Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.Raffen und Kriege das deutsche Volk Anspruch machen. Dem chauvinistischen Preßlärm von Noch eine Frage erscheint wichtig: unser Verhältnis zu den Streitkräften In Deutschland herrscht in ziemlich weitverbreiteten Kreisen eine Furcht Die Eigenschaft, auf die im Grunde unsre militärischen Erfolge zurück¬ Wilhelm Schölermann Raffen und Kriege das deutsche Volk Anspruch machen. Dem chauvinistischen Preßlärm von Noch eine Frage erscheint wichtig: unser Verhältnis zu den Streitkräften In Deutschland herrscht in ziemlich weitverbreiteten Kreisen eine Furcht Die Eigenschaft, auf die im Grunde unsre militärischen Erfolge zurück¬ Wilhelm Schölermann <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230682"/> <fw type="header" place="top"> Raffen und Kriege</fw><lb/> <p xml:id="ID_804" prev="#ID_803"> das deutsche Volk Anspruch machen. Dem chauvinistischen Preßlärm von<lb/> hüben und drüben brauchen wir im übrigen keine höhere Bedeutung beizumessen,<lb/> als ihm zukommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_805"> Noch eine Frage erscheint wichtig: unser Verhältnis zu den Streitkräften<lb/> Rußlands.</p><lb/> <p xml:id="ID_806"> In Deutschland herrscht in ziemlich weitverbreiteten Kreisen eine Furcht<lb/> vor der numerischen Übermacht Rußlands. Erst jüngst äußerte sich diese<lb/> Stimmung in einem Aufsatz eines langjährigen Mitarbeiters der Grenzboten<lb/> in der Wiener Zeit („Militarismus und Landwirtschaft in Preußen," von<lb/> Carl Jentsch). Es wurde darin ernstlich der Gedanke erwogen, um vor Ru߬<lb/> land Ruhe zu haben, müsse Deutschland bei Gelegenheit die russische Heermacht<lb/> angreifen und zertrümmern. In Preußen sei mau allerdings von der Not¬<lb/> wendigkeit eines solchen Schrittes keineswegs durchdrungen. Ich mochte hin¬<lb/> zufügen, nicht nur in Preußen! Die Notwendigkeit würde doch nur vorliegen,<lb/> wenn wir einem Augriff Rußlands, zu dem gar kein zwingender politischer<lb/> Grund jetzt oder künftig vorliegt, vorbeugen müßten. Einen gefährlichen<lb/> Gegner soll man nie unterschätzen. Aber für die freie Entfaltung eines großen<lb/> Kultnrstaates ist es ebenso notwendig, daß ihm das feste Vertrauen in seine<lb/> eigne Stärke erhalten bleibt. Wenn unsre eigne Wehrkraft zu Lande nicht<lb/> vermindert und zur See stetig vermehrt wird, so ist es keine Überhebung,<lb/> wenn wir annehmen, daß wir jeden Angriff zurückzuweisen die Mittel habe».<lb/> Selbst im äußersten Falle eines Krieges nach zwei Fronten, der möglich<lb/> aber nicht sehr wahrscheinlich ist, sollte man auch im Deutschen Reiche die<lb/> Überzeugung haben — die der gewinnt, der ausländische Verhültnisfe mit<lb/> unsrer Organisation, unserm Vorsprung in der Kultur und unsrer Arbeitskraft<lb/> vergleicht —, daß sich die ganze einheitliche Stärke der Volkskraft bewähren<lb/> wird, wie sie es noch immer gethan hat, wenn sie auf eine harte Probe ge¬<lb/> stellt worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_807"> Die Eigenschaft, auf die im Grunde unsre militärischen Erfolge zurück¬<lb/> zuführen sind, ist, wenn wir sie beim rechten Namen nennen, nüchterne Zu¬<lb/> verlässigkeit und Treue gewesen. Nüchternheit mit Freiheitssinn verbunden<lb/> giebt eine Nasseneigcnschcift, die in allen Knlturaufgaben die Führerschaft, im<lb/> Kriege den Sieg verbürgen kann. Auf diese „nüchterne Tüchtigkeit," hinter<lb/> der so viel warme Hingebung verborgen liegt, weil sie seelischen Ursprungs<lb/> ist, die den Menschen zugleich „kühl und kühn" macht, ans die dürfen wir<lb/> uns auch in kommenden schweren Zeiten verlassen.</p><lb/> <note type="byline"> Wilhelm Schölermann</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0250]
Raffen und Kriege
das deutsche Volk Anspruch machen. Dem chauvinistischen Preßlärm von
hüben und drüben brauchen wir im übrigen keine höhere Bedeutung beizumessen,
als ihm zukommt.
Noch eine Frage erscheint wichtig: unser Verhältnis zu den Streitkräften
Rußlands.
In Deutschland herrscht in ziemlich weitverbreiteten Kreisen eine Furcht
vor der numerischen Übermacht Rußlands. Erst jüngst äußerte sich diese
Stimmung in einem Aufsatz eines langjährigen Mitarbeiters der Grenzboten
in der Wiener Zeit („Militarismus und Landwirtschaft in Preußen," von
Carl Jentsch). Es wurde darin ernstlich der Gedanke erwogen, um vor Ru߬
land Ruhe zu haben, müsse Deutschland bei Gelegenheit die russische Heermacht
angreifen und zertrümmern. In Preußen sei mau allerdings von der Not¬
wendigkeit eines solchen Schrittes keineswegs durchdrungen. Ich mochte hin¬
zufügen, nicht nur in Preußen! Die Notwendigkeit würde doch nur vorliegen,
wenn wir einem Augriff Rußlands, zu dem gar kein zwingender politischer
Grund jetzt oder künftig vorliegt, vorbeugen müßten. Einen gefährlichen
Gegner soll man nie unterschätzen. Aber für die freie Entfaltung eines großen
Kultnrstaates ist es ebenso notwendig, daß ihm das feste Vertrauen in seine
eigne Stärke erhalten bleibt. Wenn unsre eigne Wehrkraft zu Lande nicht
vermindert und zur See stetig vermehrt wird, so ist es keine Überhebung,
wenn wir annehmen, daß wir jeden Angriff zurückzuweisen die Mittel habe».
Selbst im äußersten Falle eines Krieges nach zwei Fronten, der möglich
aber nicht sehr wahrscheinlich ist, sollte man auch im Deutschen Reiche die
Überzeugung haben — die der gewinnt, der ausländische Verhültnisfe mit
unsrer Organisation, unserm Vorsprung in der Kultur und unsrer Arbeitskraft
vergleicht —, daß sich die ganze einheitliche Stärke der Volkskraft bewähren
wird, wie sie es noch immer gethan hat, wenn sie auf eine harte Probe ge¬
stellt worden ist.
Die Eigenschaft, auf die im Grunde unsre militärischen Erfolge zurück¬
zuführen sind, ist, wenn wir sie beim rechten Namen nennen, nüchterne Zu¬
verlässigkeit und Treue gewesen. Nüchternheit mit Freiheitssinn verbunden
giebt eine Nasseneigcnschcift, die in allen Knlturaufgaben die Führerschaft, im
Kriege den Sieg verbürgen kann. Auf diese „nüchterne Tüchtigkeit," hinter
der so viel warme Hingebung verborgen liegt, weil sie seelischen Ursprungs
ist, die den Menschen zugleich „kühl und kühn" macht, ans die dürfen wir
uns auch in kommenden schweren Zeiten verlassen.
Wilhelm Schölermann
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