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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Ausgleich und die Bündnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie

Erwarten, auf militärischem Gebiete von der Krone unterstützt worden. Da
erschien allerdings die Vermutung berechtigt, daß das Zoll- und Handels¬
bündnis und das Privilegium der Österreichisch-Ungarischen Bank noch zum
letztenmale erneuert werden würde; denn die Annahme war gerechtfertigt,
daß sich Ungarn ohne eine etwaige tiefere Erschütterung der gesamten euro¬
päischen Verhältnisse nach zehn Jahren stark genug fühlen dürfte, sein Geld-
und Kreditwesen selbständig zu ordnen und auf getrenntem Zollgebiet eigne
Handelspolitik zu treiben.

Die kurzsichtige Politik des Staatsmanns aus Buhl, die die "Staats¬
notwendigkeit" des Ausgleichs durch Erkaufung der jungtschechischen Stimmen
mit den Sprachenverordnungen sichern wollte, hat nun den separatistischen Be¬
strebungen des Magyarentums geradezu unermeßlichen Vorschub geleistet. Gewiß
ist auch heute noch die Zahl der Leute sehr groß, die vor dem Sprung ins
Dunkle zurückschrecken, den die von Baron Bnnffy ins Auge gefaßte "selb¬
ständige Regelung" der Beziehungen des magyarischen und österreichischen
Wirtschaftslebens zu einander nun einmal bedeutet. Aber man hat aus tak¬
tischen Gründen, um die Österreicher recht windelweich zu machen und ihre
Ansprüche bei der Erhöhung der ungarischen Quote herabzustimmen, zu lange
mit dem Feuer der gesetzmäßig allerdings zulässigen Trennung des Zollgebiets
gespielt, als daß die öffentliche Meinung eine Änderung der vom Frühlings¬
kabinett Ganthas sins bönsüc-lo wvsntArii übernommnen Ausgleichsvorlage
hinzunehmen bereit wäre.

Baron Bänsfy wußte ganz gut, daß der vom Grafen Thun geäußerte
Wunsch nach einem neuen einjährigen Provisorium nach der im Dezember 1897
von der äußersten Linken inszenierten Obstruktion im ungarischen Abgeordneten-
Hause, selbst wenn die Majorität ernstlich wollte, nicht mehr erfüllt werden
könne. Aber als er mit Hilfe des Grafen Albert Apponyi dnrch die im ersten
Gesetzartikel vom Jahre 1893 festgenagelte Verpflichtung einer selbständigen
Regelung der handelspolitischen Beziehungen zu Österreich, falls dort uicht die
verfassungsmüßige Erledigung der Ausgleichvorlagen gesichert sein würde, die
Obstruktion in Ungarn entwaffnete, glaubte er nicht, daß der entschlossene
Widerstand der Deutschen die rechtzeitige Beratung und Annahme der vom
Kabinett Thun unverändert übernommnen Abmachungen mit Badeui und
Bninski zu verhindern imstande sein würde. Oder meinte er mit seiner er¬
probten gewissenlosen Schlauheit der Opposition in irgend welcher Weise eine
Nase drehen zu können? Die Erkenntnis, daß er sich nach beiden Richtungen
getäuscht habe, brachte ihn zu dem Entschlüsse, der vom Grafen Thun als
letztes Mittel angestrebten Oktroyierung des Ausgleichs in Österreich mittels
des K 14 zuzustimmen und im Interesse einer Fixierung des freien Verkehrs
zwischen Österreich und Ungarn auf die bisherige zehnjährige Dauer des Zoll-
und Handelsbündnisses die sogenannte Jschler Klausel zu vereinbaren, die dann


Der Ausgleich und die Bündnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie

Erwarten, auf militärischem Gebiete von der Krone unterstützt worden. Da
erschien allerdings die Vermutung berechtigt, daß das Zoll- und Handels¬
bündnis und das Privilegium der Österreichisch-Ungarischen Bank noch zum
letztenmale erneuert werden würde; denn die Annahme war gerechtfertigt,
daß sich Ungarn ohne eine etwaige tiefere Erschütterung der gesamten euro¬
päischen Verhältnisse nach zehn Jahren stark genug fühlen dürfte, sein Geld-
und Kreditwesen selbständig zu ordnen und auf getrenntem Zollgebiet eigne
Handelspolitik zu treiben.

Die kurzsichtige Politik des Staatsmanns aus Buhl, die die „Staats¬
notwendigkeit" des Ausgleichs durch Erkaufung der jungtschechischen Stimmen
mit den Sprachenverordnungen sichern wollte, hat nun den separatistischen Be¬
strebungen des Magyarentums geradezu unermeßlichen Vorschub geleistet. Gewiß
ist auch heute noch die Zahl der Leute sehr groß, die vor dem Sprung ins
Dunkle zurückschrecken, den die von Baron Bnnffy ins Auge gefaßte „selb¬
ständige Regelung" der Beziehungen des magyarischen und österreichischen
Wirtschaftslebens zu einander nun einmal bedeutet. Aber man hat aus tak¬
tischen Gründen, um die Österreicher recht windelweich zu machen und ihre
Ansprüche bei der Erhöhung der ungarischen Quote herabzustimmen, zu lange
mit dem Feuer der gesetzmäßig allerdings zulässigen Trennung des Zollgebiets
gespielt, als daß die öffentliche Meinung eine Änderung der vom Frühlings¬
kabinett Ganthas sins bönsüc-lo wvsntArii übernommnen Ausgleichsvorlage
hinzunehmen bereit wäre.

