Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie Bayern ein moderner Staat wurde

war freilich eine andre Sprache, als sie die bayrischen Fürsten der letzten
Jahrhunderte geführt hatten; wie eine Gotteslästerung klang sie in den Ohren
der Kurie, die ja nnr gewöhnt war, sich selbst zu vergöttern und vergöttert
zu werden. Mit verzweifelten Worten erhob sie Beschwerde, daß man "die
schönste Provinz des heiligen Stuhles" (!) auf solche Weise regiere; aber Blut
und Eisen herrschte schon damals auf Erden -- es hatte niemand Zeit, sich
für den Vatikan zu opfern.

Vornehmlich durch die Verufnng fremder Gelehrten hoffte Montgelas
sich eine kräftige Stütze seiner auf Hebung der Volksbildung gerichteten Be¬
strebungen zu verschaffen. Zwei Namen sind es, die hier zuvörderst in Betracht
kommen, Männer, die ihrer Wissenschaft neue Bahnen öffneten: Savigny und
Feuerbach. Savigny interessiert uns hier weniger, da seine Wirksamkeit nur
von kurzer Dauer war, um so mehr aber der heißblutige, geistreiche Feuerbach,
der zwar auch nur eine kurze Zeit in Landshut lehrte, nachher aber als Ge¬
heimer Rat im Justizministerium der Reformator des bayrischen Kriminal-
jnstizwesens wurde. Aus seinen Briefen an seinen Vater und an Jcicobi ge¬
winnen wir ein getreues Bild des Universitätslebens in damaliger Zeit.
Feuerbach war bei aller Klugheit eine leidenschaftliche, leicht erregbare Natur,
Pessimist, wenn ihm etwas Unangenehmes zustieß, Optimist, wenn er wieder
zufriedengestellt war. Trotzdem trügt sein Zeugnis den Stempel der Wahrheit,
wenn man diese Schwäche des sonst so bedeutenden Mannes in Abrechnung
bringt. Lebhaft sind seine Klagen über den akademischen Studienplan, der
noch von Ingolstadt mit herübergeschleppt worden war. Dieser Plan mache
die Universität zu einem Hör- und Schreibinstitnt, wo einer für Bezahlung
Worte sage, die vou andern mit den Ohren aufgefangen, mit der Feder aufs
Papier gebracht und dann schwarz ans weiß in das Pult zur Ruhe getragen
werden. "Denn wo nur leeres Vielerlei und Allerlei die alles belebende Seele
ist, wo der Jüngling jeden Tag fast vom grauenden Morgen bis zum däm¬
mernden Abend auf deu Bänken des Hörsaals sitzen muß, um eine fast un¬
geheure Menge gesetzlich vorgeschriebner, teilweise unnötiger Vorlesungen durch-
hvreu zu können, da kann doch wohl von Denken und Begreifen, von Studieren
und wissenschaftlichem Interesse nicht die Rede sein. Ich sah, wie der zweck¬
lose Finger- und Ohrenfleiß den Geist der Jünglinge tötete und das Chaos
eines verworrenen Vielerlei, oberflächliche Seichtigkeit und mit dieser den
Dünkel der Vielwisserei hervorbrachte." Goldne Worte, die noch heute zur
Beherzigung empfohlen werden können.

Laut sprach sich Feuerbach über diese Mißstände in einem an den Minister
von Zentner gerichteten Memorandum aus. Die Regierung verhielt sich ab¬
lehnend. Gönner, der heftigste Gegner der berufnen Lehrer, ein Mann von
viel Talent, aber ohne Charakter, knüpfte feine Verfolgungen an die Frei¬
mütigkeit Feuerbnchs an. Seine offen ausgesprochnen und die lautere Wahrheit
'


Grenzboten II 1899 2.,
Wie Bayern ein moderner Staat wurde

war freilich eine andre Sprache, als sie die bayrischen Fürsten der letzten
Jahrhunderte geführt hatten; wie eine Gotteslästerung klang sie in den Ohren
der Kurie, die ja nnr gewöhnt war, sich selbst zu vergöttern und vergöttert
zu werden. Mit verzweifelten Worten erhob sie Beschwerde, daß man „die
schönste Provinz des heiligen Stuhles" (!) auf solche Weise regiere; aber Blut
und Eisen herrschte schon damals auf Erden — es hatte niemand Zeit, sich
für den Vatikan zu opfern.

