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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

Willig und vorübergehend der neuen Losung, Novalis war vor der entschei¬
denden Wendung aus dem Leben geschieden, Heinrich von Kleist und Achin
von Arnim verleugneten niemals ihren märkischen Protestantismus. Aber um
Friedrich Schlegel und sein zweites Panier scharten sich alsbald die jungen
katholischen Talente von Clemens Brentano und Görres bis zu Eichendorff
und die Gruppe der Konvertiten. Sie waren es, die der Romantik das Ge¬
präge gaben, das alsbald zu vorwiegender, wenn nicht ausschließlicher Geltung
gelangte.

Während um 1840 die eine Gruppe der Schüler Hegels, zu denen Gutzkow,
Theodor Mundt und andre zählten, den Glauben an die alleinseligmachende
zeitgemäße Prosa, den publizistisch-belletristischen Mischstil festhielten, vertraten
die von jüngern Hegelianern redigierten und geschriebnen "Hallischen Jahr¬
bücher" mit schneidiger Ausschließlichkeit die rein künstlerische Form der Tendenz¬
poesie. "Wenn der Zweck absolut ist, so wird auch sein Effekt absolut und
seine Realisierung ewig sein," rief Arnold Rüge. "Die Geschichte schweigt,
das Leben ist der Tod überall, wo es nur ein Privatleben giebt. Die Jnter-
essen, welche das Herz des politischen Menschen erfüllen, müssen in Wissen und
Kunst erfaßt werden. . . . Wer poetisches oder philosophisches Talent hat, der
hilft auf den Trümmern der Romantik die neue Welt aufbauen, die Welt der
wahren, freien Humanität. Wer daran nicht glaubt, der hat keine Religion,
und wenn er das Wort stündlich im Munde führte." In der scharfen Be¬
tonung des politischen Elements und der Notwendigkeit der politischen Oppo¬
sition übertrumpften die Vorfechter der politischen Lyrik (die nur zu gern auch
eine politische Epik und Dramatik gewesen wäre) die Jungdeutschen von 1830,
aber sie wurden die schärfsten Gegner der loddrigen Stil- und Sprachmischung,
die etwa ein Jahrzehnt lang als besonders modern gefeiert worden war, und
deren Produkte sich, nebenbei gesagt, heute so veraltet und geschmacklos aus¬
nehmen, daß die alten Volksbücher des sechzehnten Jahrhunderts und der
"Simplicius Simplicissimus" dagegen funkelnagelneu erscheinen.

In demselben Verhältnis steht während der noch thätigen dritten Litte-
raturrevolutivn die symbolistische Gruppe oder Schule zu der ihr voraus-
gegangnen naturalistischen. Auch sie teilt fast durchgehend mit den Natu¬
ralisten den Ekel am Leben, die schwarzsichtige Charakteristik der Menschen, die
Nachklänge zum Salomonischen: "Es ist alles eitel!"; ihre Grundstimmung
ist elegisch-pessimistisch, während die der Naturalisten meist ingrimmig-pessi¬
mistisch erschien. Aber die Symbolisten kehren teilweis, wie ehedem die poli¬
tischen Dichter, zur durchgebildeten Form zurück und schauen von deren Höhe
mit schlecht verhehlter Geringschätzung auf die wüste Wirklichkeits- und Elends¬
schilderung der Naturalisten hinab, die über uns ausgegossen wurde, wie man
einen Eimer schmutziges Wasser ausgießt. Oder sie schaffen sich auch eine
Form, die sie für den natürlichen Ausdruck elementarer Empfindung, für


Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

Willig und vorübergehend der neuen Losung, Novalis war vor der entschei¬
denden Wendung aus dem Leben geschieden, Heinrich von Kleist und Achin
von Arnim verleugneten niemals ihren märkischen Protestantismus. Aber um
Friedrich Schlegel und sein zweites Panier scharten sich alsbald die jungen
katholischen Talente von Clemens Brentano und Görres bis zu Eichendorff
und die Gruppe der Konvertiten. Sie waren es, die der Romantik das Ge¬
präge gaben, das alsbald zu vorwiegender, wenn nicht ausschließlicher Geltung
gelangte.

Während um 1840 die eine Gruppe der Schüler Hegels, zu denen Gutzkow,
Theodor Mundt und andre zählten, den Glauben an die alleinseligmachende
zeitgemäße Prosa, den publizistisch-belletristischen Mischstil festhielten, vertraten
die von jüngern Hegelianern redigierten und geschriebnen „Hallischen Jahr¬
bücher" mit schneidiger Ausschließlichkeit die rein künstlerische Form der Tendenz¬
poesie. „Wenn der Zweck absolut ist, so wird auch sein Effekt absolut und
seine Realisierung ewig sein," rief Arnold Rüge. „Die Geschichte schweigt,
das Leben ist der Tod überall, wo es nur ein Privatleben giebt. Die Jnter-
essen, welche das Herz des politischen Menschen erfüllen, müssen in Wissen und
Kunst erfaßt werden. . . . Wer poetisches oder philosophisches Talent hat, der
hilft auf den Trümmern der Romantik die neue Welt aufbauen, die Welt der
wahren, freien Humanität. Wer daran nicht glaubt, der hat keine Religion,
und wenn er das Wort stündlich im Munde führte." In der scharfen Be¬
tonung des politischen Elements und der Notwendigkeit der politischen Oppo¬
sition übertrumpften die Vorfechter der politischen Lyrik (die nur zu gern auch
eine politische Epik und Dramatik gewesen wäre) die Jungdeutschen von 1830,
aber sie wurden die schärfsten Gegner der loddrigen Stil- und Sprachmischung,
die etwa ein Jahrzehnt lang als besonders modern gefeiert worden war, und
deren Produkte sich, nebenbei gesagt, heute so veraltet und geschmacklos aus¬
nehmen, daß die alten Volksbücher des sechzehnten Jahrhunderts und der
„Simplicius Simplicissimus" dagegen funkelnagelneu erscheinen.

