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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

untereinander und mit den sterblichen Menschen verwandtschaftlich verknüpfen
konnte: sie hatten keine Mythologie, sie hatten von Hans aus auch keine Götter¬
bilder. Düllinger schreibt in seinem 1851 erschienenen Werke "Heidentum und
Judentum" S. 469, die römische Religion biete zwei sich auf den ersten Blick
völlig widersprechende Eigentümlichkeiten dar, indem ein monotheistischer Zug
durch sie gehe, während ihr polytheistischer Trieb eine größere Menge von
Göttern hervorgebracht habe als die Religion irgend eines andern Volks.
Fünfzehn Jahre später, wo sein polemischer Geist die Aufmerksamkeit von den
Gebrechen des Heidentums und der Reformatoren ab auf die des Papsttums
und der romanischen Katholiken gewandt hatte, würde er wohl diesen Satz
auch mit der Einschränkung "auf den ersten Blick" nicht mehr geschrieben haben.
Die Katholiken sind allezeit, so lebhaft sie dagegen protestieren mögen, Mono¬
theisten und Polytheisten zugleich gewesen. Aber auch die Protestanten, die
natürlich noch lebhafter protestieren werden, sind wenigstens theoretisch beides.
In der Realencyklopädie von Herzog und Pult steht zu lesen: Die Engellehre
"ist ein integrierender Teil der Lehre vom Reiche Gottes. . . . Insofern, wohl
aber auch nur insofern es sich um das Reich Gottes handelt, beherrschen sie
auch (als Völkerengel) die Völkergeschichte, insonderheit die Stellung der für
das Reich Gottes freundlichen und feindlichen Potenzen." Der Unterschied
zwischen christlichen Engeln und heidnischen Göttern mag so groß sein, wie er
will, wesentlich ist er nicht; in beiden Fällen haben wir übermenschliche Zwischen¬
wesen, durch die das Urwesen auf unsre sichtbare Erdenwelt einwirkt. Der
Verfasser des Artikels "Engel" in der Encyklopädie fügt freilich vorsichtig
hinzu: "Mit alledem sind sie für uns Gegenstände heiliger Scheu, niemals
aber Gegenstände der Verehrung und Anbetung." Das protestantische Volk
ist heute viel zu sehr von irdischen Sorgen eingenommen, als daß es sich über
das Jenseits den Kopf zu zerbrechen oder seine Phantasie mit der Vorstellung
von Engeln und Teufeln zu beschäftigen Zeit hätte. Aber wenn es mit der
Urkraft des Volksgemüth an Engel glaubte, würde es sich durch kein kirchliches
Verbot abhalten lassen, so mächtige, völkerbeherrschende Wesen zu verehren, um
sie sich freundlich zu stimmen. Eben während ich dieses schreibe, lese ich im
zehnten Heft der Grenzboten, daß sich Vismarck die Gottheit dualistisch, und
daß er sich Zwischenwesen zwischen Gott und Menschenwelt, Plcinetcngcister,
gedacht hat. Auch die streng monotheistischen Juden und Mohammedaner
können die Engel, die Heiligen und sinnlich wahrnehmbare Erscheinungen Gottes
nicht entbehren.*) Wo immer den Christen zugemutet wird, ihre Verehrung



Die Juden wurden zur Strafe für ihre unausrottbaren polytheistischen Gelüste in die
Gefangenschaft geschickt, die Nachkommen des gebessert zurückgekehrten kleinen Teils aber fielen
unter den Seleuciden in hellen Haufen dem verlockenden Götterdienste der Griechen zu. Nur
der glühende und gewnltthätige Fanatismus der Makkabäer und später der Phariscierparlei war
imstande, den Monotheismus als Volksreligion aufrecht zu erhalten. Bei den heutigen Juden
Der Römerstaat

untereinander und mit den sterblichen Menschen verwandtschaftlich verknüpfen
konnte: sie hatten keine Mythologie, sie hatten von Hans aus auch keine Götter¬
bilder. Düllinger schreibt in seinem 1851 erschienenen Werke „Heidentum und
Judentum" S. 469, die römische Religion biete zwei sich auf den ersten Blick
völlig widersprechende Eigentümlichkeiten dar, indem ein monotheistischer Zug
durch sie gehe, während ihr polytheistischer Trieb eine größere Menge von
Göttern hervorgebracht habe als die Religion irgend eines andern Volks.
Fünfzehn Jahre später, wo sein polemischer Geist die Aufmerksamkeit von den
Gebrechen des Heidentums und der Reformatoren ab auf die des Papsttums
und der romanischen Katholiken gewandt hatte, würde er wohl diesen Satz
auch mit der Einschränkung „auf den ersten Blick" nicht mehr geschrieben haben.
Die Katholiken sind allezeit, so lebhaft sie dagegen protestieren mögen, Mono¬
theisten und Polytheisten zugleich gewesen. Aber auch die Protestanten, die
natürlich noch lebhafter protestieren werden, sind wenigstens theoretisch beides.
In der Realencyklopädie von Herzog und Pult steht zu lesen: Die Engellehre
„ist ein integrierender Teil der Lehre vom Reiche Gottes. . . . Insofern, wohl
aber auch nur insofern es sich um das Reich Gottes handelt, beherrschen sie
auch (als Völkerengel) die Völkergeschichte, insonderheit die Stellung der für
das Reich Gottes freundlichen und feindlichen Potenzen." Der Unterschied
zwischen christlichen Engeln und heidnischen Göttern mag so groß sein, wie er
will, wesentlich ist er nicht; in beiden Fällen haben wir übermenschliche Zwischen¬
wesen, durch die das Urwesen auf unsre sichtbare Erdenwelt einwirkt. Der
Verfasser des Artikels „Engel" in der Encyklopädie fügt freilich vorsichtig
hinzu: „Mit alledem sind sie für uns Gegenstände heiliger Scheu, niemals
aber Gegenstände der Verehrung und Anbetung." Das protestantische Volk
ist heute viel zu sehr von irdischen Sorgen eingenommen, als daß es sich über
das Jenseits den Kopf zu zerbrechen oder seine Phantasie mit der Vorstellung
von Engeln und Teufeln zu beschäftigen Zeit hätte. Aber wenn es mit der
Urkraft des Volksgemüth an Engel glaubte, würde es sich durch kein kirchliches
Verbot abhalten lassen, so mächtige, völkerbeherrschende Wesen zu verehren, um
sie sich freundlich zu stimmen. Eben während ich dieses schreibe, lese ich im
zehnten Heft der Grenzboten, daß sich Vismarck die Gottheit dualistisch, und
daß er sich Zwischenwesen zwischen Gott und Menschenwelt, Plcinetcngcister,
gedacht hat. Auch die streng monotheistischen Juden und Mohammedaner
können die Engel, die Heiligen und sinnlich wahrnehmbare Erscheinungen Gottes
nicht entbehren.*) Wo immer den Christen zugemutet wird, ihre Verehrung



