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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

dem Deutschen unterstützt durch seine feinern, geschmeidigern Formen in Sprache
und Umgang; der Deutsche hat sür sich größere Unternehmungskraft, festern
Charakter, mehr Sinn für Ordnung und Recht. Mischte sich heute die Zentral¬
gewalt da hinein, so wäre es aus mit dem Frieden.

In Deutschland liegen die Verhältnisse großeuteil anders als in der
Schweiz. In Posen und Nordschleswig ist mit der Eroberung der Kampf ge¬
geben gewesen. Nicht der Einzelne drängt den Einzelnen im friedlichen Ge¬
triebe des Erwerbs und Verkehrs hinaus, sondern Polentum und Dänentum
stehn als geschlossene, organisierte Macht dem Deutschtum gegenüber, zum
Kampf bereit mit Mitteln nicht staatlicher Art, aber doch Gewaltmitteln, denen
der Einzelne nicht widerstehn kann. Mit dieser bedauernswerten Thatsache
haben wir heute zu rechnen, und wir dürfen kaum hoffen, den einmal ent¬
brannten Kampf zurückzuführen auf das friedliche Ringen, wie es in der
Schweiz oder Nordamerika vor sich geht. Polen und Dänen verteidigen den
nationalen Besitz und sind schon dadurch stärker als der Gegner; denn wer
sich in Posen in irgend einem Beruf niederläßt, hat nicht nur die überall vvr-
hcmdne Konkurrenz des Erwerbs zu bekämpfen, sondern außerdem die Schwierig¬
keiten, die ihm die nationale Feindschaft der Polen bereitet. Er ist den An¬
griffen organisierter Gruppen der Bevölkerung ausgesetzt. In solchem ungleichen
Kampf stellt sich der Staat mit Recht auf die Seite der Deutschen. Er unter¬
stützt den Deutschen durch Schulen, Förderung seines Erwerbs, seiner Kirche,
durch Herbeiziehung von Ansiedlern, durch Ankauf polnischer Güter. Er sollte
sich besonders auch angelegen sein lassen, durch gute deutsche Mädchenschulen auf
das weibliche Geschlecht zu wirken. Aber der Staat sollte sich darauf beschränken,
das deutsche Element zu unterstützen im Kampf, nicht selbst an die Stelle der
Kämpfer treten.*) Sowie der Staat direkt eingreift, ist der Zwang da, der den
Kampf immer vergiftet. Der Kampf soll national und auf dem Boden des
privaten und gesellschaftlichen Lebens ausgefochten werden, der Einzelne wie
die Gesamtheit der Deutschen sollen geschützt und gestärkt werden: direkte
Zwangsmittel, Entwaffnung, Knebelung des Gegners durch den Staat, das
sollte in Deutschland verschmäht werden, das sollte man -- andern überlassen.

Der erste Schritt, den der Staat auf diesem Kampfboden thut, zieht immer
neue Schritte nach sich. Wenn man Dänen oder Franzosen die Möglichkeit
nimmt, ihre Kinder in dänischen oder französischen Schulen auf deutschem
Boden zu erziehn, so ist es nur natürlich, daß sie ihre Kinder außer Landes
schicken. Es wären nationale Lumpe, wenn sie es nicht thäten, soweit ihre
Mittel es ihnen erlauben. Das hat dann weiter geführt, bis man von Staats
wegen, wenn man den Berichten der Presse Glauben schenken darf, in das
Familienleben eingriff und den Eltern sogar das Recht nahm, ihre Kinder



^ A, d. N, ) Auch wenn das Deutschtum trotz jener Mittel zurückgeht?
Nation und Staat

dem Deutschen unterstützt durch seine feinern, geschmeidigern Formen in Sprache
und Umgang; der Deutsche hat sür sich größere Unternehmungskraft, festern
Charakter, mehr Sinn für Ordnung und Recht. Mischte sich heute die Zentral¬
gewalt da hinein, so wäre es aus mit dem Frieden.

In Deutschland liegen die Verhältnisse großeuteil anders als in der
Schweiz. In Posen und Nordschleswig ist mit der Eroberung der Kampf ge¬
geben gewesen. Nicht der Einzelne drängt den Einzelnen im friedlichen Ge¬
triebe des Erwerbs und Verkehrs hinaus, sondern Polentum und Dänentum
stehn als geschlossene, organisierte Macht dem Deutschtum gegenüber, zum
Kampf bereit mit Mitteln nicht staatlicher Art, aber doch Gewaltmitteln, denen
der Einzelne nicht widerstehn kann. Mit dieser bedauernswerten Thatsache
haben wir heute zu rechnen, und wir dürfen kaum hoffen, den einmal ent¬
brannten Kampf zurückzuführen auf das friedliche Ringen, wie es in der
Schweiz oder Nordamerika vor sich geht. Polen und Dänen verteidigen den
nationalen Besitz und sind schon dadurch stärker als der Gegner; denn wer
sich in Posen in irgend einem Beruf niederläßt, hat nicht nur die überall vvr-
hcmdne Konkurrenz des Erwerbs zu bekämpfen, sondern außerdem die Schwierig¬
keiten, die ihm die nationale Feindschaft der Polen bereitet. Er ist den An¬
griffen organisierter Gruppen der Bevölkerung ausgesetzt. In solchem ungleichen
Kampf stellt sich der Staat mit Recht auf die Seite der Deutschen. Er unter¬
stützt den Deutschen durch Schulen, Förderung seines Erwerbs, seiner Kirche,
durch Herbeiziehung von Ansiedlern, durch Ankauf polnischer Güter. Er sollte
sich besonders auch angelegen sein lassen, durch gute deutsche Mädchenschulen auf
das weibliche Geschlecht zu wirken. Aber der Staat sollte sich darauf beschränken,
das deutsche Element zu unterstützen im Kampf, nicht selbst an die Stelle der
Kämpfer treten.*) Sowie der Staat direkt eingreift, ist der Zwang da, der den
Kampf immer vergiftet. Der Kampf soll national und auf dem Boden des
privaten und gesellschaftlichen Lebens ausgefochten werden, der Einzelne wie
die Gesamtheit der Deutschen sollen geschützt und gestärkt werden: direkte
Zwangsmittel, Entwaffnung, Knebelung des Gegners durch den Staat, das
sollte in Deutschland verschmäht werden, das sollte man — andern überlassen.

