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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Jakob Burckhardts letztes wort über die Renaissance

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Würde ihm auch außerhalb der Kunst sehr eigen und anders entwickelt als
draußen vorgekommen sein. Außerdem würde er an Prachtgräbern und öffent¬
lichen Denkmälern, selbst neben dem Vorzüglichsten, was im Norden und Weste,?
von Europa geboten wurde, eine große Übermacht der Bildnisse inne geworden
sein, und mit Staunen Hütte ihn auch das tragbare Monument, die Schau¬
münze, erfüllen müssen. Aber vielleicht auch vor den wunderbarsten Bildnis¬
tafeln hätte ihm eine Ahnung gesagt, daß einstweilen nur das Leben gesteigert,
die Auffassung noch wenig erhöht, die Wahrheit eine uugeschmeichelte war;
wer ihrer nicht begehrte, konnte ungemalt bleiben; weibliche Porträte waren
einstweilen selten, und die Schönheit war in ihnen wohl vorhanden, aber noch
nicht völlig geltend gemacht." Diese neue und sür unsre ganze moderne Auf¬
fassung definitive Gestaltung des Bildnisses erfolgt seit dem Anfange des sech¬
zehnten Jahrhunderts in Italien. Sie ist ein Zweig des sogenannten klassischen
Stils und geht durch dieselben Meister vor sich, die zugleich Historienmaler
sind. "Das Porträt nahm teil an allen Mitteln, Wirkungsweisen und Er¬
sahrungen, die die große Malerei der Fresken, der Gnadenbilder, der historischen
und mythologischen Erzählung jetzt mit sich führte, und für Lichtwirkung und
schöne perspektivische Wendung waren schon einfache Madonnen eine wichtige
Lehre. Besäßen wir aus den großen ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahr¬
hunderts selbst nur noch die Porträte, so wäre schon aus diesen auch auf eine
starke allgemeine Veränderung in der damaligen Kunst zu schließen. Es ist
dieselbe Mächtigkeit der Erscheinung durch Vereinfachung und Konzentration,
dabei aber waltet auch derselbe geheimnisvolle Sonnenschein, der als höhere
Gabe jenen kurzen Dezennien geschenkt gewesen ist." In der nun folgenden
Besprechung der Bildnisse hat Vurckhardt zum erstenmal an dieser einen Gattung
den Stil der Hochrenaissance nach seinen einzelnen Eigenschaften gekennzeichnet.
Wie zunächst an einigen nicht reinen Bildniswerken gezeigt wird, beruht das
"neue Individualisieren" im Vergleich zu dein Mannigfaltigen der Früh-
renaissance auf einer Auswahl und einer Erhöhung. So bei Lionardos
Aposteln und an den Figuren an der Decke der Sixtina von Michelangelo,
der sich grundsätzlich sträubte, das Lebendige zu porträtieren, wenn es nicht
schön wäre. Sodann wird auf Raffaels Disputa hingewiesen, wo das Erhöht-
Jndividuelle zum Wort kommt in der äußerlichen und innerlichen Bewegung
einer planvoll gruppierten Menschenmenge, während die porträtmäßigen Assi-
stenzen der Frührenaissance zufällig angeordnet und ohne Teilnahme sind.
Gegen Ghirlandajos Fresken aus dem Leben Marias und Johannes des
Täufers in S. Maria Novella wird Andrea del Sartos Marienleben in der
Vorhalle der Annunziata gehalten, um die neue Stellung des Individuelle"
klar zu machen. Endlich wird an frühern Bildern Tizians (Fresken in Padun,
Mariä Tempelgang in der Akademie) gezeigt, wie auch diesem "das Gesetz der
allgemeinen Belebung und Beteiligung solcher Anwesenden aufgegangen" sei,
"bis endlich mehr und mehr das Komponieren nach Licht und Farben all seinen


