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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Lürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

innerhalb der erreichbaren Grenzen hergestellt hatten, bestrebt gewesen, das
Vertrauen aller Mächte zu der Gerechtigkeit und Friedensliebe des Deutschen
Reichs zu erwerben und habe daher selbst berechtigte Empfindlichkeit zurück¬
gedrängt. nachdrücklich weist er an einer andern Stelle (II, 258 f.) darauf
hin, daß alle Staatsverträge nur Geltung haben rebus sie 8t.!zMbus, auch der
Dreibund, und daß daher das altpreußische wuscmrs vsästw niemals ver-
gessen werden dürfe. Man sieht, das ist eine sehr kluge, sehr weitschauende,
sehr maßvolle Politik, aber es ist auch eine europäisch beschränkte Politik.
Daß sie, nachdem Deutschland auf Grund und unter dem Zwange dessen, was
eben sie für Deutschland errungen hat, in die Reihen der Weltmächte ein¬
getreten ist, in jedem Falle ausreichen wird, das wird man schwerlich erwarten
dürfen.

Wenn schon diese ausgedehnten Betrachtungen und die ganze Auswahl
und Anordnung des Stoffes eine stark subjektive Färbung in das Buch bringen,
so tritt dieser subjektive Charakter noch mehr hervor in dem Urteil über Per¬
sonen und Dinge, abgesehen noch von dem unbewußten und im einzelnen schwer
nachweisbaren Einfluß, den die Betrachtung von einem spätern Standpunkte
aus darauf ausüben mußte. Denn es liegt über dem Werke nicht die ab¬
geklärte Ruhe des philosophisch-gelassenen Beobachters, der ans die Vergangen¬
heit als auf etwas Abgethanes zurückblickt, sondern es lebt in ihm die nach¬
zitternde Erregung des großen Kämpfers. War doch das ganze Leben des
Verfassers vom Eintritt in die politische Laufbahn 1847 bis an seinen Tod,
fünfzig Jahre durch, ein ununterbrvchuer Kampf. Und mit wem hätte er
nicht zu kämpfen gehabt! Er rang zuerst mit der Demokratie von 1848/49
für das starke Königtum und die Selbständigkeit seines Preußen, in Frank-
furt a. M. mit dem Ansprüche Österreichs um die Autonomie der preußischen
Politik und die Gleichberechtigung seines Staats, als Minister wieder für das
echte Königtum gegen ein parlamentarisches Regiment. Alle Parteien hat er
auch später nach einander unter seinen Gegnern gesehen: die Konservativen,
seine alten Genossen, die ihm bei dem unvermeidlichen liberalen Ausbau des
Reiches und Preußens nicht folgen wollten, die Liberalen, die sich ihm ver¬
sagten, als er an die nationale Wirtschaftspolitik ging, das neugebildete
Zentrum, das die Hoheitsrechte des Staates bestritt und trotzdem dank der
aufs bitterste von ihm empfundnen "Desertion" des linken liberalen Flügels
zu einer ausschlaggebenden Stellung gelangte, die Sozialdemokratie, die alle
Grundlagen des Staats und der Gesellschaft verneinte und trotzdem immer
wieder Bundesgenossen unter den "bürgerlichen" Parteien sand. Und diese
innern Kämpfe verflochten sich mit den auswärtigen gegen Österreich und die
deutschen Mittelstaatcu, gegen Dänemark und Frankreich, später um die Er¬
haltung und deu Ausbau der europäischen Stellung Deutschlands. Denn alle
Gegner Preußens und des Reichs fanden Bundesgenossen in seinem Innern.


Lürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

innerhalb der erreichbaren Grenzen hergestellt hatten, bestrebt gewesen, das
Vertrauen aller Mächte zu der Gerechtigkeit und Friedensliebe des Deutschen
Reichs zu erwerben und habe daher selbst berechtigte Empfindlichkeit zurück¬
gedrängt. nachdrücklich weist er an einer andern Stelle (II, 258 f.) darauf
hin, daß alle Staatsverträge nur Geltung haben rebus sie 8t.!zMbus, auch der
Dreibund, und daß daher das altpreußische wuscmrs vsästw niemals ver-
gessen werden dürfe. Man sieht, das ist eine sehr kluge, sehr weitschauende,
sehr maßvolle Politik, aber es ist auch eine europäisch beschränkte Politik.
Daß sie, nachdem Deutschland auf Grund und unter dem Zwange dessen, was
eben sie für Deutschland errungen hat, in die Reihen der Weltmächte ein¬
getreten ist, in jedem Falle ausreichen wird, das wird man schwerlich erwarten
dürfen.

Wenn schon diese ausgedehnten Betrachtungen und die ganze Auswahl
und Anordnung des Stoffes eine stark subjektive Färbung in das Buch bringen,
so tritt dieser subjektive Charakter noch mehr hervor in dem Urteil über Per¬
sonen und Dinge, abgesehen noch von dem unbewußten und im einzelnen schwer
nachweisbaren Einfluß, den die Betrachtung von einem spätern Standpunkte
aus darauf ausüben mußte. Denn es liegt über dem Werke nicht die ab¬
geklärte Ruhe des philosophisch-gelassenen Beobachters, der ans die Vergangen¬
heit als auf etwas Abgethanes zurückblickt, sondern es lebt in ihm die nach¬
zitternde Erregung des großen Kämpfers. War doch das ganze Leben des
Verfassers vom Eintritt in die politische Laufbahn 1847 bis an seinen Tod,
fünfzig Jahre durch, ein ununterbrvchuer Kampf. Und mit wem hätte er
nicht zu kämpfen gehabt! Er rang zuerst mit der Demokratie von 1848/49
für das starke Königtum und die Selbständigkeit seines Preußen, in Frank-
furt a. M. mit dem Ansprüche Österreichs um die Autonomie der preußischen
Politik und die Gleichberechtigung seines Staats, als Minister wieder für das
echte Königtum gegen ein parlamentarisches Regiment. Alle Parteien hat er
auch später nach einander unter seinen Gegnern gesehen: die Konservativen,
seine alten Genossen, die ihm bei dem unvermeidlichen liberalen Ausbau des
Reiches und Preußens nicht folgen wollten, die Liberalen, die sich ihm ver¬
sagten, als er an die nationale Wirtschaftspolitik ging, das neugebildete
Zentrum, das die Hoheitsrechte des Staates bestritt und trotzdem dank der
aufs bitterste von ihm empfundnen „Desertion" des linken liberalen Flügels
zu einer ausschlaggebenden Stellung gelangte, die Sozialdemokratie, die alle
Grundlagen des Staats und der Gesellschaft verneinte und trotzdem immer
wieder Bundesgenossen unter den „bürgerlichen" Parteien sand. Und diese
innern Kämpfe verflochten sich mit den auswärtigen gegen Österreich und die
deutschen Mittelstaatcu, gegen Dänemark und Frankreich, später um die Er¬
haltung und deu Ausbau der europäischen Stellung Deutschlands. Denn alle
Gegner Preußens und des Reichs fanden Bundesgenossen in seinem Innern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/20>, abgerufen am 28.09.2024.