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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Finanzen in Rußland

vereitelte. Seitdem trat ein Stillstand in der russischen Saugpumpe auf dem
französischen Quellgebiet ein. Inzwischen aber hatten die Minister Wyschne-
gradski und Witte schon einen Metallvorrat angesammelt, dessen Goldmenge
im Jahre 1897 die jedes andern Staates der Welt übertraf. Wie das ge¬
macht wurde, ist freilich nicht vollkommen klar, da die Bestimmung der An¬
leihen meist die war, an die Stelle früherer Anleihen zu treten oder zu Eisen¬
bahnbauten verwandt zu werden. Man muß annehmen, daß mehr geborgt
wurde, als zu diesen Zwecken nötig war, und daß die Überschüsse in Gold beiseite
gelegt wurden, um so mehr, als von Ersparnissen am Budget nicht die Rede
sein konnte. Daneben vermehrt sich die Menge der im Lande umlaufenden
staatlichen Wertzeichen, wodurch sich der Fiskus die Zurückhaltung seines
Geldes erleichtert. So haben z. B. die staatlichen Sparkassen, die über das
ganze Reich verbreitet sind, etwa 500 Millionen zur Verfügung des Fiskus
gebracht, die er zum größten Teil in vierprozentigen Schatzscheinen angelegt
hat, was einer Vermehrung des Papiergeldes um diese Summe im Wesen
gleichkommt. Es sind das verdeckte innere Anleihen, die den Kredit wenig be¬
einträchtigen, aber die Summe der Staatsschuld ebenso vergrößern, wie es
die nußern offnen Anleihen thun. Die Staatsschuld ist denn auch in schnellem
Schritt auf eine bedeutende Höhe gelangt.

In dem Jahrzehnt von 1886 bis 1895 hat sich die Staatsschuld um
1410 Millionen Rubel vermehrt und ist bei 6795^ Millionen Rubeln an¬
gelangt.*) Das ist die Zeit, in der Frankreichs Tasche für die Herren
Wyschnegradski und Witte so offen stand wie die Kasse der russischen Reichs¬
bank. Diese Schuld erforderte im Jahre 1897 eine Verzinsung von rund
272 Millionen Rubeln, sodaß trotz der Konversionen in jenem Jahrzehnt die
jährliche Zinsenlast um 12 Millionen Rubel gewachsen ist. Aber es war, dank
dem Kredit, den Nußland in Europa genoß, soviel Gold im Säckel des Staates,
daß man mit vollen Händen die Industrie unterstützen und daneben großartige
Bahnbauten unternehmen konnte. Nach einer Periode strenger Abschließung
gegen die fremde Industrie chüele man mit dem deutsch-russischen Handels¬
vertrage seit 1892 einem lebhaftem äußern Verkehr die Wege; vorzüglich in¬
soweit, als die russische Industrie der Hilfe europäischer Fabrikate zu schnellerer
Entwicklung bedürfte. Der reiche Geldmarkt Europas verlangte um diese Zeit
zugleich nach höherer Verzinsung, als er daheim finden konnte, wo der Zins¬
fuß auf drei Prozent und noch weniger gesunken war, der Bankdiskont in
London zu Zeiten sogar nur ein Prozent betrug. Das Geld strömte gern
nach Nußland hinein, wo es leicht Anlage und jedes staatliche Entgegenkommen
fand, und wo es eine Periode des Gründungseifers eröffnete, die noch heute
anhält. Unter diesen Umstündeu und im Vertrauen auf einen Goldvorrat.



") Vgl. die Zeitung Herold Ur. 39 vom Jahre 189".
Grenzboten I 1899 10
Politik und Finanzen in Rußland

vereitelte. Seitdem trat ein Stillstand in der russischen Saugpumpe auf dem
französischen Quellgebiet ein. Inzwischen aber hatten die Minister Wyschne-
gradski und Witte schon einen Metallvorrat angesammelt, dessen Goldmenge
im Jahre 1897 die jedes andern Staates der Welt übertraf. Wie das ge¬
macht wurde, ist freilich nicht vollkommen klar, da die Bestimmung der An¬
leihen meist die war, an die Stelle früherer Anleihen zu treten oder zu Eisen¬
bahnbauten verwandt zu werden. Man muß annehmen, daß mehr geborgt
wurde, als zu diesen Zwecken nötig war, und daß die Überschüsse in Gold beiseite
gelegt wurden, um so mehr, als von Ersparnissen am Budget nicht die Rede
sein konnte. Daneben vermehrt sich die Menge der im Lande umlaufenden
staatlichen Wertzeichen, wodurch sich der Fiskus die Zurückhaltung seines
Geldes erleichtert. So haben z. B. die staatlichen Sparkassen, die über das
ganze Reich verbreitet sind, etwa 500 Millionen zur Verfügung des Fiskus
gebracht, die er zum größten Teil in vierprozentigen Schatzscheinen angelegt
hat, was einer Vermehrung des Papiergeldes um diese Summe im Wesen
gleichkommt. Es sind das verdeckte innere Anleihen, die den Kredit wenig be¬
einträchtigen, aber die Summe der Staatsschuld ebenso vergrößern, wie es
die nußern offnen Anleihen thun. Die Staatsschuld ist denn auch in schnellem
Schritt auf eine bedeutende Höhe gelangt.

