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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Mannes sei, der mit genialer Kühnheit das einzige gethan habe, was in jenem
Augenblicke die Sache Roms möglicherweise noch retten konnte, so haben wir
hier den ersten geschichtlich beglaubigten Fall, wo der redende Säugling, der
Ochse auf dem Dache, der schwarze Vogel auf dem Kissen der Juno, der Stein¬
regen und der Wolf, der der Schildwache das Schwert aus der Scheide zieht,
im Interesse einer Partei besorgt worden sind; Polybius hat der "patrizischen
Verleumdung" ebenfalls geglaubt und nennt den Flaminius einen Mann, der
zwar in demagogischen Künsten geübt, seiner Feldherrnaufgabe aber nicht ge¬
wachsen und durch übermäßiges Selbstvertrauen irre geleitet gewesen sei.

Die Religion des ladinischen Stammes hat sich nun nicht unabhängig
von äußern Einflüssen entwickelt. Aus Etrurien hat sie die Technik des
Götterdienstes, von den Griechen, zunächst natürlich von den italischen, die
Mythologie, vou beiden die Götterbilder bezogen. Wenn Döllinger die vom
Himmel gefallnen Steine und ähnliche Heiligtümer der Zeit des bildlosen
Kultus Fetische nennt, so scheint er mir den Römern mit dieser Bezeichnung
unrecht zu thun. Von Fetischen kann man doch wohl nur reden, wo reine
Zauberei vorliegt, d. h. wo die den Symbolen zugeschriebnen Kräfte und
Wirkungen keine Beziehung auf eine vou sittlichen Ideen erfüllte Religion
haben; eine solche ist aber die Religion der Römer von Anfang an gewesen.
Als dann später auch die griechische Philosophie bekannt wurde, und die Römer
selbst zu philosophieren anfingen, brachte man die Götterlehre auch mit den
Naturwissenschaften, soweit von solchen bei den Alten geredet werden kann,
in Verbindung; Kosmogonien wurden erdacht, von denen bei den urwüchsigen
Römern so wenig die Rede gewesen war wie von Theogonien, während die
griechische Mythologie vou Anfang nu einen spekulativen Zug verraten hatte.
Deshalb teilt Ciceros Zeitgenosse Varro, der gelehrteste aller Römer, der
700 Bünde geschrieben hat, die Theologie in drei Teile ein, die mythische, die
physische und die bürgerliche lLsnus civils); mit der ersten hätten es die Dichter,
mit der zweiten die Philosophen, mit der dritten habe es das Volk zu thu";
die erste gehöre dem Theater, die zweite dem Weltall, die dritte dem Staate
an. Augustinus, durch dessen Polemik in seinem schon angeführten Haupt¬
werke wir einiges von den, Inhalt der Verlornen einundvierzig Bücher der Anti¬
quitäten Varros erfahren, weiß als gewandter Dialektiker aus Varro selbst
ein Vernichtungsurteil über die von diesem so hoch geschätzte bürgerliche
Religion zu konstruieren. Er habe anerkannt, daß die Mythen Dichterfabeln
seien, und daß darin den Göttern viel unwürdiges angedichtet werde. Indem
er so die menschlichen Erdichtungen von dem Göttlichen trenne, müsse er folge¬
richtig auch die bürgerliche Theologie verdammen, denn es seien dieselben
Götter, zu deren Ehre im Theater Spiele aufgeführt, und denen im Tempel
Opfer dargebracht würden, und wie die Theater und die Staaten, so seien
auch die Götter des Theaters und des Staates menschliche Erfindungen und


Der Römerstaat

Mannes sei, der mit genialer Kühnheit das einzige gethan habe, was in jenem
Augenblicke die Sache Roms möglicherweise noch retten konnte, so haben wir
hier den ersten geschichtlich beglaubigten Fall, wo der redende Säugling, der
Ochse auf dem Dache, der schwarze Vogel auf dem Kissen der Juno, der Stein¬
regen und der Wolf, der der Schildwache das Schwert aus der Scheide zieht,
im Interesse einer Partei besorgt worden sind; Polybius hat der „patrizischen
Verleumdung" ebenfalls geglaubt und nennt den Flaminius einen Mann, der
zwar in demagogischen Künsten geübt, seiner Feldherrnaufgabe aber nicht ge¬
wachsen und durch übermäßiges Selbstvertrauen irre geleitet gewesen sei.

