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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aassen und Kriege

weilen eine strategisch günstigere Lage geschaffen wurde. Soweit also blieb
Cervera immer noch der Held des Tages, der mit seinen wenigen Streitkräften
die ganze feindliche Flotte beschäftigte. Die Situation hatte den Kriegsschau-
Platz wesentlich verschoben, zu Ungunsten seiner Gegner.

Jetzt aber beginnt auch bei Cervera das Unkluge. Auf wiederholtes
Bitten und Drängen macht er bei Hellem Tage den wahnsinnigen Ausfall, der
in der Seekriegsgeschichte ohne Parallele ist. Es ist wirklich nicht zwecklos, sich
die Lage Cerveras zu vergegenwärtigen und dann einmal zu fragen: Was würde
ein persönlich ebenso mutiger englischer, deutscher oder amerikanischer Admiral
an seiner Stelle gethan haben? Zwei Möglichkeiten standen ihm offen, um
wenigstens mit Ruhm unterzugehn: entweder mit kaltblütiger Entschlossenheit
das Eindringen der Flotte Sampsons in die enge Hafeneinfahrt abzuwarten,
oder nachts den Durchbruch auf die See zu versuchen, möglichst mit Über¬
raschung des Feindes, kurz vor Tagesanbruch.

Vorher aber konnte er seine eignen Torpedoboote Nacht für Nacht als
Scheinangreifer, günstige Gelegenheiten ausnutzend vielleicht auch als wirkliche
Angreifer verwenden, um den Feind durch unaufhörliche Anspannung der
Nerven zu ermüden, was ihm bei einem häufigen Wechsel der Boote nur einen
kleinen Teil seiner Leute verbraucht hätte, während er die ganze feindliche
Flotte durch geschickte Manipulationen in Atem halten konnte. Gleichzeitig
wäre es dadurch eher denkbar gewesen, den Augenblick seines Ausfalls mit den
Schlachtschiffen nach Möglichkeit zu verschleiern.

Was thut Cervera? In Heller Vormittagsstunden dampft er mit seinen
Panzerschiffen neuster und stärkster Konstruktion wie zur Parade aus der Bucht
heraus und läßt alle seine schönen Schiffe "vorschriftsmäßig" wie schwimmende
Scheiben zusammenschießen. Die schnellen Torpedoboote schickt er nicht einmal
als Scharfschützen voraus, sondern läßt sie ganz zuletzt achterher laufen. Nicht
einen einzigen der moralischen Vorteile, die sein Entschluß ihm trotz allem noch
in die Hand gab, hat Cervera auszunutzen verstanden. Er verzichtete auf den
Angriff! Statt mit aller Kraft gegen den Feind zu rennen, wandte er den
Kurs seitwärts an der Küste entlang, gegen die er selbstverständlich von den
aufdampfenden amerikanischen Schlachtschiffen von Minute zu Minute mehr
gedrängt wurde. Was Cervera that, war schnurstracks gegen jede seemannische
Einsicht. Sein eignes Flaggschiff, der Cristobal Colon (1891 vom Stapel
gelaufen), hatte bedeutend stärkere Maschinen als die amerikanischen Schlacht¬
schiffe. Ein einziger gut angebrachter Rammstoß, und die augenblickliche Ver¬
wirrung wäre ihm oder einem seiner Kapitäne sehr zu statten gekommen, um
durchzubrechen und mit Hilfe der schnellern Maschinen die See zu gewinnen.
Selbst wenn die Geistesgegenwart und geschickte Seetaktik der Amerikaner sein



y Auf der mneritmiischen Flotte wurde gerade der sonutnnliche Gottesdienst ni>ne>Mer,
Aassen und Kriege

weilen eine strategisch günstigere Lage geschaffen wurde. Soweit also blieb
Cervera immer noch der Held des Tages, der mit seinen wenigen Streitkräften
die ganze feindliche Flotte beschäftigte. Die Situation hatte den Kriegsschau-
Platz wesentlich verschoben, zu Ungunsten seiner Gegner.

Jetzt aber beginnt auch bei Cervera das Unkluge. Auf wiederholtes
Bitten und Drängen macht er bei Hellem Tage den wahnsinnigen Ausfall, der
in der Seekriegsgeschichte ohne Parallele ist. Es ist wirklich nicht zwecklos, sich
die Lage Cerveras zu vergegenwärtigen und dann einmal zu fragen: Was würde
ein persönlich ebenso mutiger englischer, deutscher oder amerikanischer Admiral
an seiner Stelle gethan haben? Zwei Möglichkeiten standen ihm offen, um
wenigstens mit Ruhm unterzugehn: entweder mit kaltblütiger Entschlossenheit
das Eindringen der Flotte Sampsons in die enge Hafeneinfahrt abzuwarten,
oder nachts den Durchbruch auf die See zu versuchen, möglichst mit Über¬
raschung des Feindes, kurz vor Tagesanbruch.

Vorher aber konnte er seine eignen Torpedoboote Nacht für Nacht als
Scheinangreifer, günstige Gelegenheiten ausnutzend vielleicht auch als wirkliche
Angreifer verwenden, um den Feind durch unaufhörliche Anspannung der
Nerven zu ermüden, was ihm bei einem häufigen Wechsel der Boote nur einen
kleinen Teil seiner Leute verbraucht hätte, während er die ganze feindliche
Flotte durch geschickte Manipulationen in Atem halten konnte. Gleichzeitig
wäre es dadurch eher denkbar gewesen, den Augenblick seines Ausfalls mit den
Schlachtschiffen nach Möglichkeit zu verschleiern.

