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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

stehlicher Zug, eine Anzahl einzelner Erscheinungen der Litteratur für die Litte¬
ratur selbst auszugeben und, während man nur im Ansturm gegen greisenhafte
und konventionelle Überlieferungen, gegen verhaßte Entartungen zu sein wähnt,
über die gleichzeitig vorhandnen lebensvollsten Erscheinungen und verheißungs¬
vollsten Keime gleichsam hinwegzntoben, so ergiebt sich daraus nicht nur, daß
die revolutionäre Jugend ungeduldig den Triumph verächtlicher Richtungen und
frivoler Halbtalente sah, daß sie hoffte, etwas besseres an die Stelle des Be¬
kämpften zu setzen, sondern daß sie auch mit selbstsüchtiger, leidenschaftlicher
Eifersucht, mit schlecht verhehltem Mißtrauen und Mißwollen auf alle sah, die
unter ihre Charakteristik einer hernntergekommnen Litteratur und poetischer
Bettelsuppenköche nicht passen wollten und das Gute und Beste auf andre Art
suchte", als ihre eigne neue Schule.

Wer ein neues Heilmittel zu verkünden hat, sieht immer scheel auf die
vorhandnen bewährten, und es ist oft vorgekommen, daß die spätern Propheten
nicht besonders gut auf die ältern zu sprechen waren. Eine Eingebung revo¬
lutionärer Leidenschaft, ein Zug revolutionärer Taktik ist es jedenfalls, wenn
man in allen drei Bewegungen die der eignen Richtung nicht angehörigen
schaffenden und zum Höchsten strebenden Talente nicht kennt, die Günstlinge
des großen Haufens aber als die Vertreter des Zeitgeistes brandmarkt. Die alte
Taktik aller Revolutionen! "Wenn man die Leute an die Laterne hängen will,
giebt es nur Foulons und Berthiers und keinen Malesherbes," sagt Taine
irgendwo in seinen Studien zur französischen Revolution, und auf das Ge¬
haben der litterarischen Revolutionäre trifft das Wort vollkommen zu.

Welches Feuerwerk von Frösche" und platzenden Granaten eröffnen die
Romantiker gegen die angeblich führenden Geister ihrer Tage! Von A. W.
Schlegels "Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten von
Kotzebue" bis zum "Paradiesgärtlein für Garlieb Merkel," von dem Drei¬
gesang Vossens, Matthissons und Schmidts von Werneuchen bis zur Klage
der Jünglinge und Jungfrauen, die Schikaneder über Schiller setzten, von
den Verspottungen der Kotzebnischen, Ifflandschen und Schikanederschen Stücke
in Tiecks "Gestiefeltem Kater" bis zu den ironischen Lobsprüchen auf Lafon¬
taines, Spießens und Schlenkerts Romane, die noch die Erzählungen von
Tiecks Jugend in Rudolf Köpckes bekanntem Buche durchklingeu, von Fichtes
"Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen" bis zu den parodierenden
Waller-Kapiteln (den Angriffen auf Jens Baggesen) in Achin von Arnims
"Gräfin Dolores," von der Schlegelschen Abhandlung gegen Moderomane
(Lafontaine, Meißner) im "Athenäum" von 1798 bis zur Parodie Clemens
Brentanos auf Kotzebues "Gustav Wasa," von Schleiermachers vernichtender
Rezension über I. I- Engels "Philosoph für die Welt" bis zu Verhardis
dramaturgischen Herzensergießungen im "Archiv der Zeit" gegen Jffland und
seine Nachahmer welch ein hartnäckiges, breitspuriges Bekämpfen vielge-


Grenzboten II ILM
Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

stehlicher Zug, eine Anzahl einzelner Erscheinungen der Litteratur für die Litte¬
ratur selbst auszugeben und, während man nur im Ansturm gegen greisenhafte
und konventionelle Überlieferungen, gegen verhaßte Entartungen zu sein wähnt,
über die gleichzeitig vorhandnen lebensvollsten Erscheinungen und verheißungs¬
vollsten Keime gleichsam hinwegzntoben, so ergiebt sich daraus nicht nur, daß
die revolutionäre Jugend ungeduldig den Triumph verächtlicher Richtungen und
frivoler Halbtalente sah, daß sie hoffte, etwas besseres an die Stelle des Be¬
kämpften zu setzen, sondern daß sie auch mit selbstsüchtiger, leidenschaftlicher
Eifersucht, mit schlecht verhehltem Mißtrauen und Mißwollen auf alle sah, die
unter ihre Charakteristik einer hernntergekommnen Litteratur und poetischer
Bettelsuppenköche nicht passen wollten und das Gute und Beste auf andre Art
suchte», als ihre eigne neue Schule.

Wer ein neues Heilmittel zu verkünden hat, sieht immer scheel auf die
vorhandnen bewährten, und es ist oft vorgekommen, daß die spätern Propheten
nicht besonders gut auf die ältern zu sprechen waren. Eine Eingebung revo¬
lutionärer Leidenschaft, ein Zug revolutionärer Taktik ist es jedenfalls, wenn
man in allen drei Bewegungen die der eignen Richtung nicht angehörigen
schaffenden und zum Höchsten strebenden Talente nicht kennt, die Günstlinge
des großen Haufens aber als die Vertreter des Zeitgeistes brandmarkt. Die alte
Taktik aller Revolutionen! „Wenn man die Leute an die Laterne hängen will,
giebt es nur Foulons und Berthiers und keinen Malesherbes," sagt Taine
irgendwo in seinen Studien zur französischen Revolution, und auf das Ge¬
haben der litterarischen Revolutionäre trifft das Wort vollkommen zu.

