Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Römerstaat

Über ihre Gesandtschaft berichteten und sich rühmten, sie hätten den König
Perseus durch vorgespiegelte Friedenshoffnung von ernstlichen Rüstungen al>-
und so lange hingehalten, bis die Römer mit ihren Kriegsvorbereitungen bequem
fertig gewesen wären, da spendete ihnen zwar ein großer Teil der Senatoren
Beifall, die ältern aber erklärten: sie vermöchten in diesem Verhalten der
Legaten die römische Kriegskunst nicht zu erkennen; nicht mit nächtlichen Über¬
fällen, mit Scheinflucht und aus dem Hinterhalt hätten die Vorfahren Krieg
geführt, nicht sich der List mehr gerühmt als der Tapferkeit; sie hätten den
Krieg vorher erklärt, ehe sie ihn führten und sogar Ort und Zeit der Schlacht
angesagt; von solcher Ehrlichkeit beseelt, hätten sie dem Pyrrhus seinen verräte¬
rischen Leibarzt ausgeliefert, und den Faliskern den Schurken gebunden zurück¬
geschickt, der die ihm anvertrauten Kinder ins römische Lager gebracht habe;
das heiße nach römischem Gesetz handeln, nicht nach punischer Verschlagenheit
und griechischer Schlauheit; sür den Augenblick richte man ja mit List manch¬
mal mehr aus als mit Tapferkeit, aber nur der Feind unterwerfe sich dauernd,
dem die Überzeugung beigebracht worden sei, daß ihn nicht List und nicht
Zufall, sondern überlegne Kraft in einem gerechten und frommen Kriege
überwunden haben (Livius 42,47). Eine solche Gesinnung läßt doch wahr¬
haftig die Religion nicht als eine mechanische Verrichtung von Zeremonien er¬
scheinen; und wenn die Römer überzeugt waren, daß sie ihre Siege den Göttern,
die Gunst der Götter aber ihrer Frömmigkeit zu verdanken hätten, so meinten
sie damit keineswegs, wie Döllinger a. a. O. S. 477 glauben machen will,
nur die Beobachtung ihrer Zeremonien, obwohl sie freilich auch darin ge¬
wissenhaft waren; wie innig aber viele ihrer Ritualvorschriften mit dem ethischen
Gehalt ihrer Religion zusammenhingen, haben wir oben beim Ritus der Kriegs¬
erklärung gesehen. Da die Geschichte vom Schulmeister von Falerii erwähnt
worden ist, so wollen wir doch die Worte hersetzen, mit denen ihn Camillus
nach Livius 5, 27 empfangen hat; wars nicht Camillus, der sie gesprochen
hat, ein Römer ists auf jeden Fall gewesen. "Nicht zu einem Volk'und Feld¬
herrn, der dir gliche, bist du, Verruchter, mit deinem verruchten Geschenk ge¬
kommen. Mit den Faliskern verbindet uns keins der Bande, die durch
menschlichen Vertrag geknüpft werden, aber die von der Natur gestiftete Ge¬
meinschaft besteht zwischen uns und wird immer bestehen; auch der Krieg hat,
gleich dem Frieden, seine Rechte, und wir rühmen uns, daß wir unsre Kriege
nicht weniger gerecht als tapfer führen. Die Waffen tragen wir nicht gegen
das Alter, dem selbst nach Erstürmung einer Stadt noch Schonung zu teil
wird, sondern gegen Bewaffnete, hier gegen die Bewaffneten, die, von uns
weder geschädigt noch gereizt, das römische Lager vor Veji angegriffen haben.
