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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wie Bayern ein moderner Staat wurde

doppelten Kräften für ihre Erhaltung dadurch arbeiten, daß sie bei dem Volke
durch Fortpflanzung des Aberglaubens und der schädlichsten Irrtümer rich¬
tigern Begriffen den Eingang zu erschweren, jede zu seiner moralischen Bildung
führende Anstalt verdächtig zu machen suchen und einen beständigen bösen
Willen dagegen unterhalten. Ihre fortdauernde Existenz ist daher nicht nur
zwecklos, sondern positiv schädlich und dabei durch ihren privilegierten Bettel
dem Landmann äußerst lästig."

Um die Massen zu beruhigen, die von dem knirschenden Klerus fanatisiert
wurden, sah sich die Regierung zu einem Erlaß genötigt, worin sie die Be¬
rechtigung ihres Handelns darlegte. "Was haben alle Stände gewonnen,
welche der Alleinherrschaft ihrer Kirche, der Einheit ihrer Religion alles auf¬
opferten? Man vergleiche ihren Wohlstand mit jenem solcher Staaten, welche
ohne Rücksicht auf Religion fremder Industrie und Kultur offen stehn, und
wo man diese durch Aufnahme solcher nützlichen Fremden heimisch zu machen
weiß? . . . Haben nicht alle christlichen Religionen eine gemeinschaftliche Moral
und einen gemeinschaftlichen Lehrer?"

Die Gleichstellung der Konfessionen, die damit im Prinzip entschieden
war, veranlaßte natürlich noch weitere Maßregeln von kaum geringerer Trag¬
weite. Am 18. Mai 1803 wurden gemischte Ehen für erlaubt erklärt, schon
vorher war das Zensurkollegium beseitigt worden, "weil es den liberalen
Gang der Wissenschaften aufzuhalten schien," und an seine Stelle trat eine
Kommission mit der Weisung zu einem freisinnigen und "bescheidnen" Ver¬
fahren. Endlich fand man es am besten, jede Zensur von Büchern aufzugeben.

Besonders kräftig aber traten die Prinzipien des neuen Regimes im
Unterrichtswesen hervor. "Die Schule -- heißt es in einer Entschließung
vom 26. November 1804 -- ist nicht als eine kirchliche, sondern als eine
wichtige Polizeianstalt zu betrachten." Und schärfer als jemals ein bayrischer
Fürst gesprochen hat, fährt dann die Entschließung fort, daß nur der Religions¬
unterricht konfessionell zu trennen sei, in allen übrigen Dingen handle es sich
lediglich um weltliche Interessen, die die Kirche nicht das mindeste angehn;
denn "die Sicherheit einer Religion kann nicht gefährdet werden, wo von
keiner Religion die Frage ist." "Abgesehen von Kirchensystem und Glaubens¬
lehre ist der übrige Lehrstoff weder katholisch noch protestantisch, und es muß
jedem Parteilosen gleichgiltig sein, durch welche Konfessionsverwandten die
Sprachen, Geographie, Naturwissenschaften, Mathematik usw. gelehrt werden,
wenn nur der Lehrer geschickt und ein Mann von sittlichem Charakter ist."
Aus diesem Grunde wird denn auch behauptet, daß die Regierung die Schulen
nie und nimmer als "religiöse Institute" betrachten könne, denn ihre Aufgabe
sei es, "jeder Tendenz entgegen zu arbeiten, durch welche der Bürger vom
Staate getrennt wird." So sprach man im Jahre 1804, so freisinnig war
damals das bayrische Schulwesen geordnet, und doch war der oberste Chef


Wie Bayern ein moderner Staat wurde

doppelten Kräften für ihre Erhaltung dadurch arbeiten, daß sie bei dem Volke
durch Fortpflanzung des Aberglaubens und der schädlichsten Irrtümer rich¬
tigern Begriffen den Eingang zu erschweren, jede zu seiner moralischen Bildung
führende Anstalt verdächtig zu machen suchen und einen beständigen bösen
Willen dagegen unterhalten. Ihre fortdauernde Existenz ist daher nicht nur
zwecklos, sondern positiv schädlich und dabei durch ihren privilegierten Bettel
dem Landmann äußerst lästig."

Um die Massen zu beruhigen, die von dem knirschenden Klerus fanatisiert
wurden, sah sich die Regierung zu einem Erlaß genötigt, worin sie die Be¬
rechtigung ihres Handelns darlegte. „Was haben alle Stände gewonnen,
welche der Alleinherrschaft ihrer Kirche, der Einheit ihrer Religion alles auf¬
opferten? Man vergleiche ihren Wohlstand mit jenem solcher Staaten, welche
ohne Rücksicht auf Religion fremder Industrie und Kultur offen stehn, und
wo man diese durch Aufnahme solcher nützlichen Fremden heimisch zu machen
weiß? . . . Haben nicht alle christlichen Religionen eine gemeinschaftliche Moral
und einen gemeinschaftlichen Lehrer?"

Die Gleichstellung der Konfessionen, die damit im Prinzip entschieden
war, veranlaßte natürlich noch weitere Maßregeln von kaum geringerer Trag¬
weite. Am 18. Mai 1803 wurden gemischte Ehen für erlaubt erklärt, schon
vorher war das Zensurkollegium beseitigt worden, „weil es den liberalen
Gang der Wissenschaften aufzuhalten schien," und an seine Stelle trat eine
Kommission mit der Weisung zu einem freisinnigen und „bescheidnen" Ver¬
fahren. Endlich fand man es am besten, jede Zensur von Büchern aufzugeben.

Besonders kräftig aber traten die Prinzipien des neuen Regimes im
Unterrichtswesen hervor. „Die Schule — heißt es in einer Entschließung
vom 26. November 1804 — ist nicht als eine kirchliche, sondern als eine
wichtige Polizeianstalt zu betrachten." Und schärfer als jemals ein bayrischer
Fürst gesprochen hat, fährt dann die Entschließung fort, daß nur der Religions¬
unterricht konfessionell zu trennen sei, in allen übrigen Dingen handle es sich
lediglich um weltliche Interessen, die die Kirche nicht das mindeste angehn;
denn „die Sicherheit einer Religion kann nicht gefährdet werden, wo von
keiner Religion die Frage ist." „Abgesehen von Kirchensystem und Glaubens¬
lehre ist der übrige Lehrstoff weder katholisch noch protestantisch, und es muß
jedem Parteilosen gleichgiltig sein, durch welche Konfessionsverwandten die
Sprachen, Geographie, Naturwissenschaften, Mathematik usw. gelehrt werden,
wenn nur der Lehrer geschickt und ein Mann von sittlichem Charakter ist."
Aus diesem Grunde wird denn auch behauptet, daß die Regierung die Schulen
nie und nimmer als „religiöse Institute" betrachten könne, denn ihre Aufgabe
sei es, „jeder Tendenz entgegen zu arbeiten, durch welche der Bürger vom
Staate getrennt wird." So sprach man im Jahre 1804, so freisinnig war
damals das bayrische Schulwesen geordnet, und doch war der oberste Chef


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/199>, abgerufen am 28.09.2024.