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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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lVie Bayern ein moderner Staat würde

der Schule selbst ein Prälat, der Regensburger Domherr Freiherr von Fraunberg,
der spätere Erzbischof von Bamberg.

Schon 1802 wurde daher die Leitung des gesamten deutschen und latei¬
nischen Schulwesens dem Klerus genommen und einer landesherrlichen Behörde,
der Generalschuldirektion, übergeben, der sodann die Distrikts- und Lokalschul-
kommissionen untergeordnet wurden- Die Volksschulen wurden auf Schulgeld
und Beiträge der Schulgemeinde gegründet, aus abgebrochnen Filial- und
Feldkircher ließ die Regierung Schulhäuser bauen; der Schulbesuch wurde
obligatorisch. Vor allem aber sollte die Stellung der Schullehrer gehoben
werden, "denn dieser Stand gehört zu den wichtigsten und achtungswürdigsten,
wie zu den mühe- und verdienstvollsten mit seinen vielen und schweren
Pflichten." Die Naturgeschichte wurde Lehrgegenstand. An den geistlichen
Stand, der in den Schulkommissionen seine Stellung beibehalten hatte, wurden
ernste Mahnworte gerichtet: "Sind etwa die Landschulen bereits ehrwürdige
Bildungswerkstätten der blühenden Menschheit? Wie manche erzieht leider
methodisch zur Dummheit und Jmmoralität! Auf! Der Träge und Thor
nur säumt, es ist Verrat an der guten Sache, wenn Ihr Euch tüchtiger Mit¬
wirkung in Schulen weigert; rodet alle Vorurteile und Gebrechen aus, lasset
die Jugend nicht eine ihr unverständliche Zeile lesen oder lernen!" Die
Kloster-, Lateinschulen und Seminare wurden geschloffen, die Zahl der Gymnasien
gemindert, die Lyceen bis auf die zu München und Amberg aufgehoben. Die
Landesuniversität wurde von Ingolstadt uach Landshut verlegt und tüchtige
Lehrkräfte dafür gewonnen, unter andern die Theologen Musk, Winter, Salier
und später Andres, der Philosoph socher, von dem Kant sagte: "Von allen
meinen Schülern hat mich keiner so gut verstanden, als ein armer Pfarrer
bei München." Dieser war es, der unter der vorigen Regierung Kants
Schriften in Getreidesäcken nach seinem Pfarrhof hatte einschmuggeln müssen.

Wütend sah der Bischof von Eichstätt zu, wie man der Kirche abermals
ein Bollwerk schleifte; er sprach zwar die Erwartung aus, daß "die Professoren
sich niemals unterfangen würden, in einem fremden Ort ohne seine Ein¬
willigung Grade zu erteilen"; er befahl zwar, "jedes Attentat gegen die
bischöfliche Gerechtsame zur unverzüglichen Berichterstattung zu bringen," aber
die Professoren sandten sein Schreiben in der schärfsten Form zurück.

Es ist an dieser Stelle unmöglich, all die einzelnen Hoheitsrechte auf¬
zuzählen, die die Regierung reklamierte, oder die geistvolle Motivierung zu
wiederholen, womit sie ihr Recht vertrat -- genug, daß der Landesherr seine
Souveränität von jeder Unterordnung unter die geistliche Gewalt befreit er¬
klärte. "Wir werden niemals dulden -- heißt es in einem Erlasse vom
7. Mai 1804 --, daß die Geistlichkeit und irgend eine Kirche einen Staat
im Staate bilde, daß dieselbe in ihren weltlichen Handlungen und mit ihren
Besitzungen den Gesetzen und den gesetzmäßigen Oberen sich entziehe." Das


lVie Bayern ein moderner Staat würde

der Schule selbst ein Prälat, der Regensburger Domherr Freiherr von Fraunberg,
der spätere Erzbischof von Bamberg.

Schon 1802 wurde daher die Leitung des gesamten deutschen und latei¬
nischen Schulwesens dem Klerus genommen und einer landesherrlichen Behörde,
der Generalschuldirektion, übergeben, der sodann die Distrikts- und Lokalschul-
kommissionen untergeordnet wurden- Die Volksschulen wurden auf Schulgeld
und Beiträge der Schulgemeinde gegründet, aus abgebrochnen Filial- und
Feldkircher ließ die Regierung Schulhäuser bauen; der Schulbesuch wurde
obligatorisch. Vor allem aber sollte die Stellung der Schullehrer gehoben
werden, „denn dieser Stand gehört zu den wichtigsten und achtungswürdigsten,
wie zu den mühe- und verdienstvollsten mit seinen vielen und schweren
Pflichten." Die Naturgeschichte wurde Lehrgegenstand. An den geistlichen
Stand, der in den Schulkommissionen seine Stellung beibehalten hatte, wurden
ernste Mahnworte gerichtet: „Sind etwa die Landschulen bereits ehrwürdige
Bildungswerkstätten der blühenden Menschheit? Wie manche erzieht leider
methodisch zur Dummheit und Jmmoralität! Auf! Der Träge und Thor
nur säumt, es ist Verrat an der guten Sache, wenn Ihr Euch tüchtiger Mit¬
wirkung in Schulen weigert; rodet alle Vorurteile und Gebrechen aus, lasset
die Jugend nicht eine ihr unverständliche Zeile lesen oder lernen!" Die
Kloster-, Lateinschulen und Seminare wurden geschloffen, die Zahl der Gymnasien
gemindert, die Lyceen bis auf die zu München und Amberg aufgehoben. Die
Landesuniversität wurde von Ingolstadt uach Landshut verlegt und tüchtige
Lehrkräfte dafür gewonnen, unter andern die Theologen Musk, Winter, Salier
und später Andres, der Philosoph socher, von dem Kant sagte: „Von allen
meinen Schülern hat mich keiner so gut verstanden, als ein armer Pfarrer
bei München." Dieser war es, der unter der vorigen Regierung Kants
Schriften in Getreidesäcken nach seinem Pfarrhof hatte einschmuggeln müssen.

Wütend sah der Bischof von Eichstätt zu, wie man der Kirche abermals
ein Bollwerk schleifte; er sprach zwar die Erwartung aus, daß „die Professoren
sich niemals unterfangen würden, in einem fremden Ort ohne seine Ein¬
willigung Grade zu erteilen"; er befahl zwar, „jedes Attentat gegen die
bischöfliche Gerechtsame zur unverzüglichen Berichterstattung zu bringen," aber
die Professoren sandten sein Schreiben in der schärfsten Form zurück.

Es ist an dieser Stelle unmöglich, all die einzelnen Hoheitsrechte auf¬
zuzählen, die die Regierung reklamierte, oder die geistvolle Motivierung zu
wiederholen, womit sie ihr Recht vertrat — genug, daß der Landesherr seine
Souveränität von jeder Unterordnung unter die geistliche Gewalt befreit er¬
klärte. „Wir werden niemals dulden — heißt es in einem Erlasse vom
7. Mai 1804 —, daß die Geistlichkeit und irgend eine Kirche einen Staat
im Staate bilde, daß dieselbe in ihren weltlichen Handlungen und mit ihren
Besitzungen den Gesetzen und den gesetzmäßigen Oberen sich entziehe." Das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/200>, abgerufen am 28.09.2024.