Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rasse" und Kriege

schickt haben könnte", kann an der Thatsache nichts ändern, daß die winzige vor
Santiago kämpfende amerikanische Armee ihre überraschenden Erfolge weniger
ihrer Tollkühnheit und ihren militärischen Leistungen, als der unerhörten In¬
dolenz ihres Gegners zu verdanken hatte. Die Spanier haben es im ganzen
Kriege nie über eine passive Defensive gebracht. Diese Indolenz, diese fast
unglaubliche Unthätigkeit ist in erster Linie ein Erkennungszeichen im Niedergang
begriffner Rassen, dann aber auch ein besondres Merkmal der Spanier seit
Generationen gewesen. Denselben Mangel an Unternehmungsgeist bewiesen
sie in der Kaperei zur See. Kein einziges amerikanisches Handelsschiff haben
sie überhaupt uur wegzunehmen versucht. Die Uankees holten alle Tage ge¬
kaperte Schiffe nach Key-West herein, was Arete sans Mannschaften offenbar
viel Vergnügen und Prisengelder verschaffte.

Der eigentliche Kampf zwischen den feindlichen Flotten liefert noch inter¬
essantere Belege für die Rassenverschiedenheit; von der technischen Seite hat
man das Fazit rasch gezogen -- ebenso wie im japanisch-chinesischen See¬
kriege --, während das Spiel der geistigen Kräfte dort wie hier nicht immer
hinreichend berücksichtigt wurde. Bei Cavite hat altes Holz bewiesen, was
man ohnehin schon vorher wußte, daß es gegen neue Panzerplatten und
Granaten verloren ist. Anders bei Santiago.

Durch eine kühne Fahrt über den Atlantic lenkt Cervera, Spaniens
tapferster Admiral, für kurze Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit und Teil¬
nahme auf sich. Wider Erwarten glückt es ihm, unbemerkt von den auf ihn
lauernden beiden amerikanischen Geschwadern Sampsons und Schleys, die ku¬
banische Küste zu erreichen. Auf die Fixigkeit der Jankees wirft das ein so
zweifelhaftes Licht, daß die Nachricht von Cerveras Einfahrt in den Hafen
von Santiago in Spanien schon wie eine Siegesbotschaft aufgenommen wurde,
während doch nur Kohlenmangel die bedenkliche Ursache davon war. Von
Madrid schickt man einen telegraphischen Glückwunsch an den Admiral und
-- jetzt kommt das "spanische" an der Sache -- überläßt ihn seinem Schicksal.
Anstatt sofort ein zweites Geschwader nach Westindien zu senden, um die un¬
gleichen Streitkräfte wenigstens einigermaßen auszugleichen (durch getrennte
Aufgaben, d. h. durch Ablenkung eines Teils der amerikanischen Hauptmacht
von Cerveras Schiffen), läßt man es so langsam wie irgend möglich nach den
dreimal so weit entfernten Philippinen abgehn. Aber es gelangt nicht an sein
Ziel. Im Suezkanal bleibt es stecken, muß eine Million Durchfahrtszvll zahlen
und kehrt dann wieder um. Admiral Cervera, ohne Hoffnung auf Hilfe, wird
unterdessen von den allmählich zusammengezognen feindlichen Schiffen blockiert,
sozusagen "auf Flaschen gezogen," woraus ihm kein Vorwurf gemacht werden
kann, da es gar nicht in seiner Macht lag, das zu hindern. Zudem konnte,
wie die Dinge einmal lagen, eine Ablenkung der Amerikaner von der Haupt¬
stadt Havana den Spaniern nur willkommen sein, da dadurch für sie einst-


Rasse» und Kriege

schickt haben könnte», kann an der Thatsache nichts ändern, daß die winzige vor
Santiago kämpfende amerikanische Armee ihre überraschenden Erfolge weniger
ihrer Tollkühnheit und ihren militärischen Leistungen, als der unerhörten In¬
dolenz ihres Gegners zu verdanken hatte. Die Spanier haben es im ganzen
Kriege nie über eine passive Defensive gebracht. Diese Indolenz, diese fast
unglaubliche Unthätigkeit ist in erster Linie ein Erkennungszeichen im Niedergang
begriffner Rassen, dann aber auch ein besondres Merkmal der Spanier seit
Generationen gewesen. Denselben Mangel an Unternehmungsgeist bewiesen
sie in der Kaperei zur See. Kein einziges amerikanisches Handelsschiff haben
sie überhaupt uur wegzunehmen versucht. Die Uankees holten alle Tage ge¬
kaperte Schiffe nach Key-West herein, was Arete sans Mannschaften offenbar
viel Vergnügen und Prisengelder verschaffte.

Der eigentliche Kampf zwischen den feindlichen Flotten liefert noch inter¬
essantere Belege für die Rassenverschiedenheit; von der technischen Seite hat
man das Fazit rasch gezogen — ebenso wie im japanisch-chinesischen See¬
kriege —, während das Spiel der geistigen Kräfte dort wie hier nicht immer
hinreichend berücksichtigt wurde. Bei Cavite hat altes Holz bewiesen, was
man ohnehin schon vorher wußte, daß es gegen neue Panzerplatten und
Granaten verloren ist. Anders bei Santiago.

