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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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veranlaßte sie, ihre eignen Verdienste zu überschätzen, den fremden Wert herab¬
zusetzen. Das Land war an eine Vermischung mit Fremden noch nicht gewöhnt,
ebenso wenig waren Bayern in nennenswerter Zahl ins Ausland gekommen.
Sie waren daher geneigt, die Übersiedlung fremder Gelehrten als eine Nötigung,
sich aus ihrem Geburtslande entfernen zu müssen, zu betrachten und sie ins¬
gesamt als Hungerleider und Schwindler hinzustellen.

Ein Punkt darf jedoch nicht aus den Augen gelassen werde". Obwohl
nämlich der Gegensatz zwischen Nord und Süd in einer Weise betont wurde,
wie bei keinem andern Volke, so war doch noch ein schärferer und trennenderer
vorhanden, der die im Keime überall vorhandnen Gegensätze zwischen den ein¬
zelnen Stämmen in Deutschland zu einer Höhe getrieben hat, die jeden Vater¬
landsfreund aufs tiefste schmerzen muß, und die erst dann beseitigt werden
kann, wenn Sitte und Bildung alle Schichten, auch die niedersten, ergreifen
und die allgemeine Menschenliebe unter ihnen verbreiten wird: ich meine den
Zwiespalt des Glaubens. Den Bayern des vorigen Jahrhunderts, vielfach
auch noch den heutigen, erschienen norddeutsch und protestantisch als sich deckende
Begriffe; der Schwabe war ihnen, weil er protestantisch war, ebenso gut ein
Norddeutscher wie der Sachse und der Preuße. Die Federn schienen in Gift ge¬
taucht zu sein, um dem Volke Haß und Verachtung einzuflößen. Die Schilde¬
rungen des norddeutsch-protestantischen Charakters in den damaligen öffentlichen
Blättern erinnern ungefähr an die Art, wie man ein wildes Menagerietier
dem Publikum uach seinen Eigentümlichkeiten zu beschreiben versucht.

So lese ich im Morgenboten, Jahrgang 1809, Seite 277: "Der Grund¬
zug des süddeutschen Charakters ist Kraft, der des norddeutschen Schwäche.
Daher bei jenen: Ausschweifungen im Genuß der Liebe und andern sinnlichen
Vergnügungen, kriegerischer Geist, Herzensgüte, Offenheit. Bei diesen: . . , .
Hypochondrie, Falschheit, Feigheit, Ränkesucht. Schon im Wuchs und in der
Sprache hat die Natur diese Charakterverschiedenheit klar ausgedrückt." Und
weiter: "Komischer ist in der Welt nichts anzusehen, als ein verliebter oder
deutsch tanzender Lutheraner. Diese auf dem ganzen Gesicht ausgedrückte un¬
glückliche Ahnung des Widerspruchs mit sich selbst, dieser in tausend linkischer
Bewegungen sich äußernde Streit zwischen der gröbsten Sinnlichkeit und listigsten
Heuchelei, zwischen angeborner Steifheit und ausbrechenwollendem Mutwillen,
zwischen pedantischen Stolz und dem Gefühl der eignen Erbärmlichkeit , . .
nein, ein solcher Anblick ist der größte Triumph für einen guten Katholiken."
Solche und ähnliche Ausführungen füllten damals die Spalten der gelesensten
Blätter.

Nach Ostern 1809, fast zugleich mit dem Eindringen der österreichischen
Heere in Bayern, erschien zu München eine anonyme Schrift unter dem Titel:
"Die Pläne Napoleons und seiner Gegner, besonders in Deutschland und
Österreich." Als Verfasser bekannte sich später Arelim. Er reiste mit den


veranlaßte sie, ihre eignen Verdienste zu überschätzen, den fremden Wert herab¬
zusetzen. Das Land war an eine Vermischung mit Fremden noch nicht gewöhnt,
ebenso wenig waren Bayern in nennenswerter Zahl ins Ausland gekommen.
Sie waren daher geneigt, die Übersiedlung fremder Gelehrten als eine Nötigung,
sich aus ihrem Geburtslande entfernen zu müssen, zu betrachten und sie ins¬
gesamt als Hungerleider und Schwindler hinzustellen.

Ein Punkt darf jedoch nicht aus den Augen gelassen werde». Obwohl
nämlich der Gegensatz zwischen Nord und Süd in einer Weise betont wurde,
wie bei keinem andern Volke, so war doch noch ein schärferer und trennenderer
vorhanden, der die im Keime überall vorhandnen Gegensätze zwischen den ein¬
zelnen Stämmen in Deutschland zu einer Höhe getrieben hat, die jeden Vater¬
landsfreund aufs tiefste schmerzen muß, und die erst dann beseitigt werden
kann, wenn Sitte und Bildung alle Schichten, auch die niedersten, ergreifen
und die allgemeine Menschenliebe unter ihnen verbreiten wird: ich meine den
Zwiespalt des Glaubens. Den Bayern des vorigen Jahrhunderts, vielfach
auch noch den heutigen, erschienen norddeutsch und protestantisch als sich deckende
Begriffe; der Schwabe war ihnen, weil er protestantisch war, ebenso gut ein
Norddeutscher wie der Sachse und der Preuße. Die Federn schienen in Gift ge¬
taucht zu sein, um dem Volke Haß und Verachtung einzuflößen. Die Schilde¬
rungen des norddeutsch-protestantischen Charakters in den damaligen öffentlichen
Blättern erinnern ungefähr an die Art, wie man ein wildes Menagerietier
dem Publikum uach seinen Eigentümlichkeiten zu beschreiben versucht.

