Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagelöhnerhäuser

Der Gutsbesitzer Reckleben*) auf Westerholz in Holstein hat einen ähn¬
lichen Versuch gemacht, und zwar auf dem Wege, der für den Privatmann
allein gangbar ist. Er hat den Arbeiter zum Besitzer des Hauses gemacht und
ihn für den Kaufpreis verschuldet. Das wäre nicht nötig, wenn der Eigen¬
tümer des Hauses eine öffentliche Behörde wäre, die nur kündigt, wenn der
Mieter andauernd zahlungsunfähig wird, und die nie mehr Miete verlangt,
als zur notwendigen Verzinsung ihrer Kapitalien gehört. Mieter in solchen
Häusern würden Eigentümern gleichen; denn auch der Eigentümer kann aus
seinem Hause geworfen werden, wenn er bankerott wird. Ob das, was er zahlt,
Schuldenzins oder Miete heißt, ist vor der Wirklichkeit gleichgiltig. Im all¬
gemeinen sind die Arbeiter nicht geneigt, einen Besitz anzunehmen, den sie mit
Schulden kaufen müssen. Alle kleinen Leute sind mißtrauisch und haben Angst,
bei einem so weit ausschauenden Geschäft zu kurz zu kommen. Sie würden
sich durchaus nicht nach Arbeiterrentengütern**) dränge". Freie Wohnungen
auf dem Lande würden aber sehr schnell voll sein. Das Verfahren würde sich
auch leichter selbst korrigieren. An Stellen, wo kein Verdienst ist, würden die
Häuser leer bleiben, ohne daß ein armer Arbeiter in Schuldknechtschaft erst die
Unmöglichkeit beweisen müßte. Für den Herrn fiele das Recht fort, dem
Arbeiter die geschuldete Kapitalsumme zu kündigen, und zugleich die moralische
Pflicht, den Mann zu beschäftigen, für den Arbeiter der indirekte Zwang, für
diesen Herrn zu arbeiten. Die Armenlasten könnte die Anstalt übernehmen.
Wenn wir absehen von den Vorteilen, die die sanitären Verbesserungen für
die Versicherungsanstalten haben können, so erscheint doch auch ohnedies das
Geschäft keineswegs riskant. Der einzelne Arbeiter ist freilich ein unsichrer
Schuldner, obwohl für eine Behörde weniger als für einen Privatmann; ebenso
ist ein einzelner Wechsel ein sehr unsichrer Besitz. Trotzdem legen die großen
Banken Unsummen in Handelswechseln an und erklären diese Anlage für die
einzig bankgerechte und sicherste, weil immer nur ein Teil, nie alle ausfallen
können, weil die meisten immer flüssig sein werden. So könnte auch die Ver¬
sicherungsanstalt, die mich eine Bank ist, ihr Vermögen in solchen Häusern
stehn haben. Denn daß die große Masse der deutschen Arbeiterschaft auf dem
Lande zahlungsunfähig wird, kann nur in großen Kriegen und Revolutionen
vorkommen, wo auch die Versicherungsbeiträge ausbleiben werden. Gewöhnliche
Krisen berühren die Landarbeiter am wenigsten.

Eine solche Maßregel wäre zugleich das wirksamste Mittel gegen die
drohende Polonisierung des platten Laudes, denn Agrarfrage und Polenfrage
gehören eben zusammen. Die Gefahr wird ja mit jedem Tage klarer erkannt,




Zweite Hauptversammlung des Ausschusses für Wohlfahrtspflege auf dem Lande.
Berlin, Trowitzsch,' 1898.
'> Metz in den Grenzboten 18W, Ur. 4l. Metz sagt zum Schluß ungefähr: aber Eile
thut not, sonst wird man keine Leute mehr finden, die solche Guter übernehmen wollen.
