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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Römer oder richtiger gesagt der Jtaliker war nüchterner Verstandsmensch und
machte nicht aus der Sonne einen schönen jungen Mann, der seinen Wagen
über den Himmel führt, sondern die Sonne blieb ihm die Sonne, ein wunder¬
bares, mächtiges, wohlthätiges Wesen; ebenso das Herdfeuer, die nahrung¬
sprießende Erde, der wachstumfördernde Regen. Daß alle Naturerscheinungen
und Naturkräfte miteinander in Verbindung stehen und durch eine gesetzgebende
Macht zum harmonischen Jneinanderwirken gezwungen werden, konnte seinem
scharfen Verstände nicht entgehen; dieser ahnte also den einen Gott, der in
allen Geschöpfen wirkt, und an diese Ahnung konnten dann später die Philo¬
sophen anknüpfen. Und da die Naturerscheinungen ineinander fließen, so flössen
den Jtalikern auch die Götter ineinander, wobei nicht, wie bei den Griechen,
eine Mythologie, Poesie und Plastik im Wege stand, die jedem Gott seine
anschauliche, ihn von den Brüdern unterscheidende Gestalt und seinen umgrenzten
Wirkungskreis verliehen hätte. Ein und dieselbe Wirkung konnte ganz eben¬
sogut von Jupiter wie von Juno oder Fortuna erwartet werden. Aber eben
weil nicht die Phantasie anschauliche Göttergestalten schuf, sondern der Ver¬
stand die in der Natur und im Menschenleben vorkommenden Erscheinungen
zusammensuchte und jede auf eine göttliche Einwirkung zurückführte, war
damit der Weg zu einer schlechthin grenzenlosen Götterprodnktion oder viel¬
mehr Fabrikation gegeben. Wenn eine Stimme ruft: Die Gallier kommen, so
wird diese Stimme nicht, wie bei den Griechen geschehen sein würde, einem
der schon bekannten hilfreichen Götter zugeschrieben, sondern sofort ein eigner
Gott: Ajus Loeutius, gemacht, dem man an der Stelle, wo der Ruf ver¬
nommen worden ist, eine Kapelle baut. Mau war so fromm, daß man bei
keiner Bewegung eines Gliedes, bei keiner Benutzung eines Werkzeuges, bei
keinem Stadium des Wachstums einer Pflanze die Mitwirkung und den Bei¬
stand der Gottheit auszuschließen oder fortzudenken wagte, und indem man
nun für jede solche Mitwirkung einen besondern Gott annahm, schuf man sich
jenen abgeschmackten Götterpöbel mit den lächerlichen und zum Teil anstößigen
Namen, der dem klügsten Volke der Welt den Vorwurf zugezogen hat, die
albernste Religion ausgetiftelt zu haben. Dies ist die Seite der Sache, an
der Augustinus vorzugsweise sein Mütchen kühlt. Wohnt nicht dort, wo die
Tugend ist, auch die Treue, spottet er in dem mit dem zwanzigsten Kapitel des
vierten Buches beginnenden Abschnitte; wozu baut man also neben dem Tempel
der Virtus auch noch der Fides eiuen Altar? Erkennt man, daß Tugend und
Glück Geschenke Jupiters sind, warum betet man nicht ausschließlich zu Jupiter
um diese Gaben? Will man aber die Virtus und die Felicitas durchaus zu
Göttinnen machen, so sollte man sich doch wenigstens mit diesen beiden be¬
gnügen; was kann denn ein vernünftiger Mensch, der die Tugend und das
Glück hat, außerdem noch wünschen und brauchen? Tugendhaft und glücklich
kann man doch wohl nicht ohne Geist sein, was braucht man den noch be-