Diese hast du, so viel an dir liegt, mit einem bis jetzt unerhörten Verbrechen
besiegt; ich werde sie ebenso wie die Vejenter mit römischen Künsten besiegen:
mit Tapferkeit, Arbeit und Waffen." Daß der Krieg sein Recht habe, daß


Der Römerstaat

Über ihre Gesandtschaft berichteten und sich rühmten, sie hätten den König
Perseus durch vorgespiegelte Friedenshoffnung von ernstlichen Rüstungen al>-
und so lange hingehalten, bis die Römer mit ihren Kriegsvorbereitungen bequem
fertig gewesen wären, da spendete ihnen zwar ein großer Teil der Senatoren
Beifall, die ältern aber erklärten: sie vermöchten in diesem Verhalten der
Legaten die römische Kriegskunst nicht zu erkennen; nicht mit nächtlichen Über¬
fällen, mit Scheinflucht und aus dem Hinterhalt hätten die Vorfahren Krieg
geführt, nicht sich der List mehr gerühmt als der Tapferkeit; sie hätten den
Krieg vorher erklärt, ehe sie ihn führten und sogar Ort und Zeit der Schlacht
angesagt; von solcher Ehrlichkeit beseelt, hätten sie dem Pyrrhus seinen verräte¬
rischen Leibarzt ausgeliefert, und den Faliskern den Schurken gebunden zurück¬
geschickt, der die ihm anvertrauten Kinder ins römische Lager gebracht habe;
das heiße nach römischem Gesetz handeln, nicht nach punischer Verschlagenheit
und griechischer Schlauheit; sür den Augenblick richte man ja mit List manch¬
mal mehr aus als mit Tapferkeit, aber nur der Feind unterwerfe sich dauernd,
dem die Überzeugung beigebracht worden sei, daß ihn nicht List und nicht
Zufall, sondern überlegne Kraft in einem gerechten und frommen Kriege
überwunden haben (Livius 42,47). Eine solche Gesinnung läßt doch wahr¬
haftig die Religion nicht als eine mechanische Verrichtung von Zeremonien er¬
scheinen; und wenn die Römer überzeugt waren, daß sie ihre Siege den Göttern,
die Gunst der Götter aber ihrer Frömmigkeit zu verdanken hätten, so meinten
sie damit keineswegs, wie Döllinger a. a. O. S. 477 glauben machen will,
nur die Beobachtung ihrer Zeremonien, obwohl sie freilich auch darin ge¬
wissenhaft waren; wie innig aber viele ihrer Ritualvorschriften mit dem ethischen
Gehalt ihrer Religion zusammenhingen, haben wir oben beim Ritus der Kriegs¬
erklärung gesehen. Da die Geschichte vom Schulmeister von Falerii erwähnt
worden ist, so wollen wir doch die Worte hersetzen, mit denen ihn Camillus
nach Livius 5, 27 empfangen hat; wars nicht Camillus, der sie gesprochen
hat, ein Römer ists auf jeden Fall gewesen. „Nicht zu einem Volk'und Feld¬
herrn, der dir gliche, bist du, Verruchter, mit deinem verruchten Geschenk ge¬
kommen. Mit den Faliskern verbindet uns keins der Bande, die durch
menschlichen Vertrag geknüpft werden, aber die von der Natur gestiftete Ge¬
meinschaft besteht zwischen uns und wird immer bestehen; auch der Krieg hat,
gleich dem Frieden, seine Rechte, und wir rühmen uns, daß wir unsre Kriege
nicht weniger gerecht als tapfer führen. Die Waffen tragen wir nicht gegen
das Alter, dem selbst nach Erstürmung einer Stadt noch Schonung zu teil
wird, sondern gegen Bewaffnete, hier gegen die Bewaffneten, die, von uns
weder geschädigt noch gereizt, das römische Lager vor Veji angegriffen haben.
