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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Ivie Bayer" ein moderner 5wat wurde

Verehrte Jacobi war es, der ihr unbequem war. "Sie haben einen gefähr¬
lichen Mann in Ihrer Nähe -- sagte einmal Davoust zu Max Joseph --,
den Präsidenten Jacobi." "Ich habe ihn immer als einen braven und recht¬
schaffnen Mann gekannt," war die treffende Antwort des edeln Fürsten. Der
französische Gesandte, der Jacobi persönlich wohl wollte, sagte einmal zu ihm:
"Beobachten Sie die größte Vorsicht! Ich könnte sonst, wie sehr ich Ihr Freund
bin, eines Tags genötigt werden, Sie zu deportieren." Und was that die
bayrische Regierung, die diese Männer ins Land gerufen hatte und zu ihrem
Schutze verpflichtet war? Sie schwieg und ließ die Verleumder unbehelligt,
vielleicht, weil es gefährlich war, Franzosenfeinde in Schutz zu nehmen, vielleicht
auch, weil sie mit den patriotischen Gesinnungen nicht im Einklang war.
Zwar bemühten sich Montgelas und Schenk, als Jacobi als Oberbibliothekar
nach Gotha zurückgerufen wurde, diesen ausgezeichneten Mann für München
zu erhalten, das aber, was jeder an seiner Ehre gekränkte Mann verlangen
kann, Zurechtweisung der Beleidiger, verweigerte die Regierung. So ging
Jacobi ab. Zuerst wurde aber noch ein Bubenstück an ihm ausgeübt. Die
Akademie hatte ihn nämlich beauftragt, eine Revision des von dem Bibliothekar
Hardt hergestellten, äußerst mangelhaften Katalogs der griechischen Handschriften
der Königlichen Bibliothek vorzunehmen. Zu diesem Behufe arbeitete Jacobi
in einem Separatzimmer der Bibliothek und machte, indem er die Handschriften
mit dem gedruckten Kataloge verglich, die nötigen verbessernden Bemerkungen
an den Rand seines Exemplars. Eines Tags fand er zwei Bände nicht mehr
an seinem Platze. Alle Nachfragen führten zu keinem Resultat; es war klar,
die Bände waren ihm gestohlen worden, um seine Arbeit zu vernichten. Jacobi
machte bei Arelim, und da sich dieser ablehnend verhielt, bei dem Präsidium
der Akademie, dem damals die wissenschaftlichen Staatssammlungen unterstellt
waren, Anzeige. Arelim hatte die Frechheit, Jacobi der Lüge zu bezichtigen
und das Ansinnen zu stellen, Jacobi sollte entweder den Thäter bei Namen
nennen oder eine Ehrenerklärung des Bibliothekpersonals zu Protokoll geben.
Auf Jacobis Weigerung stellte Arelim Klage beim Stadtgericht, wurde aber
abgewiesen.

Nicht so leichtes Spiel hatten die Gegner mit dem jungen, furchtlosen
und energischen Thiersch. Er überdauerte alle Stürme der Verfolgung und
Verleumdung und behauptete schließlich das Feld. Als er sein Gymnasial¬
lehramt antrat, sand er die Klasse schlecht vorbereitet. Er wählte daher einige
der strebsamsten Schüler aus und erteilte ihnen unentgeltlichen Privatunterricht;
die Eltern, die darin ein Übermaß von Anstrengung sahen, wandten sich mit
einer Beschwerde an den Chef des Studienwesens. Dieser beschied Thiersch zu
sich und verwies ihm seinen Eifer. "Diesen Verweis nehme ich nicht an,
Exzellenz," entgegnete der Beklagte. "Wie so?" "Weil ich keinen Verweis
verdient habe." "Man verkennt Ihre gute Meinung nicht, aber wenn Sie


Ivie Bayer» ein moderner 5wat wurde

Verehrte Jacobi war es, der ihr unbequem war. „Sie haben einen gefähr¬
lichen Mann in Ihrer Nähe — sagte einmal Davoust zu Max Joseph —,
den Präsidenten Jacobi." „Ich habe ihn immer als einen braven und recht¬
schaffnen Mann gekannt," war die treffende Antwort des edeln Fürsten. Der
französische Gesandte, der Jacobi persönlich wohl wollte, sagte einmal zu ihm:
„Beobachten Sie die größte Vorsicht! Ich könnte sonst, wie sehr ich Ihr Freund
bin, eines Tags genötigt werden, Sie zu deportieren." Und was that die
bayrische Regierung, die diese Männer ins Land gerufen hatte und zu ihrem
Schutze verpflichtet war? Sie schwieg und ließ die Verleumder unbehelligt,
vielleicht, weil es gefährlich war, Franzosenfeinde in Schutz zu nehmen, vielleicht
auch, weil sie mit den patriotischen Gesinnungen nicht im Einklang war.
Zwar bemühten sich Montgelas und Schenk, als Jacobi als Oberbibliothekar
nach Gotha zurückgerufen wurde, diesen ausgezeichneten Mann für München
zu erhalten, das aber, was jeder an seiner Ehre gekränkte Mann verlangen
kann, Zurechtweisung der Beleidiger, verweigerte die Regierung. So ging
Jacobi ab. Zuerst wurde aber noch ein Bubenstück an ihm ausgeübt. Die
Akademie hatte ihn nämlich beauftragt, eine Revision des von dem Bibliothekar
Hardt hergestellten, äußerst mangelhaften Katalogs der griechischen Handschriften
der Königlichen Bibliothek vorzunehmen. Zu diesem Behufe arbeitete Jacobi
in einem Separatzimmer der Bibliothek und machte, indem er die Handschriften
mit dem gedruckten Kataloge verglich, die nötigen verbessernden Bemerkungen
an den Rand seines Exemplars. Eines Tags fand er zwei Bände nicht mehr
an seinem Platze. Alle Nachfragen führten zu keinem Resultat; es war klar,
die Bände waren ihm gestohlen worden, um seine Arbeit zu vernichten. Jacobi
machte bei Arelim, und da sich dieser ablehnend verhielt, bei dem Präsidium
der Akademie, dem damals die wissenschaftlichen Staatssammlungen unterstellt
waren, Anzeige. Arelim hatte die Frechheit, Jacobi der Lüge zu bezichtigen
und das Ansinnen zu stellen, Jacobi sollte entweder den Thäter bei Namen
nennen oder eine Ehrenerklärung des Bibliothekpersonals zu Protokoll geben.
Auf Jacobis Weigerung stellte Arelim Klage beim Stadtgericht, wurde aber
abgewiesen.