Vornehmlich durch die Verufnng fremder Gelehrten hoffte Montgelas
sich eine kräftige Stütze seiner auf Hebung der Volksbildung gerichteten Be¬
strebungen zu verschaffen. Zwei Namen sind es, die hier zuvörderst in Betracht
kommen, Männer, die ihrer Wissenschaft neue Bahnen öffneten: Savigny und
Feuerbach. Savigny interessiert uns hier weniger, da seine Wirksamkeit nur
von kurzer Dauer war, um so mehr aber der heißblutige, geistreiche Feuerbach,
der zwar auch nur eine kurze Zeit in Landshut lehrte, nachher aber als Ge¬
heimer Rat im Justizministerium der Reformator des bayrischen Kriminal-
jnstizwesens wurde. Aus seinen Briefen an seinen Vater und an Jcicobi ge¬
winnen wir ein getreues Bild des Universitätslebens in damaliger Zeit.
Feuerbach war bei aller Klugheit eine leidenschaftliche, leicht erregbare Natur,
Pessimist, wenn ihm etwas Unangenehmes zustieß, Optimist, wenn er wieder
zufriedengestellt war. Trotzdem trügt sein Zeugnis den Stempel der Wahrheit,
wenn man diese Schwäche des sonst so bedeutenden Mannes in Abrechnung
bringt. Lebhaft sind seine Klagen über den akademischen Studienplan, der
noch von Ingolstadt mit herübergeschleppt worden war. Dieser Plan mache
die Universität zu einem Hör- und Schreibinstitnt, wo einer für Bezahlung
Worte sage, die vou andern mit den Ohren aufgefangen, mit der Feder aufs
Papier gebracht und dann schwarz ans weiß in das Pult zur Ruhe getragen
werden. „Denn wo nur leeres Vielerlei und Allerlei die alles belebende Seele
ist, wo der Jüngling jeden Tag fast vom grauenden Morgen bis zum däm¬
mernden Abend auf deu Bänken des Hörsaals sitzen muß, um eine fast un¬
geheure Menge gesetzlich vorgeschriebner, teilweise unnötiger Vorlesungen durch-
hvreu zu können, da kann doch wohl von Denken und Begreifen, von Studieren
und wissenschaftlichem Interesse nicht die Rede sein. Ich sah, wie der zweck¬
lose Finger- und Ohrenfleiß den Geist der Jünglinge tötete und das Chaos
eines verworrenen Vielerlei, oberflächliche Seichtigkeit und mit dieser den
Dünkel der Vielwisserei hervorbrachte." Goldne Worte, die noch heute zur
Beherzigung empfohlen werden können.

Laut sprach sich Feuerbach über diese Mißstände in einem an den Minister
von Zentner gerichteten Memorandum aus. Die Regierung verhielt sich ab¬
lehnend. Gönner, der heftigste Gegner der berufnen Lehrer, ein Mann von
viel Talent, aber ohne Charakter, knüpfte feine Verfolgungen an die Frei¬
mütigkeit Feuerbnchs an. Seine offen ausgesprochnen und die lautere Wahrheit
'