Durch eine kühne Fahrt über den Atlantic lenkt Cervera, Spaniens
tapferster Admiral, für kurze Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit und Teil¬
nahme auf sich. Wider Erwarten glückt es ihm, unbemerkt von den auf ihn
lauernden beiden amerikanischen Geschwadern Sampsons und Schleys, die ku¬
banische Küste zu erreichen. Auf die Fixigkeit der Jankees wirft das ein so
zweifelhaftes Licht, daß die Nachricht von Cerveras Einfahrt in den Hafen
von Santiago in Spanien schon wie eine Siegesbotschaft aufgenommen wurde,
während doch nur Kohlenmangel die bedenkliche Ursache davon war. Von
Madrid schickt man einen telegraphischen Glückwunsch an den Admiral und
— jetzt kommt das „spanische" an der Sache — überläßt ihn seinem Schicksal.
Anstatt sofort ein zweites Geschwader nach Westindien zu senden, um die un¬
gleichen Streitkräfte wenigstens einigermaßen auszugleichen (durch getrennte
Aufgaben, d. h. durch Ablenkung eines Teils der amerikanischen Hauptmacht
von Cerveras Schiffen), läßt man es so langsam wie irgend möglich nach den
dreimal so weit entfernten Philippinen abgehn. Aber es gelangt nicht an sein
Ziel. Im Suezkanal bleibt es stecken, muß eine Million Durchfahrtszvll zahlen
und kehrt dann wieder um. Admiral Cervera, ohne Hoffnung auf Hilfe, wird
unterdessen von den allmählich zusammengezognen feindlichen Schiffen blockiert,
sozusagen „auf Flaschen gezogen," woraus ihm kein Vorwurf gemacht werden
kann, da es gar nicht in seiner Macht lag, das zu hindern. Zudem konnte,
wie die Dinge einmal lagen, eine Ablenkung der Amerikaner von der Haupt¬
stadt Havana den Spaniern nur willkommen sein, da dadurch für sie einst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230614"/>
          <fw type="header" place="top"> Rasse» und Kriege</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_569" prev="#ID_568"> schickt haben könnte», kann an der Thatsache nichts ändern, daß die winzige vor<lb/>
Santiago kämpfende amerikanische Armee ihre überraschenden Erfolge weniger<lb/>
ihrer Tollkühnheit und ihren militärischen Leistungen, als der unerhörten In¬<lb/>
dolenz ihres Gegners zu verdanken hatte. Die Spanier haben es im ganzen<lb/>
Kriege nie über eine passive Defensive gebracht. Diese Indolenz, diese fast<lb/>
unglaubliche Unthätigkeit ist in erster Linie ein Erkennungszeichen im Niedergang<lb/>
begriffner Rassen, dann aber auch ein besondres Merkmal der Spanier seit<lb/>
Generationen gewesen. Denselben Mangel an Unternehmungsgeist bewiesen<lb/>
sie in der Kaperei zur See. Kein einziges amerikanisches Handelsschiff haben<lb/>
sie überhaupt uur wegzunehmen versucht. Die Uankees holten alle Tage ge¬<lb/>
kaperte Schiffe nach Key-West herein, was Arete sans Mannschaften offenbar<lb/>
viel Vergnügen und Prisengelder verschaffte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570"> Der eigentliche Kampf zwischen den feindlichen Flotten liefert noch inter¬<lb/>
essantere Belege für die Rassenverschiedenheit; von der technischen Seite hat<lb/>
man das Fazit rasch gezogen &#x2014; ebenso wie im japanisch-chinesischen See¬<lb/>
kriege &#x2014;, während das Spiel der geistigen Kräfte dort wie hier nicht immer<lb/>
hinreichend berücksichtigt wurde. Bei Cavite hat altes Holz bewiesen, was<lb/>
man ohnehin schon vorher wußte, daß es gegen neue Panzerplatten und<lb/>
Granaten verloren ist.  Anders bei Santiago.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571" next="#ID_572"> Durch eine kühne Fahrt über den Atlantic lenkt Cervera, Spaniens<lb/>
tapferster Admiral, für kurze Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit und Teil¬<lb/>
nahme auf sich. Wider Erwarten glückt es ihm, unbemerkt von den auf ihn<lb/>
lauernden beiden amerikanischen Geschwadern Sampsons und Schleys, die ku¬<lb/>
banische Küste zu erreichen. Auf die Fixigkeit der Jankees wirft das ein so<lb/>
zweifelhaftes Licht, daß die Nachricht von Cerveras Einfahrt in den Hafen<lb/>
von Santiago in Spanien schon wie eine Siegesbotschaft aufgenommen wurde,<lb/>
während doch nur Kohlenmangel die bedenkliche Ursache davon war. Von<lb/>
Madrid schickt man einen telegraphischen Glückwunsch an den Admiral und<lb/>
&#x2014; jetzt kommt das &#x201E;spanische" an der Sache &#x2014; überläßt ihn seinem Schicksal.<lb/>
