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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

sich hingezogen habe, desto mehr seien mit dem wechselnden Glück auch die
Seelen der Menschen verwandelt worden; eine solche Masse neuer Religions¬
gebräuche (tkmtÄ i'öliZio) sei eingeschleppt worden, daß man nicht allein andre
Götter, sondern auch andre Menschen zu sehen geglaubt habe. Nicht bloß im
Geheimen und hinter verschlossenen Thüren habe man die Götter gewechselt,
sondern öffentlich, auf dem Forum und auf dem Kapitol habe man Scharen
von Frauen gesehen, die nach anderm als dem vaterländischen Ritus opferten
und beteten. Das durch den Krieg vom Acker Vertriebne Landvolk habe die
Schar derer vermehrt, die sich von den fremden Opferkünstlern und Propheten
einfangen und ausbeuten ließen. Endlich, erzählt Livius, als sich der Unwille
aller Guten immer lauter äußerte, erließ der Senat eine Verordnung, wonach
ihm alle Bücher, die Weissagungen, Gebete und Ritualvorschriften enthielten,
bis zum 1. April ausgeliefert werden sollten, und alles Opfern nach neuem
Ritus an öffentlichen und heiligen Orten verboten war.*) Daß den Ver¬
lockungen der Wollust kein Volk widersteht, wenn ihm Reichtum und Muße
die Mittel dazu gewähren, und daß auch das Christentum nicht davor zu
schützen vermögen werde, konnte Augustinus uoch nicht wissen, ebenso wenig,
daß tausend Jahre nach seinem Tode der wüsteste Aberglaube christliche Länder
verheeren werde. Übrigens ist sein Werk v"z (Avits-es ohl eine Verteidigung
gegen heidnische Angriffe. Wie überall und immer bis auf den heutigen Tag,
so wurde von den Frommen Italiens jedes Unglück als eine Strafe für die
Vernachlässigung des Gottesdienstes angesehen. Petronius läßt im Gastmahl
des Trimalchio den einen der Tischgenossen, Gcmhmed, auf die elende Stadt¬
verwaltung räsonnieren, über die Not der Bürger jammern und dann fort¬
fahren: "Ich glaube, daß das alles von den Göttern kommt. Niemand glaubt
ja mehr an eine Vorsehung, niemand beobachtet eine Fastenzeit, niemand
fürchtet Jupiter, sondern alle rechnen nur uach, was sie einnehmen und haben.
Wenn sonst bei Dürre Mißwachs drohte, dann wallten die Frauen in langen
Kleidern barfuß den heiligen Hügel hinauf, mit aufgelöstem Haar und reinem
Gemüt, und beteten zu Jupiter um Regen. Und dann goß es auch sofort
wie mit Kannen; man wurde naß wie eine begossene Maus und freute sich."
Als sich dann das Christentum verbreitete und namentlich in den großen
Städten die Tempel verödeten,**) wurde das Christentum, als ein allgemeiner
Abfall von den Göttern, als Atheismus, für alle Landplagen verantwortlich
gemacht. Steigt der Tiber über seine Ufer, spottet Tertullian, bleibt die Nil-




Auch schon beim Jahre 424 hat er angemerkt, das; zugleich mit einer Pest der Leiber
die Pest ausländischen Aberglaubens das Volk befallen habe.
"">) Wie alle neuen Ideen, so sind auch die christlichen von den Städten, und zwar von
den Großstädten aus verbreitet worden, während die Bauern an den alten Göttern festhielten
und stellenweise heute noch festhalten. Bekanntlich hat dadurch das Wort pgHanns, Bauer, die
Bedeutung Heide bekommen, ^
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Der Römerstaat

sich hingezogen habe, desto mehr seien mit dem wechselnden Glück auch die
Seelen der Menschen verwandelt worden; eine solche Masse neuer Religions¬
gebräuche (tkmtÄ i'öliZio) sei eingeschleppt worden, daß man nicht allein andre
Götter, sondern auch andre Menschen zu sehen geglaubt habe. Nicht bloß im
Geheimen und hinter verschlossenen Thüren habe man die Götter gewechselt,
sondern öffentlich, auf dem Forum und auf dem Kapitol habe man Scharen
von Frauen gesehen, die nach anderm als dem vaterländischen Ritus opferten
und beteten. Das durch den Krieg vom Acker Vertriebne Landvolk habe die
Schar derer vermehrt, die sich von den fremden Opferkünstlern und Propheten
einfangen und ausbeuten ließen. Endlich, erzählt Livius, als sich der Unwille
aller Guten immer lauter äußerte, erließ der Senat eine Verordnung, wonach
ihm alle Bücher, die Weissagungen, Gebete und Ritualvorschriften enthielten,
bis zum 1. April ausgeliefert werden sollten, und alles Opfern nach neuem
Ritus an öffentlichen und heiligen Orten verboten war.*) Daß den Ver¬
lockungen der Wollust kein Volk widersteht, wenn ihm Reichtum und Muße
die Mittel dazu gewähren, und daß auch das Christentum nicht davor zu
schützen vermögen werde, konnte Augustinus uoch nicht wissen, ebenso wenig,
daß tausend Jahre nach seinem Tode der wüsteste Aberglaube christliche Länder
verheeren werde. Übrigens ist sein Werk v«z (Avits-es ohl eine Verteidigung
gegen heidnische Angriffe. Wie überall und immer bis auf den heutigen Tag,
so wurde von den Frommen Italiens jedes Unglück als eine Strafe für die
Vernachlässigung des Gottesdienstes angesehen. Petronius läßt im Gastmahl
des Trimalchio den einen der Tischgenossen, Gcmhmed, auf die elende Stadt¬
verwaltung räsonnieren, über die Not der Bürger jammern und dann fort¬
fahren: „Ich glaube, daß das alles von den Göttern kommt. Niemand glaubt
ja mehr an eine Vorsehung, niemand beobachtet eine Fastenzeit, niemand
fürchtet Jupiter, sondern alle rechnen nur uach, was sie einnehmen und haben.
Wenn sonst bei Dürre Mißwachs drohte, dann wallten die Frauen in langen
Kleidern barfuß den heiligen Hügel hinauf, mit aufgelöstem Haar und reinem
Gemüt, und beteten zu Jupiter um Regen. Und dann goß es auch sofort
wie mit Kannen; man wurde naß wie eine begossene Maus und freute sich."
Als sich dann das Christentum verbreitete und namentlich in den großen
Städten die Tempel verödeten,**) wurde das Christentum, als ein allgemeiner
Abfall von den Göttern, als Atheismus, für alle Landplagen verantwortlich
gemacht. Steigt der Tiber über seine Ufer, spottet Tertullian, bleibt die Nil-