Tagelöhnerhäuser

Der Gutsbesitzer Reckleben*) auf Westerholz in Holstein hat einen ähn¬
lichen Versuch gemacht, und zwar auf dem Wege, der für den Privatmann
allein gangbar ist. Er hat den Arbeiter zum Besitzer des Hauses gemacht und
ihn für den Kaufpreis verschuldet. Das wäre nicht nötig, wenn der Eigen¬
tümer des Hauses eine öffentliche Behörde wäre, die nur kündigt, wenn der
Mieter andauernd zahlungsunfähig wird, und die nie mehr Miete verlangt,
als zur notwendigen Verzinsung ihrer Kapitalien gehört. Mieter in solchen
Häusern würden Eigentümern gleichen; denn auch der Eigentümer kann aus
seinem Hause geworfen werden, wenn er bankerott wird. Ob das, was er zahlt,
Schuldenzins oder Miete heißt, ist vor der Wirklichkeit gleichgiltig. Im all¬
gemeinen sind die Arbeiter nicht geneigt, einen Besitz anzunehmen, den sie mit
Schulden kaufen müssen. Alle kleinen Leute sind mißtrauisch und haben Angst,
bei einem so weit ausschauenden Geschäft zu kurz zu kommen. Sie würden
sich durchaus nicht nach Arbeiterrentengütern**) dränge». Freie Wohnungen
auf dem Lande würden aber sehr schnell voll sein. Das Verfahren würde sich
auch leichter selbst korrigieren. An Stellen, wo kein Verdienst ist, würden die
Häuser leer bleiben, ohne daß ein armer Arbeiter in Schuldknechtschaft erst die
Unmöglichkeit beweisen müßte. Für den Herrn fiele das Recht fort, dem
Arbeiter die geschuldete Kapitalsumme zu kündigen, und zugleich die moralische
Pflicht, den Mann zu beschäftigen, für den Arbeiter der indirekte Zwang, für
diesen Herrn zu arbeiten. Die Armenlasten könnte die Anstalt übernehmen.
Wenn wir absehen von den Vorteilen, die die sanitären Verbesserungen für
die Versicherungsanstalten haben können, so erscheint doch auch ohnedies das
Geschäft keineswegs riskant. Der einzelne Arbeiter ist freilich ein unsichrer
Schuldner, obwohl für eine Behörde weniger als für einen Privatmann; ebenso
ist ein einzelner Wechsel ein sehr unsichrer Besitz. Trotzdem legen die großen
Banken Unsummen in Handelswechseln an und erklären diese Anlage für die
einzig bankgerechte und sicherste, weil immer nur ein Teil, nie alle ausfallen
können, weil die meisten immer flüssig sein werden. So könnte auch die Ver¬
sicherungsanstalt, die mich eine Bank ist, ihr Vermögen in solchen Häusern
stehn haben. Denn daß die große Masse der deutschen Arbeiterschaft auf dem
Lande zahlungsunfähig wird, kann nur in großen Kriegen und Revolutionen
vorkommen, wo auch die Versicherungsbeiträge ausbleiben werden. Gewöhnliche
Krisen berühren die Landarbeiter am wenigsten.

Eine solche Maßregel wäre zugleich das wirksamste Mittel gegen die
drohende Polonisierung des platten Laudes, denn Agrarfrage und Polenfrage
gehören eben zusammen. Die Gefahr wird ja mit jedem Tage klarer erkannt,




Zweite Hauptversammlung des Ausschusses für Wohlfahrtspflege auf dem Lande.
Berlin, Trowitzsch,' 1898.