Nicht so leichtes Spiel hatten die Gegner mit dem jungen, furchtlosen
und energischen Thiersch. Er überdauerte alle Stürme der Verfolgung und
Verleumdung und behauptete schließlich das Feld. Als er sein Gymnasial¬
lehramt antrat, sand er die Klasse schlecht vorbereitet. Er wählte daher einige
der strebsamsten Schüler aus und erteilte ihnen unentgeltlichen Privatunterricht;
die Eltern, die darin ein Übermaß von Anstrengung sahen, wandten sich mit
einer Beschwerde an den Chef des Studienwesens. Dieser beschied Thiersch zu
sich und verwies ihm seinen Eifer. „Diesen Verweis nehme ich nicht an,
Exzellenz," entgegnete der Beklagte. „Wie so?" „Weil ich keinen Verweis
verdient habe." „Man verkennt Ihre gute Meinung nicht, aber wenn Sie


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[0207] Ivie Bayer» ein moderner 5wat wurde Verehrte Jacobi war es, der ihr unbequem war. „Sie haben einen gefähr¬ lichen Mann in Ihrer Nähe — sagte einmal Davoust zu Max Joseph —, den Präsidenten Jacobi." „Ich habe ihn immer als einen braven und recht¬ schaffnen Mann gekannt," war die treffende Antwort des edeln Fürsten. Der französische Gesandte, der Jacobi persönlich wohl wollte, sagte einmal zu ihm: „Beobachten Sie die größte Vorsicht! Ich könnte sonst, wie sehr ich Ihr Freund bin, eines Tags genötigt werden, Sie zu deportieren." Und was that die bayrische Regierung, die diese Männer ins Land gerufen hatte und zu ihrem Schutze verpflichtet war? Sie schwieg und ließ die Verleumder unbehelligt, vielleicht, weil es gefährlich war, Franzosenfeinde in Schutz zu nehmen, vielleicht auch, weil sie mit den patriotischen Gesinnungen nicht im Einklang war. Zwar bemühten sich Montgelas und Schenk, als Jacobi als Oberbibliothekar nach Gotha zurückgerufen wurde, diesen ausgezeichneten Mann für München zu erhalten, das aber, was jeder an seiner Ehre gekränkte Mann verlangen kann, Zurechtweisung der Beleidiger, verweigerte die Regierung. So ging Jacobi ab. Zuerst wurde aber noch ein Bubenstück an ihm ausgeübt. Die Akademie hatte ihn nämlich beauftragt, eine Revision des von dem Bibliothekar Hardt hergestellten, äußerst mangelhaften Katalogs der griechischen Handschriften der Königlichen Bibliothek vorzunehmen. Zu diesem Behufe arbeitete Jacobi in einem Separatzimmer der Bibliothek und machte, indem er die Handschriften mit dem gedruckten Kataloge verglich, die nötigen verbessernden Bemerkungen an den Rand seines Exemplars. Eines Tags fand er zwei Bände nicht mehr an seinem Platze. Alle Nachfragen führten zu keinem Resultat; es war klar, die Bände waren ihm gestohlen worden, um seine Arbeit zu vernichten. Jacobi machte bei Arelim, und da sich dieser ablehnend verhielt, bei dem Präsidium der Akademie, dem damals die wissenschaftlichen Staatssammlungen unterstellt waren, Anzeige. Arelim hatte die Frechheit, Jacobi der Lüge zu bezichtigen und das Ansinnen zu stellen, Jacobi sollte entweder den Thäter bei Namen nennen oder eine Ehrenerklärung des Bibliothekpersonals zu Protokoll geben. Auf Jacobis Weigerung stellte Arelim Klage beim Stadtgericht, wurde aber abgewiesen. Nicht so leichtes Spiel hatten die Gegner mit dem jungen, furchtlosen und energischen Thiersch. Er überdauerte alle Stürme der Verfolgung und Verleumdung und behauptete schließlich das Feld. Als er sein Gymnasial¬ lehramt antrat, sand er die Klasse schlecht vorbereitet. Er wählte daher einige der strebsamsten Schüler aus und erteilte ihnen unentgeltlichen Privatunterricht; die Eltern, die darin ein Übermaß von Anstrengung sahen, wandten sich mit einer Beschwerde an den Chef des Studienwesens. Dieser beschied Thiersch zu sich und verwies ihm seinen Eifer. „Diesen Verweis nehme ich nicht an, Exzellenz," entgegnete der Beklagte. „Wie so?" „Weil ich keinen Verweis verdient habe." „Man verkennt Ihre gute Meinung nicht, aber wenn Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/207>, abgerufen am 28.09.2024.