Diese hast du, so viel an dir liegt, mit einem bis jetzt unerhörten Verbrechen
besiegt; ich werde sie ebenso wie die Vejenter mit römischen Künsten besiegen:
mit Tapferkeit, Arbeit und Waffen." Daß der Krieg sein Recht habe, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230790"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1200" prev="#ID_1199" next="#ID_1201"> Über ihre Gesandtschaft berichteten und sich rühmten, sie hätten den König<lb/>
Perseus durch vorgespiegelte Friedenshoffnung von ernstlichen Rüstungen al&gt;-<lb/>
und so lange hingehalten, bis die Römer mit ihren Kriegsvorbereitungen bequem<lb/>
fertig gewesen wären, da spendete ihnen zwar ein großer Teil der Senatoren<lb/>
Beifall, die ältern aber erklärten: sie vermöchten in diesem Verhalten der<lb/>
Legaten die römische Kriegskunst nicht zu erkennen; nicht mit nächtlichen Über¬<lb/>
fällen, mit Scheinflucht und aus dem Hinterhalt hätten die Vorfahren Krieg<lb/>
geführt, nicht sich der List mehr gerühmt als der Tapferkeit; sie hätten den<lb/>
Krieg vorher erklärt, ehe sie ihn führten und sogar Ort und Zeit der Schlacht<lb/>
angesagt; von solcher Ehrlichkeit beseelt, hätten sie dem Pyrrhus seinen verräte¬<lb/>
rischen Leibarzt ausgeliefert, und den Faliskern den Schurken gebunden zurück¬<lb/>
geschickt, der die ihm anvertrauten Kinder ins römische Lager gebracht habe;<lb/>
das heiße nach römischem Gesetz handeln, nicht nach punischer Verschlagenheit<lb/>
und griechischer Schlauheit; sür den Augenblick richte man ja mit List manch¬<lb/>
mal mehr aus als mit Tapferkeit, aber nur der Feind unterwerfe sich dauernd,<lb/>
dem die Überzeugung beigebracht worden sei, daß ihn nicht List und nicht<lb/>
Zufall, sondern überlegne Kraft in einem gerechten und frommen Kriege<lb/>
überwunden haben (Livius 42,47). Eine solche Gesinnung läßt doch wahr¬<lb/>
haftig die Religion nicht als eine mechanische Verrichtung von Zeremonien er¬<lb/>
scheinen; und wenn die Römer überzeugt waren, daß sie ihre Siege den Göttern,<lb/>
die Gunst der Götter aber ihrer Frömmigkeit zu verdanken hätten, so meinten<lb/>
sie damit keineswegs, wie Döllinger a. a. O. S. 477 glauben machen will,<lb/>
nur die Beobachtung ihrer Zeremonien, obwohl sie freilich auch darin ge¬<lb/>
wissenhaft waren; wie innig aber viele ihrer Ritualvorschriften mit dem ethischen<lb/>
Gehalt ihrer Religion zusammenhingen, haben wir oben beim Ritus der Kriegs¬<lb/>
erklärung gesehen. Da die Geschichte vom Schulmeister von Falerii erwähnt<lb/>
worden ist, so wollen wir doch die Worte hersetzen, mit denen ihn Camillus<lb/>
nach Livius 5, 27 empfangen hat; wars nicht Camillus, der sie gesprochen<lb/>
hat, ein Römer ists auf jeden Fall gewesen. &#x201E;Nicht zu einem Volk'und Feld¬<lb/>
herrn, der dir gliche, bist du, Verruchter, mit deinem verruchten Geschenk ge¬<lb/>
kommen. Mit den Faliskern verbindet uns keins der Bande, die durch<lb/>
menschlichen Vertrag geknüpft werden, aber die von der Natur gestiftete Ge¬<lb/>
meinschaft besteht zwischen uns und wird immer bestehen; auch der Krieg hat,<lb/>
gleich dem Frieden, seine Rechte, und wir rühmen uns, daß wir unsre Kriege<lb/>
nicht weniger gerecht als tapfer führen. Die Waffen tragen wir nicht gegen<lb/>
das Alter, dem selbst nach Erstürmung einer Stadt noch Schonung zu teil<lb/>
wird, sondern gegen Bewaffnete, hier gegen die Bewaffneten, die, von uns<lb/>
weder geschädigt noch gereizt, das römische Lager vor Veji angegriffen haben.<lb/>
Diese hast du, so viel an dir liegt, mit einem bis jetzt unerhörten Verbrechen<lb/>
