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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance

Lippi und Sandro Botticelli, die in beiden Gattungen gut vertreten sind, ist
"das Liebliche und Mütterliche eher vom Hausaltar auf den Kirchenaltar über¬
gegangen als umgekehrt."

Das erzählende Altarbild wird bei den Mailändern dem Gnadeubilde
immer vorgezogen und später in der Barockzeit um des hineinzulegenden Pathos
willen allgemein wesentlich begünstigt, es wäre aber auch, meint Burckhardt,
überhaupt häufiger gewesen, wenn nicht das für den Kirchenaltar wünschens¬
werte Hochformat auf himmlische Erscheinungen hingewiesen hätte. Bei den
für den Hausbesitz gemalten Bildern finden wir in der That das starke Hoch¬
format nicht, dagegen viele Breitbilder, hier war also die Kunst in ihrer Stoff¬
wahl freier. Das monumentale Fresko, das ja hauptsächlich Erzählung giebt,
hat einen viel größer" Stoffkreis (wie in der nordischen Kunst die erzählenden
Holzschnittfolgen), und davon giebt es dann einiges z. B. ans dem Marienleben
den Altären ab "zur Disziplinierung und Gliederung dieses Reichtums." Da
man leicht geneigt sein wird, das Fresko schon um seines Umfangs willen
und weil es uns im Norden fehlt, für die Hauptsache der italienischen Malerei
zu halten, so kann es nur nützen, das Tafelbild wieder mehr in den Mittel-
Punkt der künstlerischen Leistung gerückt zu sehen, und zwar nicht nur in Bezug
auf Ausführung, sondern auch in der Erfindung. Was an guten erzählenden
Altarbildern auf uns gekommen ist, das zeigt uns thatsächlich den Gegenstand,
verglichen mit den Darstellungen in Fresko, nicht bloß besser "diszipliniert,"
sondern oftmals individuell bedeutend, so das Sposalizio, die Verkündigung
und die Heimsuchung, die Anbetung der Hirten und der Könige und die Taufe
Christi. Jeder wird sich hervorragender Tafelbilder erinnern, deren Meister
Züge zum Ausdruck gebracht haben, die auf keinem frühern Fresko zu finden
waren.

Oder wem fallen nicht von den dann folgenden Momenten der heiligen
Geschichte Darstellungen für Altäre ein, wie Sebastianos Auferweckung des
Lazarus, Raffaels Grabtraguug und Transfiguration, oder die mehrfach ganz
bedeutend ausgefallne Kreuzabnahme und Beweinung Christi? Burckhardt
giebt eine höchst interessante Übersicht dessen, was auf den Fresken zu finden
ist, und wovon doch nur ein Teil auf die Altäre kam. Er fragt nach den
Gründen der Auswahl, die manchmal in besondern Motiven einer Richtung
liegen, oft aber auch allgemeiner Natur sind. Das Abendmahl z. B. war
ganz für die Klosterrefektorien in Anspruch genommen, die Kreuzigung als
historisches Geschehen kommt in Italien fast gar nicht vor, nur der Gekreuzigte
mit einer kleinen Zahl begleitender Figuren, aus der Passion und den letzten
Dingen nur einzelnes, z. V. nicht das Jüngste Gericht bis auf Michelangelo.
Über manches dieser Bilder erhalten wir lebhaft begründete Werturteile; die
alten Lieblinge Burckhardts sind bei ihm in Gunst geblieben. Hervorzuheben
ist noch die hohe Schätzung von Raffaels Spasino ti Sicilia, "vielleicht sogar


GrenzbotM II 1399 33
Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance

Lippi und Sandro Botticelli, die in beiden Gattungen gut vertreten sind, ist
„das Liebliche und Mütterliche eher vom Hausaltar auf den Kirchenaltar über¬
gegangen als umgekehrt."

Das erzählende Altarbild wird bei den Mailändern dem Gnadeubilde
immer vorgezogen und später in der Barockzeit um des hineinzulegenden Pathos
willen allgemein wesentlich begünstigt, es wäre aber auch, meint Burckhardt,
überhaupt häufiger gewesen, wenn nicht das für den Kirchenaltar wünschens¬
werte Hochformat auf himmlische Erscheinungen hingewiesen hätte. Bei den
für den Hausbesitz gemalten Bildern finden wir in der That das starke Hoch¬
format nicht, dagegen viele Breitbilder, hier war also die Kunst in ihrer Stoff¬
wahl freier. Das monumentale Fresko, das ja hauptsächlich Erzählung giebt,
hat einen viel größer» Stoffkreis (wie in der nordischen Kunst die erzählenden
Holzschnittfolgen), und davon giebt es dann einiges z. B. ans dem Marienleben
den Altären ab „zur Disziplinierung und Gliederung dieses Reichtums." Da
man leicht geneigt sein wird, das Fresko schon um seines Umfangs willen
und weil es uns im Norden fehlt, für die Hauptsache der italienischen Malerei
zu halten, so kann es nur nützen, das Tafelbild wieder mehr in den Mittel-
Punkt der künstlerischen Leistung gerückt zu sehen, und zwar nicht nur in Bezug
auf Ausführung, sondern auch in der Erfindung. Was an guten erzählenden
Altarbildern auf uns gekommen ist, das zeigt uns thatsächlich den Gegenstand,
verglichen mit den Darstellungen in Fresko, nicht bloß besser „diszipliniert,"
sondern oftmals individuell bedeutend, so das Sposalizio, die Verkündigung
und die Heimsuchung, die Anbetung der Hirten und der Könige und die Taufe
Christi. Jeder wird sich hervorragender Tafelbilder erinnern, deren Meister
Züge zum Ausdruck gebracht haben, die auf keinem frühern Fresko zu finden
waren.

