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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

Am nächsten Morgen ankerten wir in der Bucht von Gravosa, dem Hafen
für die einstmals mächtige Republik Ragusa. das heute ein Städtchen von 5000
Einwohnern ist. Die warme Morgensonne bestrahlt eine italienische Land¬
schaft, die Zone der immergrünen Laubhölzer beginnt hier plötzlich. Die Bora,
der gefürchtete Nordwind, kann hier nicht ganz soviel Schaden anrichten wie
im obern Dcilmntien, unterhalb Spalcito springen die Inseln, die höher herauf
ihre Schmalseite dem Winde darbieten, Vrazza, Lesina, Cnrzola, Meleda und
Lissa bekannten Angedenkens wie die Finger einer nach Italien ausgestreckten
Hand hervor und schützen den Südteil von Dalmatien vor dem eisigen Kusse
der Windsbraut. An den Küsten recken sich die Berge höher und höher, der
Dampfer verändert plötzlich seinen Kurs und biegt um ein mit einem Fort
geschmücktes Vorgebirge herum, um dann wie auf einem Schweizer Gebirgssee
auf ruhigem Wasser in einem bald breiter werdenden, bald sich verengernden
Kanale hinzugleiten. Das sind die berühmten Bocche von Cattaro, in die
Montenegros Felsen steil hineinfallen, ein Hafen, der sämtliche Kriegsmarinen
der Welt bequem aufnehmen und gegen Sirokko wie Bora schützen könnte.
Cypressen- und Pinienhaine umgeben die weißgetünchten Dörflein, Villen und
Campanili, der grüne Gürtel aber verliert sich bald noch oben zu, von wo
die kalten Bergriesen der Tschernagorci, unter ihnen der heilige Lowtschen, ernst
herüberwinken.

Cattaro liegt eingepfercht zwischen Berg und See, von einem alten vene¬
zianischen Gemäuer überragt, am Ende des einen Zipfels der Bocche. Von hier
aus windet sich eine schöne Kunststraße in mächtigen Serpentinen den steilen
Berg hinan nach Cetinje. Bald ist der Handel um Wagen und Pferd für die
achtstündige Fahrt abgeschlossen, langsam neben dem geschwätzigen Dalmatiner
Kutscher einherschreitend steigen wir den Weg hinan, bis wir nach einer Stunde
des Kummers an die Stelle kommen, wo schräg über die Straße hinweg ge¬
pflasterte Steine die Grenze Montenegros bezeichnen. Zollhaus und Grenz¬
wächter fehlen. Noch sind wir jedoch, wie uns ein Blick seitwärts hinunter
in die Tiefe lehrt, nicht von Italiens lieblichen Auen geschieden, dort unter
uns, tief im Grunde, liegen die Bocche in ihrer Sanduhrform, wie eine Relief¬
karte, wir sehen die enge Mttnduug in das weite Adricitische Meer, und eben¬
falls zu unsern Füßen drei mächtige kanonen- und gräbengeschmückte Forts,
die Austrias heißumstrittne Südspitze gegen räuberische Einfülle der Hinterland¬
bewohner besser als ehedem schützen werden.

Wenn wir gerade unter uns sehen, bemerken wir Cattaro; ein neben uns
herüberhängender Felsblock müßte beim Herabfallen die Kirche treffen oder
unserm "Graf Wurmbrandt" das Verdeck einschlagen -- wie ein schmückendes
Band schlingt sich das helle Grün der untersten Bergabhänge, mit ihren
Pinienhainen, Feigenbäumen, Aloes, dem Lorbeer und dem Granatstrauch, mit
dessen Frucht der Südländer noch heute die Vorstellung reichen Segens ver-


Aus den schwarzen Bergen

Am nächsten Morgen ankerten wir in der Bucht von Gravosa, dem Hafen
für die einstmals mächtige Republik Ragusa. das heute ein Städtchen von 5000
Einwohnern ist. Die warme Morgensonne bestrahlt eine italienische Land¬
schaft, die Zone der immergrünen Laubhölzer beginnt hier plötzlich. Die Bora,
der gefürchtete Nordwind, kann hier nicht ganz soviel Schaden anrichten wie
im obern Dcilmntien, unterhalb Spalcito springen die Inseln, die höher herauf
ihre Schmalseite dem Winde darbieten, Vrazza, Lesina, Cnrzola, Meleda und
Lissa bekannten Angedenkens wie die Finger einer nach Italien ausgestreckten
Hand hervor und schützen den Südteil von Dalmatien vor dem eisigen Kusse
der Windsbraut. An den Küsten recken sich die Berge höher und höher, der
Dampfer verändert plötzlich seinen Kurs und biegt um ein mit einem Fort
geschmücktes Vorgebirge herum, um dann wie auf einem Schweizer Gebirgssee
auf ruhigem Wasser in einem bald breiter werdenden, bald sich verengernden
Kanale hinzugleiten. Das sind die berühmten Bocche von Cattaro, in die
Montenegros Felsen steil hineinfallen, ein Hafen, der sämtliche Kriegsmarinen
der Welt bequem aufnehmen und gegen Sirokko wie Bora schützen könnte.
Cypressen- und Pinienhaine umgeben die weißgetünchten Dörflein, Villen und
Campanili, der grüne Gürtel aber verliert sich bald noch oben zu, von wo
die kalten Bergriesen der Tschernagorci, unter ihnen der heilige Lowtschen, ernst
herüberwinken.

