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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Ausgleich und die Bundinsfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie

tutionellem Wege, oder auch nur im Wege des Notparagraphen 14 der öster¬
reichischen Verfassung zu stände kommen wird.

Doch selbst angenommen, daß die Meinungsverschiedenheit der beiden
Kabinette über die an die Stelle der Jschler Augustabmachung getretner
Szellschen Formel in irgendwelcher Weise beigelegt wird, daß das Zoll- und
Handelsbündnis als eine selbständige, lediglich auf die Zusicherung der Rezi-
prozität gegründete Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen mit fünfjähriger
Dauer bis zum Jahre 1903, daß ferner das Abkommen mit der Österreichisch-
Ungarischen Bank bis 1908 thatsächlich ins Leben tritt, so ist damit die Gefahr
einer wirtschaftlichen Trennung der beiden Staaten der Monarchie wohl auf¬
geschoben, aber nicht aufgehoben; und damit bleibt auch die drohende Gefähr¬
dung der politischen Einheitlichkeit, der europäischen Machtstellung und damit
der Bündnisfähigkeit der heute noch in der Vorstellung der Völker lebenden
Habsburgischen Großmacht zum offenbaren Nachteil auch ihrer Bundesgenossen
fortbestehn.

Diese Sachlage muß man sich ohne Selbsttäuschung klar macheu. Nun
ist man nicht bloß im Deutschen Reiche über die Gestaltung des Verhältnisses
der beiden "Reichshälften" Österreich-Ungarns zu einander, über die tiefer
liegenden Gründe der beiderseitigen Entfremdung und über die sich hieraus
ergebenden, nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch politischen Wahrscheinlich¬
keiten ungenügend unterrichtet. Merkwürdigerweise wundern sich auch in Öster¬
reich große Blätter und Politiker, die sonst das Gras wachsen hören, über
die jenseits der Leitha täglich entschiedner empfundne oder wenigstens an den
Tag gelegte Neigung, das von Deal geknüpfte dualistische Band zwischen den
beiden Staaten der Monarchie je eher je lieber zu zerschneiden. Und doch ist
diese Tendenz sehr alt, so alt wie der Ausgleich von 1867, der ja auch diese
Bezeichnung nur in einem ganz andern als dem landläufige" Sinne verdient.
Denn es hat damals wohl ein Ausgleich zwischen dem achtzehn Jahre vorher
aus allen seinen Selbständigkeitshimmeln gestürzten Mcigyarentume und dem
faktischen Inhaber, jedoch beileibe nicht als rechtmüßigen König anerkannten
Träger der Se. Stephanskrone stattgefunden. Aber die in Budapest und dann
in Wien beschlossenen, sit öhrig, vizroo, Ausgleichgesetze waren in Wahrheit
ein den Vertretern der österreichischen Völker auferlegtes kaudinisches Joch
und wurden geraume Zeit lang anch als solches empfunden.

Die Herstellung des Dualismus ist damals von österreichischer Seite als
unabwendbares zweifelhaftes Experiment von voraussichtlich nicht allzulanger
Dauer nur aus dem Grunde mit Ergebung hingenommen worden, weil man
einesteils auf günstige Rückwirkungen der berühmten ungarischen Freiheit und
Verfassungsmäßigkeit hoffte und andernteils wenigstens den wirtschaftlichen Zu¬
sammenhang zwischen den beiden "Neichshcilften" gewahrt glaubte. Und be¬
sonders die Deutschösterreicher fühlten sich durch die vom verhängnisvollen


Der Ausgleich und die Bundinsfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie

tutionellem Wege, oder auch nur im Wege des Notparagraphen 14 der öster¬
reichischen Verfassung zu stände kommen wird.

Doch selbst angenommen, daß die Meinungsverschiedenheit der beiden
Kabinette über die an die Stelle der Jschler Augustabmachung getretner
Szellschen Formel in irgendwelcher Weise beigelegt wird, daß das Zoll- und
Handelsbündnis als eine selbständige, lediglich auf die Zusicherung der Rezi-
prozität gegründete Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen mit fünfjähriger
Dauer bis zum Jahre 1903, daß ferner das Abkommen mit der Österreichisch-
Ungarischen Bank bis 1908 thatsächlich ins Leben tritt, so ist damit die Gefahr
einer wirtschaftlichen Trennung der beiden Staaten der Monarchie wohl auf¬
geschoben, aber nicht aufgehoben; und damit bleibt auch die drohende Gefähr¬
dung der politischen Einheitlichkeit, der europäischen Machtstellung und damit
der Bündnisfähigkeit der heute noch in der Vorstellung der Völker lebenden
Habsburgischen Großmacht zum offenbaren Nachteil auch ihrer Bundesgenossen
fortbestehn.

