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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

246

einen Tempel schlug, das immer als ein ganz besonders furchtbares Götter-
zeichen aufgefaßt. Im 13. Kapitel des 43. Buches rechtfertigt es Livius,
daß er diese Sachen so gewissenhaft verzeichnet hat. Ich weiß recht wohl,
schreibt er, "daß der heutige Leichtsinn ^so darf man hier mög'lig'sulln wohl
übersetzen^ an Götterzeichen nicht mehr glaubt, und daß man daher amtlich
keine mehr verkündigt noch aufzeichnet. Mir aber ist beim Berichten alter
Dinge auch die Seele altertümlich geworden, und religiöse Scheu hält mich ab,
Dinge, die von den klügsten Männern für bedeutungsvoll gehalten worden
sind, der Aufnahme in meine Annalen unwürdig zu erachten." Der Unglaube
herrschte zu des Livius Zeit nur bei den Gebildeten, der Pöbel ist niemals
abergläubischer und leichtgläubiger gewesen als in der Kaiserzeit. Und auch
die Gebildeten waren ihrer Sache keineswegs gewiß; Vorkommnisse wie die
zahlreichen ungünstigen Vorbedeutungen vor Cäsars Ermordung befestigten in
manchem Zweifelnden den alten Götterglauben wieder. Die Versuchung, den
Götterdienst im schlechten Sinne politisch zu machen, d. h. sich die Auspizien,
Eingeweidczeichen und Wunderzeichen zu verschaffen, die man für den Staats¬
zweck oder wohl auch für einen Parteizweck gerade brauchte, lag so nahe, daß
die Römer Engel gewesen sein müßten, wenn sie ihr nicht unterlegen
wären. Man darf aber dabei, wenigstens in der ältern Zeit, nicht sofort an
bewußten Betrug denken. In naiven Zeiten halten sich kräftige Naturen auf¬
richtig bei jedem wichtigen Entschlüsse für Werkzeuge der Gottheit und glauben
daher auch die Zeichen in ihrem Sinne deuten oder für Herbeischaffung günstiger
Zeichen sorgen zu dürfen. So haben die mittelalterlichen Kloster- und Bistums¬
gründer bei der Platzwahl gewöhnlich das richtige getroffen und eine wirkliche
Kulturthat vollbracht, wenn sie sich durch allerlei von Gott erhellte Zeichen
bestimmen ließen, die nichts waren als die zur eignen Beruhigung und zur
Förderung des Werkes beim Volke erwünschte Bestätigung dessen, was sie ver¬
ständige Überlegung oder ein genialer Instinkt hatte wählen lassen. Von
frecher Verhöhnung des Heiligen war man weit entfernt. Über den Frevel
des Claudius Pulcher, der die heiligen Hühner mit dem bekannten Ausspruche
hatte ins Meer werfen lassen, mag man aufrichtig erschrocken gewesen sein,
und die furchtbare Niederlage, die er bei Drepanum erlitt, wird als gerechte
Strafe gegolten haben. Livius berichtet über die Wunderlichen, die der Wahl
des Flaminius zum Konsul im Jahre 218 v. Chr. vorhergingen, über die
Opfer, Reinigungen und Weihegeschenke, mit denen man den augenscheinlichen
Zorn der Götter zu besänftigen suchte, und bemerkt dann, wo er zur Schlacht
am Trasimenischen See kommt, der Konsul sei ungestümen Gemütes gewesen,
ohne Ehrfurcht vor der Majestät der Gesetze und der Väter, und habe nicht
einmal die Götter gefürchtet; man habe daher schon voraussehen können, daß
er in wilder Überstürzung handeln werde. Wenn wir der neuern Darstellung
glauben dürfen, wonach dies patrizische Verleumdung des volksfreundlichen