besiegt; ich werde sie ebenso wie die Vejenter mit römischen Künsten besiegen:<lb/>
mit Tapferkeit, Arbeit und Waffen."  Daß der Krieg sein Recht habe, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0360] Der Römerstaat Über ihre Gesandtschaft berichteten und sich rühmten, sie hätten den König Perseus durch vorgespiegelte Friedenshoffnung von ernstlichen Rüstungen al>- und so lange hingehalten, bis die Römer mit ihren Kriegsvorbereitungen bequem fertig gewesen wären, da spendete ihnen zwar ein großer Teil der Senatoren Beifall, die ältern aber erklärten: sie vermöchten in diesem Verhalten der Legaten die römische Kriegskunst nicht zu erkennen; nicht mit nächtlichen Über¬ fällen, mit Scheinflucht und aus dem Hinterhalt hätten die Vorfahren Krieg geführt, nicht sich der List mehr gerühmt als der Tapferkeit; sie hätten den Krieg vorher erklärt, ehe sie ihn führten und sogar Ort und Zeit der Schlacht angesagt; von solcher Ehrlichkeit beseelt, hätten sie dem Pyrrhus seinen verräte¬ rischen Leibarzt ausgeliefert, und den Faliskern den Schurken gebunden zurück¬ geschickt, der die ihm anvertrauten Kinder ins römische Lager gebracht habe; das heiße nach römischem Gesetz handeln, nicht nach punischer Verschlagenheit und griechischer Schlauheit; sür den Augenblick richte man ja mit List manch¬ mal mehr aus als mit Tapferkeit, aber nur der Feind unterwerfe sich dauernd, dem die Überzeugung beigebracht worden sei, daß ihn nicht List und nicht Zufall, sondern überlegne Kraft in einem gerechten und frommen Kriege überwunden haben (Livius 42,47). Eine solche Gesinnung läßt doch wahr¬ haftig die Religion nicht als eine mechanische Verrichtung von Zeremonien er¬ scheinen; und wenn die Römer überzeugt waren, daß sie ihre Siege den Göttern, die Gunst der Götter aber ihrer Frömmigkeit zu verdanken hätten, so meinten sie damit keineswegs, wie Döllinger a. a. O. S. 477 glauben machen will, nur die Beobachtung ihrer Zeremonien, obwohl sie freilich auch darin ge¬ wissenhaft waren; wie innig aber viele ihrer Ritualvorschriften mit dem ethischen Gehalt ihrer Religion zusammenhingen, haben wir oben beim Ritus der Kriegs¬ erklärung gesehen. Da die Geschichte vom Schulmeister von Falerii erwähnt worden ist, so wollen wir doch die Worte hersetzen, mit denen ihn Camillus nach Livius 5, 27 empfangen hat; wars nicht Camillus, der sie gesprochen hat, ein Römer ists auf jeden Fall gewesen. „Nicht zu einem Volk'und Feld¬ herrn, der dir gliche, bist du, Verruchter, mit deinem verruchten Geschenk ge¬ kommen. Mit den Faliskern verbindet uns keins der Bande, die durch menschlichen Vertrag geknüpft werden, aber die von der Natur gestiftete Ge¬ meinschaft besteht zwischen uns und wird immer bestehen; auch der Krieg hat, gleich dem Frieden, seine Rechte, und wir rühmen uns, daß wir unsre Kriege nicht weniger gerecht als tapfer führen. Die Waffen tragen wir nicht gegen das Alter, dem selbst nach Erstürmung einer Stadt noch Schonung zu teil wird, sondern gegen Bewaffnete, hier gegen die Bewaffneten, die, von uns weder geschädigt noch gereizt, das römische Lager vor Veji angegriffen haben. Diese hast du, so viel an dir liegt, mit einem bis jetzt unerhörten Verbrechen besiegt; ich werde sie ebenso wie die Vejenter mit römischen Künsten besiegen: mit Tapferkeit, Arbeit und Waffen." Daß der Krieg sein Recht habe, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/360
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/360>, abgerufen am 28.09.2024.