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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Streitkräfte Italiens

läßt und sich um die Unterbringung, Verpflegung, Ruhe und alles das, was
eine Truppe immer wieder bedarf, nicht im geringsten kümmert. Die großen
Räubereien und Prellereien, die die Franzosen in allen Kriegen seit Jahr¬
hunderten in allen Ländern verübt haben, stehn damit in unmittelbarem Zu¬
sammenhange. Als Gesellschafter ist der italienische Offizier immer ein liebens¬
würdiger Kavalier; materiell führt er kein beneidenswertes Dasein; seine Unter¬
gebnen sind in dieser Richtung verhältnismäßig besser gestellt. Sicher aber
sind die Beschuldigungen, die vor bald drei Jahren von französischer Seite
gegen das italienische Offizierkorps erhoben wurden, zum mindesten übertrieben
worden, und der Kritiker war sicher dazu wenig berufen. Die mutwillig heraus¬
geforderten Italiener sind ihm die Antwort auch nicht schuldig geblieben.

Prüfen wir nun die Organisation der Streitkräfte unsers Verbündeten
etwas näher. Gegen Ende des Jahres 1875 wurde ein Gesetz erlassen, das
den Grundsatz der "allgemeinen Wehrpflicht" aussprach. Es wurde jedoch
sehr milde gehandhabt und durch vielerlei Übergangsbestimmungen in seinen
Wirkungen ziemlich lahm gelegt. Im August 1388 gelangten die Normen
von 1875 zu voller Geltung. Der Militärdienst beginnt mit dem zwanzigsten
Lebensjahre und gestattet bei der Fahne einen Spielraum zwischen zwei und
drei Jahren, je nachdem die gesetzlich festgelegte Friedenspräsenzziffer es er¬
fordert. Daher schwankt auch die Dienstzeit in der Reserve zwischen den
folgenden fünf und sechs Jahren. Hieran schließen sich drei oder vier Jahre
als mobile Milizen und sieben Jahre als Territorialmilizen an. Nach neun¬
zehnjähriger Dienstzeit also scheidet der Italiener aus allen Militürderhültnissen
aus. Eine längere aktive Militärzeit hat der Kavallerist durchzumachen; er
dient drei volle Jahre bei der Fahne, sechs bei der Reserve, hat aber dann
die Vergünstigung, hiernach sofort in die Territorialmiliz überzutreten.

Das Vorrecht des Einjährig-Freiwilligen besteht in Italien ebenfalls: er
hat ein einmaliges Pauschquantum zu zahlen -- zwischen 1200 und 2000 Lire --,
die Schwankungen zwischen diesen Grenzen richten sich nicht allein nach der
Waffe, sondern anch dem Bildungsgrade des Dienenden. Bedingungslos be¬
freit von jedem Militärdienst ist der einzige Sohn einer Familie; bei mehreren
Söhnen immer der zweite, vierte u. s. f., außerdem ist für einen Offizier ge-
wordnen Italiener immer ein Bruder befreit. Neben den bisher genannten
giebt es noch zwei weitere Klassen von Wehrpflichtigen. Es sind dies die
Ausgelosten -- die männliche Bevölkerung Italiens ist zahlreicher als die weib¬
liche --; sie dienen nur zwei bis sechs Monate, die sich auf einen größern
Zeitraum verteilen; dann eine dritte Kategorie, die dringender Familienrück¬
sichten halber nur eine dreißigtägige Dienstzeit durchzumachen hat. Sie sollen
im Kriege nur als Besatzungstruppe und letzte Reserve verwandt werden.

In territorialer Hinsicht ist das Land in 87 Militärdistrikte für Infanterie
und Kavallerie, in 12 voninmiM loooli für Artillerie, in 15 Genie-, in


Die Streitkräfte Italiens

läßt und sich um die Unterbringung, Verpflegung, Ruhe und alles das, was
eine Truppe immer wieder bedarf, nicht im geringsten kümmert. Die großen
Räubereien und Prellereien, die die Franzosen in allen Kriegen seit Jahr¬
hunderten in allen Ländern verübt haben, stehn damit in unmittelbarem Zu¬
sammenhange. Als Gesellschafter ist der italienische Offizier immer ein liebens¬
würdiger Kavalier; materiell führt er kein beneidenswertes Dasein; seine Unter¬
gebnen sind in dieser Richtung verhältnismäßig besser gestellt. Sicher aber
sind die Beschuldigungen, die vor bald drei Jahren von französischer Seite
gegen das italienische Offizierkorps erhoben wurden, zum mindesten übertrieben
worden, und der Kritiker war sicher dazu wenig berufen. Die mutwillig heraus¬
geforderten Italiener sind ihm die Antwort auch nicht schuldig geblieben.

Prüfen wir nun die Organisation der Streitkräfte unsers Verbündeten
etwas näher. Gegen Ende des Jahres 1875 wurde ein Gesetz erlassen, das
den Grundsatz der „allgemeinen Wehrpflicht" aussprach. Es wurde jedoch
sehr milde gehandhabt und durch vielerlei Übergangsbestimmungen in seinen
Wirkungen ziemlich lahm gelegt. Im August 1388 gelangten die Normen
von 1875 zu voller Geltung. Der Militärdienst beginnt mit dem zwanzigsten
Lebensjahre und gestattet bei der Fahne einen Spielraum zwischen zwei und
drei Jahren, je nachdem die gesetzlich festgelegte Friedenspräsenzziffer es er¬
fordert. Daher schwankt auch die Dienstzeit in der Reserve zwischen den
folgenden fünf und sechs Jahren. Hieran schließen sich drei oder vier Jahre
als mobile Milizen und sieben Jahre als Territorialmilizen an. Nach neun¬
zehnjähriger Dienstzeit also scheidet der Italiener aus allen Militürderhültnissen
aus. Eine längere aktive Militärzeit hat der Kavallerist durchzumachen; er
dient drei volle Jahre bei der Fahne, sechs bei der Reserve, hat aber dann
die Vergünstigung, hiernach sofort in die Territorialmiliz überzutreten.