Anstatt sofort ein zweites Geschwader nach Westindien zu senden, um die un¬<lb/>
gleichen Streitkräfte wenigstens einigermaßen auszugleichen (durch getrennte<lb/>
Aufgaben, d. h. durch Ablenkung eines Teils der amerikanischen Hauptmacht<lb/>
von Cerveras Schiffen), läßt man es so langsam wie irgend möglich nach den<lb/>
dreimal so weit entfernten Philippinen abgehn. Aber es gelangt nicht an sein<lb/>
Ziel. Im Suezkanal bleibt es stecken, muß eine Million Durchfahrtszvll zahlen<lb/>
und kehrt dann wieder um. Admiral Cervera, ohne Hoffnung auf Hilfe, wird<lb/>
unterdessen von den allmählich zusammengezognen feindlichen Schiffen blockiert,<lb/>
sozusagen &#x201E;auf Flaschen gezogen," woraus ihm kein Vorwurf gemacht werden<lb/>
kann, da es gar nicht in seiner Macht lag, das zu hindern. Zudem konnte,<lb/>
wie die Dinge einmal lagen, eine Ablenkung der Amerikaner von der Haupt¬<lb/>
stadt Havana den Spaniern nur willkommen sein, da dadurch für sie einst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0182] Rasse» und Kriege schickt haben könnte», kann an der Thatsache nichts ändern, daß die winzige vor Santiago kämpfende amerikanische Armee ihre überraschenden Erfolge weniger ihrer Tollkühnheit und ihren militärischen Leistungen, als der unerhörten In¬ dolenz ihres Gegners zu verdanken hatte. Die Spanier haben es im ganzen Kriege nie über eine passive Defensive gebracht. Diese Indolenz, diese fast unglaubliche Unthätigkeit ist in erster Linie ein Erkennungszeichen im Niedergang begriffner Rassen, dann aber auch ein besondres Merkmal der Spanier seit Generationen gewesen. Denselben Mangel an Unternehmungsgeist bewiesen sie in der Kaperei zur See. Kein einziges amerikanisches Handelsschiff haben sie überhaupt uur wegzunehmen versucht. Die Uankees holten alle Tage ge¬ kaperte Schiffe nach Key-West herein, was Arete sans Mannschaften offenbar viel Vergnügen und Prisengelder verschaffte. Der eigentliche Kampf zwischen den feindlichen Flotten liefert noch inter¬ essantere Belege für die Rassenverschiedenheit; von der technischen Seite hat man das Fazit rasch gezogen — ebenso wie im japanisch-chinesischen See¬ kriege —, während das Spiel der geistigen Kräfte dort wie hier nicht immer hinreichend berücksichtigt wurde. Bei Cavite hat altes Holz bewiesen, was man ohnehin schon vorher wußte, daß es gegen neue Panzerplatten und Granaten verloren ist. Anders bei Santiago. Durch eine kühne Fahrt über den Atlantic lenkt Cervera, Spaniens tapferster Admiral, für kurze Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit und Teil¬ nahme auf sich. Wider Erwarten glückt es ihm, unbemerkt von den auf ihn lauernden beiden amerikanischen Geschwadern Sampsons und Schleys, die ku¬ banische Küste zu erreichen. Auf die Fixigkeit der Jankees wirft das ein so zweifelhaftes Licht, daß die Nachricht von Cerveras Einfahrt in den Hafen von Santiago in Spanien schon wie eine Siegesbotschaft aufgenommen wurde, während doch nur Kohlenmangel die bedenkliche Ursache davon war. Von Madrid schickt man einen telegraphischen Glückwunsch an den Admiral und — jetzt kommt das „spanische" an der Sache — überläßt ihn seinem Schicksal. Anstatt sofort ein zweites Geschwader nach Westindien zu senden, um die un¬ gleichen Streitkräfte wenigstens einigermaßen auszugleichen (durch getrennte Aufgaben, d. h. durch Ablenkung eines Teils der amerikanischen Hauptmacht von Cerveras Schiffen), läßt man es so langsam wie irgend möglich nach den dreimal so weit entfernten Philippinen abgehn. Aber es gelangt nicht an sein Ziel. Im Suezkanal bleibt es stecken, muß eine Million Durchfahrtszvll zahlen und kehrt dann wieder um. Admiral Cervera, ohne Hoffnung auf Hilfe, wird unterdessen von den allmählich zusammengezognen feindlichen Schiffen blockiert, sozusagen „auf Flaschen gezogen," woraus ihm kein Vorwurf gemacht werden kann, da es gar nicht in seiner Macht lag, das zu hindern. Zudem konnte, wie die Dinge einmal lagen, eine Ablenkung der Amerikaner von der Haupt¬ stadt Havana den Spaniern nur willkommen sein, da dadurch für sie einst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/182
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/182>, abgerufen am 28.09.2024.