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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

hatte und wie diese Kenntnis auf seine Entschlüsse wirkte, sie läßt ebenso die
zweifellos vorhandnen Abmachungen mit Rußland im Dunkeln. Das kann
schließlich zu neuen grundlosen Verdächtigungen der Politik Bismarcks Ver¬
anlassung geben, trotz aller wiederholten Erklärungen gegen "Präventivkriege,"
wie II, 92 f. Selbst in dem sonst so viel besprochnen Verhältnis zu Rußland
fehlt jede Beziehung auf die im Frühjahr 1873 in Se. Petersburg unter¬
zeichnete geheime Konvention, der Fürst Bismarck seine Unterschrift verweigerte
(Tagebuchblätter III, 349). Kurz, die Gedanken und Erinnerungen befriedigen
unsre Wißbegierde in manchen recht wichtigen Punkten keineswegs, und auch
Horst Kohls "Wegweiser" bietet im wesentlichen nur einen guten Auszug, aber
Ergänzungen wenig, wie z. B. S. 123 ff. die Gedanken des Kronprinzen über
den Friedensschluß mit Frankreich und die endliche Einigung Deutschlands vom
14. August 1870 oder S. 168 ff. 178 ff. den Briefwechsel zwischen Wilhelm I.
und Alexander II. vor und nach dem Abschlüsse des deutsch-österreichischen
Bündnisses 1879, der seinen Platz gewiß besser in den Denkwürdigkeiten selbst
gefunden Hütte und dort aus nicht recht ersichtlichen Gründen weggeblieben ist.

Doch diese Hinweise auf fühlbare Lücken mögen als unbedeutend, vielleicht
gar als kleinlich erscheinen gegenüber der Fülle dessen, was das Werk wirklich
bietet. schlechthin Neues und Unbekanntes wird es so sehr viel nicht ent¬
halten, aber zahlreiche Thatsachen treten in schärfere oder in neue Beleuchtung,
und obwohl die frische Unmittelbarkeit der Schilderung, die Fürst Bismarcks
Erzählungsweise auszeichnete, in diesem Buche der Natur der Sache nach nur
dann und wann hervortritt, übrigens in der ersten Hälfte noch mehr als in
der zweiten: da, wo sie auftritt, ist sie nicht geringer wie irgendwo anders.
Höchst lebendig mit manchen noch unbekannten Zügen schildert er sein Ver¬
halten in den Märztagen des Jahres 1848, wo er entschlossen die Anregung
zu einer Gegenrevolution gegen die in Berlin siegreiche Demokratie zu geben
versucht (I, 20 ff.); sehr merkwürdig ist der Plan des liberalen Führers Georg
von Vincke, den König zur Abdankung zu bewegen, den Prinzen von Preußen
von der Thronfolge zu verdrängen und eine liberale Regentschaft unter der
Prinzessin Augusta für den unmündigen Prinzen Friedrich Wilhelm einzusetzen,
der erste Wassergang Bismarcks mit der stolzen und energischen Fürstin
(I, 36 ff.). Das gerade in jenen verhängnisvollen Tagen begründete Vertrauens¬
verhältnis zu Friedrich Wilhelm IV., das den einfachen altmärkischen Edelmann
in die diplomatische Laufbahn einführte, ihn nach Frankfurt brachte und schon
unter dem Ministerium Manteuffel zum thatsächlichen Leiter der auswärtigen
Politik Preußens machte, obwohl er trotz mehrfacher Aufforderungen (1852,
1854, 1856) es ablehnte, der Minister dieses Königs zu werden, das alles
tritt erst jetzt mit voller Klarheit hervor, ebenso die Härte des Kampfes, den
er 1862 bis 1866 mit einigen Mitgliedern des königlichen Hauses, mit dem
Kronprinzen und der Königin zu führen hatte (vergl. besonders Kapitel 17


Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

hatte und wie diese Kenntnis auf seine Entschlüsse wirkte, sie läßt ebenso die
zweifellos vorhandnen Abmachungen mit Rußland im Dunkeln. Das kann
schließlich zu neuen grundlosen Verdächtigungen der Politik Bismarcks Ver¬
anlassung geben, trotz aller wiederholten Erklärungen gegen „Präventivkriege,"
wie II, 92 f. Selbst in dem sonst so viel besprochnen Verhältnis zu Rußland
fehlt jede Beziehung auf die im Frühjahr 1873 in Se. Petersburg unter¬
zeichnete geheime Konvention, der Fürst Bismarck seine Unterschrift verweigerte
(Tagebuchblätter III, 349). Kurz, die Gedanken und Erinnerungen befriedigen
unsre Wißbegierde in manchen recht wichtigen Punkten keineswegs, und auch
Horst Kohls „Wegweiser" bietet im wesentlichen nur einen guten Auszug, aber
Ergänzungen wenig, wie z. B. S. 123 ff. die Gedanken des Kronprinzen über
den Friedensschluß mit Frankreich und die endliche Einigung Deutschlands vom
14. August 1870 oder S. 168 ff. 178 ff. den Briefwechsel zwischen Wilhelm I.
und Alexander II. vor und nach dem Abschlüsse des deutsch-österreichischen
Bündnisses 1879, der seinen Platz gewiß besser in den Denkwürdigkeiten selbst
gefunden Hütte und dort aus nicht recht ersichtlichen Gründen weggeblieben ist.

Doch diese Hinweise auf fühlbare Lücken mögen als unbedeutend, vielleicht
gar als kleinlich erscheinen gegenüber der Fülle dessen, was das Werk wirklich
bietet. schlechthin Neues und Unbekanntes wird es so sehr viel nicht ent¬
halten, aber zahlreiche Thatsachen treten in schärfere oder in neue Beleuchtung,
und obwohl die frische Unmittelbarkeit der Schilderung, die Fürst Bismarcks
Erzählungsweise auszeichnete, in diesem Buche der Natur der Sache nach nur
dann und wann hervortritt, übrigens in der ersten Hälfte noch mehr als in
der zweiten: da, wo sie auftritt, ist sie nicht geringer wie irgendwo anders.
Höchst lebendig mit manchen noch unbekannten Zügen schildert er sein Ver¬
halten in den Märztagen des Jahres 1848, wo er entschlossen die Anregung
zu einer Gegenrevolution gegen die in Berlin siegreiche Demokratie zu geben
versucht (I, 20 ff.); sehr merkwürdig ist der Plan des liberalen Führers Georg
von Vincke, den König zur Abdankung zu bewegen, den Prinzen von Preußen
von der Thronfolge zu verdrängen und eine liberale Regentschaft unter der
Prinzessin Augusta für den unmündigen Prinzen Friedrich Wilhelm einzusetzen,
der erste Wassergang Bismarcks mit der stolzen und energischen Fürstin
(I, 36 ff.). Das gerade in jenen verhängnisvollen Tagen begründete Vertrauens¬
verhältnis zu Friedrich Wilhelm IV., das den einfachen altmärkischen Edelmann
in die diplomatische Laufbahn einführte, ihn nach Frankfurt brachte und schon
unter dem Ministerium Manteuffel zum thatsächlichen Leiter der auswärtigen
Politik Preußens machte, obwohl er trotz mehrfacher Aufforderungen (1852,
1854, 1856) es ablehnte, der Minister dieses Königs zu werden, das alles
tritt erst jetzt mit voller Klarheit hervor, ebenso die Härte des Kampfes, den
er 1862 bis 1866 mit einigen Mitgliedern des königlichen Hauses, mit dem
Kronprinzen und der Königin zu führen hatte (vergl. besonders Kapitel 17


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/16>, abgerufen am 28.09.2024.