Welches Feuerwerk von Frösche» und platzenden Granaten eröffnen die
Romantiker gegen die angeblich führenden Geister ihrer Tage! Von A. W.
Schlegels „Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten von
Kotzebue" bis zum „Paradiesgärtlein für Garlieb Merkel," von dem Drei¬
gesang Vossens, Matthissons und Schmidts von Werneuchen bis zur Klage
der Jünglinge und Jungfrauen, die Schikaneder über Schiller setzten, von
den Verspottungen der Kotzebnischen, Ifflandschen und Schikanederschen Stücke
in Tiecks „Gestiefeltem Kater" bis zu den ironischen Lobsprüchen auf Lafon¬
taines, Spießens und Schlenkerts Romane, die noch die Erzählungen von
Tiecks Jugend in Rudolf Köpckes bekanntem Buche durchklingeu, von Fichtes
„Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen" bis zu den parodierenden
Waller-Kapiteln (den Angriffen auf Jens Baggesen) in Achin von Arnims
„Gräfin Dolores," von der Schlegelschen Abhandlung gegen Moderomane
(Lafontaine, Meißner) im „Athenäum" von 1798 bis zur Parodie Clemens
Brentanos auf Kotzebues „Gustav Wasa," von Schleiermachers vernichtender
Rezension über I. I- Engels „Philosoph für die Welt" bis zu Verhardis
dramaturgischen Herzensergießungen im „Archiv der Zeit" gegen Jffland und
seine Nachahmer welch ein hartnäckiges, breitspuriges Bekämpfen vielge-


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[0145] Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur stehlicher Zug, eine Anzahl einzelner Erscheinungen der Litteratur für die Litte¬ ratur selbst auszugeben und, während man nur im Ansturm gegen greisenhafte und konventionelle Überlieferungen, gegen verhaßte Entartungen zu sein wähnt, über die gleichzeitig vorhandnen lebensvollsten Erscheinungen und verheißungs¬ vollsten Keime gleichsam hinwegzntoben, so ergiebt sich daraus nicht nur, daß die revolutionäre Jugend ungeduldig den Triumph verächtlicher Richtungen und frivoler Halbtalente sah, daß sie hoffte, etwas besseres an die Stelle des Be¬ kämpften zu setzen, sondern daß sie auch mit selbstsüchtiger, leidenschaftlicher Eifersucht, mit schlecht verhehltem Mißtrauen und Mißwollen auf alle sah, die unter ihre Charakteristik einer hernntergekommnen Litteratur und poetischer Bettelsuppenköche nicht passen wollten und das Gute und Beste auf andre Art suchte», als ihre eigne neue Schule. Wer ein neues Heilmittel zu verkünden hat, sieht immer scheel auf die vorhandnen bewährten, und es ist oft vorgekommen, daß die spätern Propheten nicht besonders gut auf die ältern zu sprechen waren. Eine Eingebung revo¬ lutionärer Leidenschaft, ein Zug revolutionärer Taktik ist es jedenfalls, wenn man in allen drei Bewegungen die der eignen Richtung nicht angehörigen schaffenden und zum Höchsten strebenden Talente nicht kennt, die Günstlinge des großen Haufens aber als die Vertreter des Zeitgeistes brandmarkt. Die alte Taktik aller Revolutionen! „Wenn man die Leute an die Laterne hängen will, giebt es nur Foulons und Berthiers und keinen Malesherbes," sagt Taine irgendwo in seinen Studien zur französischen Revolution, und auf das Ge¬ haben der litterarischen Revolutionäre trifft das Wort vollkommen zu. Welches Feuerwerk von Frösche» und platzenden Granaten eröffnen die Romantiker gegen die angeblich führenden Geister ihrer Tage! Von A. W. Schlegels „Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten von Kotzebue" bis zum „Paradiesgärtlein für Garlieb Merkel," von dem Drei¬ gesang Vossens, Matthissons und Schmidts von Werneuchen bis zur Klage der Jünglinge und Jungfrauen, die Schikaneder über Schiller setzten, von den Verspottungen der Kotzebnischen, Ifflandschen und Schikanederschen Stücke in Tiecks „Gestiefeltem Kater" bis zu den ironischen Lobsprüchen auf Lafon¬ taines, Spießens und Schlenkerts Romane, die noch die Erzählungen von Tiecks Jugend in Rudolf Köpckes bekanntem Buche durchklingeu, von Fichtes „Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen" bis zu den parodierenden Waller-Kapiteln (den Angriffen auf Jens Baggesen) in Achin von Arnims „Gräfin Dolores," von der Schlegelschen Abhandlung gegen Moderomane (Lafontaine, Meißner) im „Athenäum" von 1798 bis zur Parodie Clemens Brentanos auf Kotzebues „Gustav Wasa," von Schleiermachers vernichtender Rezension über I. I- Engels „Philosoph für die Welt" bis zu Verhardis dramaturgischen Herzensergießungen im „Archiv der Zeit" gegen Jffland und seine Nachahmer welch ein hartnäckiges, breitspuriges Bekämpfen vielge- Grenzboten II ILM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/145>, abgerufen am 28.09.2024.