In demselben Verhältnis steht während der noch thätigen dritten Litte-
raturrevolutivn die symbolistische Gruppe oder Schule zu der ihr voraus-
gegangnen naturalistischen. Auch sie teilt fast durchgehend mit den Natu¬
ralisten den Ekel am Leben, die schwarzsichtige Charakteristik der Menschen, die
Nachklänge zum Salomonischen: „Es ist alles eitel!"; ihre Grundstimmung
ist elegisch-pessimistisch, während die der Naturalisten meist ingrimmig-pessi¬
mistisch erschien. Aber die Symbolisten kehren teilweis, wie ehedem die poli¬
tischen Dichter, zur durchgebildeten Form zurück und schauen von deren Höhe
mit schlecht verhehlter Geringschätzung auf die wüste Wirklichkeits- und Elends¬
schilderung der Naturalisten hinab, die über uns ausgegossen wurde, wie man
einen Eimer schmutziges Wasser ausgießt. Oder sie schaffen sich auch eine
Form, die sie für den natürlichen Ausdruck elementarer Empfindung, für


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[0151] Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur Willig und vorübergehend der neuen Losung, Novalis war vor der entschei¬ denden Wendung aus dem Leben geschieden, Heinrich von Kleist und Achin von Arnim verleugneten niemals ihren märkischen Protestantismus. Aber um Friedrich Schlegel und sein zweites Panier scharten sich alsbald die jungen katholischen Talente von Clemens Brentano und Görres bis zu Eichendorff und die Gruppe der Konvertiten. Sie waren es, die der Romantik das Ge¬ präge gaben, das alsbald zu vorwiegender, wenn nicht ausschließlicher Geltung gelangte. Während um 1840 die eine Gruppe der Schüler Hegels, zu denen Gutzkow, Theodor Mundt und andre zählten, den Glauben an die alleinseligmachende zeitgemäße Prosa, den publizistisch-belletristischen Mischstil festhielten, vertraten die von jüngern Hegelianern redigierten und geschriebnen „Hallischen Jahr¬ bücher" mit schneidiger Ausschließlichkeit die rein künstlerische Form der Tendenz¬ poesie. „Wenn der Zweck absolut ist, so wird auch sein Effekt absolut und seine Realisierung ewig sein," rief Arnold Rüge. „Die Geschichte schweigt, das Leben ist der Tod überall, wo es nur ein Privatleben giebt. Die Jnter- essen, welche das Herz des politischen Menschen erfüllen, müssen in Wissen und Kunst erfaßt werden. . . . Wer poetisches oder philosophisches Talent hat, der hilft auf den Trümmern der Romantik die neue Welt aufbauen, die Welt der wahren, freien Humanität. Wer daran nicht glaubt, der hat keine Religion, und wenn er das Wort stündlich im Munde führte." In der scharfen Be¬ tonung des politischen Elements und der Notwendigkeit der politischen Oppo¬ sition übertrumpften die Vorfechter der politischen Lyrik (die nur zu gern auch eine politische Epik und Dramatik gewesen wäre) die Jungdeutschen von 1830, aber sie wurden die schärfsten Gegner der loddrigen Stil- und Sprachmischung, die etwa ein Jahrzehnt lang als besonders modern gefeiert worden war, und deren Produkte sich, nebenbei gesagt, heute so veraltet und geschmacklos aus¬ nehmen, daß die alten Volksbücher des sechzehnten Jahrhunderts und der „Simplicius Simplicissimus" dagegen funkelnagelneu erscheinen. In demselben Verhältnis steht während der noch thätigen dritten Litte- raturrevolutivn die symbolistische Gruppe oder Schule zu der ihr voraus- gegangnen naturalistischen. Auch sie teilt fast durchgehend mit den Natu¬ ralisten den Ekel am Leben, die schwarzsichtige Charakteristik der Menschen, die Nachklänge zum Salomonischen: „Es ist alles eitel!"; ihre Grundstimmung ist elegisch-pessimistisch, während die der Naturalisten meist ingrimmig-pessi¬ mistisch erschien. Aber die Symbolisten kehren teilweis, wie ehedem die poli¬ tischen Dichter, zur durchgebildeten Form zurück und schauen von deren Höhe mit schlecht verhehlter Geringschätzung auf die wüste Wirklichkeits- und Elends¬ schilderung der Naturalisten hinab, die über uns ausgegossen wurde, wie man einen Eimer schmutziges Wasser ausgießt. Oder sie schaffen sich auch eine Form, die sie für den natürlichen Ausdruck elementarer Empfindung, für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/151>, abgerufen am 28.09.2024.