrengung treiben müsse, auch die ihren Frauen
und Kindern drohende Schmach hervorgehoben"); doch kann damit auch gemeint
sein, was diese in der Sklaverei erwartet. Keinesfalls aber sind Grausamkeiten
vorgekommen, schändliche Verstümmelungen nach orientalischer Art, wie sie
später im christlichen Byzanz und bei den christlichen Romanen und Germanen
üblich wurden — das Kinderaufspießen haben ja die Franzosen noch bei der
Verwüstung der Pfalz verübt —, greuliche Martern, um das Geständnis zu
erzwingen, wo der Bauer sein Geld versteckt habe, wie sie im Dreißigjährigen
Kriege an der Tagesordnung waren. Nur zwei barbarische Handlungen nach
orientalischer Art berichtet Livius. Im hannibalischen Kriege, wo die Bürger
gar nicht mehr aus den Waffen und aus dem Gemetzel herauskamen, daher
verwildern mußten, wo fortwährende Niederlagen erbitterten, wo Italien die
furchtbare Gefahr drohte, von schwarzen Scheusalen, von Menschenfressern
(Livius 23, 5) unterjocht zu werden, da haben die Römer das einemal einem
numidischen Spion (22,33), das andremal über siebzig Numidiern, die sich
unter dem Schein von Überläufern aus dem belagerten Capua als Boten und



Die Liebe zu Weib und Kindern setzen die Feldherrnansprnchen immer als die kräftigste
Triebfeder in Bewegung; Weib und Kinder werden jederzeit als die höchsten und teuersten Güter
genannt und — bei den Unterhandlungen mit der auf de« hohen Berg ausgewanderten Plebs
z, B, — als das festeste der Bänder, die an die Heimat fesseln.
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[0361] Der Römerstaat der Kriegführende von diesem Rechte Gebrauch machen dürfe und müsse, von dem Rechte, alles zu thun, was der Kriegszweck erfordert, daß er aber nicht darüber hinausgehen solle, heben Dionys und Livius öfter, dieser z. B. 28, 23 hervor. Demnach wird es für Recht erklärt, in einer erstürmten Stadt alle zu töten, die bewaffneten Widerstand leisten, die übrigen aber, namentlich alle Weiber und Kinder, zu Sklaven zu machen, entweder mit der sonstigen Beute unter die Soldaten zu verteilen, oder sud IiÄ8t,g, für den Staat zu verkaufen. Und einen andern Weg, den Kriegszweck zu erreichen, gab es unversöhnlichen Feinden gegenüber wirklich nicht: ließ man in ihnen eine waffenfähige Mann¬ schaft heranwachsen, so rebellierten diese nach ein paar Jahren wieder. Wo die Möglichkeit eines festen Bündnisses vorhanden war, wurde der ganzen Be¬ völkerung nicht allein das Leben, sondern anch die Freiheit gelassen. Nach langjähriger Feindschaft und hartnäckigem Widerstande metzelten die durch die Mühen der Belagerung erbitterten Soldaten wohl auch Unbewaffnete nieder, aber der Feldherr that dem, wie in Veji, bald Einhalt. Bei der Erstürmung von Jliturgi in Spanien war die Wut so unbezähmbar, daß usaus aä in- fiwtiuin, og-LciLin u-Ä (zruäöli8 xe-rvönit; hier hatten aber auch die Weiber und die Knaben mit gleicher Wut auf den Mauern bei der Verteidigung geholfen. Daß Frauen und Mädchen, die für die Sklaverei bestimmt waren, geschändet wurden, scheint vorgekommen zu sein; wenigstens wird sowohl bei den Römern wie bei ihren Gegnern in den Ansprachen der Feldherren unter dem, was die Soldaten zur äußersten Kraftanstrengung treiben müsse, auch die ihren Frauen und Kindern drohende Schmach hervorgehoben"); doch kann damit auch gemeint sein, was diese in der Sklaverei erwartet. Keinesfalls aber sind Grausamkeiten vorgekommen, schändliche Verstümmelungen nach orientalischer Art, wie sie später im christlichen Byzanz und bei den christlichen Romanen und Germanen üblich wurden — das Kinderaufspießen haben ja die Franzosen noch bei der Verwüstung der Pfalz verübt —, greuliche Martern, um das Geständnis zu erzwingen, wo der Bauer sein Geld versteckt habe, wie sie im Dreißigjährigen Kriege an der Tagesordnung waren. Nur zwei barbarische Handlungen nach orientalischer Art berichtet Livius. Im hannibalischen Kriege, wo die Bürger gar nicht mehr aus den Waffen und aus dem Gemetzel herauskamen, daher verwildern mußten, wo fortwährende Niederlagen erbitterten, wo Italien die furchtbare Gefahr drohte, von schwarzen Scheusalen, von Menschenfressern (Livius 23, 5) unterjocht zu werden, da haben die Römer das einemal einem numidischen Spion (22,33), das andremal über siebzig Numidiern, die sich unter dem Schein von Überläufern aus dem belagerten Capua als Boten und Die Liebe zu Weib und Kindern setzen die Feldherrnansprnchen immer als die kräftigste Triebfeder in Bewegung; Weib und Kinder werden jederzeit als die höchsten und teuersten Güter genannt und — bei den Unterhandlungen mit der auf de« hohen Berg ausgewanderten Plebs z, B, — als das festeste der Bänder, die an die Heimat fesseln. Grenzboten II 18g» 45>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/361>, abgerufen am 28.09.2024.