Auch schon beim Jahre 424 hat er angemerkt, das; zugleich mit einer Pest der Leiber
die Pest ausländischen Aberglaubens das Volk befallen habe.
"">) Wie alle neuen Ideen, so sind auch die christlichen von den Städten, und zwar von
den Großstädten aus verbreitet worden, während die Bauern an den alten Göttern festhielten
und stellenweise heute noch festhalten. Bekanntlich hat dadurch das Wort pgHanns, Bauer, die
Bedeutung Heide bekommen, ^
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[0257] Der Römerstaat sich hingezogen habe, desto mehr seien mit dem wechselnden Glück auch die Seelen der Menschen verwandelt worden; eine solche Masse neuer Religions¬ gebräuche (tkmtÄ i'öliZio) sei eingeschleppt worden, daß man nicht allein andre Götter, sondern auch andre Menschen zu sehen geglaubt habe. Nicht bloß im Geheimen und hinter verschlossenen Thüren habe man die Götter gewechselt, sondern öffentlich, auf dem Forum und auf dem Kapitol habe man Scharen von Frauen gesehen, die nach anderm als dem vaterländischen Ritus opferten und beteten. Das durch den Krieg vom Acker Vertriebne Landvolk habe die Schar derer vermehrt, die sich von den fremden Opferkünstlern und Propheten einfangen und ausbeuten ließen. Endlich, erzählt Livius, als sich der Unwille aller Guten immer lauter äußerte, erließ der Senat eine Verordnung, wonach ihm alle Bücher, die Weissagungen, Gebete und Ritualvorschriften enthielten, bis zum 1. April ausgeliefert werden sollten, und alles Opfern nach neuem Ritus an öffentlichen und heiligen Orten verboten war.*) Daß den Ver¬ lockungen der Wollust kein Volk widersteht, wenn ihm Reichtum und Muße die Mittel dazu gewähren, und daß auch das Christentum nicht davor zu schützen vermögen werde, konnte Augustinus uoch nicht wissen, ebenso wenig, daß tausend Jahre nach seinem Tode der wüsteste Aberglaube christliche Länder verheeren werde. Übrigens ist sein Werk v«z (Avits-es ohl eine Verteidigung gegen heidnische Angriffe. Wie überall und immer bis auf den heutigen Tag, so wurde von den Frommen Italiens jedes Unglück als eine Strafe für die Vernachlässigung des Gottesdienstes angesehen. Petronius läßt im Gastmahl des Trimalchio den einen der Tischgenossen, Gcmhmed, auf die elende Stadt¬ verwaltung räsonnieren, über die Not der Bürger jammern und dann fort¬ fahren: „Ich glaube, daß das alles von den Göttern kommt. Niemand glaubt ja mehr an eine Vorsehung, niemand beobachtet eine Fastenzeit, niemand fürchtet Jupiter, sondern alle rechnen nur uach, was sie einnehmen und haben. Wenn sonst bei Dürre Mißwachs drohte, dann wallten die Frauen in langen Kleidern barfuß den heiligen Hügel hinauf, mit aufgelöstem Haar und reinem Gemüt, und beteten zu Jupiter um Regen. Und dann goß es auch sofort wie mit Kannen; man wurde naß wie eine begossene Maus und freute sich." Als sich dann das Christentum verbreitete und namentlich in den großen Städten die Tempel verödeten,**) wurde das Christentum, als ein allgemeiner Abfall von den Göttern, als Atheismus, für alle Landplagen verantwortlich gemacht. Steigt der Tiber über seine Ufer, spottet Tertullian, bleibt die Nil- Auch schon beim Jahre 424 hat er angemerkt, das; zugleich mit einer Pest der Leiber die Pest ausländischen Aberglaubens das Volk befallen habe. "">) Wie alle neuen Ideen, so sind auch die christlichen von den Städten, und zwar von den Großstädten aus verbreitet worden, während die Bauern an den alten Göttern festhielten und stellenweise heute noch festhalten. Bekanntlich hat dadurch das Wort pgHanns, Bauer, die Bedeutung Heide bekommen, ^ Grenzboten I> IM» !>2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/257>, abgerufen am 28.09.2024.