Jakob Burckhardts letztes wort über die Renaissance

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Würde ihm auch außerhalb der Kunst sehr eigen und anders entwickelt als
draußen vorgekommen sein. Außerdem würde er an Prachtgräbern und öffent¬
lichen Denkmälern, selbst neben dem Vorzüglichsten, was im Norden und Weste,?
von Europa geboten wurde, eine große Übermacht der Bildnisse inne geworden
sein, und mit Staunen Hütte ihn auch das tragbare Monument, die Schau¬
münze, erfüllen müssen. Aber vielleicht auch vor den wunderbarsten Bildnis¬
tafeln hätte ihm eine Ahnung gesagt, daß einstweilen nur das Leben gesteigert,
die Auffassung noch wenig erhöht, die Wahrheit eine uugeschmeichelte war;
wer ihrer nicht begehrte, konnte ungemalt bleiben; weibliche Porträte waren
einstweilen selten, und die Schönheit war in ihnen wohl vorhanden, aber noch
nicht völlig geltend gemacht." Diese neue und sür unsre ganze moderne Auf¬
fassung definitive Gestaltung des Bildnisses erfolgt seit dem Anfange des sech¬
zehnten Jahrhunderts in Italien. Sie ist ein Zweig des sogenannten klassischen
Stils und geht durch dieselben Meister vor sich, die zugleich Historienmaler
sind. „Das Porträt nahm teil an allen Mitteln, Wirkungsweisen und Er¬
sahrungen, die die große Malerei der Fresken, der Gnadenbilder, der historischen
und mythologischen Erzählung jetzt mit sich führte, und für Lichtwirkung und
schöne perspektivische Wendung waren schon einfache Madonnen eine wichtige
Lehre. Besäßen wir aus den großen ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahr¬
hunderts selbst nur noch die Porträte, so wäre schon aus diesen auch auf eine
starke allgemeine Veränderung in der damaligen Kunst zu schließen. Es ist
dieselbe Mächtigkeit der Erscheinung durch Vereinfachung und Konzentration,
dabei aber waltet auch derselbe geheimnisvolle Sonnenschein, der als höhere
Gabe jenen kurzen Dezennien geschenkt gewesen ist." In der nun folgenden
Besprechung der Bildnisse hat Vurckhardt zum erstenmal an dieser einen Gattung
den Stil der Hochrenaissance nach seinen einzelnen Eigenschaften gekennzeichnet.
Wie zunächst an einigen nicht reinen Bildniswerken gezeigt wird, beruht das
„neue Individualisieren" im Vergleich zu dein Mannigfaltigen der Früh-
renaissance auf einer Auswahl und einer Erhöhung. So bei Lionardos
Aposteln und an den Figuren an der Decke der Sixtina von Michelangelo,
der sich grundsätzlich sträubte, das Lebendige zu porträtieren, wenn es nicht
schön wäre. Sodann wird auf Raffaels Disputa hingewiesen, wo das Erhöht-
Jndividuelle zum Wort kommt in der äußerlichen und innerlichen Bewegung
einer planvoll gruppierten Menschenmenge, während die porträtmäßigen Assi-
stenzen der Frührenaissance zufällig angeordnet und ohne Teilnahme sind.
Gegen Ghirlandajos Fresken aus dem Leben Marias und Johannes des
Täufers in S. Maria Novella wird Andrea del Sartos Marienleben in der
Vorhalle der Annunziata gehalten, um die neue Stellung des Individuelle«
klar zu machen. Endlich wird an frühern Bildern Tizians (Fresken in Padun,
Mariä Tempelgang in der Akademie) gezeigt, wie auch diesem „das Gesetz der
allgemeinen Belebung und Beteiligung solcher Anwesenden aufgegangen" sei,
„bis endlich mehr und mehr das Komponieren nach Licht und Farben all seinen


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[0268] Jakob Burckhardts letztes wort über die Renaissance 260 Würde ihm auch außerhalb der Kunst sehr eigen und anders entwickelt als draußen vorgekommen sein. Außerdem würde er an Prachtgräbern und öffent¬ lichen Denkmälern, selbst neben dem Vorzüglichsten, was im Norden und Weste,? von Europa geboten wurde, eine große Übermacht der Bildnisse inne geworden sein, und mit Staunen Hütte ihn auch das tragbare Monument, die Schau¬ münze, erfüllen müssen. Aber vielleicht auch vor den wunderbarsten Bildnis¬ tafeln hätte ihm eine Ahnung gesagt, daß einstweilen nur das Leben gesteigert, die Auffassung noch wenig erhöht, die Wahrheit eine uugeschmeichelte war; wer ihrer nicht begehrte, konnte ungemalt bleiben; weibliche Porträte waren einstweilen selten, und die Schönheit war in ihnen wohl vorhanden, aber noch nicht völlig geltend gemacht." Diese neue und sür unsre ganze moderne Auf¬ fassung definitive Gestaltung des Bildnisses erfolgt seit dem Anfange des sech¬ zehnten Jahrhunderts in Italien. Sie ist ein Zweig des sogenannten klassischen Stils und geht durch dieselben Meister vor sich, die zugleich Historienmaler sind. „Das Porträt nahm teil an allen Mitteln, Wirkungsweisen und Er¬ sahrungen, die die große Malerei der Fresken, der Gnadenbilder, der historischen und mythologischen Erzählung jetzt mit sich führte, und für Lichtwirkung und schöne perspektivische Wendung waren schon einfache Madonnen eine wichtige Lehre. Besäßen wir aus den großen ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahr¬ hunderts selbst nur noch die Porträte, so wäre schon aus diesen auch auf eine starke allgemeine Veränderung in der damaligen Kunst zu schließen. Es ist dieselbe Mächtigkeit der Erscheinung durch Vereinfachung und Konzentration, dabei aber waltet auch derselbe geheimnisvolle Sonnenschein, der als höhere Gabe jenen kurzen Dezennien geschenkt gewesen ist." In der nun folgenden Besprechung der Bildnisse hat Vurckhardt zum erstenmal an dieser einen Gattung den Stil der Hochrenaissance nach seinen einzelnen Eigenschaften gekennzeichnet. Wie zunächst an einigen nicht reinen Bildniswerken gezeigt wird, beruht das „neue Individualisieren" im Vergleich zu dein Mannigfaltigen der Früh- renaissance auf einer Auswahl und einer Erhöhung. So bei Lionardos Aposteln und an den Figuren an der Decke der Sixtina von Michelangelo, der sich grundsätzlich sträubte, das Lebendige zu porträtieren, wenn es nicht schön wäre. Sodann wird auf Raffaels Disputa hingewiesen, wo das Erhöht- Jndividuelle zum Wort kommt in der äußerlichen und innerlichen Bewegung einer planvoll gruppierten Menschenmenge, während die porträtmäßigen Assi- stenzen der Frührenaissance zufällig angeordnet und ohne Teilnahme sind. Gegen Ghirlandajos Fresken aus dem Leben Marias und Johannes des Täufers in S. Maria Novella wird Andrea del Sartos Marienleben in der Vorhalle der Annunziata gehalten, um die neue Stellung des Individuelle« klar zu machen. Endlich wird an frühern Bildern Tizians (Fresken in Padun, Mariä Tempelgang in der Akademie) gezeigt, wie auch diesem „das Gesetz der allgemeinen Belebung und Beteiligung solcher Anwesenden aufgegangen" sei, „bis endlich mehr und mehr das Komponieren nach Licht und Farben all seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/268>, abgerufen am 28.09.2024.