In dem Jahrzehnt von 1886 bis 1895 hat sich die Staatsschuld um
1410 Millionen Rubel vermehrt und ist bei 6795^ Millionen Rubeln an¬
gelangt.*) Das ist die Zeit, in der Frankreichs Tasche für die Herren
Wyschnegradski und Witte so offen stand wie die Kasse der russischen Reichs¬
bank. Diese Schuld erforderte im Jahre 1897 eine Verzinsung von rund
272 Millionen Rubeln, sodaß trotz der Konversionen in jenem Jahrzehnt die
jährliche Zinsenlast um 12 Millionen Rubel gewachsen ist. Aber es war, dank
dem Kredit, den Nußland in Europa genoß, soviel Gold im Säckel des Staates,
daß man mit vollen Händen die Industrie unterstützen und daneben großartige
Bahnbauten unternehmen konnte. Nach einer Periode strenger Abschließung
gegen die fremde Industrie chüele man mit dem deutsch-russischen Handels¬
vertrage seit 1892 einem lebhaftem äußern Verkehr die Wege; vorzüglich in¬
soweit, als die russische Industrie der Hilfe europäischer Fabrikate zu schnellerer
Entwicklung bedürfte. Der reiche Geldmarkt Europas verlangte um diese Zeit
zugleich nach höherer Verzinsung, als er daheim finden konnte, wo der Zins¬
fuß auf drei Prozent und noch weniger gesunken war, der Bankdiskont in
London zu Zeiten sogar nur ein Prozent betrug. Das Geld strömte gern
nach Nußland hinein, wo es leicht Anlage und jedes staatliche Entgegenkommen
fand, und wo es eine Periode des Gründungseifers eröffnete, die noch heute
anhält. Unter diesen Umstündeu und im Vertrauen auf einen Goldvorrat.



») Vgl. die Zeitung Herold Ur. 39 vom Jahre 189«.
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[0081] Politik und Finanzen in Rußland vereitelte. Seitdem trat ein Stillstand in der russischen Saugpumpe auf dem französischen Quellgebiet ein. Inzwischen aber hatten die Minister Wyschne- gradski und Witte schon einen Metallvorrat angesammelt, dessen Goldmenge im Jahre 1897 die jedes andern Staates der Welt übertraf. Wie das ge¬ macht wurde, ist freilich nicht vollkommen klar, da die Bestimmung der An¬ leihen meist die war, an die Stelle früherer Anleihen zu treten oder zu Eisen¬ bahnbauten verwandt zu werden. Man muß annehmen, daß mehr geborgt wurde, als zu diesen Zwecken nötig war, und daß die Überschüsse in Gold beiseite gelegt wurden, um so mehr, als von Ersparnissen am Budget nicht die Rede sein konnte. Daneben vermehrt sich die Menge der im Lande umlaufenden staatlichen Wertzeichen, wodurch sich der Fiskus die Zurückhaltung seines Geldes erleichtert. So haben z. B. die staatlichen Sparkassen, die über das ganze Reich verbreitet sind, etwa 500 Millionen zur Verfügung des Fiskus gebracht, die er zum größten Teil in vierprozentigen Schatzscheinen angelegt hat, was einer Vermehrung des Papiergeldes um diese Summe im Wesen gleichkommt. Es sind das verdeckte innere Anleihen, die den Kredit wenig be¬ einträchtigen, aber die Summe der Staatsschuld ebenso vergrößern, wie es die nußern offnen Anleihen thun. Die Staatsschuld ist denn auch in schnellem Schritt auf eine bedeutende Höhe gelangt. In dem Jahrzehnt von 1886 bis 1895 hat sich die Staatsschuld um 1410 Millionen Rubel vermehrt und ist bei 6795^ Millionen Rubeln an¬ gelangt.*) Das ist die Zeit, in der Frankreichs Tasche für die Herren Wyschnegradski und Witte so offen stand wie die Kasse der russischen Reichs¬ bank. Diese Schuld erforderte im Jahre 1897 eine Verzinsung von rund 272 Millionen Rubeln, sodaß trotz der Konversionen in jenem Jahrzehnt die jährliche Zinsenlast um 12 Millionen Rubel gewachsen ist. Aber es war, dank dem Kredit, den Nußland in Europa genoß, soviel Gold im Säckel des Staates, daß man mit vollen Händen die Industrie unterstützen und daneben großartige Bahnbauten unternehmen konnte. Nach einer Periode strenger Abschließung gegen die fremde Industrie chüele man mit dem deutsch-russischen Handels¬ vertrage seit 1892 einem lebhaftem äußern Verkehr die Wege; vorzüglich in¬ soweit, als die russische Industrie der Hilfe europäischer Fabrikate zu schnellerer Entwicklung bedürfte. Der reiche Geldmarkt Europas verlangte um diese Zeit zugleich nach höherer Verzinsung, als er daheim finden konnte, wo der Zins¬ fuß auf drei Prozent und noch weniger gesunken war, der Bankdiskont in London zu Zeiten sogar nur ein Prozent betrug. Das Geld strömte gern nach Nußland hinein, wo es leicht Anlage und jedes staatliche Entgegenkommen fand, und wo es eine Periode des Gründungseifers eröffnete, die noch heute anhält. Unter diesen Umstündeu und im Vertrauen auf einen Goldvorrat. ») Vgl. die Zeitung Herold Ur. 39 vom Jahre 189«. Grenzboten I 1899 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/81>, abgerufen am 23.07.2024.