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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

Gehalt des Liberalismus, der Hegelschen Philosophie und der neuern Litteratur
in den Klängen der politischen Lyrik mit enthalten seien; Arnold Ruges "Deutsche
Jahrbücher" wiesen die Anschuldigung, daß der Geist dieser jüngsten Dichtung
nur verneinend sei, mit dem Trumpf zurück: "Man gebe sich nur einmal die Mühe
verschrieene Negation näher anzusehen, und man wird finden, daß sie durch
und durch selbst Position ist. Für diejenigen freilich, die das Vernünftige,
den Gedanken, weil er nicht stillsteht und sich bewegt, für nicht positiv er¬
klären und deren kraftloses Epheugemüt einer alten Mauerrnine, eines Faktums
bedarf, um sich an ihn zu halten, für die ist aller Fortschritt Negation. In
Wahrheit aber ist der Gedanke in seiner Entwicklung das allein Ewige und
Positive, während die Faktizität, die Äußerlichkeit des Geschehens eben das
Negative, Verschwindende und der Kritik anheimfallende ist." Robert Prutz,
selbst einer der Hauptvertreter der politischen Lyrik, erwies mit unermüdlicher
Betriebsamkeit, daß alle Herrlichkeiten des prosaischen Jahrzehnts der aus der
Philosophie gebornen freien Gedanken und der ersten politischen Regungen ge¬
läutert und verklärt in der Oppositionspoesie wiederkehrten. Rudolf Gottschall,
der sich ihr in früher Jugend anschloß, rühmte ihr noch Jahrzehnte später
nach, daß die politische Lyrik die "Erbschaft Bornes" angetreten habe. "Weder
Heines zerrissene Form, noch das ahnungsvolle Jrrlichtelieren unbestimmter
Phantasien konnte ihr genehm sein; sie brauchte Energie des Ausdrucks, Ganz¬
heit und Geschlossenheit der Kunstform, Pathos und ernsten würdigen Mannes¬
schritt, statt aller phantastischen und frivolen Seitenpas. Die politische Lyrik
parodierte die Romantik nicht mehr; sie betrachtete jede Donquixoterie als
geistig überwunden und wandte sich in unmittelbarem Anlaufe gegen den Staat
und die Gesellschaft, insoweit beide nicht mehr den idealen Ansprüchen ge¬
nügten. So schloß sie sich an den junghegelschen Radikalismus an. -- Die
politische Lyrik trat mit Begeisterung für das öffentliche Leben auf, das sie
durch die Macht des Gedankens in Fluß bringen wollte," worauf sich bekannt¬
lich die antilyrischen und antikünstlerischen jungdeutschen Halbbelletristen auch
berufen hatten.

Und zum drittenmale wird der Nachweis der Übereinstimmung oder viel¬
mehr der Nachweis geführt, daß die symbolistische Poesie in natürlicher Steige¬
rung aus der naturalistischen erwachsen sei. Wenn hierbei die kritischen Ver¬
treter der "modernsten Moderne" immer wieder auf Ibsen pochen, so wissen
sie wohl, was sie thun, denn in der That fließt in dessen Dramen die Energie
einer ganz konkreten Schilderung zumeist widerwärtiger und krankhafter Indi¬
viduen mit einer hineingeheimnisten symbolischen Bedeutung und mystischen
Allgemeingiltigkeit ihrer Antriebe und Irrtümer zusammen. Aber natürlich
genügt dieser Symbolismus den Äußersten nicht. Und ganz unumwunden
meint denn auch ein poetisch kritischer Hauptvertreter des Symbolismus, daß
er die vorausgegangnen Phasen der Entwicklung alle in sich schließe. Denn
"in dem gemeinsamen Ansturm der Individualisten und der Sozialisten drückt


Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

Gehalt des Liberalismus, der Hegelschen Philosophie und der neuern Litteratur
in den Klängen der politischen Lyrik mit enthalten seien; Arnold Ruges „Deutsche
Jahrbücher" wiesen die Anschuldigung, daß der Geist dieser jüngsten Dichtung
nur verneinend sei, mit dem Trumpf zurück: „Man gebe sich nur einmal die Mühe
verschrieene Negation näher anzusehen, und man wird finden, daß sie durch
und durch selbst Position ist. Für diejenigen freilich, die das Vernünftige,
den Gedanken, weil er nicht stillsteht und sich bewegt, für nicht positiv er¬
klären und deren kraftloses Epheugemüt einer alten Mauerrnine, eines Faktums
bedarf, um sich an ihn zu halten, für die ist aller Fortschritt Negation. In
Wahrheit aber ist der Gedanke in seiner Entwicklung das allein Ewige und
Positive, während die Faktizität, die Äußerlichkeit des Geschehens eben das
Negative, Verschwindende und der Kritik anheimfallende ist." Robert Prutz,
selbst einer der Hauptvertreter der politischen Lyrik, erwies mit unermüdlicher
Betriebsamkeit, daß alle Herrlichkeiten des prosaischen Jahrzehnts der aus der
Philosophie gebornen freien Gedanken und der ersten politischen Regungen ge¬
läutert und verklärt in der Oppositionspoesie wiederkehrten. Rudolf Gottschall,
der sich ihr in früher Jugend anschloß, rühmte ihr noch Jahrzehnte später
nach, daß die politische Lyrik die „Erbschaft Bornes" angetreten habe. „Weder
Heines zerrissene Form, noch das ahnungsvolle Jrrlichtelieren unbestimmter
Phantasien konnte ihr genehm sein; sie brauchte Energie des Ausdrucks, Ganz¬
heit und Geschlossenheit der Kunstform, Pathos und ernsten würdigen Mannes¬
schritt, statt aller phantastischen und frivolen Seitenpas. Die politische Lyrik
parodierte die Romantik nicht mehr; sie betrachtete jede Donquixoterie als
geistig überwunden und wandte sich in unmittelbarem Anlaufe gegen den Staat
und die Gesellschaft, insoweit beide nicht mehr den idealen Ansprüchen ge¬
nügten. So schloß sie sich an den junghegelschen Radikalismus an. — Die
politische Lyrik trat mit Begeisterung für das öffentliche Leben auf, das sie
durch die Macht des Gedankens in Fluß bringen wollte," worauf sich bekannt¬
lich die antilyrischen und antikünstlerischen jungdeutschen Halbbelletristen auch
berufen hatten.