Der Römerstaat

246

einen Tempel schlug, das immer als ein ganz besonders furchtbares Götter-
zeichen aufgefaßt. Im 13. Kapitel des 43. Buches rechtfertigt es Livius,
daß er diese Sachen so gewissenhaft verzeichnet hat. Ich weiß recht wohl,
schreibt er, „daß der heutige Leichtsinn ^so darf man hier mög'lig'sulln wohl
übersetzen^ an Götterzeichen nicht mehr glaubt, und daß man daher amtlich
keine mehr verkündigt noch aufzeichnet. Mir aber ist beim Berichten alter
Dinge auch die Seele altertümlich geworden, und religiöse Scheu hält mich ab,
Dinge, die von den klügsten Männern für bedeutungsvoll gehalten worden
sind, der Aufnahme in meine Annalen unwürdig zu erachten." Der Unglaube
herrschte zu des Livius Zeit nur bei den Gebildeten, der Pöbel ist niemals
abergläubischer und leichtgläubiger gewesen als in der Kaiserzeit. Und auch
die Gebildeten waren ihrer Sache keineswegs gewiß; Vorkommnisse wie die
zahlreichen ungünstigen Vorbedeutungen vor Cäsars Ermordung befestigten in
manchem Zweifelnden den alten Götterglauben wieder. Die Versuchung, den
Götterdienst im schlechten Sinne politisch zu machen, d. h. sich die Auspizien,
Eingeweidczeichen und Wunderzeichen zu verschaffen, die man für den Staats¬
zweck oder wohl auch für einen Parteizweck gerade brauchte, lag so nahe, daß
die Römer Engel gewesen sein müßten, wenn sie ihr nicht unterlegen
wären. Man darf aber dabei, wenigstens in der ältern Zeit, nicht sofort an
bewußten Betrug denken. In naiven Zeiten halten sich kräftige Naturen auf¬
richtig bei jedem wichtigen Entschlüsse für Werkzeuge der Gottheit und glauben
daher auch die Zeichen in ihrem Sinne deuten oder für Herbeischaffung günstiger
Zeichen sorgen zu dürfen. So haben die mittelalterlichen Kloster- und Bistums¬
gründer bei der Platzwahl gewöhnlich das richtige getroffen und eine wirkliche
Kulturthat vollbracht, wenn sie sich durch allerlei von Gott erhellte Zeichen
bestimmen ließen, die nichts waren als die zur eignen Beruhigung und zur
Förderung des Werkes beim Volke erwünschte Bestätigung dessen, was sie ver¬
ständige Überlegung oder ein genialer Instinkt hatte wählen lassen. Von
frecher Verhöhnung des Heiligen war man weit entfernt. Über den Frevel
des Claudius Pulcher, der die heiligen Hühner mit dem bekannten Ausspruche
hatte ins Meer werfen lassen, mag man aufrichtig erschrocken gewesen sein,
und die furchtbare Niederlage, die er bei Drepanum erlitt, wird als gerechte
Strafe gegolten haben. Livius berichtet über die Wunderlichen, die der Wahl
des Flaminius zum Konsul im Jahre 218 v. Chr. vorhergingen, über die
Opfer, Reinigungen und Weihegeschenke, mit denen man den augenscheinlichen
Zorn der Götter zu besänftigen suchte, und bemerkt dann, wo er zur Schlacht
am Trasimenischen See kommt, der Konsul sei ungestümen Gemütes gewesen,
ohne Ehrfurcht vor der Majestät der Gesetze und der Väter, und habe nicht
einmal die Götter gefürchtet; man habe daher schon voraussehen können, daß
er in wilder Überstürzung handeln werde. Wenn wir der neuern Darstellung
glauben dürfen, wonach dies patrizische Verleumdung des volksfreundlichen


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[0254] Der Römerstaat 246 einen Tempel schlug, das immer als ein ganz besonders furchtbares Götter- zeichen aufgefaßt. Im 13. Kapitel des 43. Buches rechtfertigt es Livius, daß er diese Sachen so gewissenhaft verzeichnet hat. Ich weiß recht wohl, schreibt er, „daß der heutige Leichtsinn ^so darf man hier mög'lig'sulln wohl übersetzen^ an Götterzeichen nicht mehr glaubt, und daß man daher amtlich keine mehr verkündigt noch aufzeichnet. Mir aber ist beim Berichten alter Dinge auch die Seele altertümlich geworden, und religiöse Scheu hält mich ab, Dinge, die von den klügsten Männern für bedeutungsvoll gehalten worden sind, der Aufnahme in meine Annalen unwürdig zu erachten." Der Unglaube herrschte zu des Livius Zeit nur bei den Gebildeten, der Pöbel ist niemals abergläubischer und leichtgläubiger gewesen als in der Kaiserzeit. Und auch die Gebildeten waren ihrer Sache keineswegs gewiß; Vorkommnisse wie die zahlreichen ungünstigen Vorbedeutungen vor Cäsars Ermordung befestigten in manchem Zweifelnden den alten Götterglauben wieder. Die Versuchung, den Götterdienst im schlechten Sinne politisch zu machen, d. h. sich die Auspizien, Eingeweidczeichen und Wunderzeichen zu verschaffen, die man für den Staats¬ zweck oder wohl auch für einen Parteizweck gerade brauchte, lag so nahe, daß die Römer Engel gewesen sein müßten, wenn sie ihr nicht unterlegen wären. Man darf aber dabei, wenigstens in der ältern Zeit, nicht sofort an bewußten Betrug denken. In naiven Zeiten halten sich kräftige Naturen auf¬ richtig bei jedem wichtigen Entschlüsse für Werkzeuge der Gottheit und glauben daher auch die Zeichen in ihrem Sinne deuten oder für Herbeischaffung günstiger Zeichen sorgen zu dürfen. So haben die mittelalterlichen Kloster- und Bistums¬ gründer bei der Platzwahl gewöhnlich das richtige getroffen und eine wirkliche Kulturthat vollbracht, wenn sie sich durch allerlei von Gott erhellte Zeichen bestimmen ließen, die nichts waren als die zur eignen Beruhigung und zur Förderung des Werkes beim Volke erwünschte Bestätigung dessen, was sie ver¬ ständige Überlegung oder ein genialer Instinkt hatte wählen lassen. Von frecher Verhöhnung des Heiligen war man weit entfernt. Über den Frevel des Claudius Pulcher, der die heiligen Hühner mit dem bekannten Ausspruche hatte ins Meer werfen lassen, mag man aufrichtig erschrocken gewesen sein, und die furchtbare Niederlage, die er bei Drepanum erlitt, wird als gerechte Strafe gegolten haben. Livius berichtet über die Wunderlichen, die der Wahl des Flaminius zum Konsul im Jahre 218 v. Chr. vorhergingen, über die Opfer, Reinigungen und Weihegeschenke, mit denen man den augenscheinlichen Zorn der Götter zu besänftigen suchte, und bemerkt dann, wo er zur Schlacht am Trasimenischen See kommt, der Konsul sei ungestümen Gemütes gewesen, ohne Ehrfurcht vor der Majestät der Gesetze und der Väter, und habe nicht einmal die Götter gefürchtet; man habe daher schon voraussehen können, daß er in wilder Überstürzung handeln werde. Wenn wir der neuern Darstellung glauben dürfen, wonach dies patrizische Verleumdung des volksfreundlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/254>, abgerufen am 28.09.2024.