'> Metz in den Grenzboten 18W, Ur. 4l. Metz sagt zum Schluß ungefähr: aber Eile
thut not, sonst wird man keine Leute mehr finden, die solche Guter übernehmen wollen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230559"/>
          <fw type="header" place="top"> Tagelöhnerhäuser</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_415"> Der Gutsbesitzer Reckleben*) auf Westerholz in Holstein hat einen ähn¬<lb/>
lichen Versuch gemacht, und zwar auf dem Wege, der für den Privatmann<lb/>
allein gangbar ist. Er hat den Arbeiter zum Besitzer des Hauses gemacht und<lb/>
ihn für den Kaufpreis verschuldet. Das wäre nicht nötig, wenn der Eigen¬<lb/>
tümer des Hauses eine öffentliche Behörde wäre, die nur kündigt, wenn der<lb/>
Mieter andauernd zahlungsunfähig wird, und die nie mehr Miete verlangt,<lb/>
als zur notwendigen Verzinsung ihrer Kapitalien gehört. Mieter in solchen<lb/>
Häusern würden Eigentümern gleichen; denn auch der Eigentümer kann aus<lb/>
seinem Hause geworfen werden, wenn er bankerott wird. Ob das, was er zahlt,<lb/>
Schuldenzins oder Miete heißt, ist vor der Wirklichkeit gleichgiltig. Im all¬<lb/>
gemeinen sind die Arbeiter nicht geneigt, einen Besitz anzunehmen, den sie mit<lb/>
Schulden kaufen müssen. Alle kleinen Leute sind mißtrauisch und haben Angst,<lb/>
bei einem so weit ausschauenden Geschäft zu kurz zu kommen. Sie würden<lb/>
sich durchaus nicht nach Arbeiterrentengütern**) dränge». Freie Wohnungen<lb/>
auf dem Lande würden aber sehr schnell voll sein. Das Verfahren würde sich<lb/>
auch leichter selbst korrigieren. An Stellen, wo kein Verdienst ist, würden die<lb/>
Häuser leer bleiben, ohne daß ein armer Arbeiter in Schuldknechtschaft erst die<lb/>
Unmöglichkeit beweisen müßte. Für den Herrn fiele das Recht fort, dem<lb/>
Arbeiter die geschuldete Kapitalsumme zu kündigen, und zugleich die moralische<lb/>
Pflicht, den Mann zu beschäftigen, für den Arbeiter der indirekte Zwang, für<lb/>
diesen Herrn zu arbeiten. Die Armenlasten könnte die Anstalt übernehmen.<lb/>
Wenn wir absehen von den Vorteilen, die die sanitären Verbesserungen für<lb/>
die Versicherungsanstalten haben können, so erscheint doch auch ohnedies das<lb/>
Geschäft keineswegs riskant. Der einzelne Arbeiter ist freilich ein unsichrer<lb/>
Schuldner, obwohl für eine Behörde weniger als für einen Privatmann; ebenso<lb/>
ist ein einzelner Wechsel ein sehr unsichrer Besitz. Trotzdem legen die großen<lb/>
Banken Unsummen in Handelswechseln an und erklären diese Anlage für die<lb/>
einzig bankgerechte und sicherste, weil immer nur ein Teil, nie alle ausfallen<lb/>
können, weil die meisten immer flüssig sein werden. So könnte auch die Ver¬<lb/>
sicherungsanstalt, die mich eine Bank ist, ihr Vermögen in solchen Häusern<lb/>
stehn haben. Denn daß die große Masse der deutschen Arbeiterschaft auf dem<lb/>
Lande zahlungsunfähig wird, kann nur in großen Kriegen und Revolutionen<lb/>
vorkommen, wo auch die Versicherungsbeiträge ausbleiben werden. Gewöhnliche<lb/>
Krisen berühren die Landarbeiter am wenigsten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_416" next="#ID_417"> Eine solche Maßregel wäre zugleich das wirksamste Mittel gegen die<lb/>
drohende Polonisierung des platten Laudes, denn Agrarfrage und Polenfrage<lb/>
gehören eben zusammen. Die Gefahr wird ja mit jedem Tage klarer erkannt,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_15" place="foot"> Zweite Hauptversammlung des Ausschusses für Wohlfahrtspflege auf dem Lande.<lb/>
