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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Das Weltliche mußte also irgend eine Art allegorischer Erhöhung er¬
fahren, und das Mythologische, dem wir schon in Florenz begegnet sind, und
worin sich dann Mantegna, Lorenzo Costa und Perugino auf Geheiß Jsabellas
von Mantua versucht hatten, wurde nun doch durch Correggio und Tizian
noch zu etwas ganz anderm. Und zwar ist in der mythologischen Kabinetts¬
malerei Tizian nicht nur "ein mächtiger Meister von sich aus, sondern ganz
offenbar thatsächlich der Jntestaterbe des so früh gestorbnen Correggio ge¬
worden." Er hatte das jetzt in England befindliche Bacchanal seines Lehrers
Giovanni Bellini nach dessen Tode vollendet. Mit diesem Bilde "nimmt die
Malerei der Frührenaissance ihren feierlichen Abschied, um dem völlig male¬
rischen Stil der Hochblüte das Szepter zu überreichen, und im Camerino des
Alfonso von Este, dürfen wir sagen, ist diese Funktion vor sich gegangen."
Es folgt hierauf bei Burckhardt eine Schilderung der drei für Alfons gemalten
Bacchanale (Bacchus und Ariadne in London; Bacchantenfest und Venusfest
in Madrid), "Prinzipienerklürungen einer anders gewordnen venezianischen
Kunst" mit stark bewegter Komposition, einer Fülle von Figuren und einem
ganz neuen Verhältnis zu Luft und Landschaft, sowie der völligen Sicherheit
in der Verteilung des Lichtes. Die spätern Mythologien Tizians sind ganz
anders, sie haben weniger Figuren in größerm Maßstabe und mit reicher ent¬
wickelten Formen, sie machen nicht mehr "jenen Eindruck einer wie heimlich
bereit gehaltnen und nun plötzlich prachtvoll hervorbrausenden Jugendwelt,"
aber in der Landschaft und ihrer Mitwirkung bei der Erzählung hat Tizian
inzwischen seine Höhe erreicht, wie auch mit dem nun verbrannten Petrus Martyr
von 1530. "In diesem Jahre sahen sich die beiden Mächtigen, nämlich
Correggio und Tizian, in Parma, und wie immer sie sich in Worten oder im
stillen mögen überhaupt ausgetauscht haben, wir dürfen glauben, daß auch die
Landschaft dabei anredete. Correggio besaß neben allem, was sonst in der
Landschaft herrlich ist, das von irdischem oder himmlischem Licht durchströmte
geschlossene Walddunkel, wie es seit seiner Nuhe auf der Flucht (Uffizien) in
der Zingarella (Neapel) und der Madonna della Scodella (Parma) der Menschen
Augen und innern Sinn entzückt haben muß, und bald hernach entstand ja
die Landschaft der Leda, in einem Zusammenklang mit der dargestellten
mythischen Szene, wie ihn die Kunst wohl nie wieder erreicht hat. Aber 1534
starb dieser Mitherrscher, und Tizian stand nun in der mythologischen Malerei
als sein Haupterbe da. Es entsteht die spät-tizianische Landschaft mit schön
bewegtem Terrain, mit einer saftigen Welt von Bäumen und Wiesen und köst¬
lichem Gewässer, mit einer meist nur mäßigen, aber durch wandelndes Licht
wonnevollen Ferne, mit herrlichen Lüften, Wolken und zitterndem Sonnenlicht,
und jetzt erst werden Vegetation und Karnation, Purpur und zartes Linnen,
daneben auch wohl Skulpturen in Marmor zu den erstaunlichsten Akkorden
gestimmt." Schilderungen von dieser Länge der Ausführung finden sich bei
dem alten Burckhardt nicht mehr viel.


Das Weltliche mußte also irgend eine Art allegorischer Erhöhung er¬
fahren, und das Mythologische, dem wir schon in Florenz begegnet sind, und
worin sich dann Mantegna, Lorenzo Costa und Perugino auf Geheiß Jsabellas
von Mantua versucht hatten, wurde nun doch durch Correggio und Tizian
noch zu etwas ganz anderm. Und zwar ist in der mythologischen Kabinetts¬
malerei Tizian nicht nur „ein mächtiger Meister von sich aus, sondern ganz
offenbar thatsächlich der Jntestaterbe des so früh gestorbnen Correggio ge¬
worden." Er hatte das jetzt in England befindliche Bacchanal seines Lehrers
Giovanni Bellini nach dessen Tode vollendet. Mit diesem Bilde „nimmt die
Malerei der Frührenaissance ihren feierlichen Abschied, um dem völlig male¬
rischen Stil der Hochblüte das Szepter zu überreichen, und im Camerino des
Alfonso von Este, dürfen wir sagen, ist diese Funktion vor sich gegangen."
