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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Tagelöhnerhäuser

eine billige Beute wird, das möglichst wenig dazu geeignet ist, körperlich und
moralisch gesunde Ersatzmannschaften für die Heere der Arbeit wie bisher zu
liefern. Denn eine Verbesserung der Nasse kann uns dieses elende, in Ent¬
behrungen groß gewordne, demütige, schlecht geschulte, versoffne Volk, das sich
außerdem auf das Kleinkinderwarten ganz miserabel versteht, in keiner Weise
bringen. Im allgemeinen kann man sagen: der Weggang der Einheimischen ist
das primäre, der fremde Zuzug das sekundäre, obwohl auf dem einzelnen Gute
wieder die Polenwirtschaft manchen Einheimischen, der etwas auf sich hält,
wegtreibt. Die Tüchtigsten gehen fort, und gerade der Schund bleibt zurück.
Die absolute Zahl der Landbevölkerung nimmt in dieser Gegend ab, was auch
von andern Gegenden Deutschlands bewiesen ist.

Was ist es, was den einheimischen Arbeiter wegtreibt? Ohne Zweifel
locken die hohen Löhne, die in der Industrie dem tüchtigen Arbeiter gezahlt
werden, gerade die tüchtigsten unter den jungen Landbewohnern fort, wobei
man sich nicht vorstellen darf, daß diese nun in den großen Städten untenan
kämen. Solche Löhne können heutzutage von der Landwirtschaft auch brauch¬
baren Leuten uicht gezahlt werden. Aber von diesem Fortlocken will ich hier
absehen und die wirklichen Schäden schildern, die den Tagelöhner forttreiben.
Das sind die Wohnungsverhältnisse auf dem Lande, und was damit zu¬
sammenhängt.

In der Wiesche wohnt nur der geringere Teil der Arbeiter in eignen
Häusern oder zur Miete bei jemand, in dessen Dienst er nicht steht. Die
meisten wohnen in den Tagelöhnerhüusern der Bauern und Gutsherren, bei
denen sie arbeiten. Von diesen Tagelöhnerhüusern sind in den Zeitungen schon
greuliche Beschreibungen entworfen worden. Schlimmer als Schweineställe sollen
sie sein. Nun, ich kenne auf ein paar Quadratmeilen fast alle, Hof für Hof,
und habe manche Tages- und manche Nachtstunde als Arzt in ihnen zugebracht.
Es muß zugegeben werden, sie sind zumeist miserabel, feucht, undicht, eng,
manchmal nur gepflastert, mit verklebten Scheiben, den heutigen Ansprüchen
nicht mehr angemessen, sanitätspolizeiwidrig, wenn wir eine Sanitätspolizei
hätten, genan so, nicht mehr und nicht weniger, wie die eignen Häuschen der
Büdner und Kleinbauern und wie die meisten Häuser der kleinen Leute in der
Landstadt, obgleich nicht so gesundheitsgefährlich, wie überfüllte Wohnungen
in der Großstadt. Aber man kann sagen, auch das ärmlichste Hüttchen wird
sogleich wohnlich und sauber, wenn ordentliche Leute darin wohnen, und bessere
Tagelöhnerhäuser sehen sogleich wie Schweineställe aus, wenn liederliche Menschen
drin Hausen. Man kann aus dem Aussehen der Hütte nicht nur auf den
Herrn, sondern vor allem auf die Bewohner schließen. Große Reformen sind
von den Herren nicht zu erwarten ans dem einfachen Grunde, weil hier die,
meisten ihre eignen Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude nicht flicken können und
demnach natürlich auch nichts für Tagelöhnerhäuser übrig haben. Gerade die


Tagelöhnerhäuser

eine billige Beute wird, das möglichst wenig dazu geeignet ist, körperlich und
moralisch gesunde Ersatzmannschaften für die Heere der Arbeit wie bisher zu
liefern. Denn eine Verbesserung der Nasse kann uns dieses elende, in Ent¬
behrungen groß gewordne, demütige, schlecht geschulte, versoffne Volk, das sich
außerdem auf das Kleinkinderwarten ganz miserabel versteht, in keiner Weise
bringen. Im allgemeinen kann man sagen: der Weggang der Einheimischen ist
das primäre, der fremde Zuzug das sekundäre, obwohl auf dem einzelnen Gute
wieder die Polenwirtschaft manchen Einheimischen, der etwas auf sich hält,
wegtreibt. Die Tüchtigsten gehen fort, und gerade der Schund bleibt zurück.
Die absolute Zahl der Landbevölkerung nimmt in dieser Gegend ab, was auch
von andern Gegenden Deutschlands bewiesen ist.

Was ist es, was den einheimischen Arbeiter wegtreibt? Ohne Zweifel
locken die hohen Löhne, die in der Industrie dem tüchtigen Arbeiter gezahlt
werden, gerade die tüchtigsten unter den jungen Landbewohnern fort, wobei
man sich nicht vorstellen darf, daß diese nun in den großen Städten untenan
kämen. Solche Löhne können heutzutage von der Landwirtschaft auch brauch¬
baren Leuten uicht gezahlt werden. Aber von diesem Fortlocken will ich hier
absehen und die wirklichen Schäden schildern, die den Tagelöhner forttreiben.
Das sind die Wohnungsverhältnisse auf dem Lande, und was damit zu¬
sammenhängt.