Baron Bänsfy wußte ganz gut, daß der vom Grafen Thun geäußerte
Wunsch nach einem neuen einjährigen Provisorium nach der im Dezember 1897
von der äußersten Linken inszenierten Obstruktion im ungarischen Abgeordneten-
Hause, selbst wenn die Majorität ernstlich wollte, nicht mehr erfüllt werden
könne. Aber als er mit Hilfe des Grafen Albert Apponyi dnrch die im ersten
Gesetzartikel vom Jahre 1893 festgenagelte Verpflichtung einer selbständigen
Regelung der handelspolitischen Beziehungen zu Österreich, falls dort uicht die
verfassungsmüßige Erledigung der Ausgleichvorlagen gesichert sein würde, die
Obstruktion in Ungarn entwaffnete, glaubte er nicht, daß der entschlossene
Widerstand der Deutschen die rechtzeitige Beratung und Annahme der vom
Kabinett Thun unverändert übernommnen Abmachungen mit Badeui und
Bninski zu verhindern imstande sein würde. Oder meinte er mit seiner er¬
probten gewissenlosen Schlauheit der Opposition in irgend welcher Weise eine
Nase drehen zu können? Die Erkenntnis, daß er sich nach beiden Richtungen
getäuscht habe, brachte ihn zu dem Entschlüsse, der vom Grafen Thun als
letztes Mittel angestrebten Oktroyierung des Ausgleichs in Österreich mittels
des K 14 zuzustimmen und im Interesse einer Fixierung des freien Verkehrs
zwischen Österreich und Ungarn auf die bisherige zehnjährige Dauer des Zoll-
und Handelsbündnisses die sogenannte Jschler Klausel zu vereinbaren, die dann


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[0349] Der Ausgleich und die Bündnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie Erwarten, auf militärischem Gebiete von der Krone unterstützt worden. Da erschien allerdings die Vermutung berechtigt, daß das Zoll- und Handels¬ bündnis und das Privilegium der Österreichisch-Ungarischen Bank noch zum letztenmale erneuert werden würde; denn die Annahme war gerechtfertigt, daß sich Ungarn ohne eine etwaige tiefere Erschütterung der gesamten euro¬ päischen Verhältnisse nach zehn Jahren stark genug fühlen dürfte, sein Geld- und Kreditwesen selbständig zu ordnen und auf getrenntem Zollgebiet eigne Handelspolitik zu treiben. Die kurzsichtige Politik des Staatsmanns aus Buhl, die die „Staats¬ notwendigkeit" des Ausgleichs durch Erkaufung der jungtschechischen Stimmen mit den Sprachenverordnungen sichern wollte, hat nun den separatistischen Be¬ strebungen des Magyarentums geradezu unermeßlichen Vorschub geleistet. Gewiß ist auch heute noch die Zahl der Leute sehr groß, die vor dem Sprung ins Dunkle zurückschrecken, den die von Baron Bnnffy ins Auge gefaßte „selb¬ ständige Regelung" der Beziehungen des magyarischen und österreichischen Wirtschaftslebens zu einander nun einmal bedeutet. Aber man hat aus tak¬ tischen Gründen, um die Österreicher recht windelweich zu machen und ihre Ansprüche bei der Erhöhung der ungarischen Quote herabzustimmen, zu lange mit dem Feuer der gesetzmäßig allerdings zulässigen Trennung des Zollgebiets gespielt, als daß die öffentliche Meinung eine Änderung der vom Frühlings¬ kabinett Ganthas sins bönsüc-lo wvsntArii übernommnen Ausgleichsvorlage hinzunehmen bereit wäre. Baron Bänsfy wußte ganz gut, daß der vom Grafen Thun geäußerte Wunsch nach einem neuen einjährigen Provisorium nach der im Dezember 1897 von der äußersten Linken inszenierten Obstruktion im ungarischen Abgeordneten- Hause, selbst wenn die Majorität ernstlich wollte, nicht mehr erfüllt werden könne. Aber als er mit Hilfe des Grafen Albert Apponyi dnrch die im ersten Gesetzartikel vom Jahre 1893 festgenagelte Verpflichtung einer selbständigen Regelung der handelspolitischen Beziehungen zu Österreich, falls dort uicht die verfassungsmüßige Erledigung der Ausgleichvorlagen gesichert sein würde, die Obstruktion in Ungarn entwaffnete, glaubte er nicht, daß der entschlossene Widerstand der Deutschen die rechtzeitige Beratung und Annahme der vom Kabinett Thun unverändert übernommnen Abmachungen mit Badeui und Bninski zu verhindern imstande sein würde. Oder meinte er mit seiner er¬ probten gewissenlosen Schlauheit der Opposition in irgend welcher Weise eine Nase drehen zu können? Die Erkenntnis, daß er sich nach beiden Richtungen getäuscht habe, brachte ihn zu dem Entschlüsse, der vom Grafen Thun als letztes Mittel angestrebten Oktroyierung des Ausgleichs in Österreich mittels des K 14 zuzustimmen und im Interesse einer Fixierung des freien Verkehrs zwischen Österreich und Ungarn auf die bisherige zehnjährige Dauer des Zoll- und Handelsbündnisses die sogenannte Jschler Klausel zu vereinbaren, die dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/349>, abgerufen am 28.09.2024.