Es folgt hierauf bei Burckhardt eine Schilderung der drei für Alfons gemalten
Bacchanale (Bacchus und Ariadne in London; Bacchantenfest und Venusfest
in Madrid), „Prinzipienerklürungen einer anders gewordnen venezianischen
Kunst" mit stark bewegter Komposition, einer Fülle von Figuren und einem
ganz neuen Verhältnis zu Luft und Landschaft, sowie der völligen Sicherheit
in der Verteilung des Lichtes. Die spätern Mythologien Tizians sind ganz
anders, sie haben weniger Figuren in größerm Maßstabe und mit reicher ent¬
wickelten Formen, sie machen nicht mehr „jenen Eindruck einer wie heimlich
bereit gehaltnen und nun plötzlich prachtvoll hervorbrausenden Jugendwelt,"
aber in der Landschaft und ihrer Mitwirkung bei der Erzählung hat Tizian
inzwischen seine Höhe erreicht, wie auch mit dem nun verbrannten Petrus Martyr
von 1530. „In diesem Jahre sahen sich die beiden Mächtigen, nämlich
Correggio und Tizian, in Parma, und wie immer sie sich in Worten oder im
stillen mögen überhaupt ausgetauscht haben, wir dürfen glauben, daß auch die
Landschaft dabei anredete. Correggio besaß neben allem, was sonst in der
Landschaft herrlich ist, das von irdischem oder himmlischem Licht durchströmte
geschlossene Walddunkel, wie es seit seiner Nuhe auf der Flucht (Uffizien) in
der Zingarella (Neapel) und der Madonna della Scodella (Parma) der Menschen
Augen und innern Sinn entzückt haben muß, und bald hernach entstand ja
die Landschaft der Leda, in einem Zusammenklang mit der dargestellten
mythischen Szene, wie ihn die Kunst wohl nie wieder erreicht hat. Aber 1534
starb dieser Mitherrscher, und Tizian stand nun in der mythologischen Malerei
als sein Haupterbe da. Es entsteht die spät-tizianische Landschaft mit schön
bewegtem Terrain, mit einer saftigen Welt von Bäumen und Wiesen und köst¬
lichem Gewässer, mit einer meist nur mäßigen, aber durch wandelndes Licht
wonnevollen Ferne, mit herrlichen Lüften, Wolken und zitterndem Sonnenlicht,
und jetzt erst werden Vegetation und Karnation, Purpur und zartes Linnen,
daneben auch wohl Skulpturen in Marmor zu den erstaunlichsten Akkorden
gestimmt." Schilderungen von dieser Länge der Ausführung finden sich bei
dem alten Burckhardt nicht mehr viel.


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[0272] Das Weltliche mußte also irgend eine Art allegorischer Erhöhung er¬ fahren, und das Mythologische, dem wir schon in Florenz begegnet sind, und worin sich dann Mantegna, Lorenzo Costa und Perugino auf Geheiß Jsabellas von Mantua versucht hatten, wurde nun doch durch Correggio und Tizian noch zu etwas ganz anderm. Und zwar ist in der mythologischen Kabinetts¬ malerei Tizian nicht nur „ein mächtiger Meister von sich aus, sondern ganz offenbar thatsächlich der Jntestaterbe des so früh gestorbnen Correggio ge¬ worden." Er hatte das jetzt in England befindliche Bacchanal seines Lehrers Giovanni Bellini nach dessen Tode vollendet. Mit diesem Bilde „nimmt die Malerei der Frührenaissance ihren feierlichen Abschied, um dem völlig male¬ rischen Stil der Hochblüte das Szepter zu überreichen, und im Camerino des Alfonso von Este, dürfen wir sagen, ist diese Funktion vor sich gegangen." Es folgt hierauf bei Burckhardt eine Schilderung der drei für Alfons gemalten Bacchanale (Bacchus und Ariadne in London; Bacchantenfest und Venusfest in Madrid), „Prinzipienerklürungen einer anders gewordnen venezianischen Kunst" mit stark bewegter Komposition, einer Fülle von Figuren und einem ganz neuen Verhältnis zu Luft und Landschaft, sowie der völligen Sicherheit in der Verteilung des Lichtes. Die spätern Mythologien Tizians sind ganz anders, sie haben weniger Figuren in größerm Maßstabe und mit reicher ent¬ wickelten Formen, sie machen nicht mehr „jenen Eindruck einer wie heimlich bereit gehaltnen und nun plötzlich prachtvoll hervorbrausenden Jugendwelt," aber in der Landschaft und ihrer Mitwirkung bei der Erzählung hat Tizian inzwischen seine Höhe erreicht, wie auch mit dem nun verbrannten Petrus Martyr von 1530. „In diesem Jahre sahen sich die beiden Mächtigen, nämlich Correggio und Tizian, in Parma, und wie immer sie sich in Worten oder im stillen mögen überhaupt ausgetauscht haben, wir dürfen glauben, daß auch die Landschaft dabei anredete. Correggio besaß neben allem, was sonst in der Landschaft herrlich ist, das von irdischem oder himmlischem Licht durchströmte geschlossene Walddunkel, wie es seit seiner Nuhe auf der Flucht (Uffizien) in der Zingarella (Neapel) und der Madonna della Scodella (Parma) der Menschen Augen und innern Sinn entzückt haben muß, und bald hernach entstand ja die Landschaft der Leda, in einem Zusammenklang mit der dargestellten mythischen Szene, wie ihn die Kunst wohl nie wieder erreicht hat. Aber 1534 starb dieser Mitherrscher, und Tizian stand nun in der mythologischen Malerei als sein Haupterbe da. Es entsteht die spät-tizianische Landschaft mit schön bewegtem Terrain, mit einer saftigen Welt von Bäumen und Wiesen und köst¬ lichem Gewässer, mit einer meist nur mäßigen, aber durch wandelndes Licht wonnevollen Ferne, mit herrlichen Lüften, Wolken und zitterndem Sonnenlicht, und jetzt erst werden Vegetation und Karnation, Purpur und zartes Linnen, daneben auch wohl Skulpturen in Marmor zu den erstaunlichsten Akkorden gestimmt." Schilderungen von dieser Länge der Ausführung finden sich bei dem alten Burckhardt nicht mehr viel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/272>, abgerufen am 28.09.2024.