Die Juden wurden zur Strafe für ihre unausrottbaren polytheistischen Gelüste in die
Gefangenschaft geschickt, die Nachkommen des gebessert zurückgekehrten kleinen Teils aber fielen
unter den Seleuciden in hellen Haufen dem verlockenden Götterdienste der Griechen zu. Nur
der glühende und gewnltthätige Fanatismus der Makkabäer und später der Phariscierparlei war
imstande, den Monotheismus als Volksreligion aufrecht zu erhalten. Bei den heutigen Juden
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[0132] Der Römerstaat untereinander und mit den sterblichen Menschen verwandtschaftlich verknüpfen konnte: sie hatten keine Mythologie, sie hatten von Hans aus auch keine Götter¬ bilder. Düllinger schreibt in seinem 1851 erschienenen Werke „Heidentum und Judentum" S. 469, die römische Religion biete zwei sich auf den ersten Blick völlig widersprechende Eigentümlichkeiten dar, indem ein monotheistischer Zug durch sie gehe, während ihr polytheistischer Trieb eine größere Menge von Göttern hervorgebracht habe als die Religion irgend eines andern Volks. Fünfzehn Jahre später, wo sein polemischer Geist die Aufmerksamkeit von den Gebrechen des Heidentums und der Reformatoren ab auf die des Papsttums und der romanischen Katholiken gewandt hatte, würde er wohl diesen Satz auch mit der Einschränkung „auf den ersten Blick" nicht mehr geschrieben haben. Die Katholiken sind allezeit, so lebhaft sie dagegen protestieren mögen, Mono¬ theisten und Polytheisten zugleich gewesen. Aber auch die Protestanten, die natürlich noch lebhafter protestieren werden, sind wenigstens theoretisch beides. In der Realencyklopädie von Herzog und Pult steht zu lesen: Die Engellehre „ist ein integrierender Teil der Lehre vom Reiche Gottes. . . . Insofern, wohl aber auch nur insofern es sich um das Reich Gottes handelt, beherrschen sie auch (als Völkerengel) die Völkergeschichte, insonderheit die Stellung der für das Reich Gottes freundlichen und feindlichen Potenzen." Der Unterschied zwischen christlichen Engeln und heidnischen Göttern mag so groß sein, wie er will, wesentlich ist er nicht; in beiden Fällen haben wir übermenschliche Zwischen¬ wesen, durch die das Urwesen auf unsre sichtbare Erdenwelt einwirkt. Der Verfasser des Artikels „Engel" in der Encyklopädie fügt freilich vorsichtig hinzu: „Mit alledem sind sie für uns Gegenstände heiliger Scheu, niemals aber Gegenstände der Verehrung und Anbetung." Das protestantische Volk ist heute viel zu sehr von irdischen Sorgen eingenommen, als daß es sich über das Jenseits den Kopf zu zerbrechen oder seine Phantasie mit der Vorstellung von Engeln und Teufeln zu beschäftigen Zeit hätte. Aber wenn es mit der Urkraft des Volksgemüth an Engel glaubte, würde es sich durch kein kirchliches Verbot abhalten lassen, so mächtige, völkerbeherrschende Wesen zu verehren, um sie sich freundlich zu stimmen. Eben während ich dieses schreibe, lese ich im zehnten Heft der Grenzboten, daß sich Vismarck die Gottheit dualistisch, und daß er sich Zwischenwesen zwischen Gott und Menschenwelt, Plcinetcngcister, gedacht hat. Auch die streng monotheistischen Juden und Mohammedaner können die Engel, die Heiligen und sinnlich wahrnehmbare Erscheinungen Gottes nicht entbehren.*) Wo immer den Christen zugemutet wird, ihre Verehrung Die Juden wurden zur Strafe für ihre unausrottbaren polytheistischen Gelüste in die Gefangenschaft geschickt, die Nachkommen des gebessert zurückgekehrten kleinen Teils aber fielen unter den Seleuciden in hellen Haufen dem verlockenden Götterdienste der Griechen zu. Nur der glühende und gewnltthätige Fanatismus der Makkabäer und später der Phariscierparlei war imstande, den Monotheismus als Volksreligion aufrecht zu erhalten. Bei den heutigen Juden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/132>, abgerufen am 28.09.2024.