Diese Sachlage muß man sich ohne Selbsttäuschung klar macheu. Nun
ist man nicht bloß im Deutschen Reiche über die Gestaltung des Verhältnisses
der beiden „Reichshälften" Österreich-Ungarns zu einander, über die tiefer
liegenden Gründe der beiderseitigen Entfremdung und über die sich hieraus
ergebenden, nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch politischen Wahrscheinlich¬
keiten ungenügend unterrichtet. Merkwürdigerweise wundern sich auch in Öster¬
reich große Blätter und Politiker, die sonst das Gras wachsen hören, über
die jenseits der Leitha täglich entschiedner empfundne oder wenigstens an den
Tag gelegte Neigung, das von Deal geknüpfte dualistische Band zwischen den
beiden Staaten der Monarchie je eher je lieber zu zerschneiden. Und doch ist
diese Tendenz sehr alt, so alt wie der Ausgleich von 1867, der ja auch diese
Bezeichnung nur in einem ganz andern als dem landläufige» Sinne verdient.
Denn es hat damals wohl ein Ausgleich zwischen dem achtzehn Jahre vorher
aus allen seinen Selbständigkeitshimmeln gestürzten Mcigyarentume und dem
faktischen Inhaber, jedoch beileibe nicht als rechtmüßigen König anerkannten
Träger der Se. Stephanskrone stattgefunden. Aber die in Budapest und dann
in Wien beschlossenen, sit öhrig, vizroo, Ausgleichgesetze waren in Wahrheit
ein den Vertretern der österreichischen Völker auferlegtes kaudinisches Joch
und wurden geraume Zeit lang anch als solches empfunden.

Die Herstellung des Dualismus ist damals von österreichischer Seite als
unabwendbares zweifelhaftes Experiment von voraussichtlich nicht allzulanger
Dauer nur aus dem Grunde mit Ergebung hingenommen worden, weil man
einesteils auf günstige Rückwirkungen der berühmten ungarischen Freiheit und
Verfassungsmäßigkeit hoffte und andernteils wenigstens den wirtschaftlichen Zu¬
sammenhang zwischen den beiden „Neichshcilften" gewahrt glaubte. Und be¬
sonders die Deutschösterreicher fühlten sich durch die vom verhängnisvollen


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[0346] Der Ausgleich und die Bundinsfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie tutionellem Wege, oder auch nur im Wege des Notparagraphen 14 der öster¬ reichischen Verfassung zu stände kommen wird. Doch selbst angenommen, daß die Meinungsverschiedenheit der beiden Kabinette über die an die Stelle der Jschler Augustabmachung getretner Szellschen Formel in irgendwelcher Weise beigelegt wird, daß das Zoll- und Handelsbündnis als eine selbständige, lediglich auf die Zusicherung der Rezi- prozität gegründete Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen mit fünfjähriger Dauer bis zum Jahre 1903, daß ferner das Abkommen mit der Österreichisch- Ungarischen Bank bis 1908 thatsächlich ins Leben tritt, so ist damit die Gefahr einer wirtschaftlichen Trennung der beiden Staaten der Monarchie wohl auf¬ geschoben, aber nicht aufgehoben; und damit bleibt auch die drohende Gefähr¬ dung der politischen Einheitlichkeit, der europäischen Machtstellung und damit der Bündnisfähigkeit der heute noch in der Vorstellung der Völker lebenden Habsburgischen Großmacht zum offenbaren Nachteil auch ihrer Bundesgenossen fortbestehn. Diese Sachlage muß man sich ohne Selbsttäuschung klar macheu. Nun ist man nicht bloß im Deutschen Reiche über die Gestaltung des Verhältnisses der beiden „Reichshälften" Österreich-Ungarns zu einander, über die tiefer liegenden Gründe der beiderseitigen Entfremdung und über die sich hieraus ergebenden, nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch politischen Wahrscheinlich¬ keiten ungenügend unterrichtet. Merkwürdigerweise wundern sich auch in Öster¬ reich große Blätter und Politiker, die sonst das Gras wachsen hören, über die jenseits der Leitha täglich entschiedner empfundne oder wenigstens an den Tag gelegte Neigung, das von Deal geknüpfte dualistische Band zwischen den beiden Staaten der Monarchie je eher je lieber zu zerschneiden. Und doch ist diese Tendenz sehr alt, so alt wie der Ausgleich von 1867, der ja auch diese Bezeichnung nur in einem ganz andern als dem landläufige» Sinne verdient. Denn es hat damals wohl ein Ausgleich zwischen dem achtzehn Jahre vorher aus allen seinen Selbständigkeitshimmeln gestürzten Mcigyarentume und dem faktischen Inhaber, jedoch beileibe nicht als rechtmüßigen König anerkannten Träger der Se. Stephanskrone stattgefunden. Aber die in Budapest und dann in Wien beschlossenen, sit öhrig, vizroo, Ausgleichgesetze waren in Wahrheit ein den Vertretern der österreichischen Völker auferlegtes kaudinisches Joch und wurden geraume Zeit lang anch als solches empfunden. Die Herstellung des Dualismus ist damals von österreichischer Seite als unabwendbares zweifelhaftes Experiment von voraussichtlich nicht allzulanger Dauer nur aus dem Grunde mit Ergebung hingenommen worden, weil man einesteils auf günstige Rückwirkungen der berühmten ungarischen Freiheit und Verfassungsmäßigkeit hoffte und andernteils wenigstens den wirtschaftlichen Zu¬ sammenhang zwischen den beiden „Neichshcilften" gewahrt glaubte. Und be¬ sonders die Deutschösterreicher fühlten sich durch die vom verhängnisvollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/346>, abgerufen am 28.09.2024.