So lese ich im Morgenboten, Jahrgang 1809, Seite 277: „Der Grund¬
zug des süddeutschen Charakters ist Kraft, der des norddeutschen Schwäche.
Daher bei jenen: Ausschweifungen im Genuß der Liebe und andern sinnlichen
Vergnügungen, kriegerischer Geist, Herzensgüte, Offenheit. Bei diesen: . . , .
Hypochondrie, Falschheit, Feigheit, Ränkesucht. Schon im Wuchs und in der
Sprache hat die Natur diese Charakterverschiedenheit klar ausgedrückt." Und
weiter: „Komischer ist in der Welt nichts anzusehen, als ein verliebter oder
deutsch tanzender Lutheraner. Diese auf dem ganzen Gesicht ausgedrückte un¬
glückliche Ahnung des Widerspruchs mit sich selbst, dieser in tausend linkischer
Bewegungen sich äußernde Streit zwischen der gröbsten Sinnlichkeit und listigsten
Heuchelei, zwischen angeborner Steifheit und ausbrechenwollendem Mutwillen,
zwischen pedantischen Stolz und dem Gefühl der eignen Erbärmlichkeit , . .
nein, ein solcher Anblick ist der größte Triumph für einen guten Katholiken."
Solche und ähnliche Ausführungen füllten damals die Spalten der gelesensten
Blätter.

Nach Ostern 1809, fast zugleich mit dem Eindringen der österreichischen
Heere in Bayern, erschien zu München eine anonyme Schrift unter dem Titel:
„Die Pläne Napoleons und seiner Gegner, besonders in Deutschland und
Österreich." Als Verfasser bekannte sich später Arelim. Er reiste mit den


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[0205] veranlaßte sie, ihre eignen Verdienste zu überschätzen, den fremden Wert herab¬ zusetzen. Das Land war an eine Vermischung mit Fremden noch nicht gewöhnt, ebenso wenig waren Bayern in nennenswerter Zahl ins Ausland gekommen. Sie waren daher geneigt, die Übersiedlung fremder Gelehrten als eine Nötigung, sich aus ihrem Geburtslande entfernen zu müssen, zu betrachten und sie ins¬ gesamt als Hungerleider und Schwindler hinzustellen. Ein Punkt darf jedoch nicht aus den Augen gelassen werde». Obwohl nämlich der Gegensatz zwischen Nord und Süd in einer Weise betont wurde, wie bei keinem andern Volke, so war doch noch ein schärferer und trennenderer vorhanden, der die im Keime überall vorhandnen Gegensätze zwischen den ein¬ zelnen Stämmen in Deutschland zu einer Höhe getrieben hat, die jeden Vater¬ landsfreund aufs tiefste schmerzen muß, und die erst dann beseitigt werden kann, wenn Sitte und Bildung alle Schichten, auch die niedersten, ergreifen und die allgemeine Menschenliebe unter ihnen verbreiten wird: ich meine den Zwiespalt des Glaubens. Den Bayern des vorigen Jahrhunderts, vielfach auch noch den heutigen, erschienen norddeutsch und protestantisch als sich deckende Begriffe; der Schwabe war ihnen, weil er protestantisch war, ebenso gut ein Norddeutscher wie der Sachse und der Preuße. Die Federn schienen in Gift ge¬ taucht zu sein, um dem Volke Haß und Verachtung einzuflößen. Die Schilde¬ rungen des norddeutsch-protestantischen Charakters in den damaligen öffentlichen Blättern erinnern ungefähr an die Art, wie man ein wildes Menagerietier dem Publikum uach seinen Eigentümlichkeiten zu beschreiben versucht. So lese ich im Morgenboten, Jahrgang 1809, Seite 277: „Der Grund¬ zug des süddeutschen Charakters ist Kraft, der des norddeutschen Schwäche. Daher bei jenen: Ausschweifungen im Genuß der Liebe und andern sinnlichen Vergnügungen, kriegerischer Geist, Herzensgüte, Offenheit. Bei diesen: . . , . Hypochondrie, Falschheit, Feigheit, Ränkesucht. Schon im Wuchs und in der Sprache hat die Natur diese Charakterverschiedenheit klar ausgedrückt." Und weiter: „Komischer ist in der Welt nichts anzusehen, als ein verliebter oder deutsch tanzender Lutheraner. Diese auf dem ganzen Gesicht ausgedrückte un¬ glückliche Ahnung des Widerspruchs mit sich selbst, dieser in tausend linkischer Bewegungen sich äußernde Streit zwischen der gröbsten Sinnlichkeit und listigsten Heuchelei, zwischen angeborner Steifheit und ausbrechenwollendem Mutwillen, zwischen pedantischen Stolz und dem Gefühl der eignen Erbärmlichkeit , . . nein, ein solcher Anblick ist der größte Triumph für einen guten Katholiken." Solche und ähnliche Ausführungen füllten damals die Spalten der gelesensten Blätter. Nach Ostern 1809, fast zugleich mit dem Eindringen der österreichischen Heere in Bayern, erschien zu München eine anonyme Schrift unter dem Titel: „Die Pläne Napoleons und seiner Gegner, besonders in Deutschland und Österreich." Als Verfasser bekannte sich später Arelim. Er reiste mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/205>, abgerufen am 28.09.2024.