Das Vorrecht des Einjährig-Freiwilligen besteht in Italien ebenfalls: er
hat ein einmaliges Pauschquantum zu zahlen — zwischen 1200 und 2000 Lire —,
die Schwankungen zwischen diesen Grenzen richten sich nicht allein nach der
Waffe, sondern anch dem Bildungsgrade des Dienenden. Bedingungslos be¬
freit von jedem Militärdienst ist der einzige Sohn einer Familie; bei mehreren
Söhnen immer der zweite, vierte u. s. f., außerdem ist für einen Offizier ge-
wordnen Italiener immer ein Bruder befreit. Neben den bisher genannten
giebt es noch zwei weitere Klassen von Wehrpflichtigen. Es sind dies die
Ausgelosten — die männliche Bevölkerung Italiens ist zahlreicher als die weib¬
liche —; sie dienen nur zwei bis sechs Monate, die sich auf einen größern
Zeitraum verteilen; dann eine dritte Kategorie, die dringender Familienrück¬
sichten halber nur eine dreißigtägige Dienstzeit durchzumachen hat. Sie sollen
im Kriege nur als Besatzungstruppe und letzte Reserve verwandt werden.

In territorialer Hinsicht ist das Land in 87 Militärdistrikte für Infanterie
und Kavallerie, in 12 voninmiM loooli für Artillerie, in 15 Genie-, in


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[0027] Die Streitkräfte Italiens läßt und sich um die Unterbringung, Verpflegung, Ruhe und alles das, was eine Truppe immer wieder bedarf, nicht im geringsten kümmert. Die großen Räubereien und Prellereien, die die Franzosen in allen Kriegen seit Jahr¬ hunderten in allen Ländern verübt haben, stehn damit in unmittelbarem Zu¬ sammenhange. Als Gesellschafter ist der italienische Offizier immer ein liebens¬ würdiger Kavalier; materiell führt er kein beneidenswertes Dasein; seine Unter¬ gebnen sind in dieser Richtung verhältnismäßig besser gestellt. Sicher aber sind die Beschuldigungen, die vor bald drei Jahren von französischer Seite gegen das italienische Offizierkorps erhoben wurden, zum mindesten übertrieben worden, und der Kritiker war sicher dazu wenig berufen. Die mutwillig heraus¬ geforderten Italiener sind ihm die Antwort auch nicht schuldig geblieben. Prüfen wir nun die Organisation der Streitkräfte unsers Verbündeten etwas näher. Gegen Ende des Jahres 1875 wurde ein Gesetz erlassen, das den Grundsatz der „allgemeinen Wehrpflicht" aussprach. Es wurde jedoch sehr milde gehandhabt und durch vielerlei Übergangsbestimmungen in seinen Wirkungen ziemlich lahm gelegt. Im August 1388 gelangten die Normen von 1875 zu voller Geltung. Der Militärdienst beginnt mit dem zwanzigsten Lebensjahre und gestattet bei der Fahne einen Spielraum zwischen zwei und drei Jahren, je nachdem die gesetzlich festgelegte Friedenspräsenzziffer es er¬ fordert. Daher schwankt auch die Dienstzeit in der Reserve zwischen den folgenden fünf und sechs Jahren. Hieran schließen sich drei oder vier Jahre als mobile Milizen und sieben Jahre als Territorialmilizen an. Nach neun¬ zehnjähriger Dienstzeit also scheidet der Italiener aus allen Militürderhültnissen aus. Eine längere aktive Militärzeit hat der Kavallerist durchzumachen; er dient drei volle Jahre bei der Fahne, sechs bei der Reserve, hat aber dann die Vergünstigung, hiernach sofort in die Territorialmiliz überzutreten. Das Vorrecht des Einjährig-Freiwilligen besteht in Italien ebenfalls: er hat ein einmaliges Pauschquantum zu zahlen — zwischen 1200 und 2000 Lire —, die Schwankungen zwischen diesen Grenzen richten sich nicht allein nach der Waffe, sondern anch dem Bildungsgrade des Dienenden. Bedingungslos be¬ freit von jedem Militärdienst ist der einzige Sohn einer Familie; bei mehreren Söhnen immer der zweite, vierte u. s. f., außerdem ist für einen Offizier ge- wordnen Italiener immer ein Bruder befreit. Neben den bisher genannten giebt es noch zwei weitere Klassen von Wehrpflichtigen. Es sind dies die Ausgelosten — die männliche Bevölkerung Italiens ist zahlreicher als die weib¬ liche —; sie dienen nur zwei bis sechs Monate, die sich auf einen größern Zeitraum verteilen; dann eine dritte Kategorie, die dringender Familienrück¬ sichten halber nur eine dreißigtägige Dienstzeit durchzumachen hat. Sie sollen im Kriege nur als Besatzungstruppe und letzte Reserve verwandt werden. In territorialer Hinsicht ist das Land in 87 Militärdistrikte für Infanterie und Kavallerie, in 12 voninmiM loooli für Artillerie, in 15 Genie-, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/27>, abgerufen am 28.09.2024.