Oder wem fallen nicht von den dann folgenden Momenten der heiligen
Geschichte Darstellungen für Altäre ein, wie Sebastianos Auferweckung des
Lazarus, Raffaels Grabtraguug und Transfiguration, oder die mehrfach ganz
bedeutend ausgefallne Kreuzabnahme und Beweinung Christi? Burckhardt
giebt eine höchst interessante Übersicht dessen, was auf den Fresken zu finden
ist, und wovon doch nur ein Teil auf die Altäre kam. Er fragt nach den
Gründen der Auswahl, die manchmal in besondern Motiven einer Richtung
liegen, oft aber auch allgemeiner Natur sind. Das Abendmahl z. B. war
ganz für die Klosterrefektorien in Anspruch genommen, die Kreuzigung als
historisches Geschehen kommt in Italien fast gar nicht vor, nur der Gekreuzigte
mit einer kleinen Zahl begleitender Figuren, aus der Passion und den letzten
Dingen nur einzelnes, z. V. nicht das Jüngste Gericht bis auf Michelangelo.
Über manches dieser Bilder erhalten wir lebhaft begründete Werturteile; die
alten Lieblinge Burckhardts sind bei ihm in Gunst geblieben. Hervorzuheben
ist noch die hohe Schätzung von Raffaels Spasino ti Sicilia, „vielleicht sogar


GrenzbotM II 1399 33
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[0265] Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance Lippi und Sandro Botticelli, die in beiden Gattungen gut vertreten sind, ist „das Liebliche und Mütterliche eher vom Hausaltar auf den Kirchenaltar über¬ gegangen als umgekehrt." Das erzählende Altarbild wird bei den Mailändern dem Gnadeubilde immer vorgezogen und später in der Barockzeit um des hineinzulegenden Pathos willen allgemein wesentlich begünstigt, es wäre aber auch, meint Burckhardt, überhaupt häufiger gewesen, wenn nicht das für den Kirchenaltar wünschens¬ werte Hochformat auf himmlische Erscheinungen hingewiesen hätte. Bei den für den Hausbesitz gemalten Bildern finden wir in der That das starke Hoch¬ format nicht, dagegen viele Breitbilder, hier war also die Kunst in ihrer Stoff¬ wahl freier. Das monumentale Fresko, das ja hauptsächlich Erzählung giebt, hat einen viel größer» Stoffkreis (wie in der nordischen Kunst die erzählenden Holzschnittfolgen), und davon giebt es dann einiges z. B. ans dem Marienleben den Altären ab „zur Disziplinierung und Gliederung dieses Reichtums." Da man leicht geneigt sein wird, das Fresko schon um seines Umfangs willen und weil es uns im Norden fehlt, für die Hauptsache der italienischen Malerei zu halten, so kann es nur nützen, das Tafelbild wieder mehr in den Mittel- Punkt der künstlerischen Leistung gerückt zu sehen, und zwar nicht nur in Bezug auf Ausführung, sondern auch in der Erfindung. Was an guten erzählenden Altarbildern auf uns gekommen ist, das zeigt uns thatsächlich den Gegenstand, verglichen mit den Darstellungen in Fresko, nicht bloß besser „diszipliniert," sondern oftmals individuell bedeutend, so das Sposalizio, die Verkündigung und die Heimsuchung, die Anbetung der Hirten und der Könige und die Taufe Christi. Jeder wird sich hervorragender Tafelbilder erinnern, deren Meister Züge zum Ausdruck gebracht haben, die auf keinem frühern Fresko zu finden waren. Oder wem fallen nicht von den dann folgenden Momenten der heiligen Geschichte Darstellungen für Altäre ein, wie Sebastianos Auferweckung des Lazarus, Raffaels Grabtraguug und Transfiguration, oder die mehrfach ganz bedeutend ausgefallne Kreuzabnahme und Beweinung Christi? Burckhardt giebt eine höchst interessante Übersicht dessen, was auf den Fresken zu finden ist, und wovon doch nur ein Teil auf die Altäre kam. Er fragt nach den Gründen der Auswahl, die manchmal in besondern Motiven einer Richtung liegen, oft aber auch allgemeiner Natur sind. Das Abendmahl z. B. war ganz für die Klosterrefektorien in Anspruch genommen, die Kreuzigung als historisches Geschehen kommt in Italien fast gar nicht vor, nur der Gekreuzigte mit einer kleinen Zahl begleitender Figuren, aus der Passion und den letzten Dingen nur einzelnes, z. V. nicht das Jüngste Gericht bis auf Michelangelo. Über manches dieser Bilder erhalten wir lebhaft begründete Werturteile; die alten Lieblinge Burckhardts sind bei ihm in Gunst geblieben. Hervorzuheben ist noch die hohe Schätzung von Raffaels Spasino ti Sicilia, „vielleicht sogar GrenzbotM II 1399 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/265>, abgerufen am 28.09.2024.