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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Aussichten des Rhein-Llbekanals

schon nicht mehr, und selbst wenn in der Zunahme des Güterverkehrs über
kurz oder lang, was wir sür sehr wahrscheinlich halten, wieder einmal Perioden
langsamern Tempos eintreten sollten, ist die Staatsregierung doch genötigt,
mit einer weitern, ganz erheblichen Steigerung der Ansprüche an die Verkehrs¬
wege zu rechnen. Es handelt sich dabei für sie nicht nur um die Lage nach zehn
oder fünfzehn und selbst zwanzig Jahren, sie hat vielmehr für Menschenalter
hinaus Vorsorge zu treffen, wenn sie sich vor dem Vorwurf der Kurzsichtigkeit
und Fahrlässigkeit bewahren will. Die sich seit Jahren wiederholenden An¬
griffe im Landtag gegen die Staatseisenbahnverwaltung wegen unzureichender
Leistungen im Güterverkehr und wegen der damit zusammenhängenden angeb¬
lichen zunehmenden Unsicherheit im Personenverkehr haben die Aufmerksamkeit
des Publikums oft genug auf diese Frage hingelenkt und den Landtag bekannt¬
lich veranlaßt, zur notwendigen Erhöhung der gegenwärtigen Leistungsfähigkeit
der Eisenbahnen beträchtliche Mittel -- mehr als die Negierung verlangte --
zur Verfügung zu stellen. Was die Zukunft betrifft, so war die Regierung
vor die Frage gestellt, ob sie -- immer abgesehen von allen sonstigen für die
Vervollkommnung des Kanalnetzes geltend gemachten und beim Erlaß des Ge¬
setzes vom 9. Juli 1886 maßgebende" Gründen -- den zu erwartenden sehr
viel höhern Ansprüchen durch erweiterte Eisenbahnanlagen allein oder in Ver¬
bindung mit einer Vervollkommnung der Wasserstraßen besser, d. h. billiger
und sichrer, werde genügen können.

Diese Frage ist es, bei der die Opposition der heutigen Kanalgegner
wenigstens mit einem schwachen Schein logischer Begründung ausstaffiert an¬
setzt -- freilich aber auch hier wieder schleunigst mit sich selbst in Wider¬
spruch gerät.

Erstens wird nämlich behauptet, die Zeit der Binnenwasserstraßen sei
vorüber, mit den Eisenbahnen könnten die Kanäle nicht mehr konkurrieren. Zum
Beweis dafür dient allein ein Hinweis auf das Ausland: Amerika, England,
Frankreich. Graf Kanitz zitierte den Ausspruch amerikanischer Ingenieure, daß
der für verrückt erklärt werden würde, der heute noch in Amerika einen Kanal
neben der Eisenbahn bauen wollte. Die ganze UnHaltbarkeit dieses Einwands
wurde von den Ministern schlagend nachgewiesen. Amerika ist wegen der be¬
kannten gewaltsamen Konkurrenzmanöver der Verkehrsunternehmungen unter
einander absolut nicht mit Preußen zu vergleichen, wo der Staat die Eisen¬
bahnen in der Hand hat und die Kanäle baut oder bauen will. In England
und Frankreich ist es wohl hauptsächlich die in den technischen Einrichtungen,
Ausmessungen usw. begründete Leistungsunfähigkeit der Kanäle, die die Ent¬
wicklung des Wassertransports im Vergleich zum Eisenbahnverkehr teilweise
verzögert hat, sodaß auch hier jede beweiskräftige Parallele fehlt. Umso
schwerer fällt dagegen das klassische Beweismaterial, das uns die Statistik der
preußischen Eisenbahnen und Kanäle an die Hand giebt, für die Vorlage ins
Gewicht. Es beweist unverkennbar, daß die gewaltige Entwicklung des Eisen-


Die Aussichten des Rhein-Llbekanals

schon nicht mehr, und selbst wenn in der Zunahme des Güterverkehrs über
kurz oder lang, was wir sür sehr wahrscheinlich halten, wieder einmal Perioden
langsamern Tempos eintreten sollten, ist die Staatsregierung doch genötigt,
mit einer weitern, ganz erheblichen Steigerung der Ansprüche an die Verkehrs¬
wege zu rechnen. Es handelt sich dabei für sie nicht nur um die Lage nach zehn
oder fünfzehn und selbst zwanzig Jahren, sie hat vielmehr für Menschenalter
hinaus Vorsorge zu treffen, wenn sie sich vor dem Vorwurf der Kurzsichtigkeit
und Fahrlässigkeit bewahren will. Die sich seit Jahren wiederholenden An¬
griffe im Landtag gegen die Staatseisenbahnverwaltung wegen unzureichender
Leistungen im Güterverkehr und wegen der damit zusammenhängenden angeb¬
lichen zunehmenden Unsicherheit im Personenverkehr haben die Aufmerksamkeit
des Publikums oft genug auf diese Frage hingelenkt und den Landtag bekannt¬
lich veranlaßt, zur notwendigen Erhöhung der gegenwärtigen Leistungsfähigkeit
der Eisenbahnen beträchtliche Mittel — mehr als die Negierung verlangte —
zur Verfügung zu stellen. Was die Zukunft betrifft, so war die Regierung
vor die Frage gestellt, ob sie — immer abgesehen von allen sonstigen für die
Vervollkommnung des Kanalnetzes geltend gemachten und beim Erlaß des Ge¬
setzes vom 9. Juli 1886 maßgebende» Gründen — den zu erwartenden sehr
viel höhern Ansprüchen durch erweiterte Eisenbahnanlagen allein oder in Ver¬
bindung mit einer Vervollkommnung der Wasserstraßen besser, d. h. billiger
und sichrer, werde genügen können.

Diese Frage ist es, bei der die Opposition der heutigen Kanalgegner
wenigstens mit einem schwachen Schein logischer Begründung ausstaffiert an¬
setzt — freilich aber auch hier wieder schleunigst mit sich selbst in Wider¬
spruch gerät.

Erstens wird nämlich behauptet, die Zeit der Binnenwasserstraßen sei
vorüber, mit den Eisenbahnen könnten die Kanäle nicht mehr konkurrieren. Zum
Beweis dafür dient allein ein Hinweis auf das Ausland: Amerika, England,
Frankreich. Graf Kanitz zitierte den Ausspruch amerikanischer Ingenieure, daß
der für verrückt erklärt werden würde, der heute noch in Amerika einen Kanal
neben der Eisenbahn bauen wollte. Die ganze UnHaltbarkeit dieses Einwands
wurde von den Ministern schlagend nachgewiesen. Amerika ist wegen der be¬
kannten gewaltsamen Konkurrenzmanöver der Verkehrsunternehmungen unter
einander absolut nicht mit Preußen zu vergleichen, wo der Staat die Eisen¬
bahnen in der Hand hat und die Kanäle baut oder bauen will. In England
und Frankreich ist es wohl hauptsächlich die in den technischen Einrichtungen,
Ausmessungen usw. begründete Leistungsunfähigkeit der Kanäle, die die Ent¬
wicklung des Wassertransports im Vergleich zum Eisenbahnverkehr teilweise
verzögert hat, sodaß auch hier jede beweiskräftige Parallele fehlt. Umso
schwerer fällt dagegen das klassische Beweismaterial, das uns die Statistik der
preußischen Eisenbahnen und Kanäle an die Hand giebt, für die Vorlage ins
Gewicht. Es beweist unverkennbar, daß die gewaltige Entwicklung des Eisen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/291>, abgerufen am 28.09.2024.