Grenzboten II 1899 2.,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230633"/>
          <fw type="header" place="top"> Wie Bayern ein moderner Staat wurde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_637" prev="#ID_636"> war freilich eine andre Sprache, als sie die bayrischen Fürsten der letzten<lb/>
Jahrhunderte geführt hatten; wie eine Gotteslästerung klang sie in den Ohren<lb/>
der Kurie, die ja nnr gewöhnt war, sich selbst zu vergöttern und vergöttert<lb/>
zu werden. Mit verzweifelten Worten erhob sie Beschwerde, daß man &#x201E;die<lb/>
schönste Provinz des heiligen Stuhles" (!) auf solche Weise regiere; aber Blut<lb/>
und Eisen herrschte schon damals auf Erden &#x2014; es hatte niemand Zeit, sich<lb/>
für den Vatikan zu opfern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_638"> Vornehmlich durch die Verufnng fremder Gelehrten hoffte Montgelas<lb/>
sich eine kräftige Stütze seiner auf Hebung der Volksbildung gerichteten Be¬<lb/>
strebungen zu verschaffen. Zwei Namen sind es, die hier zuvörderst in Betracht<lb/>
kommen, Männer, die ihrer Wissenschaft neue Bahnen öffneten: Savigny und<lb/>
Feuerbach. Savigny interessiert uns hier weniger, da seine Wirksamkeit nur<lb/>
von kurzer Dauer war, um so mehr aber der heißblutige, geistreiche Feuerbach,<lb/>
der zwar auch nur eine kurze Zeit in Landshut lehrte, nachher aber als Ge¬<lb/>
heimer Rat im Justizministerium der Reformator des bayrischen Kriminal-<lb/>
jnstizwesens wurde. Aus seinen Briefen an seinen Vater und an Jcicobi ge¬<lb/>
winnen wir ein getreues Bild des Universitätslebens in damaliger Zeit.<lb/>
Feuerbach war bei aller Klugheit eine leidenschaftliche, leicht erregbare Natur,<lb/>
Pessimist, wenn ihm etwas Unangenehmes zustieß, Optimist, wenn er wieder<lb/>
zufriedengestellt war. Trotzdem trügt sein Zeugnis den Stempel der Wahrheit,<lb/>
wenn man diese Schwäche des sonst so bedeutenden Mannes in Abrechnung<lb/>
bringt. Lebhaft sind seine Klagen über den akademischen Studienplan, der<lb/>
noch von Ingolstadt mit herübergeschleppt worden war. Dieser Plan mache<lb/>
die Universität zu einem Hör- und Schreibinstitnt, wo einer für Bezahlung<lb/>
Worte sage, die vou andern mit den Ohren aufgefangen, mit der Feder aufs<lb/>
Papier gebracht und dann schwarz ans weiß in das Pult zur Ruhe getragen<lb/>
werden. &#x201E;Denn wo nur leeres Vielerlei und Allerlei die alles belebende Seele<lb/>
ist, wo der Jüngling jeden Tag fast vom grauenden Morgen bis zum däm¬<lb/>
mernden Abend auf deu Bänken des Hörsaals sitzen muß, um eine fast un¬<lb/>
geheure Menge gesetzlich vorgeschriebner, teilweise unnötiger Vorlesungen durch-<lb/>
hvreu zu können, da kann doch wohl von Denken und Begreifen, von Studieren<lb/>
und wissenschaftlichem Interesse nicht die Rede sein. Ich sah, wie der zweck¬<lb/>
lose Finger- und Ohrenfleiß den Geist der Jünglinge tötete und das Chaos<lb/>
eines verworrenen Vielerlei, oberflächliche Seichtigkeit und mit dieser den<lb/>
Dünkel der Vielwisserei hervorbrachte." Goldne Worte, die noch heute zur<lb/>
Beherzigung empfohlen werden können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639" next="#ID_640"> Laut sprach sich Feuerbach über diese Mißstände in einem an den Minister<lb/>
von Zentner gerichteten Memorandum aus. Die Regierung verhielt sich ab¬<lb/>
lehnend. Gönner, der heftigste Gegner der berufnen Lehrer, ein Mann von<lb/>