Cattaro liegt eingepfercht zwischen Berg und See, von einem alten vene¬
zianischen Gemäuer überragt, am Ende des einen Zipfels der Bocche. Von hier
aus windet sich eine schöne Kunststraße in mächtigen Serpentinen den steilen
Berg hinan nach Cetinje. Bald ist der Handel um Wagen und Pferd für die
achtstündige Fahrt abgeschlossen, langsam neben dem geschwätzigen Dalmatiner
Kutscher einherschreitend steigen wir den Weg hinan, bis wir nach einer Stunde
des Kummers an die Stelle kommen, wo schräg über die Straße hinweg ge¬
pflasterte Steine die Grenze Montenegros bezeichnen. Zollhaus und Grenz¬
wächter fehlen. Noch sind wir jedoch, wie uns ein Blick seitwärts hinunter
in die Tiefe lehrt, nicht von Italiens lieblichen Auen geschieden, dort unter
uns, tief im Grunde, liegen die Bocche in ihrer Sanduhrform, wie eine Relief¬
karte, wir sehen die enge Mttnduug in das weite Adricitische Meer, und eben¬
falls zu unsern Füßen drei mächtige kanonen- und gräbengeschmückte Forts,
die Austrias heißumstrittne Südspitze gegen räuberische Einfülle der Hinterland¬
bewohner besser als ehedem schützen werden.

Wenn wir gerade unter uns sehen, bemerken wir Cattaro; ein neben uns
herüberhängender Felsblock müßte beim Herabfallen die Kirche treffen oder
unserm „Graf Wurmbrandt" das Verdeck einschlagen — wie ein schmückendes
Band schlingt sich das helle Grün der untersten Bergabhänge, mit ihren
Pinienhainen, Feigenbäumen, Aloes, dem Lorbeer und dem Granatstrauch, mit
dessen Frucht der Südländer noch heute die Vorstellung reichen Segens ver-


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[0355] Aus den schwarzen Bergen Am nächsten Morgen ankerten wir in der Bucht von Gravosa, dem Hafen für die einstmals mächtige Republik Ragusa. das heute ein Städtchen von 5000 Einwohnern ist. Die warme Morgensonne bestrahlt eine italienische Land¬ schaft, die Zone der immergrünen Laubhölzer beginnt hier plötzlich. Die Bora, der gefürchtete Nordwind, kann hier nicht ganz soviel Schaden anrichten wie im obern Dcilmntien, unterhalb Spalcito springen die Inseln, die höher herauf ihre Schmalseite dem Winde darbieten, Vrazza, Lesina, Cnrzola, Meleda und Lissa bekannten Angedenkens wie die Finger einer nach Italien ausgestreckten Hand hervor und schützen den Südteil von Dalmatien vor dem eisigen Kusse der Windsbraut. An den Küsten recken sich die Berge höher und höher, der Dampfer verändert plötzlich seinen Kurs und biegt um ein mit einem Fort geschmücktes Vorgebirge herum, um dann wie auf einem Schweizer Gebirgssee auf ruhigem Wasser in einem bald breiter werdenden, bald sich verengernden Kanale hinzugleiten. Das sind die berühmten Bocche von Cattaro, in die Montenegros Felsen steil hineinfallen, ein Hafen, der sämtliche Kriegsmarinen der Welt bequem aufnehmen und gegen Sirokko wie Bora schützen könnte. Cypressen- und Pinienhaine umgeben die weißgetünchten Dörflein, Villen und Campanili, der grüne Gürtel aber verliert sich bald noch oben zu, von wo die kalten Bergriesen der Tschernagorci, unter ihnen der heilige Lowtschen, ernst herüberwinken. Cattaro liegt eingepfercht zwischen Berg und See, von einem alten vene¬ zianischen Gemäuer überragt, am Ende des einen Zipfels der Bocche. Von hier aus windet sich eine schöne Kunststraße in mächtigen Serpentinen den steilen Berg hinan nach Cetinje. Bald ist der Handel um Wagen und Pferd für die achtstündige Fahrt abgeschlossen, langsam neben dem geschwätzigen Dalmatiner Kutscher einherschreitend steigen wir den Weg hinan, bis wir nach einer Stunde des Kummers an die Stelle kommen, wo schräg über die Straße hinweg ge¬ pflasterte Steine die Grenze Montenegros bezeichnen. Zollhaus und Grenz¬ wächter fehlen. Noch sind wir jedoch, wie uns ein Blick seitwärts hinunter in die Tiefe lehrt, nicht von Italiens lieblichen Auen geschieden, dort unter uns, tief im Grunde, liegen die Bocche in ihrer Sanduhrform, wie eine Relief¬ karte, wir sehen die enge Mttnduug in das weite Adricitische Meer, und eben¬ falls zu unsern Füßen drei mächtige kanonen- und gräbengeschmückte Forts, die Austrias heißumstrittne Südspitze gegen räuberische Einfülle der Hinterland¬ bewohner besser als ehedem schützen werden. Wenn wir gerade unter uns sehen, bemerken wir Cattaro; ein neben uns herüberhängender Felsblock müßte beim Herabfallen die Kirche treffen oder unserm „Graf Wurmbrandt" das Verdeck einschlagen — wie ein schmückendes Band schlingt sich das helle Grün der untersten Bergabhänge, mit ihren Pinienhainen, Feigenbäumen, Aloes, dem Lorbeer und dem Granatstrauch, mit dessen Frucht der Südländer noch heute die Vorstellung reichen Segens ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/355>, abgerufen am 28.09.2024.