Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Politik und Finanzen in Rußland angeblich auf 2745 Millionen Rubel an Wert gehoben.*) Hierbei ist freilich Der Staat hat sichs freilich was kosten lassen, um dahin zu gelangen; Das Aufblühen der Industrie hat bisher nur die Bedeutung, daß dadurch *) "Das merkantile und industrielle Rußland. 18M," Ich erinnere den Leser daran,
daß, wenn schon im allgemeinen statistische Zahlen mit großer Vorsicht aufzunehmen und zu be¬ handeln sind, das doppelt und dreifach von russischen statistischen Zahlen gilt. Politik und Finanzen in Rußland angeblich auf 2745 Millionen Rubel an Wert gehoben.*) Hierbei ist freilich Der Staat hat sichs freilich was kosten lassen, um dahin zu gelangen; Das Aufblühen der Industrie hat bisher nur die Bedeutung, daß dadurch *) „Das merkantile und industrielle Rußland. 18M," Ich erinnere den Leser daran,
daß, wenn schon im allgemeinen statistische Zahlen mit großer Vorsicht aufzunehmen und zu be¬ handeln sind, das doppelt und dreifach von russischen statistischen Zahlen gilt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229770"/> <fw type="header" place="top"> Politik und Finanzen in Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_313" prev="#ID_312"> angeblich auf 2745 Millionen Rubel an Wert gehoben.*) Hierbei ist freilich<lb/> in Anschlag zu bringen, daß an dieser Zahl die landwirtschaftlichen Betriebe<lb/> (Branntwein, Bier, Zucker) einen bedeutenden Anteil haben; jedoch ist in diesem<lb/> Zeitraum weder die Branntwein- noch die Zuckerproduktion gegenüber der vor¬<lb/> hergehenden Periode sehr gestiegen, sodaß man das Anwachsen der industriellen<lb/> Werte, wenn man noch die Naphthciproduktiou ausscheiden will, doch haupt¬<lb/> sächlich der rein industriellen Thätigkeit in Rechnung stellen muß. Und sehr<lb/> zahlreiche neue Gründungen, die in ununterbrochner Folge besonders in den<lb/> Grenzgebieten von Petersburg bis Odessa sowie in den Kohlendistrikten des<lb/> Donez emporschießen, zeigen, daß der industrielle Aufschwung seinen Gipfel<lb/> noch nicht überschritten hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_314"> Der Staat hat sichs freilich was kosten lassen, um dahin zu gelangen;<lb/> er hat nicht nur die Hemmung durch fremde Konkurrenz ferngehalten, sondern<lb/> große positive Opfer gebracht, indem er neue industrielle Unternehmungen oft<lb/> mit voller Hand unterstützte, Bahnen, Landstraßen baute und Tarife regelte<lb/> zu Gunsten der Industrie, die einheimischen Produkte oft mit sehr großen<lb/> Verlusten für den Staatssäckel den fremden vorzog, technische Schulen errichtete,<lb/> den Fabrikanten Kredite eröffnete n. dergl. Die Negierung ging hierin oft<lb/> über die gebotne Grenze hinaus, indem sie durch hohe Schutzzölle im Interesse<lb/> der Großindustrie andre Gewerbe schädigte, vor allem den Landbau, dem seine<lb/> Werkzeuge und Maschinen sowie die künstlichen Düngemittel verteuert wurden,<lb/> dann aber auch das Kleingewerbe, wovon ein großer Teil der bäuerlichen<lb/> Bevölkerung der innerrussischen Gubernien lebte. Jssajew führt aus ministeriellen<lb/> Mitteilungen an, daß sich der Jahresverdienst eines Arbeiters in verschieden<lb/> Gewerben dieser Gubernien auf 17 bis 50 Rubel belaufe, wobei man aller¬<lb/> dings schwer begreift, wie ein Mann von 17 Rubeln oder 35 Mark leben<lb/> kann. Der Fabrikarbeiter ist zwar besser gestellt im Lohn, aber wenn er von<lb/> 8 bis zu 29 Rubeln monatlich verdient, so ist zu beachten, daß sich der höhere<lb/> Verdienst auf Städte beschränkt, in denen der Arbeiter zu entsprechend größern<lb/> Ausgaben genötigt ist, während das Kleingewerbe meist auf dem billigern Boden<lb/> des Dorfes blüht.