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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Winckelmanns Leben von Zusti

der Symmetrie und all der unmalerischen Peinlichkeit, Goldpracht) Metall¬
schärfe und Emailglätte des paduanisch-venezianischen Stils." Die Vergleiche
hat er von Winckelmann, aber er führt sie richtiger durch, weil er die Re¬
naissancekunst besser kennt. Was für eine wundervolle Schilderung von Natur,
Kunst und Gesellschaft erhalten wir von Neapel bei Gelegenheit von Winckel-
manns erstem Aufenthalt (im zweiten Bande), und dabei wie kurz, und was
liegt alles in wenigen Sätzen! "Es wäre keinem verziehen worden, an der
Kapelle vorbeizugehn, wo die drei verschleierten und verstrickten Bravourstatuen
standen, in denen ihr Herr und Erfinder den Triumph der Plastik zu besitzen
glaubte. Dies war der Duca von San Severo, ein Typus neapelscher Charla-
tanerie, der Besitzer der Geheimnisse der Palingenesie, der unverlöschlichem
Lampe, der enkaustischen Malerei, des Farbendrucks mit einer Platte, des
Fixierens der Pastelle und der Gemälde, die eine Marmortafel durchdringen
und durch deren Zersägen vervielfältigt werden." Ein Abschnitt über den
Verfall der Kunst bei den Römern endet mit folgender volltönenden Periode:
"Dagegen wenn die Götterdämmerung ihrer Gestalten hereingebrochen ist, wenn
ihre Mittel, das menschliche Herz zu bewegen, verbraucht, ihre Formen aus¬
gelebt sind: so wird weder öffentlicher Wohlstand, noch mediceische Hofgunst,
noch sreie Verfassung, noch Fleiß der Schulen, noch Heroenkultus, noch hohe
metaphysische Begriffe, noch Gelehrsamkeit, noch Reinigung des Geschmacks und
Aufstellung edelster Muster vor allem Volk einen lebendigen Sproß hervor¬
treiben." Justis Ausdruck ist nicht ausgefahren, abgegriffen, klischeemäßig,
sondern persönlich gedacht; Liebhabern des Omnibusstils kann er deswegen
affektiert vorkommen. Damals, als das Werk zum erstenmale erschien, hatte
man den Eindruck, daß in dieser Weise wohl noch über keinen Gegenstand des
Altertums geschrieben worden sei, abgesehen vielleicht von Mommsens römischer
Geschichte. Auch die besten Bücher hatten im Ausdruck etwas schulmäßiges,
weil sie nur auf Fachgenossen rechneten, dieses aber wurde sogleich von vielen
gelesen, die bis dahin von Winckelmann kaum etwas gehört hatten. Wenn
es also ein Verdienst ist, die Gestalt Winckelmanns von der Philologie ab¬
gelöst und für die Kunstgeschichtschreibung gewonnen zu haben, so gebührt
dieses der ersten Auflage unsers Werkes, und die zweite hat, wie wir nun
sehen werden, eine weitere Aufgabe zu erfüllen.

Außer den formellen Verbesserungen, wozu auch die Beseitigung der un¬
schönen Paragraphen gehört, hat das Werk an drei Stellen größere Zusätze
erhalten. Im ersten Bande ist der Abschnitt über die Dresdner Bauwerke
vielfach revidiert, wobei nur der Lssai 8ur 1'g.r"uit<z(ze,ni'<z des Jesuiten Laugier
(S. 241) noch nicht seinen richtigen Platz bekommen zu haben scheint. Im
dritten ist nach seither gefundnen Nachrichten hinzugefügt, wie Landgraf Friedrich
von Hessen, der Sohn des Begründers der Kasseler Galerie, 1760/61 Winckel¬
mann als Führer auf einer italienischen Reise zu haben wünschte, die dann
freilich erst viel später, nach Winckelmanns Tode, unternommen wurde; nach


Winckelmanns Leben von Zusti

der Symmetrie und all der unmalerischen Peinlichkeit, Goldpracht) Metall¬
schärfe und Emailglätte des paduanisch-venezianischen Stils." Die Vergleiche
hat er von Winckelmann, aber er führt sie richtiger durch, weil er die Re¬
naissancekunst besser kennt. Was für eine wundervolle Schilderung von Natur,
Kunst und Gesellschaft erhalten wir von Neapel bei Gelegenheit von Winckel-
manns erstem Aufenthalt (im zweiten Bande), und dabei wie kurz, und was
liegt alles in wenigen Sätzen! „Es wäre keinem verziehen worden, an der
Kapelle vorbeizugehn, wo die drei verschleierten und verstrickten Bravourstatuen
standen, in denen ihr Herr und Erfinder den Triumph der Plastik zu besitzen
glaubte. Dies war der Duca von San Severo, ein Typus neapelscher Charla-
tanerie, der Besitzer der Geheimnisse der Palingenesie, der unverlöschlichem
Lampe, der enkaustischen Malerei, des Farbendrucks mit einer Platte, des
Fixierens der Pastelle und der Gemälde, die eine Marmortafel durchdringen
und durch deren Zersägen vervielfältigt werden." Ein Abschnitt über den
Verfall der Kunst bei den Römern endet mit folgender volltönenden Periode:
„Dagegen wenn die Götterdämmerung ihrer Gestalten hereingebrochen ist, wenn
ihre Mittel, das menschliche Herz zu bewegen, verbraucht, ihre Formen aus¬
gelebt sind: so wird weder öffentlicher Wohlstand, noch mediceische Hofgunst,
noch sreie Verfassung, noch Fleiß der Schulen, noch Heroenkultus, noch hohe
metaphysische Begriffe, noch Gelehrsamkeit, noch Reinigung des Geschmacks und
Aufstellung edelster Muster vor allem Volk einen lebendigen Sproß hervor¬
treiben." Justis Ausdruck ist nicht ausgefahren, abgegriffen, klischeemäßig,
sondern persönlich gedacht; Liebhabern des Omnibusstils kann er deswegen
affektiert vorkommen. Damals, als das Werk zum erstenmale erschien, hatte
man den Eindruck, daß in dieser Weise wohl noch über keinen Gegenstand des
Altertums geschrieben worden sei, abgesehen vielleicht von Mommsens römischer
Geschichte. Auch die besten Bücher hatten im Ausdruck etwas schulmäßiges,
weil sie nur auf Fachgenossen rechneten, dieses aber wurde sogleich von vielen
gelesen, die bis dahin von Winckelmann kaum etwas gehört hatten. Wenn
es also ein Verdienst ist, die Gestalt Winckelmanns von der Philologie ab¬
gelöst und für die Kunstgeschichtschreibung gewonnen zu haben, so gebührt
dieses der ersten Auflage unsers Werkes, und die zweite hat, wie wir nun
sehen werden, eine weitere Aufgabe zu erfüllen.

Außer den formellen Verbesserungen, wozu auch die Beseitigung der un¬
schönen Paragraphen gehört, hat das Werk an drei Stellen größere Zusätze
erhalten. Im ersten Bande ist der Abschnitt über die Dresdner Bauwerke
vielfach revidiert, wobei nur der Lssai 8ur 1'g.r«uit<z(ze,ni'<z des Jesuiten Laugier
(S. 241) noch nicht seinen richtigen Platz bekommen zu haben scheint. Im
dritten ist nach seither gefundnen Nachrichten hinzugefügt, wie Landgraf Friedrich
von Hessen, der Sohn des Begründers der Kasseler Galerie, 1760/61 Winckel¬
mann als Führer auf einer italienischen Reise zu haben wünschte, die dann
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/140>, abgerufen am 28.09.2024.