viel Talent, aber ohne Charakter, knüpfte feine Verfolgungen an die Frei¬<lb/>
mütigkeit Feuerbnchs an. Seine offen ausgesprochnen und die lautere Wahrheit<lb/>
'</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1899 2.,</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] Wie Bayern ein moderner Staat wurde war freilich eine andre Sprache, als sie die bayrischen Fürsten der letzten Jahrhunderte geführt hatten; wie eine Gotteslästerung klang sie in den Ohren der Kurie, die ja nnr gewöhnt war, sich selbst zu vergöttern und vergöttert zu werden. Mit verzweifelten Worten erhob sie Beschwerde, daß man „die schönste Provinz des heiligen Stuhles" (!) auf solche Weise regiere; aber Blut und Eisen herrschte schon damals auf Erden — es hatte niemand Zeit, sich für den Vatikan zu opfern. Vornehmlich durch die Verufnng fremder Gelehrten hoffte Montgelas sich eine kräftige Stütze seiner auf Hebung der Volksbildung gerichteten Be¬ strebungen zu verschaffen. Zwei Namen sind es, die hier zuvörderst in Betracht kommen, Männer, die ihrer Wissenschaft neue Bahnen öffneten: Savigny und Feuerbach. Savigny interessiert uns hier weniger, da seine Wirksamkeit nur von kurzer Dauer war, um so mehr aber der heißblutige, geistreiche Feuerbach, der zwar auch nur eine kurze Zeit in Landshut lehrte, nachher aber als Ge¬ heimer Rat im Justizministerium der Reformator des bayrischen Kriminal- jnstizwesens wurde. Aus seinen Briefen an seinen Vater und an Jcicobi ge¬ winnen wir ein getreues Bild des Universitätslebens in damaliger Zeit. Feuerbach war bei aller Klugheit eine leidenschaftliche, leicht erregbare Natur, Pessimist, wenn ihm etwas Unangenehmes zustieß, Optimist, wenn er wieder zufriedengestellt war. Trotzdem trügt sein Zeugnis den Stempel der Wahrheit, wenn man diese Schwäche des sonst so bedeutenden Mannes in Abrechnung bringt. Lebhaft sind seine Klagen über den akademischen Studienplan, der noch von Ingolstadt mit herübergeschleppt worden war. Dieser Plan mache die Universität zu einem Hör- und Schreibinstitnt, wo einer für Bezahlung Worte sage, die vou andern mit den Ohren aufgefangen, mit der Feder aufs Papier gebracht und dann schwarz ans weiß in das Pult zur Ruhe getragen werden. „Denn wo nur leeres Vielerlei und Allerlei die alles belebende Seele ist, wo der Jüngling jeden Tag fast vom grauenden Morgen bis zum däm¬ mernden Abend auf deu Bänken des Hörsaals sitzen muß, um eine fast un¬ geheure Menge gesetzlich vorgeschriebner, teilweise unnötiger Vorlesungen durch- hvreu zu können, da kann doch wohl von Denken und Begreifen, von Studieren und wissenschaftlichem Interesse nicht die Rede sein. Ich sah, wie der zweck¬ lose Finger- und Ohrenfleiß den Geist der Jünglinge tötete und das Chaos eines verworrenen Vielerlei, oberflächliche Seichtigkeit und mit dieser den Dünkel der Vielwisserei hervorbrachte." Goldne Worte, die noch heute zur Beherzigung empfohlen werden können. Laut sprach sich Feuerbach über diese Mißstände in einem an den Minister von Zentner gerichteten Memorandum aus. Die Regierung verhielt sich ab¬ lehnend. Gönner, der heftigste Gegner der berufnen Lehrer, ein Mann von viel Talent, aber ohne Charakter, knüpfte feine Verfolgungen an die Frei¬ mütigkeit Feuerbnchs an. Seine offen ausgesprochnen und die lautere Wahrheit ' Grenzboten II 1899 2.,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/201>, abgerufen am 28.09.2024.