</p><lb/> <p xml:id="ID_315" next="#ID_316"> Das Aufblühen der Industrie hat bisher nur die Bedeutung, daß dadurch<lb/> der einheimische Markt versorgt wird, denn an einen großen Export von Fabri¬<lb/> katen ist fürs erste nicht zu denken. Er betrug im Jahre 1895 nur 11,2 Mil¬<lb/> lionen Rubel und ist im Sinken begriffen, sodaß die weitere Verstärkung der<lb/> industriellen Produktion ganz von der Kanfkraft des Inlands abhängt. Da<lb/> nun 90 Prozent der Bevölkerung das ländliche Gewerbe betreibt, so bleibt die<lb/> Industrie hauptsächlich von dem Wohlstande des Landbauern abhängig, auf</p><lb/> <note xml:id="FID_21" place="foot"> *) „Das merkantile und industrielle Rußland. 18M," Ich erinnere den Leser daran,<lb/> daß, wenn schon im allgemeinen statistische Zahlen mit großer Vorsicht aufzunehmen und zu be¬<lb/> handeln sind, das doppelt und dreifach von russischen statistischen Zahlen gilt.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
Politik und Finanzen in Rußland
angeblich auf 2745 Millionen Rubel an Wert gehoben.*) Hierbei ist freilich
in Anschlag zu bringen, daß an dieser Zahl die landwirtschaftlichen Betriebe
(Branntwein, Bier, Zucker) einen bedeutenden Anteil haben; jedoch ist in diesem
Zeitraum weder die Branntwein- noch die Zuckerproduktion gegenüber der vor¬
hergehenden Periode sehr gestiegen, sodaß man das Anwachsen der industriellen
Werte, wenn man noch die Naphthciproduktiou ausscheiden will, doch haupt¬
sächlich der rein industriellen Thätigkeit in Rechnung stellen muß. Und sehr
zahlreiche neue Gründungen, die in ununterbrochner Folge besonders in den
Grenzgebieten von Petersburg bis Odessa sowie in den Kohlendistrikten des
Donez emporschießen, zeigen, daß der industrielle Aufschwung seinen Gipfel
noch nicht überschritten hat.
Der Staat hat sichs freilich was kosten lassen, um dahin zu gelangen;
er hat nicht nur die Hemmung durch fremde Konkurrenz ferngehalten, sondern
große positive Opfer gebracht, indem er neue industrielle Unternehmungen oft
mit voller Hand unterstützte, Bahnen, Landstraßen baute und Tarife regelte
zu Gunsten der Industrie, die einheimischen Produkte oft mit sehr großen
Verlusten für den Staatssäckel den fremden vorzog, technische Schulen errichtete,
den Fabrikanten Kredite eröffnete n. dergl. Die Negierung ging hierin oft
über die gebotne Grenze hinaus, indem sie durch hohe Schutzzölle im Interesse
der Großindustrie andre Gewerbe schädigte, vor allem den Landbau, dem seine
Werkzeuge und Maschinen sowie die künstlichen Düngemittel verteuert wurden,
dann aber auch das Kleingewerbe, wovon ein großer Teil der bäuerlichen
Bevölkerung der innerrussischen Gubernien lebte. Jssajew führt aus ministeriellen
Mitteilungen an, daß sich der Jahresverdienst eines Arbeiters in verschieden
Gewerben dieser Gubernien auf 17 bis 50 Rubel belaufe, wobei man aller¬
dings schwer begreift, wie ein Mann von 17 Rubeln oder 35 Mark leben
kann. Der Fabrikarbeiter ist zwar besser gestellt im Lohn, aber wenn er von
8 bis zu 29 Rubeln monatlich verdient, so ist zu beachten, daß sich der höhere
Verdienst auf Städte beschränkt, in denen der Arbeiter zu entsprechend größern
Ausgaben genötigt ist, während das Kleingewerbe meist auf dem billigern Boden
des Dorfes blüht.
Das Aufblühen der Industrie hat bisher nur die Bedeutung, daß dadurch
der einheimische Markt versorgt wird, denn an einen großen Export von Fabri¬
katen ist fürs erste nicht zu denken. Er betrug im Jahre 1895 nur 11,2 Mil¬
lionen Rubel und ist im Sinken begriffen, sodaß die weitere Verstärkung der
industriellen Produktion ganz von der Kanfkraft des Inlands abhängt. Da
nun 90 Prozent der Bevölkerung das ländliche Gewerbe betreibt, so bleibt die
Industrie hauptsächlich von dem Wohlstande des Landbauern abhängig, auf
*) „Das merkantile und industrielle Rußland. 18M," Ich erinnere den Leser daran,
daß, wenn schon im allgemeinen statistische Zahlen mit großer Vorsicht aufzunehmen und zu be¬
handeln sind, das doppelt und dreifach von russischen statistischen Zahlen gilt.
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