Und zum drittenmale wird der Nachweis der Übereinstimmung oder viel¬
mehr der Nachweis geführt, daß die symbolistische Poesie in natürlicher Steige¬
rung aus der naturalistischen erwachsen sei. Wenn hierbei die kritischen Ver¬
treter der „modernsten Moderne" immer wieder auf Ibsen pochen, so wissen
sie wohl, was sie thun, denn in der That fließt in dessen Dramen die Energie
einer ganz konkreten Schilderung zumeist widerwärtiger und krankhafter Indi¬
viduen mit einer hineingeheimnisten symbolischen Bedeutung und mystischen
Allgemeingiltigkeit ihrer Antriebe und Irrtümer zusammen. Aber natürlich
genügt dieser Symbolismus den Äußersten nicht. Und ganz unumwunden
meint denn auch ein poetisch kritischer Hauptvertreter des Symbolismus, daß
er die vorausgegangnen Phasen der Entwicklung alle in sich schließe. Denn
„in dem gemeinsamen Ansturm der Individualisten und der Sozialisten drückt


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[0275] Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur Gehalt des Liberalismus, der Hegelschen Philosophie und der neuern Litteratur in den Klängen der politischen Lyrik mit enthalten seien; Arnold Ruges „Deutsche Jahrbücher" wiesen die Anschuldigung, daß der Geist dieser jüngsten Dichtung nur verneinend sei, mit dem Trumpf zurück: „Man gebe sich nur einmal die Mühe verschrieene Negation näher anzusehen, und man wird finden, daß sie durch und durch selbst Position ist. Für diejenigen freilich, die das Vernünftige, den Gedanken, weil er nicht stillsteht und sich bewegt, für nicht positiv er¬ klären und deren kraftloses Epheugemüt einer alten Mauerrnine, eines Faktums bedarf, um sich an ihn zu halten, für die ist aller Fortschritt Negation. In Wahrheit aber ist der Gedanke in seiner Entwicklung das allein Ewige und Positive, während die Faktizität, die Äußerlichkeit des Geschehens eben das Negative, Verschwindende und der Kritik anheimfallende ist." Robert Prutz, selbst einer der Hauptvertreter der politischen Lyrik, erwies mit unermüdlicher Betriebsamkeit, daß alle Herrlichkeiten des prosaischen Jahrzehnts der aus der Philosophie gebornen freien Gedanken und der ersten politischen Regungen ge¬ läutert und verklärt in der Oppositionspoesie wiederkehrten. Rudolf Gottschall, der sich ihr in früher Jugend anschloß, rühmte ihr noch Jahrzehnte später nach, daß die politische Lyrik die „Erbschaft Bornes" angetreten habe. „Weder Heines zerrissene Form, noch das ahnungsvolle Jrrlichtelieren unbestimmter Phantasien konnte ihr genehm sein; sie brauchte Energie des Ausdrucks, Ganz¬ heit und Geschlossenheit der Kunstform, Pathos und ernsten würdigen Mannes¬ schritt, statt aller phantastischen und frivolen Seitenpas. Die politische Lyrik parodierte die Romantik nicht mehr; sie betrachtete jede Donquixoterie als geistig überwunden und wandte sich in unmittelbarem Anlaufe gegen den Staat und die Gesellschaft, insoweit beide nicht mehr den idealen Ansprüchen ge¬ nügten. So schloß sie sich an den junghegelschen Radikalismus an. — Die politische Lyrik trat mit Begeisterung für das öffentliche Leben auf, das sie durch die Macht des Gedankens in Fluß bringen wollte," worauf sich bekannt¬ lich die antilyrischen und antikünstlerischen jungdeutschen Halbbelletristen auch berufen hatten. Und zum drittenmale wird der Nachweis der Übereinstimmung oder viel¬ mehr der Nachweis geführt, daß die symbolistische Poesie in natürlicher Steige¬ rung aus der naturalistischen erwachsen sei. Wenn hierbei die kritischen Ver¬ treter der „modernsten Moderne" immer wieder auf Ibsen pochen, so wissen sie wohl, was sie thun, denn in der That fließt in dessen Dramen die Energie einer ganz konkreten Schilderung zumeist widerwärtiger und krankhafter Indi¬ viduen mit einer hineingeheimnisten symbolischen Bedeutung und mystischen Allgemeingiltigkeit ihrer Antriebe und Irrtümer zusammen. Aber natürlich genügt dieser Symbolismus den Äußersten nicht. Und ganz unumwunden meint denn auch ein poetisch kritischer Hauptvertreter des Symbolismus, daß er die vorausgegangnen Phasen der Entwicklung alle in sich schließe. Denn „in dem gemeinsamen Ansturm der Individualisten und der Sozialisten drückt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/275>, abgerufen am 28.09.2024.