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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Bernstein als Stoff für das Kunstgewerbe

ferner im herzoglichen Museum zu Gotha. Insbesondre lernen wir die in
den Rechnungsbüchern öfters verzeichneten Brettspiele in zwei Exemplaren
kennen, bei denen die Gravierung der mit Folie unterlegten Unterseiten der
Bernsteinfelder besonders gut wirkt; zu dem einen gehören auch Steine und
Schachfiguren aus diesem Stoff. Bemerkenswert ist auch ein angeblich der Frau
von Maintenon gehöriges Diadem und ein kleines Nokokopostament für eine
Elfenbeinfignr, beides aus Bernstein. Eine silberne Dose ist teils mit Halb¬
edelsteinen, teils mit Reliefbrustbildern aus Bernstein besetzt; ein Spiegelrahmen
zeigt unterseitig gravierte Stücke im Wechsel mit Elfenbeinmedaillons; an
einem Löffel ist die Lasse aus Bernstein, der Stiel aus Silber. Außerdem
finden sich noch: ein großer geschnitzter Becher mit Henkel auf Kugelfüßen, ein
sehr schöner Hausaltar, Kassetten, Dosen, Gegenstände der Kleinplastik, ein
Uhrgehäuse mit der Figur eines Töpfers und andres mehr.

Vergleicht man die umfassende Verwendung, die frühere Jahrhunderte für
den Bernstein hatten, mit den wenigen und wertlosen Dingen, die heutzutage
aus diesem Stoff gefertigt werden, mit den Kettenschmucksachen, mit den Bade¬
andenken und den Nippsachen, wozu noch die Rauchrcquisiten kommen, so tritt
uns der beschämende Rückgang deutlich vor Augen. Es fehlt an der Geschick-
lichkeit, am Geschmack, an Vorbildern und an dem Willen, etwas Tüchtiges
zu leisten. Da die Drechsler durch den Verkauf des Rohbernsteins 70, bis
100 Prozent verdienten, so waren sie in der Lage, die wenigen Waren, die
sie selbst verfertigten, billig zu verkaufen. Es mangelte jeder Antrieb, die
Verarbeitung des Bernsteins zu verbessern und auf eine höhere Stufe zu heben.
Es ist mir ein Fall bekannt, wo ein reicher Liebhaber vor nicht langer Zeit
einen größern Gegenstand aus Bernstein zu erwerben wünschte, aber nichts
Entsprechendes vorfand; der Fabrikant entschuldigte sich damit, daß derartiges
selten verlangt würde, versprach aber in Kürze eine Vase zu liefern. Die Be¬
stellung wurde ausgeführt, aber wie sah das Erzeugnis aus! Es wurde eine
Anzahl klarer und wolkiger Bernsteinstücke abwechselnd zusammengeleimt und
in plumper Vasenform abgedreht; das Ganze ähnelte in seiner rohen Form
etwa den Gebilden, die eine Kinderhand aus Vaukastenklötzchen zusammenstellt.
Und diesen kindischen Charakter trägt die Mehrzahl der Erzeugnisse dieser
Industrie.

Mit solchen Zuständen muß gebrochen werden. Ein so kostbarer edler
Stoff, wie dieser, verlangt eine seinen Eigenschaften entsprechende, sorgfältige
und kunstgerechte Behandlung. Welcher Art diese sein muß, dafür geben uns
die alten Arbeiten einen Fingerzeig. Es wäre an der Zeit, die ältern, in
den Museen erhaltnen Arbeiten zu sammeln und als Vorlagenwerk heraus¬
zugeben! Gewisse Techniken, die sich für den Bernstein besonders eignen, sind
uns abhanden gekommen; diese müßten neu belebt werden. Hierzu rechne ich
besonders die Gravierung des durchsichtigen Bernsteins von der Unterseite, ver-


Der Bernstein als Stoff für das Kunstgewerbe

ferner im herzoglichen Museum zu Gotha. Insbesondre lernen wir die in
den Rechnungsbüchern öfters verzeichneten Brettspiele in zwei Exemplaren
kennen, bei denen die Gravierung der mit Folie unterlegten Unterseiten der
Bernsteinfelder besonders gut wirkt; zu dem einen gehören auch Steine und
Schachfiguren aus diesem Stoff. Bemerkenswert ist auch ein angeblich der Frau
von Maintenon gehöriges Diadem und ein kleines Nokokopostament für eine
Elfenbeinfignr, beides aus Bernstein. Eine silberne Dose ist teils mit Halb¬
edelsteinen, teils mit Reliefbrustbildern aus Bernstein besetzt; ein Spiegelrahmen
zeigt unterseitig gravierte Stücke im Wechsel mit Elfenbeinmedaillons; an
einem Löffel ist die Lasse aus Bernstein, der Stiel aus Silber. Außerdem
finden sich noch: ein großer geschnitzter Becher mit Henkel auf Kugelfüßen, ein
sehr schöner Hausaltar, Kassetten, Dosen, Gegenstände der Kleinplastik, ein
Uhrgehäuse mit der Figur eines Töpfers und andres mehr.