Der Römerstaat

Römer oder richtiger gesagt der Jtaliker war nüchterner Verstandsmensch und
machte nicht aus der Sonne einen schönen jungen Mann, der seinen Wagen
über den Himmel führt, sondern die Sonne blieb ihm die Sonne, ein wunder¬
bares, mächtiges, wohlthätiges Wesen; ebenso das Herdfeuer, die nahrung¬
sprießende Erde, der wachstumfördernde Regen. Daß alle Naturerscheinungen
und Naturkräfte miteinander in Verbindung stehen und durch eine gesetzgebende
Macht zum harmonischen Jneinanderwirken gezwungen werden, konnte seinem
scharfen Verstände nicht entgehen; dieser ahnte also den einen Gott, der in
allen Geschöpfen wirkt, und an diese Ahnung konnten dann später die Philo¬
sophen anknüpfen. Und da die Naturerscheinungen ineinander fließen, so flössen
den Jtalikern auch die Götter ineinander, wobei nicht, wie bei den Griechen,
eine Mythologie, Poesie und Plastik im Wege stand, die jedem Gott seine
anschauliche, ihn von den Brüdern unterscheidende Gestalt und seinen umgrenzten
Wirkungskreis verliehen hätte. Ein und dieselbe Wirkung konnte ganz eben¬
sogut von Jupiter wie von Juno oder Fortuna erwartet werden. Aber eben
weil nicht die Phantasie anschauliche Göttergestalten schuf, sondern der Ver¬
stand die in der Natur und im Menschenleben vorkommenden Erscheinungen
zusammensuchte und jede auf eine göttliche Einwirkung zurückführte, war
damit der Weg zu einer schlechthin grenzenlosen Götterprodnktion oder viel¬
mehr Fabrikation gegeben. Wenn eine Stimme ruft: Die Gallier kommen, so
wird diese Stimme nicht, wie bei den Griechen geschehen sein würde, einem
der schon bekannten hilfreichen Götter zugeschrieben, sondern sofort ein eigner
Gott: Ajus Loeutius, gemacht, dem man an der Stelle, wo der Ruf ver¬
nommen worden ist, eine Kapelle baut. Mau war so fromm, daß man bei
keiner Bewegung eines Gliedes, bei keiner Benutzung eines Werkzeuges, bei
keinem Stadium des Wachstums einer Pflanze die Mitwirkung und den Bei¬
stand der Gottheit auszuschließen oder fortzudenken wagte, und indem man
nun für jede solche Mitwirkung einen besondern Gott annahm, schuf man sich
jenen abgeschmackten Götterpöbel mit den lächerlichen und zum Teil anstößigen
Namen, der dem klügsten Volke der Welt den Vorwurf zugezogen hat, die
albernste Religion ausgetiftelt zu haben. Dies ist die Seite der Sache, an
der Augustinus vorzugsweise sein Mütchen kühlt. Wohnt nicht dort, wo die
Tugend ist, auch die Treue, spottet er in dem mit dem zwanzigsten Kapitel des
vierten Buches beginnenden Abschnitte; wozu baut man also neben dem Tempel
der Virtus auch noch der Fides eiuen Altar? Erkennt man, daß Tugend und
Glück Geschenke Jupiters sind, warum betet man nicht ausschließlich zu Jupiter
um diese Gaben? Will man aber die Virtus und die Felicitas durchaus zu
Göttinnen machen, so sollte man sich doch wenigstens mit diesen beiden be¬
gnügen; was kann denn ein vernünftiger Mensch, der die Tugend und das
Glück hat, außerdem noch wünschen und brauchen? Tugendhaft und glücklich
kann man doch wohl nicht ohne Geist sein, was braucht man den noch be-


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[0135] Der Römerstaat Römer oder richtiger gesagt der Jtaliker war nüchterner Verstandsmensch und machte nicht aus der Sonne einen schönen jungen Mann, der seinen Wagen über den Himmel führt, sondern die Sonne blieb ihm die Sonne, ein wunder¬ bares, mächtiges, wohlthätiges Wesen; ebenso das Herdfeuer, die nahrung¬ sprießende Erde, der wachstumfördernde Regen. Daß alle Naturerscheinungen und Naturkräfte miteinander in Verbindung stehen und durch eine gesetzgebende Macht zum harmonischen Jneinanderwirken gezwungen werden, konnte seinem scharfen Verstände nicht entgehen; dieser ahnte also den einen Gott, der in allen Geschöpfen wirkt, und an diese Ahnung konnten dann später die Philo¬ sophen anknüpfen. Und da die Naturerscheinungen ineinander fließen, so flössen den Jtalikern auch die Götter ineinander, wobei nicht, wie bei den Griechen, eine Mythologie, Poesie und Plastik im Wege stand, die jedem Gott seine anschauliche, ihn von den Brüdern unterscheidende Gestalt und seinen umgrenzten Wirkungskreis verliehen hätte. Ein und dieselbe Wirkung konnte ganz eben¬ sogut von Jupiter wie von Juno oder Fortuna erwartet werden. Aber eben weil nicht die Phantasie anschauliche Göttergestalten schuf, sondern der Ver¬ stand die in der Natur und im Menschenleben vorkommenden Erscheinungen zusammensuchte und jede auf eine göttliche Einwirkung zurückführte, war damit der Weg zu einer schlechthin grenzenlosen Götterprodnktion oder viel¬ mehr Fabrikation gegeben. Wenn eine Stimme ruft: Die Gallier kommen, so wird diese Stimme nicht, wie bei den Griechen geschehen sein würde, einem der schon bekannten hilfreichen Götter zugeschrieben, sondern sofort ein eigner Gott: Ajus Loeutius, gemacht, dem man an der Stelle, wo der Ruf ver¬ nommen worden ist, eine Kapelle baut. Mau war so fromm, daß man bei keiner Bewegung eines Gliedes, bei keiner Benutzung eines Werkzeuges, bei keinem Stadium des Wachstums einer Pflanze die Mitwirkung und den Bei¬ stand der Gottheit auszuschließen oder fortzudenken wagte, und indem man nun für jede solche Mitwirkung einen besondern Gott annahm, schuf man sich jenen abgeschmackten Götterpöbel mit den lächerlichen und zum Teil anstößigen Namen, der dem klügsten Volke der Welt den Vorwurf zugezogen hat, die albernste Religion ausgetiftelt zu haben. Dies ist die Seite der Sache, an der Augustinus vorzugsweise sein Mütchen kühlt. Wohnt nicht dort, wo die Tugend ist, auch die Treue, spottet er in dem mit dem zwanzigsten Kapitel des vierten Buches beginnenden Abschnitte; wozu baut man also neben dem Tempel der Virtus auch noch der Fides eiuen Altar? Erkennt man, daß Tugend und Glück Geschenke Jupiters sind, warum betet man nicht ausschließlich zu Jupiter um diese Gaben? Will man aber die Virtus und die Felicitas durchaus zu Göttinnen machen, so sollte man sich doch wenigstens mit diesen beiden be¬ gnügen; was kann denn ein vernünftiger Mensch, der die Tugend und das Glück hat, außerdem noch wünschen und brauchen? Tugendhaft und glücklich kann man doch wohl nicht ohne Geist sein, was braucht man den noch be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/135>, abgerufen am 28.09.2024.