In der Wiesche wohnt nur der geringere Teil der Arbeiter in eignen
Häusern oder zur Miete bei jemand, in dessen Dienst er nicht steht. Die
meisten wohnen in den Tagelöhnerhüusern der Bauern und Gutsherren, bei
denen sie arbeiten. Von diesen Tagelöhnerhüusern sind in den Zeitungen schon
greuliche Beschreibungen entworfen worden. Schlimmer als Schweineställe sollen
sie sein. Nun, ich kenne auf ein paar Quadratmeilen fast alle, Hof für Hof,
und habe manche Tages- und manche Nachtstunde als Arzt in ihnen zugebracht.
Es muß zugegeben werden, sie sind zumeist miserabel, feucht, undicht, eng,
manchmal nur gepflastert, mit verklebten Scheiben, den heutigen Ansprüchen
nicht mehr angemessen, sanitätspolizeiwidrig, wenn wir eine Sanitätspolizei
hätten, genan so, nicht mehr und nicht weniger, wie die eignen Häuschen der
Büdner und Kleinbauern und wie die meisten Häuser der kleinen Leute in der
Landstadt, obgleich nicht so gesundheitsgefährlich, wie überfüllte Wohnungen
in der Großstadt. Aber man kann sagen, auch das ärmlichste Hüttchen wird
sogleich wohnlich und sauber, wenn ordentliche Leute darin wohnen, und bessere
Tagelöhnerhäuser sehen sogleich wie Schweineställe aus, wenn liederliche Menschen
drin Hausen. Man kann aus dem Aussehen der Hütte nicht nur auf den
Herrn, sondern vor allem auf die Bewohner schließen. Große Reformen sind
von den Herren nicht zu erwarten ans dem einfachen Grunde, weil hier die,
meisten ihre eignen Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude nicht flicken können und
demnach natürlich auch nichts für Tagelöhnerhäuser übrig haben. Gerade die


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[0123] Tagelöhnerhäuser eine billige Beute wird, das möglichst wenig dazu geeignet ist, körperlich und moralisch gesunde Ersatzmannschaften für die Heere der Arbeit wie bisher zu liefern. Denn eine Verbesserung der Nasse kann uns dieses elende, in Ent¬ behrungen groß gewordne, demütige, schlecht geschulte, versoffne Volk, das sich außerdem auf das Kleinkinderwarten ganz miserabel versteht, in keiner Weise bringen. Im allgemeinen kann man sagen: der Weggang der Einheimischen ist das primäre, der fremde Zuzug das sekundäre, obwohl auf dem einzelnen Gute wieder die Polenwirtschaft manchen Einheimischen, der etwas auf sich hält, wegtreibt. Die Tüchtigsten gehen fort, und gerade der Schund bleibt zurück. Die absolute Zahl der Landbevölkerung nimmt in dieser Gegend ab, was auch von andern Gegenden Deutschlands bewiesen ist. Was ist es, was den einheimischen Arbeiter wegtreibt? Ohne Zweifel locken die hohen Löhne, die in der Industrie dem tüchtigen Arbeiter gezahlt werden, gerade die tüchtigsten unter den jungen Landbewohnern fort, wobei man sich nicht vorstellen darf, daß diese nun in den großen Städten untenan kämen. Solche Löhne können heutzutage von der Landwirtschaft auch brauch¬ baren Leuten uicht gezahlt werden. Aber von diesem Fortlocken will ich hier absehen und die wirklichen Schäden schildern, die den Tagelöhner forttreiben. Das sind die Wohnungsverhältnisse auf dem Lande, und was damit zu¬ sammenhängt. In der Wiesche wohnt nur der geringere Teil der Arbeiter in eignen Häusern oder zur Miete bei jemand, in dessen Dienst er nicht steht. Die meisten wohnen in den Tagelöhnerhüusern der Bauern und Gutsherren, bei denen sie arbeiten. Von diesen Tagelöhnerhüusern sind in den Zeitungen schon greuliche Beschreibungen entworfen worden. Schlimmer als Schweineställe sollen sie sein. Nun, ich kenne auf ein paar Quadratmeilen fast alle, Hof für Hof, und habe manche Tages- und manche Nachtstunde als Arzt in ihnen zugebracht. Es muß zugegeben werden, sie sind zumeist miserabel, feucht, undicht, eng, manchmal nur gepflastert, mit verklebten Scheiben, den heutigen Ansprüchen nicht mehr angemessen, sanitätspolizeiwidrig, wenn wir eine Sanitätspolizei hätten, genan so, nicht mehr und nicht weniger, wie die eignen Häuschen der Büdner und Kleinbauern und wie die meisten Häuser der kleinen Leute in der Landstadt, obgleich nicht so gesundheitsgefährlich, wie überfüllte Wohnungen in der Großstadt. Aber man kann sagen, auch das ärmlichste Hüttchen wird sogleich wohnlich und sauber, wenn ordentliche Leute darin wohnen, und bessere Tagelöhnerhäuser sehen sogleich wie Schweineställe aus, wenn liederliche Menschen drin Hausen. Man kann aus dem Aussehen der Hütte nicht nur auf den Herrn, sondern vor allem auf die Bewohner schließen. Große Reformen sind von den Herren nicht zu erwarten ans dem einfachen Grunde, weil hier die, meisten ihre eignen Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude nicht flicken können und demnach natürlich auch nichts für Tagelöhnerhäuser übrig haben. Gerade die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/123>, abgerufen am 21.10.2024.