Der erste Schritt, den der Staat auf diesem Kampfboden thut, zieht immer
neue Schritte nach sich. Wenn man Dänen oder Franzosen die Möglichkeit
nimmt, ihre Kinder in dänischen oder französischen Schulen auf deutschem
Boden zu erziehn, so ist es nur natürlich, daß sie ihre Kinder außer Landes
schicken. Es wären nationale Lumpe, wenn sie es nicht thäten, soweit ihre
Mittel es ihnen erlauben. Das hat dann weiter geführt, bis man von Staats
wegen, wenn man den Berichten der Presse Glauben schenken darf, in das
Familienleben eingriff und den Eltern sogar das Recht nahm, ihre Kinder



^ A, d. N, ) Auch wenn das Deutschtum trotz jener Mittel zurückgeht?
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[0706] Nation und Staat dem Deutschen unterstützt durch seine feinern, geschmeidigern Formen in Sprache und Umgang; der Deutsche hat sür sich größere Unternehmungskraft, festern Charakter, mehr Sinn für Ordnung und Recht. Mischte sich heute die Zentral¬ gewalt da hinein, so wäre es aus mit dem Frieden. In Deutschland liegen die Verhältnisse großeuteil anders als in der Schweiz. In Posen und Nordschleswig ist mit der Eroberung der Kampf ge¬ geben gewesen. Nicht der Einzelne drängt den Einzelnen im friedlichen Ge¬ triebe des Erwerbs und Verkehrs hinaus, sondern Polentum und Dänentum stehn als geschlossene, organisierte Macht dem Deutschtum gegenüber, zum Kampf bereit mit Mitteln nicht staatlicher Art, aber doch Gewaltmitteln, denen der Einzelne nicht widerstehn kann. Mit dieser bedauernswerten Thatsache haben wir heute zu rechnen, und wir dürfen kaum hoffen, den einmal ent¬ brannten Kampf zurückzuführen auf das friedliche Ringen, wie es in der Schweiz oder Nordamerika vor sich geht. Polen und Dänen verteidigen den nationalen Besitz und sind schon dadurch stärker als der Gegner; denn wer sich in Posen in irgend einem Beruf niederläßt, hat nicht nur die überall vvr- hcmdne Konkurrenz des Erwerbs zu bekämpfen, sondern außerdem die Schwierig¬ keiten, die ihm die nationale Feindschaft der Polen bereitet. Er ist den An¬ griffen organisierter Gruppen der Bevölkerung ausgesetzt. In solchem ungleichen Kampf stellt sich der Staat mit Recht auf die Seite der Deutschen. Er unter¬ stützt den Deutschen durch Schulen, Förderung seines Erwerbs, seiner Kirche, durch Herbeiziehung von Ansiedlern, durch Ankauf polnischer Güter. Er sollte sich besonders auch angelegen sein lassen, durch gute deutsche Mädchenschulen auf das weibliche Geschlecht zu wirken. Aber der Staat sollte sich darauf beschränken, das deutsche Element zu unterstützen im Kampf, nicht selbst an die Stelle der Kämpfer treten.*) Sowie der Staat direkt eingreift, ist der Zwang da, der den Kampf immer vergiftet. Der Kampf soll national und auf dem Boden des privaten und gesellschaftlichen Lebens ausgefochten werden, der Einzelne wie die Gesamtheit der Deutschen sollen geschützt und gestärkt werden: direkte Zwangsmittel, Entwaffnung, Knebelung des Gegners durch den Staat, das sollte in Deutschland verschmäht werden, das sollte man — andern überlassen. Der erste Schritt, den der Staat auf diesem Kampfboden thut, zieht immer neue Schritte nach sich. Wenn man Dänen oder Franzosen die Möglichkeit nimmt, ihre Kinder in dänischen oder französischen Schulen auf deutschem Boden zu erziehn, so ist es nur natürlich, daß sie ihre Kinder außer Landes schicken. Es wären nationale Lumpe, wenn sie es nicht thäten, soweit ihre Mittel es ihnen erlauben. Das hat dann weiter geführt, bis man von Staats wegen, wenn man den Berichten der Presse Glauben schenken darf, in das Familienleben eingriff und den Eltern sogar das Recht nahm, ihre Kinder ^ A, d. N, ) Auch wenn das Deutschtum trotz jener Mittel zurückgeht?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/706>, abgerufen am 23.07.2024.