Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.Wie Bayern ein moderner Staat wurde wird Frankreich die Oberhand behalten? -- kalkulierte man den ganzen Sommer Die Nationalbewaffnung, sowie die der Freiwilligen wurde unter der Wie Bayern ein moderner Staat wurde wird Frankreich die Oberhand behalten? — kalkulierte man den ganzen Sommer Die Nationalbewaffnung, sowie die der Freiwilligen wurde unter der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230643"/> <fw type="header" place="top"> Wie Bayern ein moderner Staat wurde</fw><lb/> <p xml:id="ID_663" prev="#ID_662"> wird Frankreich die Oberhand behalten? — kalkulierte man den ganzen Sommer<lb/> hindurch, und erst als keine Gefahr der Täuschung mehr vorhanden war, er¬<lb/> folgte, acht Tage vor der Völkerschlacht, der Abschluß des Nieder Vertrags.<lb/> Bei den nun folgenden Ereignissen, der großen Schlacht, dem Rheinübergang,<lb/> der Einnahme von Paris, verhielt sich die bayrische Regierung kalt, der weit¬<lb/> aus größte Teil des Volkes ruhig. Wer wußte auch, was nicht alles die<lb/> fatale Deutschheit mit sich führen würde! Das Reden und Schreiben gegen<lb/> Napoleon blieb untersagt, die Zensur wachte streng. „Der König, schrieb ein<lb/> Zensor auf eine Ode, will, daß man handle, nicht daß man schreibe." Die<lb/> Schlacht bei Leipzig wurde fast gar nicht gefeiert; nur in der Hofkapelle und<lb/> für das Militär wurde ein Tedeum gesungen. In einem „Og,w zur Geschichte<lb/> des Jahres 1813 als Prognostikon für die Zukunft" überschriebnen Entwurf<lb/> heißt es: „Die Völkerschlacht bei Leipzig wurde geschlagen. In einem feier¬<lb/> lichen Tedeum werden wir doch wohl Gott für den herrlichen Sieg danken,<lb/> womit er die Waffen der Völker gesegnet hat: sangen wir doch feierliche Lob-<lb/> gesänge, als Moskau eingenommen war! Aber nein! was wir für die fremde<lb/> Sache thaten, für die unsre Kinder starben, dessen war die gerechte Sache des<lb/> Menschengeschlechts nicht wert."</p><lb/> <p xml:id="ID_664"> Die Nationalbewaffnung, sowie die der Freiwilligen wurde unter der<lb/> Hand so gut als möglich zurückgehalten; die Polizeibeamten bespöttelten die<lb/> Leute, die sich meldeten. Beunruhigende, zweideutige Nachrichten wurden ver¬<lb/> breitet, überall herrschte eine dumpfe, ängstliche Stille. Man wagte nicht zu<lb/> reden, viel weniger zu schreiben. Eine ärmliche, von Arelim verfaßte Volks-<lb/> schrift: „Was wollen wir?" sah mehr aus wie eine Verteidigungsschrift der<lb/> Regierung gegen den möglichen Vorwurf eines verbrecherischen Abfalls; um<lb/> das Bayerntum dreht sich alles, der deutschen Ehre geschieht keine Erwähnung;<lb/> Bayern ist die Welt. Der Hauptrechtfertigungsgrund ist: Wir Bayern gingen<lb/> mit dir, Napoleon, gegen unsre deutschen Nachbarn auf den Raub, und du hast,<lb/> wie der Löwe mit den schwüchern Thieren, viel zu ungleich den Raub geteilt,<lb/> wir haben nicht genug bekommen. Feuerbach bezeugte in diesen Tagen seinen<lb/> Gemeingeist durch mehrere populäre Schriften, die trotz der Wachsamkeit der<lb/> Zensoren eine rasche Verbreitung fanden. Der Kronprinz nebst Wrede uUd<lb/> Nechberg, unter den leitenden Persönlichkeiten die einzigen Deutschgesinnten,<lb/> sprachen ihm lebhaft ihren Dank aus, während Montgelas ihn in einem<lb/> Ministerialreskript beschuldigt, in der Person des feindlichen Souveräns die<lb/> Majestät beleidigt zu haben, und ihm das fernere Schreiben nur unter der<lb/> Zensur des auswärtigen Departements erlaubte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0211]
Wie Bayern ein moderner Staat wurde
wird Frankreich die Oberhand behalten? — kalkulierte man den ganzen Sommer
hindurch, und erst als keine Gefahr der Täuschung mehr vorhanden war, er¬
folgte, acht Tage vor der Völkerschlacht, der Abschluß des Nieder Vertrags.
Bei den nun folgenden Ereignissen, der großen Schlacht, dem Rheinübergang,
der Einnahme von Paris, verhielt sich die bayrische Regierung kalt, der weit¬
aus größte Teil des Volkes ruhig. Wer wußte auch, was nicht alles die
fatale Deutschheit mit sich führen würde! Das Reden und Schreiben gegen
Napoleon blieb untersagt, die Zensur wachte streng. „Der König, schrieb ein
Zensor auf eine Ode, will, daß man handle, nicht daß man schreibe." Die
Schlacht bei Leipzig wurde fast gar nicht gefeiert; nur in der Hofkapelle und
für das Militär wurde ein Tedeum gesungen. In einem „Og,w zur Geschichte
des Jahres 1813 als Prognostikon für die Zukunft" überschriebnen Entwurf
heißt es: „Die Völkerschlacht bei Leipzig wurde geschlagen. In einem feier¬
lichen Tedeum werden wir doch wohl Gott für den herrlichen Sieg danken,
womit er die Waffen der Völker gesegnet hat: sangen wir doch feierliche Lob-
gesänge, als Moskau eingenommen war! Aber nein! was wir für die fremde
Sache thaten, für die unsre Kinder starben, dessen war die gerechte Sache des
Menschengeschlechts nicht wert."
Die Nationalbewaffnung, sowie die der Freiwilligen wurde unter der
Hand so gut als möglich zurückgehalten; die Polizeibeamten bespöttelten die
Leute, die sich meldeten. Beunruhigende, zweideutige Nachrichten wurden ver¬
breitet, überall herrschte eine dumpfe, ängstliche Stille. Man wagte nicht zu
reden, viel weniger zu schreiben. Eine ärmliche, von Arelim verfaßte Volks-
schrift: „Was wollen wir?" sah mehr aus wie eine Verteidigungsschrift der
Regierung gegen den möglichen Vorwurf eines verbrecherischen Abfalls; um
das Bayerntum dreht sich alles, der deutschen Ehre geschieht keine Erwähnung;
Bayern ist die Welt. Der Hauptrechtfertigungsgrund ist: Wir Bayern gingen
mit dir, Napoleon, gegen unsre deutschen Nachbarn auf den Raub, und du hast,
wie der Löwe mit den schwüchern Thieren, viel zu ungleich den Raub geteilt,
wir haben nicht genug bekommen. Feuerbach bezeugte in diesen Tagen seinen
Gemeingeist durch mehrere populäre Schriften, die trotz der Wachsamkeit der
Zensoren eine rasche Verbreitung fanden. Der Kronprinz nebst Wrede uUd
Nechberg, unter den leitenden Persönlichkeiten die einzigen Deutschgesinnten,
sprachen ihm lebhaft ihren Dank aus, während Montgelas ihn in einem
Ministerialreskript beschuldigt, in der Person des feindlichen Souveräns die
Majestät beleidigt zu haben, und ihm das fernere Schreiben nur unter der
Zensur des auswärtigen Departements erlaubte.
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