Berlin, Trowitzsch,' 1898.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_16" place="foot"> '&gt; Metz in den Grenzboten 18W, Ur. 4l. Metz sagt zum Schluß ungefähr: aber Eile<lb/>
thut not, sonst wird man keine Leute mehr finden, die solche Guter übernehmen wollen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0127] Tagelöhnerhäuser Der Gutsbesitzer Reckleben*) auf Westerholz in Holstein hat einen ähn¬ lichen Versuch gemacht, und zwar auf dem Wege, der für den Privatmann allein gangbar ist. Er hat den Arbeiter zum Besitzer des Hauses gemacht und ihn für den Kaufpreis verschuldet. Das wäre nicht nötig, wenn der Eigen¬ tümer des Hauses eine öffentliche Behörde wäre, die nur kündigt, wenn der Mieter andauernd zahlungsunfähig wird, und die nie mehr Miete verlangt, als zur notwendigen Verzinsung ihrer Kapitalien gehört. Mieter in solchen Häusern würden Eigentümern gleichen; denn auch der Eigentümer kann aus seinem Hause geworfen werden, wenn er bankerott wird. Ob das, was er zahlt, Schuldenzins oder Miete heißt, ist vor der Wirklichkeit gleichgiltig. Im all¬ gemeinen sind die Arbeiter nicht geneigt, einen Besitz anzunehmen, den sie mit Schulden kaufen müssen. Alle kleinen Leute sind mißtrauisch und haben Angst, bei einem so weit ausschauenden Geschäft zu kurz zu kommen. Sie würden sich durchaus nicht nach Arbeiterrentengütern**) dränge». Freie Wohnungen auf dem Lande würden aber sehr schnell voll sein. Das Verfahren würde sich auch leichter selbst korrigieren. An Stellen, wo kein Verdienst ist, würden die Häuser leer bleiben, ohne daß ein armer Arbeiter in Schuldknechtschaft erst die Unmöglichkeit beweisen müßte. Für den Herrn fiele das Recht fort, dem Arbeiter die geschuldete Kapitalsumme zu kündigen, und zugleich die moralische Pflicht, den Mann zu beschäftigen, für den Arbeiter der indirekte Zwang, für diesen Herrn zu arbeiten. Die Armenlasten könnte die Anstalt übernehmen. Wenn wir absehen von den Vorteilen, die die sanitären Verbesserungen für die Versicherungsanstalten haben können, so erscheint doch auch ohnedies das Geschäft keineswegs riskant. Der einzelne Arbeiter ist freilich ein unsichrer Schuldner, obwohl für eine Behörde weniger als für einen Privatmann; ebenso ist ein einzelner Wechsel ein sehr unsichrer Besitz. Trotzdem legen die großen Banken Unsummen in Handelswechseln an und erklären diese Anlage für die einzig bankgerechte und sicherste, weil immer nur ein Teil, nie alle ausfallen können, weil die meisten immer flüssig sein werden. So könnte auch die Ver¬ sicherungsanstalt, die mich eine Bank ist, ihr Vermögen in solchen Häusern stehn haben. Denn daß die große Masse der deutschen Arbeiterschaft auf dem Lande zahlungsunfähig wird, kann nur in großen Kriegen und Revolutionen vorkommen, wo auch die Versicherungsbeiträge ausbleiben werden. Gewöhnliche Krisen berühren die Landarbeiter am wenigsten. Eine solche Maßregel wäre zugleich das wirksamste Mittel gegen die drohende Polonisierung des platten Laudes, denn Agrarfrage und Polenfrage gehören eben zusammen. Die Gefahr wird ja mit jedem Tage klarer erkannt, Zweite Hauptversammlung des Ausschusses für Wohlfahrtspflege auf dem Lande. Berlin, Trowitzsch,' 1898. '> Metz in den Grenzboten 18W, Ur. 4l. Metz sagt zum Schluß ungefähr: aber Eile thut not, sonst wird man keine Leute mehr finden, die solche Guter übernehmen wollen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/127
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/127>, abgerufen am 28.09.2024.