Was thut Cervera? In Heller Vormittagsstunden dampft er mit seinen
Panzerschiffen neuster und stärkster Konstruktion wie zur Parade aus der Bucht
heraus und läßt alle seine schönen Schiffe „vorschriftsmäßig" wie schwimmende
Scheiben zusammenschießen. Die schnellen Torpedoboote schickt er nicht einmal
als Scharfschützen voraus, sondern läßt sie ganz zuletzt achterher laufen. Nicht
einen einzigen der moralischen Vorteile, die sein Entschluß ihm trotz allem noch
in die Hand gab, hat Cervera auszunutzen verstanden. Er verzichtete auf den
Angriff! Statt mit aller Kraft gegen den Feind zu rennen, wandte er den
Kurs seitwärts an der Küste entlang, gegen die er selbstverständlich von den
aufdampfenden amerikanischen Schlachtschiffen von Minute zu Minute mehr
gedrängt wurde. Was Cervera that, war schnurstracks gegen jede seemannische
Einsicht. Sein eignes Flaggschiff, der Cristobal Colon (1891 vom Stapel
gelaufen), hatte bedeutend stärkere Maschinen als die amerikanischen Schlacht¬
schiffe. Ein einziger gut angebrachter Rammstoß, und die augenblickliche Ver¬
wirrung wäre ihm oder einem seiner Kapitäne sehr zu statten gekommen, um
durchzubrechen und mit Hilfe der schnellern Maschinen die See zu gewinnen.
Selbst wenn die Geistesgegenwart und geschickte Seetaktik der Amerikaner sein



y Auf der mneritmiischen Flotte wurde gerade der sonutnnliche Gottesdienst ni>ne>Mer,
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[0183] Aassen und Kriege weilen eine strategisch günstigere Lage geschaffen wurde. Soweit also blieb Cervera immer noch der Held des Tages, der mit seinen wenigen Streitkräften die ganze feindliche Flotte beschäftigte. Die Situation hatte den Kriegsschau- Platz wesentlich verschoben, zu Ungunsten seiner Gegner. Jetzt aber beginnt auch bei Cervera das Unkluge. Auf wiederholtes Bitten und Drängen macht er bei Hellem Tage den wahnsinnigen Ausfall, der in der Seekriegsgeschichte ohne Parallele ist. Es ist wirklich nicht zwecklos, sich die Lage Cerveras zu vergegenwärtigen und dann einmal zu fragen: Was würde ein persönlich ebenso mutiger englischer, deutscher oder amerikanischer Admiral an seiner Stelle gethan haben? Zwei Möglichkeiten standen ihm offen, um wenigstens mit Ruhm unterzugehn: entweder mit kaltblütiger Entschlossenheit das Eindringen der Flotte Sampsons in die enge Hafeneinfahrt abzuwarten, oder nachts den Durchbruch auf die See zu versuchen, möglichst mit Über¬ raschung des Feindes, kurz vor Tagesanbruch. Vorher aber konnte er seine eignen Torpedoboote Nacht für Nacht als Scheinangreifer, günstige Gelegenheiten ausnutzend vielleicht auch als wirkliche Angreifer verwenden, um den Feind durch unaufhörliche Anspannung der Nerven zu ermüden, was ihm bei einem häufigen Wechsel der Boote nur einen kleinen Teil seiner Leute verbraucht hätte, während er die ganze feindliche Flotte durch geschickte Manipulationen in Atem halten konnte. Gleichzeitig wäre es dadurch eher denkbar gewesen, den Augenblick seines Ausfalls mit den Schlachtschiffen nach Möglichkeit zu verschleiern. Was thut Cervera? In Heller Vormittagsstunden dampft er mit seinen Panzerschiffen neuster und stärkster Konstruktion wie zur Parade aus der Bucht heraus und läßt alle seine schönen Schiffe „vorschriftsmäßig" wie schwimmende Scheiben zusammenschießen. Die schnellen Torpedoboote schickt er nicht einmal als Scharfschützen voraus, sondern läßt sie ganz zuletzt achterher laufen. Nicht einen einzigen der moralischen Vorteile, die sein Entschluß ihm trotz allem noch in die Hand gab, hat Cervera auszunutzen verstanden. Er verzichtete auf den Angriff! Statt mit aller Kraft gegen den Feind zu rennen, wandte er den Kurs seitwärts an der Küste entlang, gegen die er selbstverständlich von den aufdampfenden amerikanischen Schlachtschiffen von Minute zu Minute mehr gedrängt wurde. Was Cervera that, war schnurstracks gegen jede seemannische Einsicht. Sein eignes Flaggschiff, der Cristobal Colon (1891 vom Stapel gelaufen), hatte bedeutend stärkere Maschinen als die amerikanischen Schlacht¬ schiffe. Ein einziger gut angebrachter Rammstoß, und die augenblickliche Ver¬ wirrung wäre ihm oder einem seiner Kapitäne sehr zu statten gekommen, um durchzubrechen und mit Hilfe der schnellern Maschinen die See zu gewinnen. Selbst wenn die Geistesgegenwart und geschickte Seetaktik der Amerikaner sein y Auf der mneritmiischen Flotte wurde gerade der sonutnnliche Gottesdienst ni>ne>Mer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/183>, abgerufen am 28.09.2024.