Vergleicht man die umfassende Verwendung, die frühere Jahrhunderte für
den Bernstein hatten, mit den wenigen und wertlosen Dingen, die heutzutage
aus diesem Stoff gefertigt werden, mit den Kettenschmucksachen, mit den Bade¬
andenken und den Nippsachen, wozu noch die Rauchrcquisiten kommen, so tritt
uns der beschämende Rückgang deutlich vor Augen. Es fehlt an der Geschick-
lichkeit, am Geschmack, an Vorbildern und an dem Willen, etwas Tüchtiges
zu leisten. Da die Drechsler durch den Verkauf des Rohbernsteins 70, bis
100 Prozent verdienten, so waren sie in der Lage, die wenigen Waren, die
sie selbst verfertigten, billig zu verkaufen. Es mangelte jeder Antrieb, die
Verarbeitung des Bernsteins zu verbessern und auf eine höhere Stufe zu heben.
Es ist mir ein Fall bekannt, wo ein reicher Liebhaber vor nicht langer Zeit
einen größern Gegenstand aus Bernstein zu erwerben wünschte, aber nichts
Entsprechendes vorfand; der Fabrikant entschuldigte sich damit, daß derartiges
selten verlangt würde, versprach aber in Kürze eine Vase zu liefern. Die Be¬
stellung wurde ausgeführt, aber wie sah das Erzeugnis aus! Es wurde eine
Anzahl klarer und wolkiger Bernsteinstücke abwechselnd zusammengeleimt und
in plumper Vasenform abgedreht; das Ganze ähnelte in seiner rohen Form
etwa den Gebilden, die eine Kinderhand aus Vaukastenklötzchen zusammenstellt.
Und diesen kindischen Charakter trägt die Mehrzahl der Erzeugnisse dieser
Industrie.

Mit solchen Zuständen muß gebrochen werden. Ein so kostbarer edler
Stoff, wie dieser, verlangt eine seinen Eigenschaften entsprechende, sorgfältige
und kunstgerechte Behandlung. Welcher Art diese sein muß, dafür geben uns
die alten Arbeiten einen Fingerzeig. Es wäre an der Zeit, die ältern, in
den Museen erhaltnen Arbeiten zu sammeln und als Vorlagenwerk heraus¬
zugeben! Gewisse Techniken, die sich für den Bernstein besonders eignen, sind
uns abhanden gekommen; diese müßten neu belebt werden. Hierzu rechne ich
besonders die Gravierung des durchsichtigen Bernsteins von der Unterseite, ver-


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[0303] Der Bernstein als Stoff für das Kunstgewerbe ferner im herzoglichen Museum zu Gotha. Insbesondre lernen wir die in den Rechnungsbüchern öfters verzeichneten Brettspiele in zwei Exemplaren kennen, bei denen die Gravierung der mit Folie unterlegten Unterseiten der Bernsteinfelder besonders gut wirkt; zu dem einen gehören auch Steine und Schachfiguren aus diesem Stoff. Bemerkenswert ist auch ein angeblich der Frau von Maintenon gehöriges Diadem und ein kleines Nokokopostament für eine Elfenbeinfignr, beides aus Bernstein. Eine silberne Dose ist teils mit Halb¬ edelsteinen, teils mit Reliefbrustbildern aus Bernstein besetzt; ein Spiegelrahmen zeigt unterseitig gravierte Stücke im Wechsel mit Elfenbeinmedaillons; an einem Löffel ist die Lasse aus Bernstein, der Stiel aus Silber. Außerdem finden sich noch: ein großer geschnitzter Becher mit Henkel auf Kugelfüßen, ein sehr schöner Hausaltar, Kassetten, Dosen, Gegenstände der Kleinplastik, ein Uhrgehäuse mit der Figur eines Töpfers und andres mehr. Vergleicht man die umfassende Verwendung, die frühere Jahrhunderte für den Bernstein hatten, mit den wenigen und wertlosen Dingen, die heutzutage aus diesem Stoff gefertigt werden, mit den Kettenschmucksachen, mit den Bade¬ andenken und den Nippsachen, wozu noch die Rauchrcquisiten kommen, so tritt uns der beschämende Rückgang deutlich vor Augen. Es fehlt an der Geschick- lichkeit, am Geschmack, an Vorbildern und an dem Willen, etwas Tüchtiges zu leisten. Da die Drechsler durch den Verkauf des Rohbernsteins 70, bis 100 Prozent verdienten, so waren sie in der Lage, die wenigen Waren, die sie selbst verfertigten, billig zu verkaufen. Es mangelte jeder Antrieb, die Verarbeitung des Bernsteins zu verbessern und auf eine höhere Stufe zu heben. Es ist mir ein Fall bekannt, wo ein reicher Liebhaber vor nicht langer Zeit einen größern Gegenstand aus Bernstein zu erwerben wünschte, aber nichts Entsprechendes vorfand; der Fabrikant entschuldigte sich damit, daß derartiges selten verlangt würde, versprach aber in Kürze eine Vase zu liefern. Die Be¬ stellung wurde ausgeführt, aber wie sah das Erzeugnis aus! Es wurde eine Anzahl klarer und wolkiger Bernsteinstücke abwechselnd zusammengeleimt und in plumper Vasenform abgedreht; das Ganze ähnelte in seiner rohen Form etwa den Gebilden, die eine Kinderhand aus Vaukastenklötzchen zusammenstellt. Und diesen kindischen Charakter trägt die Mehrzahl der Erzeugnisse dieser Industrie. Mit solchen Zuständen muß gebrochen werden. Ein so kostbarer edler Stoff, wie dieser, verlangt eine seinen Eigenschaften entsprechende, sorgfältige und kunstgerechte Behandlung. Welcher Art diese sein muß, dafür geben uns die alten Arbeiten einen Fingerzeig. Es wäre an der Zeit, die ältern, in den Museen erhaltnen Arbeiten zu sammeln und als Vorlagenwerk heraus¬ zugeben! Gewisse Techniken, die sich für den Bernstein besonders eignen, sind uns abhanden gekommen; diese müßten neu belebt werden. Hierzu rechne ich besonders die Gravierung des durchsichtigen Bernsteins von der Unterseite, ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/303>, abgerufen am 28.09.2024.