Die Religion des ladinischen Stammes hat sich nun nicht unabhängig
von äußern Einflüssen entwickelt. Aus Etrurien hat sie die Technik des
Götterdienstes, von den Griechen, zunächst natürlich von den italischen, die
Mythologie, vou beiden die Götterbilder bezogen. Wenn Döllinger die vom
Himmel gefallnen Steine und ähnliche Heiligtümer der Zeit des bildlosen
Kultus Fetische nennt, so scheint er mir den Römern mit dieser Bezeichnung
unrecht zu thun. Von Fetischen kann man doch wohl nur reden, wo reine
Zauberei vorliegt, d. h. wo die den Symbolen zugeschriebnen Kräfte und
Wirkungen keine Beziehung auf eine vou sittlichen Ideen erfüllte Religion
haben; eine solche ist aber die Religion der Römer von Anfang an gewesen.
Als dann später auch die griechische Philosophie bekannt wurde, und die Römer
selbst zu philosophieren anfingen, brachte man die Götterlehre auch mit den
Naturwissenschaften, soweit von solchen bei den Alten geredet werden kann,
in Verbindung; Kosmogonien wurden erdacht, von denen bei den urwüchsigen
Römern so wenig die Rede gewesen war wie von Theogonien, während die
griechische Mythologie vou Anfang nu einen spekulativen Zug verraten hatte.
Deshalb teilt Ciceros Zeitgenosse Varro, der gelehrteste aller Römer, der
700 Bünde geschrieben hat, die Theologie in drei Teile ein, die mythische, die
physische und die bürgerliche lLsnus civils); mit der ersten hätten es die Dichter,
mit der zweiten die Philosophen, mit der dritten habe es das Volk zu thu»;
die erste gehöre dem Theater, die zweite dem Weltall, die dritte dem Staate
an. Augustinus, durch dessen Polemik in seinem schon angeführten Haupt¬
werke wir einiges von den, Inhalt der Verlornen einundvierzig Bücher der Anti¬
quitäten Varros erfahren, weiß als gewandter Dialektiker aus Varro selbst
ein Vernichtungsurteil über die von diesem so hoch geschätzte bürgerliche
Religion zu konstruieren. Er habe anerkannt, daß die Mythen Dichterfabeln
seien, und daß darin den Göttern viel unwürdiges angedichtet werde. Indem
er so die menschlichen Erdichtungen von dem Göttlichen trenne, müsse er folge¬
richtig auch die bürgerliche Theologie verdammen, denn es seien dieselben
Götter, zu deren Ehre im Theater Spiele aufgeführt, und denen im Tempel
Opfer dargebracht würden, und wie die Theater und die Staaten, so seien
auch die Götter des Theaters und des Staates menschliche Erfindungen und


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[0255] Der Römerstaat Mannes sei, der mit genialer Kühnheit das einzige gethan habe, was in jenem Augenblicke die Sache Roms möglicherweise noch retten konnte, so haben wir hier den ersten geschichtlich beglaubigten Fall, wo der redende Säugling, der Ochse auf dem Dache, der schwarze Vogel auf dem Kissen der Juno, der Stein¬ regen und der Wolf, der der Schildwache das Schwert aus der Scheide zieht, im Interesse einer Partei besorgt worden sind; Polybius hat der „patrizischen Verleumdung" ebenfalls geglaubt und nennt den Flaminius einen Mann, der zwar in demagogischen Künsten geübt, seiner Feldherrnaufgabe aber nicht ge¬ wachsen und durch übermäßiges Selbstvertrauen irre geleitet gewesen sei. Die Religion des ladinischen Stammes hat sich nun nicht unabhängig von äußern Einflüssen entwickelt. Aus Etrurien hat sie die Technik des Götterdienstes, von den Griechen, zunächst natürlich von den italischen, die Mythologie, vou beiden die Götterbilder bezogen. Wenn Döllinger die vom Himmel gefallnen Steine und ähnliche Heiligtümer der Zeit des bildlosen Kultus Fetische nennt, so scheint er mir den Römern mit dieser Bezeichnung unrecht zu thun. Von Fetischen kann man doch wohl nur reden, wo reine Zauberei vorliegt, d. h. wo die den Symbolen zugeschriebnen Kräfte und Wirkungen keine Beziehung auf eine vou sittlichen Ideen erfüllte Religion haben; eine solche ist aber die Religion der Römer von Anfang an gewesen. Als dann später auch die griechische Philosophie bekannt wurde, und die Römer selbst zu philosophieren anfingen, brachte man die Götterlehre auch mit den Naturwissenschaften, soweit von solchen bei den Alten geredet werden kann, in Verbindung; Kosmogonien wurden erdacht, von denen bei den urwüchsigen Römern so wenig die Rede gewesen war wie von Theogonien, während die griechische Mythologie vou Anfang nu einen spekulativen Zug verraten hatte. Deshalb teilt Ciceros Zeitgenosse Varro, der gelehrteste aller Römer, der 700 Bünde geschrieben hat, die Theologie in drei Teile ein, die mythische, die physische und die bürgerliche lLsnus civils); mit der ersten hätten es die Dichter, mit der zweiten die Philosophen, mit der dritten habe es das Volk zu thu»; die erste gehöre dem Theater, die zweite dem Weltall, die dritte dem Staate an. Augustinus, durch dessen Polemik in seinem schon angeführten Haupt¬ werke wir einiges von den, Inhalt der Verlornen einundvierzig Bücher der Anti¬ quitäten Varros erfahren, weiß als gewandter Dialektiker aus Varro selbst ein Vernichtungsurteil über die von diesem so hoch geschätzte bürgerliche Religion zu konstruieren. Er habe anerkannt, daß die Mythen Dichterfabeln seien, und daß darin den Göttern viel unwürdiges angedichtet werde. Indem er so die menschlichen Erdichtungen von dem Göttlichen trenne, müsse er folge¬ richtig auch die bürgerliche Theologie verdammen, denn es seien dieselben Götter, zu deren Ehre im Theater Spiele aufgeführt, und denen im Tempel Opfer dargebracht würden, und wie die Theater und die Staaten, so seien auch die Götter des Theaters und des Staates menschliche Erfindungen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/255>, abgerufen am 28.09.2024.